Lobbyismus - allgegenwärtig 06.02.2013 13:04
d.a. Der mit dem sogenannten Lobbyismus verbundene Einfluss der Konzerne auf die Entscheidungsträger in Brüssel
ist schon
früh Gegenstand zahlreicher Berichte gewesen und ist vor allem in dem umfassenden
Werk ›Konzern Europa‹ detailliert dargelegt. [1] Ganz
selbstverständlich ohne jegliche Wirkung auf unsere Volksvertreter.
Wer steht wohl im
einzelnen hinter der Absenkung der für Spielzeuge geltenden Standards? Einem
neuerlichen EU-Diktat zufolge muss die BRD ihre bislang hohen Standards
für chemische Zusätze in Spielzeugen aufgeben, womit die Lobbyarbeit der Spielwarenhersteller
in Brüssel einen grossen Erfolg erzielt hat. Es gibt keine Wahl: es bleibt bei
dem ›muss‹, da die EU-Kommission die Grenzwerte für Schadstoffe in
Spielwaren wieder lockern wird. »So dürfen beispielsweise ab dem 20. Juli 2013 statt
bisher nur 90 Milligramm bis zu 160 Milligramm Blei freigesetzt
werden. Für den krebserregenden Stoff Benzoapyren wird der Grenzwert
auf 100 Milligramm pro Kilogramm angehoben. Das entspricht in etwa dem
hundertfachen Wert, der im Weichmacher-Öl zur Herstellung von Autoreifen
eingesetzt werden darf. Durch die Lockerung der Grenzwerte bei Spielzeugen sind
in Zukunft bis zu 22fach höhere Schadstoffbelastungen möglich.« Der Versuch der Bundesregierung,
diese Lockerung nicht übernehmen zu müssen, ist fürs erste gescheitert, da der
in Brüssel eingereichte Antrag, an den eigenen Werten festhalten zu
können, grösstenteils abgelehnt wurde. »So
wurden beispielsweise die deutschen Grenzwerte für Antimon, Quecksilber und
Arsen nicht gebilligt, die für Grenzwerte für Blei und Barium beispielsweise
sind ab dem 20. Juli ebenfalls nicht mehr gültig. Lediglich die eigenen nationalen
Grenzwerte in Bezug auf Nitrosamine und nitrosierbare Stoffe wurden zugelassen.« Als
Begründung hierfür beliebt die Kommission darzulegen, »dass die
von Deutschland mitgeteilten einzelstaatlichen Massnahmen« nicht
durch »wichtige
Erfordernisse in Bezug auf den Schutz der menschlichen Gesundheit
gerechtfertigt sind.« Dies der Beschluss der Kommission. Wie es heisst, war
z.B. die tschechische
Regierung der Auffassung, dass die deutschen Standards ein Handelshemmnis
darstellten. »Die deutsche
Regierung würde damit die Wirtschaftsakteure, die die Bestimmungen der
Richtlinie einhalten, daran hindern, Spielzeug in Deutschland in den Verkehr zu
bringen«, während Polen einwarf, die deutschen Massnahmen würden »den freien Verkehr von Spielzeug
innerhalb der EU behindern und seien daher unannehmbar.« Unterstützung
erhielten die Deutschen indessen von Schweden. Gegen den negativen Entscheid
läuft beim Gericht der Europäischen Union bereits eine Klage der
Bundesregierung gegen die EU-Kommission. Mit einem Urteil wird jedoch
frühestens im Frühjahr 2014 gerechnet, womit die gelockerten Grenzwerte in
Kraft treten. [2] Eine
weitere Absenkung von Standards erstreckt sich laut einer Mitteilung
von ›Ria Novosti‹ auf die Einfuhr von Fleisch: »Mit Wirkung vom 25. Februar 2013
hebt die EU die Importsperre für lebende Schweine sowie für Rindfleisch aus der
USA, das mit Milchsäure behandelt wurde, auf. Somit gibt die EU ihre bisherigen
harten Sicherheitsanforderungen an Lebensmittel sowie an die Einhaltung von
Hygienevorschriften bei der Fleischproduktion auf, da letztere in der USA als ›unwissenschaftlich‹ bezeichnet worden waren. Die EU
hatte die Einfuhr von genverändertem Mais und Soja, mit Chlordioxid behandeltem
Geflügelfleisch und mit Milchsäure gereinigtem Rindfleisch sowie von Schweinen,
die von mit dem Wachstumsförderer Ractopamin gefütterten Zuchtsäuen zur Welt
gebracht worden waren, verboten. Beobachter erachten die EU-Entscheidung als
einen Schritt zum Abschluss eines bilateralen Freihandelsabkommens zwischen der
Europäischen Union und der USA. [3]
Wie einem
Bericht von Benjamin Beutler [4] zur Tätigkeit des deutschen Entwicklungsministers
zu entnehmen ist, macht der »gelernte Arbeitsvermittler Dirk Niebel seinem Beruf
alle Ehre. Mit Vollgas baut er die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in einen
Auftragsbeschaffer für die Agrar- und Lebensmittelindustrie um.« Es geht
um seinen Kreuzzug für die Hungernden dieser Welt, wofür er auf potente Partner
setzt, in diesem Fall auf Bill Gates. Es geht aber auch um neue Absatzmärkte.
