Zankapfel Gold - von Werner Müller *

Die wiederholt massiven Vorwürfe an den Finanzplatz Schweiz - an die berühmt-berüchtigten Gnomen von Zürich sowie die Schweizerische Nationalbank - lassen Absichten vermuten, diesen Finanzplatz im Internationalen Wettbewerb zu diskreditieren.

Im Hinblick auf die Verwaltung von ausländischen Guthaben im Wert von 2400 Milliarden Schweizerfranken, darunter viele Pensionskassengelder, ist eine solche Interpretation nicht auszuschliessen. Die Schweiz wurde in den letzten Jahren immer wieder in ein schiefes Licht gestellt, weil deren Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sich in demokratischen Entscheiden wiederholt gegen den Beitritt zu internationalen Organisationen ausgesprochen haben. Unglücklicherweise ist sie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) beigetreten, und das hatte Folgen. Es scheint mir dringend erforderlich - ungeachtet der auch von uns verfochtenen Kritik am Geldwesen - historische Fakten ins richtige Licht zu stellen. Eine objektive Beurteilung kann unserer Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit nur förderlich sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass mit einseitiger Propaganda, gerade mit den Medien Geld und Gold, verborgene Ziele verfochten werden.

Die noch während der Zwischenkriegszeit unerbittlich herrschende Golddeckung setzte J.P. Morgan - als grössten amerikanischen Spekulanten aller Zeiten und Hauptverursacher diverser Krisen - anfangs des 20. Jh. in die Lage, Devisenhandel aufgrund der Goldparität in grossem Stile zu betreiben. Morgan war einer der Förderer einer Clearingstelle für Gold. Dies war der Zweck der Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, was Gian Trepp in seinem Buch "Bankgeschäfte mit dem Feind" sehr gut herausgearbeitet hat (Rotpunktverlag, 1993). Dabei handelt die Geschichte nicht so sehr von Geschäften mit Raubgold, wie es von gewisser Seite zur Erpressung der Schweiz behauptet wurde, sondern die BIZ hatte von Anfang an dem Goldhandel zu dienen. Die Bank - übrigens seit ihrer Gründung von amerikanischer Seite kontrolliert und präsidiert, auch während des Zweiten Weltkrieges - verfolgte das Ziel, Gold zu Demonetisieren, zu deutsch: Gold sollte kein Mittel mehr zur Wertaufbewahrung sein.

Als der Goldstandard nach langen Deflationskrisen - alle durch Hortungen und Spekulationen mit Gold verursacht - am 26.9.1936 endlich fiel, war die Freude bei den Kritikern am Goldstandard gross. Doch es war nicht ihr Einfluss, der damals obsiegte: die Entscheidung dazu fiel bei der BIZ, bzw. bei der amerikanischen Notenbank FED. Präsident Roosevelt hatte mit Gesetzesänderungen die Vorarbeit dazu geleistet. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist es offensichtlich geworden, dass der US-Dollar zur "Nabe des Weltwährungssystems" gemacht worden ist (Richard M. Salsman in "Gold and Liberty"). Ob die Steuerzahler allerdings Goldbestände oder Staatsschulden zu verzinsen haben, kommt auf das Gleiche heraus. Gegen Ende des Jahres 1949 verfügten die USA noch über Goldreserven von 700 Millionen Unzen à 35 Dollar, was 79 Prozent der gesamten Goldbestände der Welt entsprach. Man kann sich also fragen, ob die heutigen Aktivitäten darauf hinauslaufen, dass sich die einzig verbliebene Weltmacht auch noch der restlichen 21 Prozent bemächtigen will? Wer sind die Käufer beim Goldausverkauf?
 
Es ist ein Faktum, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) - und sie ist bei weitem nicht die einzige - inzwischen die Hälfte der Nationalbank-Reserven von 1300 Tonnen im Gegenwert von etwa 17 Mia für andere Zwecke hätte verwenden können. Aber welcher rechtschaffene Vermögensverwalter kündet offiziell an, er werde einen Teil seines Vermögens verkaufen, das in einem Metall besteht, dessen Preis äusserst sensibel reagiert? Seither ist der Goldkurs massiv eingebrochen, ja er werde sogar manipuliert, sagen Experten, und der Schaden sei gross. Die Schweizerische Volkspartei redet von Volksgold, das für die AHV (Sozialversicherung) "arbeiten" sollte und sammelte 50000 Unterschriften für eine Volksinitiative der rechtsgerichteten Partei. Die Linken dagegen traten für eine Solidaritätsstiftung ein, eine Idee des inzwischen zurückgetretenen Direktors der SNB, Hans Meier, die von Bundesrat Koller vertreten wurde. Fallengelassen wurden die Idee des Schuldenabbaus und die Verwendung der Mittel für die Bildungsförderung, obwohl dies die nachhaltigsten Massnahmen wären.
 
