Die Schweiz und die Europäische Menschenrechtskonvention - Demokratieumgehung - Von Ulrich Schlüer 15.04.2012 22:17
Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde von unserem Land als für die Schweiz
verbindlich
bereits vor Jahrzehnten ratifiziert. Damals, Europa steckte noch tief im Kalten
Krieg, war ganz Bundesbern der übereinstimmenden Ansicht, die Konvention fasse
lediglich das zusammen, was für die Schweiz seit Jahrzehnten selbstverständlich
war und dass der Bundesrat die Ratifikation somit allein, also ohne Parlament und ohne
Volksabstimmung beschliessen könne. Man verstand das Dokument als eine
Art Freiheits-, Gerechtigkeits- und Rechts-Charta des freien Westens und damit
als Kontrapunkt zum Totalitarismus des unter dem Sozialismus ächzenden
Ostblocks.
Eine nennenswerte
Opposition erwuchs dieser Interpretation der Menschenrechtskonvention
eigentlich von keiner Seite. Sie blieb für Jahrzehnte im Bewusstsein der Völker
und Menschen Europas als Deklaration verankert, welche den Menschen als freies,
selbstverantwortliches Wesen mit verbrieften Menschenrechten vor Willkür jeder
Art schützen würde. Im Lauf der letzten zwanzig Jahre veränderte diese
Deklaration allerdings ihren Charakter. Zwar wurden weder Inhalt noch
Geltungsbereich ausgewechselt. Aber die Auslegung der Konvention veränderte sich
– und damit vor allem auch die Wirkung dieser veränderten Auslegung. Nicht mehr
der Schutz des Einzelnen vor Willkür stand im Mittelpunkt. Die Richter des
inzwischen geschaffenen Menschenrechtsgerichtshofs interpretierten die
Konvention vielmehr zunehmend als Regelwerk, das dem Einzelnen ›korrektes Verhalten‹ aufträgt. Die Konvention wurde zunehmend
als Reglement verstanden und von Richtern ausgelegt, die sich zu Beobachtungen
und Verwaltern ›einheitlichen korrekten Verhaltens‹ entwickelten, und die zunehmend jene
zu verurteilen begannen, die sich dem sich bildenden Kanon ›politischer Korrektheit‹
nicht einfach devot zu unterziehen bereit waren. Das wurde der Schweiz bewusst,
als Strassburg, der Sitz des über die Einhaltung der Menschenrechtskonvention
wachende Gericht, unser Land plötzlich mit von wachsendem Widerwillen zeugender
Kritik zu überziehen begann.
Konsequenzen Dass hier
die Gesamtheit der Stimmbürger einer Gemeinde abschliessend über die
Bürgerrechtserteilung an Einwanderer befinden konnten, das quittierte
Strassburg mit zunehmend deutlich sichtbarem kollektiven Naserümpfen: Eine
solcherart umgesetzte ›direkte
Demokratie‹ leiste einer nicht
akzeptablen «Willkür» Vorschub, befand Strassburg, das Entscheidungsbereiche
definiere, die der Bürger, auch in einem demokratischen Staat, nur noch mit
vorbehaltlosem Ja abzunicken hätte. Bundesgericht und Bundesrat erwiesen sich
alsbald als Strassburg-gefügig: Ohne Volksentscheid entzogen
sie bislang freien Bürgern das politische Recht, über Einbürgerungen frei zu
entscheiden. Die Einbürgerung wurde zum ›Verwaltungsakt‹ abgewertet. Heute entscheiden Funktionäre,
nicht mehr freie Bürger. Auch der demokratische Entscheid des Schweizer
Souveräns zum Minarettverbot erntete harsche Kritik der Richter über das von
oben gebotene Einheitsverhalten von zur Korrektheit zu erziehenden Bürgern. Politische
Freiheit findet in einer derart festgelegten Reglementierung keinen
Platz mehr – obwohl doch gerade die politische Freiheit als eines der
wesentlichsten Menschenrechte überhaupt zu bezeichnen wäre. Aber die
Strassburger Richter wissen inzwischen besser, was der Menschheit bekommt und
was nicht. Und sie haben es auch fertiggebracht, dass der Schweizerische
Bundesrat dem Strassburger Stirnrunzeln mehr Bedeutung beimisst als hiesigen
Volksentscheiden. Das wurde der Schweizer Öffentlichkeit deutlich, als sich der
Bundesrat schlicht weigerte, die an der Urne gutgeheissene Ausschaffungsinitiative
so umzusetzen, wie sie von Volk und Ständen demokratisch beschlossen worden
ist. Und vor wenigen Tagen musste sich die Schweiz – derzeit täglich tausendfach
belogen, getäuscht und abgezockt von illegalen Einwanderern – auch noch
demonstrative Schelte von irgendeiner Strassburger Figur gefallen lassen, die
unserem Land nichts weniger als angeblich grassierende ›rassistische Ausländerpolitik‹
vorwarf.
