Notiz zum US-Wahlkampf 28.10.2012 23:50
In den Wahlkampfzentralen von Barack Obama und Mitt Romney schauen die Mitarbeiter
derzeit
nicht mehr nur auf die Prognosen der Meinungsforscher, es geht vor allem auch
um diejenigen der Meteorologen, da sich vor der US-Ostküste ein schweres
Unwetter zusammenbraut, was die frühzeitige Stimmabgabe in den betroffenen
Gebieten beeinträchtigen könnte.
Was nun
die beiden Kandidaten angeht, so hat der demokratische US-Abgeordnete Dennis Kucinich
den Präsidenten als ›Usurpator der
Verfassung‹ bezeichnet. »Die
Obama-Administration hat die Politik der Bush-Regierung nahtlos fortgeführt«, so der
demokratische Kongreßabgeordnete am 17. 10. in der ›Swanson Talk Radio Show‹.« »Es ist nicht nur so, daß sich die
Politik nicht voneinander unterscheidet. Obama führte die Bush-Politik noch
intensiver fort und weitete die Kriegsführung aus, ohne daß der Kongreß irgend
etwas mitzureden hat. Das ist das direkte Resultat davon, daß die Führung der
Demokraten die Lügen der Bush-Regierung, die uns in den Irak führte, nie in
Frage gestellt hat.« Kucinich machte deutlich, daß sich Obama noch schlimmerer
Verbrechen schuldig gemacht hat als selbst Bush. Bush habe sich vor der
Invasion in Afghanistan und im Irak als Feigenblatt wenigstens die Zustimmung
des Kongresses erteilen lassen, auch wenn die dem Kongreß vorgelegte Resolution
zum Irakkrieg vollständig auf Lügen basierte. Präsident Obama habe sich damit
jedoch gar nicht erst abgegeben, sondern ›ein
Vorgehen außerhalb der Verfassung‹ gewählt.
Dazu zählten die Kriege in Libyen, Pakistan, Somalia und Jemen, amerikanische
Waffenlieferungen an viele afrikanische Staaten und die Entsendung von
US-Truppen nach Jordanien, fast an die Grenze zu Syrien. »All das
geschieht ohne jegliches Zutun des Kongresses«, sagte Kucinich. »Die
Gründerväter der USA waren sehr darum bemüht, die Macht zur Kriegsführung in
die Hände gewählter Volksvertreter zu legen. Wir sind Zeugen einer
atemberaubenden Usurpation der Verfassung durch die Obama-Regierung«. [1]
Was nun
den Gegenkandiaten angeht, so ist dieser Gegenstand des nachfolgenden Artikels:
Freiheit, die er
meint -
Von Johann Hari Für Mitt
Romney hat Außenpolitik nur ein Ziel: freie Bahn für US-Unternehmen. Die
Entführung eines demokratisch gewählten Präsidenten oder die Einsetzung eines
Massenmörders als Diktator eines Landes - so etwas würde man dem Strahlemann
mit dem kantigen Kinn, den Romney auf vielen Bildern abgibt, schwerlich
zutrauen. Und dennoch sieht der Präsidentschaftskandidat der Republikaner darin
ein Modell für Washingtons Außenpolitik. Daß Romney als Chef einer
Investmentfirma ganze Unternehmen zerschlagen hat, halten ihm seine Kritiker
schon länger vor. Doch dieser Mann ist genauso bereit, ganze Demokratien zu
zerschlagen. Romney wird immer wieder vorgeworfen, er habe keine eigenen
Überzeugungen und gehe mit x-beliebigen Thesen auf Stimmenfang.