Bei einem ›Round Table für CEOs‹ war Niebel in seiner Funktion als
Leiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung [BMZ] Ende Januar mit Gates sowie Wirtschaftsvertretern deutscher
und internationaler Konzerne des Agrobusiness und der Ernährungsindustrie [ABEI],
zusammengetroffen. Wohin unsere Steuern fliessen - während die Krisen und Kriege in Afrika,
von den Landkäufen ganz abgesehen, voraussehen lassen, dass sie kaum mehr
Wirkung als bisher erzeugen werden, ergibt folgende Aufstellung: »In
vertrauter Runde gibt man sich spendabel. Über 80 Millionen Euro sollen für die
›Stärkung der Ernährungssicherheit‹ lockergemacht werden. Rund 20 Millionen
€ steuert das Bundesministerium bei, 20 Millionen € kommen von der
Bill&Melinda Gates Stiftung und 40 Millionen will die ABEI zahlen.« Während die Armut in Deutschland in
erschreckendem Ausmass wächst, »begrüsste Gates die Führungsrolle, die Deutschland für die globale
Entwicklung einnimmt.« Mit 66 Milliarden US-$ ist Gates der reichste Mann
seines Landes, das nicht nur auf einem Schuldenberg von 16,4 Billionen $ sitzt,
sondern in dem 23 Millionen Haushalte
auf Essensmarken angewiesen sind; wobei die Dunkelziffer der in Armut lebenden
US-Bürger deutlich höher ist, als es die aktuellen Daten zu den
Lebensmittelmarken vermuten lassen. Essenskarten erhalten nur diejenigen
Amerikaner, die als arbeitsfähige Bürger zwischen 16 und 60 Jahren nachweisen
können, dass sie Arbeit suchen und auch bereits sind, unangenehme oder kaum
helfende Arbeiten anzunehmen. Diejenigen, die es schon aufgegeben haben, sich
immer wieder vergebens nach einer Arbeit umzusehen, sind gar nicht erfasst. »Bereits
im April 2011«, legt Beutler ferner dar, »hatte das BMZ mit der
Bill&Melinda Gates Stiftung in einem ›Memorandum
of Understanding‹ die Zusammenarbeit
bei ländlicher Entwicklung, Gesundheit, Trink- und Abwasser, Stadtentwicklung
sowie Mikrofinanzen unter Dach und Fach gebracht. Seitdem lassen Berlin und die
Gates-Stiftung bei den Verlierern von Globalisierung und Freihandel Hand in
Hand Brunnen bohren, Aids-Kranke behandeln und für die »grüne Revolution‹ in der Landwirtschaft forschen.« Und damit nähern wir uns einem das übliche Lobbytum
begünstigenden Aspekt des ganzen Unternehmens: »Die jüngst beschlossenen Millionen fließen in die
Initiative ›German Food Partnership‹ [GFP]. Damit haben die Konzerne ihren
Fuß in Ministerien, Parlament und Kanzleramt gesetzt. Die 2009
gegründete GFP ist eine öffentlich-private Partnerschaft [PPP], wobei ›deutsche und internationale
Unternehmen der Agrar- und Ernährungsindustrie, Verbände und Stiftungen, der
öffentliche Sektor sowie Unternehmen aus Schwellen- und Entwicklungsländern
gemeinsam daran arbeiten, die Rohstoff- und Nahrungsmittelsicherung zu
verbessern‹. Bayer, Syngenta und
Metro machen sich den Kampf gegen Hunger zunutze. Deren Lobby-Arbeit zahlt sich
aus.« Hierzu hält Beutler das Ergebnis einer Studie des Agrarexperten des
katholischen Hilfswerks Misereor, Benjamin Luig, fest: »Die strukturellen
Ursachen des Hungerproblems werden ebenso ausgeblendet wie der Zusammenhang
zwischen den proklamierten ›guten
Taten‹ von Konzernen und deren
eigentlichem Geschäftsmodell. Statt
Kleinbauern Vorteile zu verschaffen, sitzen die Gewinner im Norden.
