Kugeln statt Reis - Von Rainer Werning

Im Süden der Philippinen leben Hunderttausende von Flüchtlingen im Belagerungszustand; vor einem Jahr eskalierten die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und dem Moro-Widerstand erneut.

Auf den südphilippinischen Inseln Mindanao, Basilan und Jolo, Südostasiens ältester Konfliktregion, herrscht seit einem Jahr vielerorts wieder Krieg. Mehrfach mußte dort die Zivilbevölkerung die ebenso paradoxe wie schmerzliche Erfahrung machen, immer dann tiefer in Deckung gehen zu müssen, wenn mal wieder lauthals von Frieden die Rede war. »Heute leben wir erneut in einem Frieden, der jedoch dem Zustand einer dauerhaften Belagerung gleicht«, sagt Mohaiya M.* Die Mittfünfzigerin und ausgebildete Sozialarbeiterin ist seit Jahren in unterschiedlichen Nichtregierungsorganisationen auf Mindanao und Jolo engagiert. Bereits 1976 und 1996 konnte sie miterleben, wie nach langen Verhandlungen zwischen der Regierung in Manila und der damals größten Widerstandsorganisation der muslimischen Bevölkerung im Süden des Inselstaates, der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), feierlich Friedensabkommen unterzeichnet wurden. Die Krux: Beide Abkommen wurden rasch zur Makulatur. Im Sommer 2000 erklärte der damalige Präsident Joseph E. Estrada dem Moro-Widerstand gar den »totalen Krieg« und drohte, wörtlich - diesen »zu pulverisieren«. Unvergeßlich die Szenen, da der in Khakiuniform gekleidete Präsident mit dem Helikopter einschwebte, um seine Soldaten auf den Trümmern zerbombter Moscheen und Schulen mit gekühltem Bier und gegrilltem Schweinefleisch bei Laune zu halten.
 
Vereiteltes Abkommen
Der 5. August 2008 hätte endlich den Durchbruch in Richtung Frieden bringen können. An jenem Augusttag, so sah es die Etikette vor, sollte in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur ein vorläufiges Friedensabkommen, das sogenannte MoA-AD, zeremoniell unterzeichnet werden. Jahrelang hatten Emissäre Manilas und der MILF, der gegenwärtig bedeutendsten Organisation des muslimischen Widerstands, unter der Schirmherrschaft Malaysias an dem Vertragstext gefeilt. Die Vertragspartner und hochrangige ausländische Gäste, unter ihnen mehrere Botschafter und ein Sondergesandter der Organisation der Islamischen Konferenz, weilten bereits in Kuala Lumpur, als der Oberste Gerichtshof der Philippinen im letzten Moment mittels einstweiliger Verfügung die offizielle Vertragsunterzeichnung kippte. Das Gericht in Manila begründete seinen last-minute-Akt damit, es müsse prüfen, ob kurzfristig eingereichten Petitionen einflußreicher Regionalpolitiker und Geschäftsleute, wonach das MoA-AD gegen geltendes Recht verstoße, stattzugeben sei. Die neualte Pattsituation lenkte rasch Wasser auf die Mühlen jener Kräfte, denen langwierige Verhandlungen eh suspekt waren und die sich bitter enttäuscht darüber zeigten, daß trotzdem keine greifbaren Ergebnisse erzielt wurden. Bereits Mitte August 2008 lieferten sich Einheiten der regulären philippinischen Streitkräfte (AFP) und der Bangsamoro Islamischen Streitkräfte (BIAF), des bewaffneten Arms der MILF, zunächst Scharmützel, dann offene Gefechte in Mindanaos Provinzen Nordcotabato und Lanao del Norte. Während im fernen Manila die Nationalpolizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt wurde, da man Anschläge der MILF gegen öffentliche Einrichtungen befürchtete, weiteten sich die Kampfhandlungen schrittweise auf Mindanaos Provinzen Lanao del Sur, Maguindanao, Shariff Kabunsuan und Sarangani weiter aus. Am 21. August sprach das WEP, das Welternährungsprogramm (WFP) der UNO, schon von über 220.000 Menschen, die angesichts der Kampfhandlungen in Mindanao auf der Flucht waren. Bis zur Jahreswende 2008/09 wurden die Zahlen ständig nach oben - bis über die Halbe-Million-Marke - korrigiert, während die Sicherheitsvorkehrungen für das in- wie ausländische Hilfspersonal laut Stephen Anderson, dem WFP-Repräsentanten im Lande, drastisch erhöht werden mußten. Wut und tiefe Enttäuschung machten sich unter den Befürwortern des MoA-AD breit. Vor allem die zahlreichen um Ausgleich und Frieden bemühten Nichtregierungsorganisationen auf Mindanao hatten im MoA-AD endlich einen Silberstreif am Horizont entdeckt, um wenigstens die jahrelangen militärischen Auseinandersetzungen im Interesse der Zivilbevölkerung zu de-eskalieren. Der stets um Contenance bemühte Chefunterhändler der MILF, Mohagher Iqbal, hatte große Mühe, nicht aus der Haut zu fahren. »Die philippinische Regierung«, so Iqbals erster Kommentar, »muß sich schämen, sich vor Vertretern der internationalen Gemeinschaft dermaßen blamiert zu haben. Selbst der Gastgeber, die Regierung Malaysias, hat dem MoA-AD vollumfänglich zugestimmt.« Das MoA-AD sei schließlich einvernehmlich ausgehandelt und vereinbart worden und deshalb auch bindend. Für Nachbesserungen sehe die MILF-Führung keinen Handlungsbedarf.
 
