Mit steinzeitlicher Logik soll die globale Führungsrolle der USA gesichert werden - Von Gwynne Dyer 15.01.2012 20:04
Ist ein Staat, der keine Menschen mehr versklaven oder ihrer Ressourcen berauben kann, eigentlich noch eine traditionelle Großmacht?
Die USA
hat mit mehr als 100.000 Soldaten 8 Jahre lang Krieg gegen den Irak geführt und
dafür vermutlich rund 1 Billion $ ausgegeben. Sie hat zwar eine riesige Zahl
von Irakern umgebracht (fast 1,5 Millionen), kann sie jedoch jetzt nicht länger
unterdrücken und musste während der Besatzungszeit den vollen Marktpreis für
irakisches Öl bezahlen. Welche Absicht hat die USA also mit diesem
(gescheiterten) Unternehmen verfolgt? [1]
Wie dumm
von mir, daß ich das
vergessen konnte! Es ging ja um die ›Sicherheit der USA‹. Und jetzt geht es erneut darum, aber in einem noch
viel größeren Maßstab. Am 6. Januar hat Präsident Barack Obama im Pentagon die
neue ›Verteidigungsstrategie‹ der USA
vorgestellt [2]. Das Dokument trägt den Titel ›U.S. Global
Leadership: Priorities for 21st Century Defense‹ [Erhaltung
der globalen Führungsrolle der USA: Prioritäten der Verteidigung im 21.
Jahrhundert]. Darin geht es jedoch nicht darum, zu verhindern, daß irgend jemand
die USA überfällt. Damit ist kaum zu rechnen. Es geht darum, das US-Militär so
umzubauen, daß sich die USA die Herrschaft über die Welt durch
militärische Überlegenheit sichern kann. Obama hatte sich zwar nicht in
Tierfelle gehüllt und auch keine Steinaxt geschwungen, als er seine Rede hielt,
aber seine Logik kam direkt aus der Steinzeit:
aus einer Zeit, als Land noch der einzige wertvolle Besitz war, und es noch
Sinn machte, sich schwer zu bewaffnen, damit man sich gegen alle wehren konnte,
die einem das Land streitig
machen wollten.
Heute macht
das aber keinen Sinn mehr. China wird nicht reicher, wenn es seine Armee andere
asiatische Länder erobern läßt. Es wird reich, wenn es diesen Ländern - und der USA
- Waren und Dienstleistungen verkauft, die es selbst billig herstellen kann,
und Güter kauft, die anderswo noch billiger sind. Seit mindestens einem
Jahrhundert lohnt es sich nicht mehr, andere Länder zu erobern – aber
überkommene Verhaltensweisen sind nur schwer abzulegen. Wer Obamas Rhetorik
analysiert, wird feststellen, daß er zwischen altem und neuem Denken hin- und
hergerissen wird. In der neuen
US-Strategie geht es hauptsächlich um China: aber geht es um China als einem
starken Handelspartner und (wirtschaftlichem Rivalen) oder um China als eine
aufstrebende militärische Supermacht, die die USA durch ihre Stärke bedrohen
könnte? In Obamas Rede kommt beides vor. »Unsere beiden Staaten
legen großen Wert auf Frieden und Stabilität in Ostasien und sind am Aufbau
kooperativer bilateraler Beziehungen interessiert«, heißt es in dem
Strategiepapier (nicht in Obamas Rede, wie der Autor meint). »Aber wegen der wachsenden militärischen Macht Chinas müssen wir
uns Klarheit über seine strategischen Absichten verschaffen, weil sie Spannungen
in der Region verursachen könnten.« Würde es helfen, wenn
China verspräche, keinen Angriff auf irgend jemanden zu beabsichtigen? Natürlich
nicht, denn das hat es ja bereits getan. ›Klarheit über Chinas
strategische Absichten‹ ist eine Umschreibung dafür, daß China militärisch
nicht so stark werden darf, daß es die weitgefächerte US-Präsenz in Asien gefährden könnte. Das
Pentagon tut so, als könne man sich darauf verlassen, daß sich die
US-Streitkräfte (im pazifischen Raum) nur zur Verteidigung und Abschreckung
aufhalten und keinen Angriff planen.