Gemüsebauern in Simbabwe und Kenia, die für Supermärkte in Europa produzieren,
erhalten 14 % vom Ladenpreis, die Supermärkte kassieren 45 %. Durch die GFPs erhalten
Bayer und andere Marktzugang und Durchsetzung von industriefreundlichen
Regelungen auf Länderebene‹.
Einfluß rechnet sich. 2006 wurden aus Deutschland Pestizide im Wert von 4,7
Milliarden $ verschifft. Jährlich sterben, vor allem im globalen Süden, rund
355.000 Menschen an Agrogiften, rechnet die Weltgesundheitsorganisation vor.« Es ist immer wieder aufschlussreich, wie UNO-Ressorts, die uns
Milliarden kosten, ausser Erfassungsarbeiten und deren Publikation nichts leisten,
was eine nachweisbare Besserung erbrächte. Wäre das Gegenteil der Fall, müssten
hier längst durchgreifende UNO-Direktiven, die auch das Verbot der
Rohstoffspekulation beinhalten, zu Gunsten der Schwellenländer ergangen sein.
Was den Schacher mit Agrarland angeht, so wurden laut Oxfam im letzten Jahrzehnt eine Fläche verkauft oder verpachtet, die fast
sechsmal so gross ist wie die Bundesrepublik, dies überwiegend an
internationale Investoren. Durch solche Geschäfte, die mittlerweile unter dem
Begriff »Landgrabbing« bekannt sind, würden laut Oxfam immer mehr Menschen
vertrieben, oft mit Gewalt, ohne vorherige Konsultation oder Entschädigung.
So nach und
nach erfährt denn die Öffentlichkeit auch, wem wir den einen oder anderen,
unsere Lebensgewohnheiten einschneidend verändernde Auflagen zu verdanken
haben, so das Verbot, die althergebrachte Glühbirne weiter benutzen zu dürfen,
was immerhin eine rechte Erbitterung erzeugt hat. Das Glühbirnen-Verbot, das gerne als Beweis für die Auswüchse einer
sinnlosen EU-Bürokratie herangezogen wird, war eine Erfindung des damaligen Umweltministers
Sigmar Gabriel, heute Vorsitzender der
deutschen SPD. Nicht genug der Abschaffung: EU-Kommissar Öttinger setzte sogar
durch, dass das Verbot überwacht
werden würde. Das superintelligente Ersatzangebot, die teurere Sparlampe mit
ihrem eine erhebliche Umweltbelastung darstellenden Quecksilbergehalt, zwingt
die Bürger bei der Entsorgung zur Einhaltung geradezu absurder Vorsichtsmassnahmen,
wie sie z.B. der deutsche Naturschutzbund empfiehlt: »Sollte
die Lampe platzen, während sie angeschaltet ist – was nur sehr selten passiert
– hilft die Bindung durch Amalgan nicht weiter. Dann gilt die Zusatzregel: Alle
Türen zum Zimmer schließen, Fenster öffnen und den Raum für mindestens 15
Minuten verlassen! Und immer gilt: Die Lampenreste sorgfältig mit einer steifen
Pappe auf einem Stück Papier zusammenkehren oder mit Klebeband aufnehmen, dann
die Stelle, an der die Lampe zerbrach, mit einem kleinen nassen Lappen
reinigen. Die Lampenreste, Pappe, Klebeband und Lappen in ein Schraubglas stecken, dieses verschließen und mit einem
Zettel ›Achtung, kann Quecksilberreste von
Energiesparlampen enthalten‹, bei den kommunalen
Entsorgungsstellen abliefern.« Einfach unschlagbar …. Details