Befriedung statt Frieden
Anders sah und sieht das die Regierung in Manila. Hatte Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo noch Ende Juli 2008 ihrem Verhandlungsteam in Malaysia grünes Licht gegeben, um das MoA-AD zu unterzeichnen, schlug sie nach dem Fiasko in Kuala Lumpur wieder harsche Töne an. Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates kündigte sie in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als AFP-Oberkommandierende an, »jeden Zoll philippinischen Territoriums« entschlossen zu verteidigen. Das MoA-AD sei aufgrund anhaltender Proteste hinfällig, und der Oberste Gerichtshof in Manila wertete es in seinem abschließenden, mit acht zu sieben Stimmen freilich denkbar knappen Urteil vom 14. Oktober 2008 als nicht verfassungskonform. Seit Monaten nun verfährt man in Manila gemäß der Maxime, mit bewaffneten Gruppierungen lediglich im Kontext ihrer »Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration« zu verhandeln. Weitere Gespräche mit der MILF fänden nur statt, wenn man das MoA-AD grundlegend überdenke und darüber neu verhandle. Eine Position, die die Gegenseite als inakzeptabel betrachtet und darauf verweist, daß »Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration« den Schlußakkord eines Friedensprozesses bildeten, nicht aber zu dessen Vorbedingungen gemacht werden könnten.
 
Warum dieser plötzliche Sinneswandel der Regierung? Solange Manila verhandelte, konnte es nach außen hin sein Image als Friedensvermittler wahren und sich gegen in- wie ausländische Kritik, es setze einzig auf eine militärische Konfliktlösung, abschotten. Frau Arroyo ging es ums Hinhalten und um Zeitgewinn, um ihr öffentlich arg ramponiertes Image nicht noch mehr zu schädigen. Eine Vielzahl von Korruptionsaffären, Bestechungsskandalen, Manipulationen der letzten Präsidentschaftswahl 2004, mehrere überstandene Amtsenthebungsverfahren sowie eine verheerende Bilanz im Bereich der Bürger- und Menschenrechte haben Arroyos Umfragewerte dermaßen absacken lassen, daß sie heute in der Gunst ihrer Landsleute gleich hinter dem früheren Diktator Ferdinand E. Marcos als unbeliebtestes Staatsoberhaupt rangiert. Sie verschanzt sich nunmehr hinter dem Urteil des Obersten Gerichtshofs und schiebt allein der MILF den Schwarzen Peter zu. Diese habe ihre Feldkommandeure nicht im Griff und habe es zugelassen, daß einige von ihnen ihr Unwesen trieben und das Feuer auf Zivilisten eröffneten. Tatsächlich gab es Lokalbefehlshaber der BIAF, die in der Vergangenheit eigenmächtig handelten oder als sogenannte »verlorene Kommandos« ins kriminelle Milieu abdrifteten. Mit Verweis auf die prekäre Sicherheitslage auf Mindanao und der Notwendigkeit, dort die öffentliche Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, kann die Präsidentin jederzeit den Ausnahmezustand erklären. Andererseits wird sie die MILF drängen, letztlich einem wie immer gearteten Deal mit der Regierung zuzustimmen, oder notfalls darauf hinwirken, sie als »Terrororganisation« zu brandmarken. Offene wie verdeckte Maßnahmen im Rahmen der staatlich sanktionierten Aufstandsbekämpfungsstrategie Oplan Bantay Laya (Operationsplan Freiheitswacht) werden zumindest bis zum Ende der Amtszeit Arroyos im Sommer nächsten Jahres (im Mai 2010 findet die nächste Präsidentschaftswahl statt) den Kern von Manilas Politik gegenüber der MILF bilden.
 