Die Chinesen sehen
das aber anscheinend nicht so. Sie registrieren ja auch, daß die USA enge
militärische Beziehungen zu praktisch allen Staaten an Chinas Ost- und
Südgrenze unterhält, von Japan und Südkorea über Thailand bis nach Indien. Sie
sehen die 7. US-Flotte täglich direkt vor ihren Küsten kreuzen. Deshalb reden
sie sich auch nicht ein: »Das ist schon in Ordnung, die US-Amerikaner
wollen uns nur abschrecken.« Würden es die
US-Amerikaner ihrerseits den Chinesen nachsehen, wenn chinesische Truppen in Kanada
und Mexiko stationiert wären und chinesische Flugzeugträger mit ihren
Begleitschiffen ständig vor der Westküste der USA operieren würden? Nein, Sie
würden sich ebenso bedrängt fühlen, wie sich die Chinesen fühlen müssen. Warum
glaubt sich die USA von China bedroht, obwohl doch eigentlich sie China bedrohen? Zum
ersten Mal in der Geschichte kann sich eigentlich keine Großmacht mehr einen
Angriff auf eine andere Großmacht
leisten. Der Krieg zwischen Großmächten ist seit mehr als einem Jahrhundert wirtschaftlicher
Nonsense und seit der Erfindung der Atombombe schierer Selbstmord. Und doch hat
das militärische Establishment aller Großmächte noch immer zuviel Einfluß auf die öffentliche
Meinung. Gemäß der ›neuen‹ US-Verteidigungsstrategie
kann die USA nur sicher sein, wenn alle anderen Staaten schwächer sind. Das
zeugt von einer völligen Fehleinschätzung der menschlichen Psyche, es sei denn,
man bedient sich dieser zynischen Argumentation, um die US-Bevölkerung davon zu überzeugen, daß weiterhin sehr viel
Geld für ›die Verteidigung‹ ausgegeben werden
müsse. Die Ausgaben für die Streitkräfte sind der größte Einzelhaushalt der
USA, und in den meisten anderen
Staaten ist das auch so. Um ihre Budgets möglichst groß zu halten, müssen die Generäle die
Steuerzahler mit plausibel erscheinenden Bedrohungen erschrecken, selbst wenn
diese überhaupt nicht existieren. Das Pentagon wird einen geringen
Personalabbau bei der Army und beim Marine Corps (der Marineinfanterie)
akzeptieren und sogar die Kürzung des Verteidigungshaushaltes um 100 Milliarden
$ für einige Zeit hinnehmen, um sein Kernbudget aber erbittert kämpfen. Obama muß sich darauf einlassen, will er nicht politischen
Selbstmord begehen. Auch Peking hat eine mächtige Militärlobby, die regelmäßig
die ›militärische Bedrohung durch die USA‹ betont, und das
chinesische Regime muß ihr ebenfalls nachgeben. Wir sind zwar schon seit einiger Zeit
aus den Höhlen der Steinzeit ausgezogen, aber unsere damaligen Vorstellungen
und Ängste haben wir immer noch nicht überwunden.
Washingtoner Schrumpftheater
Zu
demselben Thema schreibt Knut Mellenthin in der jungen Welt [3], »daß die 450 Milliarden $, um die der
Rüstungs- und Kriegsetat der Vereinigten Staaten angeblich im Verlauf der
nächsten 10 Jahre gekürzt werden soll, eine reine Phantasiezahl sind. In Wirklichkeit
ist beabsichtigt, die Ausgaben des Pentagons weiter kontinuierlich steigen zu
lassen, nur etwas langsamer als bisher.« Das
Ansteigen des Verteidigungsbudgets erklärte Obama wie folgt: »Weil wir
globale Verantwortungen haben, die unsere Führerschaft erfordern. Ich
glaube fest daran, und ich denke, das amerikanische Volk versteht dies, daß wir
mit einem Verteidigungshaushalt, der auch künftig größer sein wird als der der
nächsten zehn Länder zusammengenommen, unser Militär stark und unsere Nation
sicher erhalten können.« Was die US-Soldaten betrifft, die Afghanistan
verlassen, so werden viele von ihnen »an anderen Standorten im Ausland,
hauptsächlich in der Großregion des Nahen und Mittleren Ostens und hier
wiederum schwerpunktmäßig auf der Arabischen Halbinsel und in den sie
umgebenden Gewässern stationiert.« »Eine klare, allerdings auch nicht
näher konkretisierte Aussage des Pentagon-Papiers«, führt Mellenthin ferner
aus, »ist
die, daß sich die USA auf militärische Konfrontationen mit China vorbereitet.