Es stimmt,
daß Romney bei sozialen Themen wie Abtreibung oder Krankenversicherung meist
nur herumeiert. Aber an gewisse Prinzipien hat er sich immer gehalten. Er war
und ist ein unerschütterlicher Verteidiger der Freiheit - wenn auch in einem
sehr speziellen, neoliberalen Sinn. Letztes Jahr bürstete er einen
Zwischenrufer beispielsweise mit dem Satz ab ›Unternehmen sind Menschen, mein Freund‹. Es scheint, als wolle er die Freiheit dieser ›Menschenwesen‹ noch erweitern, damit sie ihre Interessen überall auf der
Welt frei und unbehelligt verfolgen können. In seinem eher drögen Buch ›No Apologies‹ (sinngemäß: ›Ich
bereue nichts‹) kommt Romney nur an einer
Stelle richtig in Wallung: beim Thema Honduras. 2009 hatte die dortige
Bevölkerung in einer freien und fairen Wahl den alles andere als linksradikalen
Manuel Zelaya zu ihrem Präsidenten gewählt. Der reiche Großgrundbesitzer war
der Kandidat der Liberalen Partei, die ebenso wie die mit ihr konkurrierende
Nationale Partei die Oligarchie des Landes repräsentiert. Aber immerhin versuchte Zelaya als Präsident ein paar
wesentliche Verbesserungen für die Bevölkerungsmehrheit des zweitkleinsten
Landes Lateinamerikas durchzusetzen. So hob er den Mindestlohn um 60 % an und
finanzierte ähnliche Sozialprogramme für die Armen, wie sie zuvor in Brasilien
der linke Präsident Lula da Silva mit Erfolg eingeführt hatte. Das reichte aus,
um die Rechten im Land in Rage zu bringen. Zelayas Gegner beschimpften diesen
als Demagogen und Möchtegern-Diktator. Seinen Plan, das Volk über eine Reform
der 1982 nach dem Ende der Militärdiktatur verabschiedeten Verfassung abstimmen
zu lassen, bezeichnete die Rechte als Staatsstreich. Der Konflikt endete damit,
daß ein Militärkommando eines Nachts in den
Präsidentenpalast eindrang und Zelaya im Pyjama verhaftete. Sie brachten ihn zu
einer US-Militärbasis und flogen ihn nach Costa Rica aus. In Honduras waren
inzwischen die meisten Radio- und TV-Sender abgeschaltet und der Mobilfunk
unterbrochen worden.
Es folgten
Massenverhaftungen und schwere Menschenrechtsverstöße, bis hin zu Folter. Seit
dem Putsch sind 25 Journalisten, die über Menschenrechtsverletzungen berichten
wollten, ermordet worden. Nach Angaben der Nationalen Widerstandsfront, ein
Zusammenschluß von zivilgesellschaftlichen
Gruppen und Parteien, die für Zelayas Wiedereinsetzung kämpfen, wurden 200
ihrer Mitglieder aufgespürt und umgebracht. Die Regierung, die all das zu
verantworten hat, lockt derweil internationale Investoren mit dem Slogan: ›Honduras ist offen für Geschäfte‹.
Ein Rechtsputsch ganz
nach seinem Geschmack Worüber
also regt sich Mitt Romney so auf? Seinen Zorn erregt nicht etwa, daß hier eine
Demokratie zerschlagen wurde, sondern daß sich die USA nicht von vornherein auf
die Seite der Kräfte gestellt hat, die einen gewählten Präsidenten der
gemäßigten Linken aus dem Amt gejagt haben. In einem Pressegespräch im Dezember
2011 übte Romney scharfe Kritik an der Obama-Regierung: »Als die
Menschen in Honduras ihren pro-marxistischen Präsidenten feuern wollten,
stellte sich unser Präsident auf dessen Seite.« In seinem Buch bezeichnet er
Zelaya als einen ›korrupten
Autokraten, den das oberste Gericht von Honduras rechtmäßig aus dem Amt
befördert hat‹. Und über Obama schreibt
er in dem Zusammenhang: ›Es
verschlägt einem den Atem, daß der Präsident
der Vereinigten Staaten Honduras offenbar zwingen wollte, entgegen seinen
eigenen Gesetzen einen repressiven, amerikafeindlichen Führer wieder an die
Macht zu bringen.‹ Die Einzigen, die
Romney Einschätzung teilen, sind die extremen Rechten in Honduras. Den durch
Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Depeschen zufolge ging selbst die
US-Botschaft in Honduras Hauptstadt Tegucigalpa davon aus, daß die Entführung und Verschleppung des gewählten
Präsidenten ›einen illegalen und
verfassungswidrigen Putsch‹ darstellt.