Aufstandsbekämpfung auf Jolo ...
Vor allem für die Zivilbevölkerung hat sich die Lage innerhalb des vergangenen Jahres dramatisch verschlechtert. Das Gros der zwischen die Fronten geratenen Menschen muß in behelfsmäßigen Notunterkünften ausharren, wenn sie es überhaupt bis dahin geschafft haben. Vergleichsweise glücklich können sich Flüchtlinge schätzen, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben und in Schulen oder ähnlichen festen Gebäuden untergebracht sind. Das bietet wenigstens halbwegs Schutz vor Taifunen und Schlammassen infolge heftiger Regenfälle. Wiederholt wurden gegen ganze Ortschaften zeitweilige Nahrungsmittelblockaden verhängt, wenn das Militär oder die Nationalpolizei meinte, deren Bevökerung könne heimlich »Rebellen und Terroristen« unterstützen. In Zentralmindanao, vor allem in Teilen der Provinzen Maguindanao und Nordcotabato, gibt es Familien, die seit Sommer 2000 auf der Dauerflucht sind. Damals mußten sie fliehen, weil Präsident Estrada dem Moro-Widerstand den »totalen Krieg« erklärt hatte. Und in der Zeit danach konnten sie nicht in ihre angestammten Gebiete zurückkehren, weil diese zwischenzeitlich zu militärischen Frontlinien oder Sperrzonen geworden waren. Oberst Jonathan Ponce, Sprecher der 6. Infanteriedivision der philippinischen Armee, bezeichnete die Flüchtlinge kürzlich in einer offiziellen Stellungnahme als »Reserve feindlicher Truppen«.
 
Von Anfang des Jahres bis zum Juni/Juli verlagerten sich die militärischen Hauptfrontlinien auf die südlich von Mindanao gelagerte Insel Jolo. Dort hatten Mitglieder der auf Kidnapping und Lösegelderpressung spezialisierten Abu-Sayyaf-Gruppe (diese war auch für die Entführung der Göttinger Familie Wallert im Sommer 2000 verantwortlich) am 15. Januar drei Mitarbeiter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, die Philippinin Mary Jean Lacaba, den Schweizer Andreas Notter sowie den Italiener Eugenio Vagni in der Nähe der Hauptstadt Jolo City entführt. Während Lacaba und Notter am 2. und 18. April wieder freikamen, zog sich die Freilassung des 62jährigen Vagni bis zum Morgengrauen des 12. Juli hin. Innerhalb dieses halben Jahres herrschte auf Jolo der Ausnahmezustand und die Insel bildete - wie schon häufiger seit den frühen 1970er Jahren, als dort faktisch Bürgerkrieg herrschte - die mit Abstand höchstmilitarisierte Region des Landes. Sehr zum Vorteil des umtriebigen Gouverneurs Abdusakur M. Tan. Der nämlich konnte, wie es in der Vergangenheit mehrfach, so bei der Geiselnahme der Wallerts, geschehen war, auch im Falle des IKRK seine Privatresidenz als eine Art Clearingstelle nutzen, um im Hintergrund Lösegeldzahlungen einzufädeln und sich politisch in Szene zu setzen. »Gouverneur Tan«, sagt Mohaiya M., die seit Jahren mit der Situation auf Jolo bestens vertraut ist, »trägt Mitverantwortung für die prekäre Sicherheitslage in diesem Armenhaus. Kidnapping ist ein lukratives Business und Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Schnell werden Personen als Kriminelle oder Terroristen gebrandmarkt, wenn sie den Mächtigen in Politik und im Militär suspekt sind. Schätzungsweise 95 % aller begangenen Menschenrechtsverletzungen bleiben dort unaufgeklärt. Es herrscht ein Klima aus Gewalt und Straffreiheit sowie eine Praxis des (Ver-)Schweigens. Allein im Januar und Februar dieses Jahres mobilisierte der Gouverneur annähernd 1 500 sogenannte zivile Freiwilligenverbände (CVO), eine Art paramilitärische Bürgerwehr, um auf seine Weise für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Genau das Gegenteil trat ein; es herrschte wochenlang Krieg.«
 