Ferdinand Lips liefert in seinem Buch "Die Goldverschwörung" (Jochen Kopp Verlag, Rottenburg, 2004) Fakten, die uns helfen, die brisante Situation besser zu verstehen. Auch wenn der Autor und ehemalige Direktor der Rothschildbank in Zürich, der sich selbständig machte, ein hartnäckiger Vertreter des Goldstandards ist (der Schweizerfranken war bis vor kurzem durch Gold gedeckt), gibt er uns doch wertvolle Hinweise zu einer dem Laien schwerverständlichen Materie. Warum will die SNB heute auf die Hälfte der Nationalbank-Goldreserven verzichten? Warum wurde dieser Verzicht nicht anlässlich der Aufhebung des Goldstandards vollzogen?
 
Den Zentralbanken und dem Bankensystem wurde das besondere Privileg gewährt, Geld aus dem Nichts zu schöpfen. Ab 1969 lösten die Sonderziehungsrechte der Nationalbanken de facto das Gold ab. Das Resultat war eine massive Verschuldung sämtlicher Staaten. Die weltweite Dollar-Verschuldung wird heute auf mehr als 16 Billionen Dollar geschätzt. In der Folge haben sich die Aktivitäten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds seit 1971 ausgeweitet. 1974 soll Milton Friedmann die Meinung geäussert haben, dass das FED die Geldmenge um jeden Betrag erhöhen und mit einer kontinuierlichen Erhöhung der Geldmenge die US-Wirtschaft aus der Depression herausführen könne. Die US-Staatsschulden sind von 1900 bis 1970 auf 400 Mrd. Dollar angestiegen, von 1970 bis 2003, also nach Aufhebung der Goldbindung, auf 6'400 Mrd. Dollar.
 
Paul Fabra, der französische Finanzexperte, fragte in Les Echos, (Paris 16.5.1999): "Les banques centrales jouent-elles à la baisse de l'or? Niemand ist dabei weiter gegangen als die Schweizer Nationalbank, die historisch gesehen für ihre Vorsicht bekannt war. Selbst bevor sie ihr Gold verkaufte, konvertierte sie grosse Teile ihrer Devisen (hauptsächlich in Form von US-Schatzwechseln) in ausländische Staatsanleihen (amerikanische, deutsche, japanische und niederländische). Im Frühjahr 1999 kündigte die Bank von England an, dass die Erlöse aus ihren Goldverkäufen auf dieselbe Weise verwendet würden." 
 
Warum verkaufen die Zentralbanken eigentlich Gold? Richard M. Pomboy gab 1997 in einem offenen Brief an die Financial Times wie auch an das Wall Street Journal eine überzeugende Antwort: ? (...) Vor allen Dingen, weil viele Zentralbanken Preisschwankungen ihres Goldes nicht verbuchen. Nichtsdestoweniger ist der Wertverlust eine Tatsache, ganz gleich, wie sie ihre Buchführung gestalten. Zweitens, einige westliche Zentralbanken mögen das Gold nicht, weil es diszipliniert und als Wertaufbewahrungsmittel dient. Zudem weil dies im Widerspruch zur herrschenden Auffassung steht, dass die Zentralbankiers selbst das korrekte Gleichgewicht des Geldsystems kennen, welches erforderlich ist, um nicht-inflationäres Wachstum zu erzielen.? 
 
"Wir leben in einer Ära, in der Papiergeld nicht hinterfragt wird und das Vertrauen in die Zentralbankiers auf dem Zenit steht. Der dritte Grund für diese Goldaktivität könnte sehr wohl der Wunsch westlicher Zentralbanken sein, Gold gegenüber Regierungsanleihen als weniger attraktiv hinzustellen, da man ja schliesslich die Anleihen braucht, um Defizite zu finanzieren. Schlussendlich werden Zentralbanken und Produzenten dazu ermutigt, über Goldhändler zu verkaufen, die unablässig negative Kommentare über das Gold abgeben, damit sie auch genügend Verkaufsaufträge erhalten."

Anstelle des Goldstandards schafft die Fixierung des Dollars an das Rohöl der jeweiligen US-Regierung heute eine relative Sicherheit, die es erlaubt, die chronisch defizitäre Aussenhandels-Bilanz der USA zu übersehen. Wie labil dagegen diese "Sicherung" für den Welthandel ist, haben wir soeben bei steigenden Ölpreisen gesehen. Ob die anonymen Lenker der Papiergeldschöpfung begriffen haben, dass bei Beibehaltung eines exponentiell wachsenden Geldsystems alternative Geldmodelle nötig sind? Das Tolerieren dieser Modelle, im Gegensatz zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei einem weltweiten Crash goldene Reserven immer noch die beste Sicherheit wären. Wer glaubt, die Inflationsgefahr sei für alle Zeiten gebannt, könnte eines Tages ein böses Erwachen erleben. Die Schweiz ist dabei, nicht nur ihre bewährte Neutralität aufzugeben, sondern auch ihre monetäre Eigenständigkeit einzubüssen. Das wäre dann das Ende des Finanzplatzes.
*) Werner Müller, Jahrgang 1937, war Versicherungskauf-mann, verfasste für die Basler-Zeitung, die evolution und "Der dritte Weg" diverse Beiträge über das Geldwesen. Eine mehrjährige Studie der Geldgeschichte harrt noch der Veröffentlichung.