Romneys
Ansichten über Honduras zeigen, wie er sich Außenpolitik vorstellt. Auf eine
historische Epoche, in der die USA eine besonders erfolgreiche Außenpolitik
ganz nach seinem Geschmack betrieben hätte, verwies er in einer von CNN und der
ultrakonservativen ›Heritage
Foundation‹ veranstalteten Diskussionsrunde im November
2011: Die US-Politik in Indonesien in den 1960 Jahren
könne auch für den heutigen Umgang der US-Regierung mit Krisenregionen wie
Pakistan ein Vorbild sein: »Damals haben wir Indonesien dabei geholfen, sich
unter einer neuen Führung zu modernisieren.« Ganz anders klingt das in einem an
die Öffentlichkeit gelangten CIA-Aktenvermerk, demzufolge die Massaker des
indonesischen Suharto-Regimes der Jahre 1965 und 1966 zu den ›schlimmsten Massenmorden des 20.
Jahrhunderts‹ zählen. Warum
Indonesien für den Westen damals so wichtig war, geht aus einem Memorandum des
britischen Außenministeriums von 1964 hervor, in dem das Land als ›wichtiger Produzent unverzichtbarer
Rohstoffe‹ bezeichnet wird. Fast 85 %
der weltweiten Kautschukproduktion komme von dort, bei Zinn seien es über 45 %,
bei Kokosfett 65 % und bei Chrom 23 %. In Indonesien hatte seit der
Unabhängigkeit 1945 der autokratische Präsident Sukarno regiert, der sich
sowohl dem US-amerikanischen wie dem sowjetischen Imperialismus entgegenstellte
und zum Leidwesen der US-Konzerne die Kontrolle über die Ressourcen des Landes
behalten wollte.
Knallharte
Überzeugungen Dabei ist
Romney vor allem darüber begeistert, wie die CIA den Aufstieg von General
Suharto gefördert hat. Dieser putschte 1965 gegen Sukarno und errichtete ein
noch viel autokratischeres, aber US-freundliches Regime. Zunächst lieferte die
CIA den indonesischen Militärs Waffen - und als diese die Macht übernahmen,
auch noch eine Liste mit 5 000 Namen von Funktionären und Mitgliedern der
Kommunistischen Partei. Nach Darstellung von Joseph Lazarsky, damals zweiter
Mann der CIA in Jakarta, diente sie der indonesischen Armee als ›Todesliste‹. Dem Massaker an mutmaßlichen Kommunisten fielen damals ungefähr
500 000 Menschen zum Opfer, die meisten waren landlose Bauern. Zehn Jahre
später befahl der Massenmörder Suharto die Invasion in Osttimor, wo nach
Schätzungen von Amnesty International zwischen 1975 und 1999 insgesamt 200 000
Menschen, also ein Drittel der Bevölkerung, getötet wurden oder an Hunger und
Epidemien starben. Aus Romneys Sicht war Indonesien 1965 ein freieres Land
geworden. Freier jedenfalls für die Unternehmen, die sich jetzt nach Belieben
bedienen konnten, während der Widerstand der Bevölkerung mit Waffengewalt
erstickt wurde. Da Suharto den multinationalen Konzernen alle Rechte zur Ausbeutung
weiter Landesteile überließ, wurde Indonesien zum Paradies für Investoren.