…... mit Rückendeckung aus der USA
Auf Jolo operieren außerdem Marinebrigaden, Sondereinsatzkommandos der philippinischen Nationalpolizei und Rangerverbände gemeinsam mit US-Spezialeinheiten (U.S. Joint Special Operations Task Force Philippines, kurz: JSOTFP) unter dem Kommando des amerikanischen Oberst William Coultrup, um mit den Abu Sayyaf einen vermeintlich integralen Bestandteil der Jemaah Islamiyah (JI) »zu eliminieren«, die Militärstrategen als südostasiatischer Ableger des Al-Qaida-Netzwerks gilt. Laut Coultrup und JSOTFP-Sprecher Major John Hutcheson geht es vorrangig um zweierlei: »Ausländischen Terroristen« (gemeint sind damit im wesentlichen malaysische oder indonesische JI-Mitglieder) sollen sichere Unterschlupf- und Ausbildungsmöglichkeiten auf Jolo verwehrt und die unzureichend gesicherten Seewege diesseits und jenseits der Sulu-See intensiver kontrolliert werden. Nach US-amerikanischen Angaben sind etwa 100 amerikanische GIs dauerhaft auf Jolo stationiert, wo sie lediglich in humanitären Projekten engagiert seien und ihren philippinischen Kameraden bei der Aufstandsbekämpfung assistierten.
 
Am 21. August 09 kündigte US-Verteidigungsminister Robert Gates an, insgesamt 600 Mitglieder amerikanischer Spezialeinheiten permanent im Süden der Philippinen zu belassen. Während Politiker und Militärs in Manila und Washington immer wieder beteuern, es handle sich dabei nicht um Kampfeinsätze der GIs, sehen das Kritiker vor Ort und Militärexperten wie der an der staatlichen University of the Philippines lehrende Professor Roland G. Simbulan anders. Für sie steht außer Frage, daß US-Soldaten sporadisch direkt in Kampfhandlungen involviert sind und ansonsten die sicherheits- und entwicklungsrelevanten Aspekte im Rahmen der Aufstandsbekämpfung koordinieren. Das geschieht mittels Aufstellung Mobiler Trainingteams (MTT), kleiner beweglicher Einheiten, die in Kooperation mit örtlichen Kräften beim Aufbau bürgernaher Projekte (z.B. Brunnenbau), bei der Durchführung (zahn-)medizinischer Reihenuntersuchungen und der psychologischen Kriegführung behilflich sind, getreu der traditionellen Devise »Herzen und Hirne der Bevölkerung zu gewinnen«. Flankiert wird all das mit »nicht-traditionellen Elementen«, worunter das Einbinden von entwicklungspolitischen Organisationen und konservativen think tanks verstanden wird. Jolo und Mindanao waren und bleiben in der Region Hochburgen des Einsatzes solcher Institutionen und Organisationen wie der United States Agency for International Development (USAID), dem U.S. Institute for Peace (USIP), der National Endowment for Democracy und des Peace Corps, die auf je unterschiedliche Weise dafür sorgen sollen, selbst die entlegensten Orte gegen das »Einsickern von Aufständischen und Terroristen« zu feien.
 
Wenngleich die USA in ihrer einzigen und einstigen Kolonie in Südostasien Ende 1992 ihre größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen Militärstützpunkte schließen mußte, ermöglichte es das vom philippinischen Senat Ende Mai 1999 ratifizierte Visiting Forces Agreement (VFA), daß seitdem über 40 000 US-Soldaten die Philippinen im Rahmen gemeinsamer Balikatan(Schulter an Schulter)-Manöver betreten und dort eine Zeitlang verweilen konnten. Gegen das VFA und die geltende Landesverfassung verstoßen unter anderem die Anlandung von US-Schiffen mit Nuklearwaffen an Bord und die Installierung US-amerikanischer Militäreinrichtungen. Doch solche existieren bereits außer auf Jolo in den Städten General Santos, Davao, Cotabato und Zamboanga auf Mindanao. Nach Recherchen der globalisierungskritischen Organisation Focus on the Global South (Bangkok) hat das Pentagon beispielsweise den militärischen Dienstleister Global Contingency Services LLC beauftragt, für 14,4 Millionen $ ein »base development«-Projekt in Mindanao zu errichten. Im Militärjargon handelt es sich um »forward operating bases« (dt. Vorwärtsbasen), die der JSOTFP jederzeit zur Verfügung stehen und meistens auf dem Militärgelände der philippinischen Streitkräfte angesiedelt sind. Diese für eine Vorwärtsverteidigung geeigneten Einrichtungen dienen als Schaltstellen zur Umsetzung der Aufstandsbekämpfung Manilas.
 