Volksabstimmung? Interessant
ist, wie Bundesbern heute die Wirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention
einschätzt. Es war vor etwa einem Jahr, als der Vizedirektor des Bundesamtes
für Justiz, der den Bundesrat in allen Rechtsfragen kontinuierlich beratende
Dr. Luzius Mader, eine interessante Beurteilung zur Europäischen
Menschenrechtskonvention abgab: So um die zwanzig Jahre nach deren Ratifikation
sei dem Bundesrat angesichts der sich abzeichnenden Auslegung dieser Konvention
bewusst geworden, dass die Ratifikation eigentlich in den Kompetenzbereich des
Parlaments gefallen wäre. Und angesichts der heutigen Auslegung dieser
Konvention müsse gar festgestellt werden, dass diese Konvention mit ihren
Tatsache gewordenen Auswirkungen auf die schweizerische Gesetzgebung eigentlich
dem obligatorischen Referendum, also der Volksabstimmung unterstellt werden
müsste. Maders Feststellung löste sofort eine Gegenfrage aus: Wenn der Bund
heute die Wirkung dieser Konvention dahingehend einschätze, dass sie zwingend
der Volksabstimmung zu unterstellen sei, weshalb setzt er diese nicht sofort
an, gleichsam mit der Frage, ob die Schweiz angesichts der Tatsache gewordenen
Auswirkungen bei dieser Konvention weiterhin verbleiben wolle? Die Gegenfrage
erntete – nicht unerwartet – Entsetzen zu Bundesbern. Denn Bundesbern schätzt
die vom Wortlaut der Konvention den Bürgern gewährleisteten Rechte und
Freiheiten nicht besonders – die Regulierungs- und Beschränkungsmöglichkeiten,
welche der heutigen Auslegung dieser Konvention entspringen, dafür um so
mehr.
Daraus erklärt sich die Nicht-Umsetzung der von Volk
und Ständen beschlossenen Verwahrungsinitiative. Daraus erklärt sich die Nicht-Umsetzung
der von Volk und Ständen beschlossenen Minarettverbots-Initiative. Daraus
erklärt sich die Nicht-Umsetzung der von Volk und Ständen beschlossenen
Ausschaffungsinitiative. Derzeit steht das Spannungsfeld Demokratie und
Aussenpolitik in unserem Land wieder einmal zur Diskussion. Dank der
Auns-Initiative ›Staatverträge vors
Volk‹. Wird diese angenommen, dann
werden die demokratischen und politischen Rechte der Bürger angesichts
einschränkender internationaler Konventionen markant aufgewertet. Bundesbern - mit kopflosen reichen Wirtschaftsverbänden
im Schlepptau- bekämpft diese Initiative
allerdings vehement. Denn Bundesbern will keine Demokratie. Bundesbern will die
Herrschaft. Und internationale, die Demokratie begrenzende Konventionen helfen
Bundesbern, unerwünschte demokratische Rechte einzuschränken. [1]
Kommentar politonline: Was den Bau von Minaretten
betrifft, so sei folgendes in Erinnerung gerufen: Als der Europarat im Juni 2010
eine Resolution verabschiedete, die das Minarettverbot ausser Kraft setzen
sollte, stimmte auch SVP-Nationalrat André Bugnon (VD) zu. Ende August
diskutierte der SVP-Fraktionsvorstand, ob Bugnon deshalb aus der
Europaratsdelegation entfernt werden sollte. Bugnon kämpfte in der Folge mit
zweifelhaften Argumenten um seinen Ruf: Enttäuschten Wählern sagte er, er habe
der Resolution gar nicht zugestimmt. Die Journalisten hätten das Wahlprotokoll
falsch gelesen. Jedoch ist Bugnons Ausrede falsch: Wie im Protokoll nachzulesen
ist, hatten in der Abstimmung alle fünf Anwesenden inklusive Bugnon der
Resolution zugestimmt: Fehr, Pedergnana, Hartmann,
Sommaruga,
Lehmann,
Bugnon. [2] Die
von der Parlamentarier-Versammlung des
Europarats verabschiede Resolution lehnt auch ein generelles Burka-Verbot ab;
sie hatte ferner von der Schweiz verlangt, den Minarett-Baustopp bis zur
endgültigen Aufhebung des Verbots auszusetzen. Der Minarettbau müsse ebenso
zugelassen werden wie der Bau von Kirchtürmen. [3]
Es erstaunt immer wieder - milde ausgedrückt - mit welcher Unbekümmertheit der Bau von
Moscheen in Europa von muslimischer Seite als eine Art Selbstverständlichkeit betrachtet wird, ohne dass man in diesem