Was verrät
diese Geschichte über eine mögliche US-Regierung unter Mitt Romney? Der
Kandidat glaubt nicht nur, daß Unternehmen
menschliche Wesen seien. Er glaubt auch, daß
sie Wesen sind, deren Freiheit über alles geht: was die Freiheit einschließt,
demokratische Regierungen zu stürzen und Tyrannen an die Macht zu bringen. Daß Romney
die Außenpolitik nur durch die Brille des Profitmachens sieht, ist allerdings
nicht überraschend. Schließlich sieht er alle Bereiche des menschlichen Lebens,
und seien sie noch so privat, durch diese Brille. Die New York Times berichtete Ende letzten Jahres über einen Vortrag
von Romney an der Harvard Business School, wo er einst seinen Abschluß gemacht
hat. Darin belehrte er die Studierenden, daß sie als Individuen im Grunde wie
multinationale Konzerne seien. Zur Illustration präsentierte er eine ›Wachstumsmatrix‹, in der einzelne Kreise für verschiedene Lebensbereiche wie
Arbeit, Familie und Kirche standen. Wenn jemand zum Beispiel in den Bereich
Arbeit investiere, führe das zu erkennbaren Erträgen in Form von höheren
Gehältern oder Profiten. Und die Lehre für den Bereich Familie? »Eure
Kinder bringen euch 20 Jahre lang keinen belegbaren Gewinn ein«, meinte
Romney. Aber wer nicht genug Zeit und Energie in Ehepartner und Kinder
investiere, mache seine Familie wahrscheinlich zu ›dogs‹ - in der
Finanzberatersprache Leute, die für ein Unternehmen nur Kosten verursachen.
Wer die
Wertschätzung seiner Kinder nicht an Gefühlen, sondern an ihrem Erfolg
festmacht, der wird wohl auch brutale Diktatoren nach derartigen Maßstäben
beurteilen. Die halbe Million Bauern, die Suharto töten ließ, haben der USA
keinen Erfolg gebracht - womöglich hätten sie sich als reiner Kostenfaktor
erwiesen; indessen hat Suharto geliefert, indem er den US-Konzernen Gewinne
verschaffte. Dieselben Maßstäbe gelten für Romney natürlich auch in der
Innenpolitik. Auf diesem Feld gerät er in seinem Buch nur an einer Stelle in
Wut, nämlich wenn es um das bißchen Einfluß geht, das die Gewerkschaften in der
USA noch haben und das ihm immer noch viel zu viel ist. Auch das gehört zu
Romneys Vision über die Freiheit: Er will, daß die Reichen sich in
Organisationen - das heißt in Konzernen - zusammenschließen dürfen, um ihre
Interessen durchzusetzen. Und wenn andere versuchen, die Freiheit dieser
Konzerne zu beschränken, indem sie ebenfalls ihre Interessen gemeinsam
vertreten, dann muß man sie daran hindern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es
sich um eine demokratisch gewählte Regierung in Honduras handelt oder um eine
demokratisch gegründete Gewerkschaft in Wisconsin. Beide behindern schließlich
die Freiheit von Unternehmen wie der Investmentfirma Bain Capital, deren
Mitbegründer Romney ist. Romney überträgt dieses Wertesystem auf alle
Dimensionen des Menschseins, von der Elternrolle bis zum Amt des
US-Präsidenten. Es stimmt also nicht, daß
dieser Mann keine Überzeugungen hat. Er ist vielmehr ein knallharter Ideologe,
der das durch seine Ideologie verursachte Leid einfach ignoriert. In den 1930er
Jahren haben die Stalinisten die Millionen Hungertoten in der Ukraine, die
einer Politik der ›Modernisierung
unter neuer Führung‹ zum Opfer
fielen, ignoriert. Romney ignoriert die Morde an Dissidenten in Honduras und Indonesien,
weil er glaubt, daß ›freie Unternehmen‹ sich
alles herausnehmen und notfalls auch Gewalt anwenden dürfen. [2]
Wo also wäre hier
eine Wahl gegeben?
[1] http://www.bueso.de/node/6097 19. 10. 12
[2] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/10/12.mondeText1.artikel,a0032.idx,8 Freiheit,
die er meint - Für Mitt Romney hat Außenpolitik nur ein Ziel: freie Bahn für
US-Unternehmen - von Johann Hari - Le Monde diplomatique Nr. 9928 vom
12.10.2012
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