Friedenspolitik im Zickzack
Während Manila zwischenzeitlich mit Rafael Seguis einen neuen Emissär benannte, um den Gesprächsfaden mit der MILF wieder zu knüpfen, und öffentlich bekundete, sich nunmehr intensiver um die zwischen die Fronten geratenen Flüchtlinge in Mindanao zu kümmern, machten Entwicklungen auf der zwischen Mindanao und Jolo gelegenen Insel Basilan mit einem Schlag alle guten Vorsätze zunichte. Am 12. August waren dort während eines Feuergefechts gegen die Abu Sayyaf 23 Regierungssoldaten in einen Hinterhalt geraten und erschossen worden. Noch bevor der genaue Hergang bekannt war, machten die Behörden für das Geschehen umgehend die MILF verantwortlich. Als direkte Reaktion auf den Tod der 23 Soldaten rührte der Exgeneral und Senatsvorsitzende des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskomitees, Rodolfo G. Biazon, die Kriegstrommel am lautesten. Mit dem von ihm eingebrachten Resolutionsentwurf 1281 setzt er sich dafür ein, fortan jedwede Verhandlung mit der MILF auszusetzen.
 
»Der Resolutionsentwurf 1281 des Senats unterstreicht die Tatsache, daß diese Regierung über kein Konzept einer nationalen Friedenspolitik in Mindanao verfügt«, erklärte Pastor Reu Montecillo während einer am 28. August in Zamboanga City durchgeführten öffentlichen Anhörung über das Ansinnen Biazons. Der beredte Pastor, Vorstandsvorsitzender der NGO ›Mindanao Peoples’ Caucus‹ (MPC), fügte namens seiner und zahlreicher anderer in Mindanao tätiger Friedensorganisationen hinzu: »Immer wenn dort Provokationen, bewaffnete Konflikte und Bombenexplosionen stattfinden, weicht diese Regierung unverzüglich von einem Friedenskurs ab und gibt sich martialisch. Da hatten sich gerade mal am 23. Juli die Präsidentin auf eine zeitweilige Suspendierung militärischer Offensivoperationen und zwei Tage später die MILF auf die Aussetzung militärischer Aktionen verständigt, als diese relative Ruhe an den Fronten erneut jäh in eine neue Runde von Feindseligkeiten mündete.«
 
Verhandlungen zwischen der Regierung und der MILF ausgerechnet jetzt zu kappen, halten der MPC und andere Friedens- und Menschenrechtsorganisationen für fatal. Dazu erklärt Pastor Reu Montecillo: »Letzte Berichte zeigen, daß infolge anhaltender bewaffneter Auseinandersetzungen annähernd 600’000 Menschen in Zentralmindanao auf der Flucht sind. Die in Genf ansässige NGO Internal Displacement Monitoring Center hat ermittelt, daß die Philippinen im vergangenen Jahr infolge des bewaffneten Konflikts im Süden die weltweit höchste Zahl an Binnenflüchtlingen, sogenannten intern vertriebenen Personen, aufwies, mehr noch als in den Konfliktregionen in Afrika.« Dringend riet der Geistliche Exgeneral Biazon: »Als General i.R. und Mindanao-Kriegsveteran sollte gerade er besser als jedes andere Senatsmitglied wissen, daß der Konflikt in Mindanao mitnichten militärisch zu lösen ist.«
 