Zusammenhang jemals darauf zu sprechen käme, in welchem Ausmass sich die Verfolgung von Christen in muslimischen
Ländern gesteigert hat. So war auch BR Doris Leuthard, damals Bundespräsidentin,
bei Ihrem Besuch in Indonesien im Juli 2010 die Frage gestellt worden, warum die
Schweizer keine Minarette wollten und wovor sie Angst hätten. In ihrer Antwort
hielt diese fest, dass es bei der Abstimmung lediglich um den Bau neuer
Minarette ging und dass weder der Bau von Moscheen noch die Religionsfreiheit
eingeschränkt seien. Offenbar habe ein Teil der Schweizer Bevölkerung die
Minarette aber als ›Bedrohung für unser kulturelles
Erbe‹ wahrgenommen. Deshalb sei jetzt der Dialog mit den
Muslimen wichtig, und deshalb habe man eine Plattform für den interreligiösen
Dialog gegründet. [4] Nicht festzustellen ist bislang, dass eine
ähnliche Plattform in muslimischen Ländern eingerichtet worden wäre. Nun ist
gerade zu Indonesien
festzuhalten, dass im Jahr 2010 allein dort 29 christliche Gotteshäuser zerstört oder zwangsweise geschlossen worden
waren. Der Druck auf religiöse Minderheiten in dem zu 80 % muslimisch geprägten
Land wächst weiter an. Radikale Muslime würden ihre Übergriffe auf christliche
Gottesdienste mit Slogans wie ›Stoppt die illegale Anbetung‹ oder ›Keine Kirchen in unserer Region‹ rechtfertigen. Die Religionsfreiheit ist dort zwar in der Verfassung
verankert, werde aber nicht von den lokalen Behörden beachtet. Eigentlich
müsste man erwarten können, dass unsere Repräsentanten bei derartigen Fragen die
Christenverfolgung ansprechen.
Am Anfang der Auseinandersetzung stand der frühere Sprecher der Moschee
in Genf, Hafid Ouardiri, der es sich angelegen sein liess, am 15. 12. 2009 in
Strassburg eine Beschwerde gegen das Schweizer Minarett-Verbot einzureichen, da
dieses gegen die Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot verstosse. Ouardiri
und seine fünf Anwälte
argumentierten zudem, die Schweiz habe mit ihrem Beitritt zur EMRK auch akzeptiert, dass der Gerichtshof in Strassburg gewisse fundamentale Werte
kontrolliere, die nicht mehr
in Frage gestellt werden könnten - auch nicht vom Volk. Keine schlechte
Vorschriften von nicht gewählten
Organen. Es hat seine Berechtigung, eine Aussage
dieser Art nochmals ins Gedächtnis zu rufen, da bei der Flut täglicher
Nachrichten vieles allzu schnell in Vergessenheit gerät. [5]
Was
das Minarett in Langenthal betrifft, so hat nun das Berner Verwaltungsgericht
am 3. April 2012 nach monatelangem juristischem Hin und Her sein Urteil
gefällt: Das beantragte Minarett darf nicht gebaut werden. Bekanntlich hatte der
Schweizer Souverän am 29. November 2009 mit klarem Volks- und Ständemehr ein
generelles Minarettverbot in der Schweiz verfügt. Zu jenem Zeitpunkt lag nur
ein einziges Gesuch für den Bau eines Minaretts vor, das für Langenthal, das zum
Zeitpunkt der Abstimmung allerdings weder behandelt worden war, noch war ein
Entscheid gefällt worden. [6]
[1] http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/DemokratieUmgehung-548
Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 30. März 2012 [2] http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=159 20. 9.
10 Zur Minarettabstimmung
[3] http://bazonline.ch/schweiz/standard/Europarat-fordert-Aufhebung-des-MinarettVerbots/story/18968889 23. 6. 10
[4] http://bazonline.ch/schweiz/standard/Warum-wollen-die-Schweizer-keine-Minarette/story/19763780 6. 7. 10
[5] http://bazonline.ch/schweiz/standard/Klage-gegen-MinarettVerbot-in-Strassburg-eingereicht/story/12635995 15. 12. 09
[6] http://www.minarette.ch/bulletins/-ausgaben-2012/kein-minarett-in-langenthal.html 5.
4. 12
Kein Minarett in Langenthal
Siehe auch
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1571 17. 7. 10
Zum Thema Islamophobie http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1611
4. 10. 10 Afghanistan - Werte und ihre Gegensätze
|