Dazu heißt es dort: ›Auf lange Sicht
enthält Chinas Aufstieg zu einer Regionalmacht das Potential, die US-Wirtschaft
und unsere Sicherheit in mehrfacher Hinsicht zu beeinflussen. (…) Die
Vereinigten Staaten werden auch weiterhin die erforderlichen Investitionen
vornehmen, um sicherzustellen, daß wir den Zugang zur Region und die Fähigkeit
zum freien Operieren im Rahmen unserer vertraglichen Verpflichtungen und des
internationalen Rechts behalten.‹ Gemeint
ist damit vor allem der Anspruch der USA, in den Gewässern rund um China
militärische Präsenz zu demonstrieren. Die Einkreisungsstrategie gegen China
wird im Pentagon-Papier mit den Worten beschrieben: ›Die wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen der USA sind
unlösbar verbunden mit den Entwicklungen in dem Bogen, der sich vom westlichen
Pazifik und Ostasien bis in den Indischen Ozean und Südasien spannt, was eine Mischung
von sich entwickelnden Herausforderungen und Chancen schafft. (…) Wir betonen
unsere bestehenden Bündnisse, die eine existentielle Grundlage für die
Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum darstellen. Wir werden unsere
Kooperationsnetzwerke mit Partnern in diesem gesamten Raum ausweiten, um die
kollektive Fähigkeit und Kapazität für die Sicherstellung gemeinsamer Interessen
zu gewährleisten‹. Ebenfalls nur
ganz kurz wird die Möglichkeit der Schaffung neuer Schauplätze im
weltweiten ›Krieg gegen den Terror‹ angedeutet: ›Während wir die US-Streitkräfte in Afghanistan herunterfahren,
werden sich unsere Anstrengungen zur Terrorismusbekämpfung auf einen weiteren
Raum verteilen und von einer Mischung aus direkter Aktion und Unterstützung
(ausländischer) Sicherheitskräfte gekennzeichnet sein‹. Ausdrücklich genannt als Länder, in denen ›Al-Qaida und ihre Ableger‹
immer noch aktiv seien, werden im Pentagon-Papier Pakistan, Afghanistan, Jemen
und Somalia. Mit den Worten ›und
anderswo‹ wird angedeutet, daß es
selbst damit noch nicht sein Bewenden haben soll. Die ›vorrangigen Schauplätze
dieser Bedrohungen‹ seien Südasien -
das umfaßt neben Pakistan auch Indien – und der Nahe/Mittlere Osten.«
Anmerkung politonline: Wie die USA das
internationale Recht missachtet, bedarf keiner weiteren Erläuterungen.