Anmerkung politonline d.a. Der einstmals als Held der Armen verehrte frühere Filmstar Joseph Estrada war vom 30. Juni 1998 bis 20. Januar 2001 Präsident der Philippinen; er wurde Ende April 2001 zusammen mit seinem Sohn José Ejercito verhaftet, nachdem er zuvor in einem vom Militär unterstützten Volksaufstand im Januar 01 gestürzt worden war. Die Anklage lautete auf wirtschaftliche Plünderung in Höhe von 82 Millionen $, die er während seiner Präsidentschaft von zweieinhalb Jahren unterschlagen hatte. Im September 2007 lautete das am Ende eines sechseinhalb Jahre dauernden Prozesses über ihn verhängte Urteil auf lebenslängliche Haft. Noch im gleichen Jahr, nämlich am 25. 10. 07, wurde der inzwischen 70Jährige von seiner Nachfolgerin, der Präsidentin Arroyo begnadigt. Seine Haft hatte er nicht etwa in einer Gefängniszelle, sondern auf seinem Landsitz bei Manila abgesessen. Indessen argumentierten die Ankläger im Fall Estrada, dass die Präsidentin kein Recht habe, Estrada zu begnadigen; darüber hinaus erklärten sie, dass ihre Anstrengungen, die Korruption zu bekämpfen, durch diesen Schritt eine vollständige ›Erniedrigung‹ erfuhr. Nicht  uninteressant ist der Fakt, dass Estrada 1999 an der vom 3. bis 6. Juni in Sintra, Portugal, abgehaltenen Bilderberger-Konferenz teilnahm. Im übrigen war über den Verbleib der veruntreuten Millionen nichts weiter zu vernehmen, was nicht weiter verwundern sollte, da die jetzige Regierung unter Arroyo ebenfalls mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert wird. Gegen diese demonstrierten zuletzt Mitte Februar 2008 Zehntausende in Manila. Ein Kronzeuge, der im  Zusammenhang mit einem manipulierten Regierungsauftrag für ein Breitbandnetz - der dann nach scharfen Protesten storniert werden musste - aussagen sollte, war sogar vorübergehend entführt worden. Nach Angaben von Zeugen wollte Arroyos Ehemann in grossem Stil von dem Deal profitieren. Gleichzeitig hatten Militär und Regierung einiges unternommen, um den Protest zu diskreditieren, wobei, wie inzwischen global üblich, natürlich auch die Rede von geplanten Al-Qaida-Aktionen war.
 
Was die Abu Sayyaf Group betrifft, so gilt es zu wissen, dass die Widerstandsbewegung des 1998 getöteten Abu Sayyaf seinerzeit von der CIA unterstützt wurde, ein Vorgehen, das an die Vernichtung der Taliban erinnert, die Washington und die CIA zusammen mit Pakistan und Saudiarabien zuvor für ihre Zwecke aufgebaut hatten. Zu dieser Art von Unterstützung vermerkte die Ausgabe Nr. 163 der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. 7. 02: »Der Grund: Die USA sahen es nicht ungern, dass sich die philippinische Armee in einen Anti-Guerrilla-Kampf verstrickte, da hierdurch die Militärbasen  der amerikanischen Truppen im Land nicht in Frage gestellt wurden.« Anfang Juni 2007 belohnte die USA 4 philippinische Informanten, deren Hinweise zur Tötung des Anführers der Rebellenorganisation Abu Sayyaf und seines mutmasslichen Nachfolgers Khaddafy Janjalani geführt hatten, mit 10 Millionen $, einer Rekordsumme. Diese trugen Masken, um ihre Identität zu schützen. Janjalani war im September 2006 bei einem Gefecht mit Regierungssoldaten erschossen worden; sein Nachfolger, Abu Sulaiman, wurde im Januar 2007 getötet. Gerade wegen Differenzen über das Anti-Terrorausbildungsprogramm der USA auf den Philippinen und  Bedenken wegen möglicher Kampfeinsätze von US-Soldaten war der Vizepräsident des Landes, Teofisto  Guingona, unter Verweis auf die Verfassung und Souveränität seines Landes Mitte Juli 2002 zurückgetreten. Washington setzt seine hochentwickelte Technologie seit Anfang 2002 ein, um den Kampf gegen die Abu Sayyaf Group im Urwald von Mindanao zu stützen, was Bush in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Januar 2002 erwähnte, indem er erklärte, dass Amerika den lokalen Behörden in der Terrorbekämpfung beistehe.
 
 
Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/09-25/047.php  25. 9. 2009
Rainer Werning ist u. a. Co-Herausgeber des in diesen Tagen erscheinenden Bandes »Conflict in Moro Land - Prospects for Peace?«; Verlag der Universiti Sains Malaysia in Penang, Malaysia, ISBN 978