Ansonsten operiert Obama mit den üblichen Verbrämungen, mit denen sich ein möglicher Schritt hin zu
Angriffskriegen verschleiern lässt. »Die Zukunft der Geopolitik wird in Asien und nicht in
Afghanistan oder im Irak bestimmt. Die USA muss sich im Mittelpunkt dieser
Ereignisse befinden.« Dies das Leitmotiv eines Artikels der US-Aussenministerin
Hillary Clinton, der in der November-Ausgabe 2011 des Magazins Foreign Policy erschien, und das sich
somit mit Obamas Zielen deckt, was auch im Titel des Artikels aufscheint: ›Amerikas pazifisches Jahrhundert‹. Man kann nur hoffen, dass der offen
proklamierten ›Führerschaft‹ die dahinter zu vermutenden Aggressionen verwehrt bleiben. Auch in
Clintons Artikel wird die Wichtigkeit der US-Führungsrolle und -Dominanz im asiatisch-pazifischen
Raum hervorgehoben. Ihre Äusserungen blieben in China nicht unbemerkt. Die
amtlichen Medien kritisierten, dass dieser Raum allen Völkern der Region
gehört. »Es
ist merkwürdig zu hören, dass eine US-Offizielle, die immer gerne von Diplomatie
redet, das nicht versteht. Wenn auch wir vor einem pazifischen Jahrhundert stehen,
so wird es sich um ein pazifisches Jahrhundert aller Länder der Region handeln.«
Chinas Reaktion auf Clintons
Artikel, legt Armen Oganesjan in RianNovosti
dar, ist von grosser Bedeutung, weil das grösste Pathos in Clintons Artikel
gerade an Peking gerichtet ist, das seine eigene Nische im System der
regionalen und der Welt-Ordnung weiter rasant ausbaut. Der Artikel hat den
Schleier um die US-Strategie etwas gelüftet. »Die USA ist sowohl eine atlantische
als auch eine pazifische Macht. …. Heute haben wir eine Aufgabe: ein Netz aus
Partnerschaften und Institutionen im Pazifischen Raum zu schaffen, das so
zuverlässig sein und den Interessen und Werten der USA entsprechen wird wie die
Beziehungen, die mit den Ländern jenseits des Atlantiks aufgebaut wurden.« Clinton
spricht offen über einen notwendigen Ausbau der US-Militarpräsenz in der Region
und der Militärkraft ihrer Verbündeten. Einige asiatische Wissenschaftler
stellen sich die Frage: Wenn die USA will, jedoch nicht imstande ist, eine Führungsrolle
zu spielen, wird sie dann nicht einen grösseren Preis dafür verlangen, dass sie
als Schutzmacht agiert? Wird die USA zu alten Methoden greifen, um
Konflikte zu schüren? Wie die Zeitung Renmin Ribao schreibt, hängt die Situation der USA in Asien davon
ab, inwieweit sie sich in der Region engagiert. Dies ist nur möglich, wenn sie
eine konstruktive Rolle bei der Wirtschaftsentwicklung der Region spielt und in
verschiedenen Bereichen kooperiert. Die Militärpräsenz zu verstärken, um ihre
Macht zu demonstrieren, ist ein Weg, der ins Nichts führt. Es muss ebenfalls
berücksichtigt werden, dass China und asiatische Länder bereits eigene Kooperationsformen gebildet haben, bei denen
China häufig die Führungsrolle spielt. Die Präsenz in einer Region mit
unterschiedlichen politisch und wirtschaftlich konkurrierenden Allianzen kann
neue unvorhersagbare Spannungen in die Region bringen. [4]
[1] Quelle: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_12/LP01212_130112.pdf 13. 1. 11
Friedenspolitische
Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein LP 012/12, denen
wir die Übersetzung verdanken. Der
Originalartikel steht auf
http://www.informationclearinghouse.info/article30193.htm Information Clearing House, 9. 1.12 Stone Age Logic - Preserving US Global
Leadership By Gwynne Dyer
Gwynne Dyer ist Historiker
und unabhängiger Journalist, der mehrere Bücher veröffentlicht hat
und Vorträge an
Universitäten hält. www.gwynnedyer.com/
[2] Eine offizielle deutsche Übersetzung seiner
Rede ist auf
http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/2012/01/05/uberprufung-der-verteidigungspolitik/
nachzulesen
[3] http://www.jungewelt.de/2012/01-07/019.php 7. 1. 12
Washingtoner Schrumpftheater - Hintergrund. Barack Obamas jüngste Rede
[vom 5. 1. 2012] zur US-Militärstrategie erweist sich bei näherer Betrachtung
als reine Propaganda. Statt der angekündigten Kürzung des Pentagon-Haushalts
steht nun die Umrüstung der US-Streitkräfte für neue Kriege auf der
Tagesordnung - Von Knut Mellenthin
[4] Quelle: http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=36901&title=USA+wollen+mehr+Pr%E4senz+im+Asien-Pazifik-Raum&storyid=1001321887055 21. 11. 11 USA wollen
mehr Präsenz im Asien-Pazifik-Raum
- Von Armen Oganesjan resp.
RIANOVOSTI http://de.rian.ru/
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