dieser Art tauchen selten in den üblichen Tagesblättern auf; hingegen ist hier
stets Verlass auf die ›Deutschen
MittelstandsNachrichten‹ [5], denen wir auch in
diesem Fall ausführlichere Angaben verdanken. Das Ganze war ursprünglich eine
nationale Initiative, die Gabriel dem seinerzeitigen EU-Umweltkommissar Stavros
Dimas vorschlug und die in der Folge europäisiert wurde. Gabriel wollte zur Zeit
der deutschen Ratspräsidentschaft dafür sorgen, dass Europa einen besonders
progressiven Kurs im Klimawandel fährt. Wie die ›DMN‹ festhielten, beschrieb ›Die Zeit‹, wie die Maschine in Brüssel in der Folge anlief: Ohne
weitere parlamentarische Diskussionen wurde der Eingriff ins Privatleben der
Europäer umgesetzt. Angela Merkel
hatte dafür gesorgt, dass die umstrittene Verordnung als Glanzstück der
deutschen Ratspräsidentschaft quasi im Kleingedruckten beschlossen wurde. Der bereits erwähnte, mit dem Posten eines
Kommissars versorgte ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Öttinger brachte es
laut der Berliner ›taz‹
Nicht unbekannt ist letzlich, dass Österreich seit Jahren von
Korruptionsskandalen erschüttert wird. Zuletzt ist nun der ehemalige
Innenminister Ernst Strasser verurteilt worden. Er war ganz seriös – und hatte
als EU-Abgeordneter britischen Undercover-Journalisten zugesagt, für Geld die Gesetzgebung in Brüssel zu
manipulieren. [6]
Ein Blick nach
Frankreich Wie
Mathilde Goanec schreibt [7], »lassen Regierung und Parlament Gesetze durch private
Unternehmen machen. Die Evaluation der Staatsverwaltung, die ›Révision générale de la politique
publique‹ [RGPP] unter Präsident
Nikolas Sarkozy ist den Franzosen vor allem wegen einer Maßnahme noch gut im
Gedächtnis: Ab 2009 wurde jeder zweite ausscheidende Beamte nicht mehr ersetzt.
Doch kaum einer weiß, in welchem Ausmaß diese Evaluation den Einfluß von
privaten Beratern auf die Politik in Frankreich gestärkt hat. Worum ging es
dabei eigentlich? ›Das Prinzip‹, erklärt der Verwaltungs- und
Politikwissenschaftler Philippe Bezes, bestand darin, ›die Ziele, Finanzierung, Durchführung sowie die Ergebnisse der
einzelnen Ministerien von privaten Wirtschaftsprüfern untersuchen zu lassen‹. Wie aus dem Bericht einer
parlamentarischen Untersuchungskommission von 2011 hervorgeht, wurden rund 102
Millionen € für externe Wirtschaftsprüfer ausgegeben, davon allein 20 Millionen
nur in der Vorbereitungsphase. Von da an waren die großen internationalen
Beratungsfirmen wie McKinsey, die Boston Consulting Group [BCG], Cap Gemini,
Ernst & Young oder Mazars an den wesentlichen politischen
Entscheidungsprozessen beteiligt. Diese vom französischen Wirtschafts-
und Finanzministerium in Gang gesetzte Entwicklung setzte sich in dem Maß immer
stärker durch, in dem sich die Politik auf Ausgabenkürzungen konzentrierte.
Parallel hierzu sind in den vergangenen beiden Jahrzehnten multinationale
Beratungskonzerne entstanden, die nach und nach ›eigene Abteilungen für öffentliche Aufträge aufgebaut haben‹, wie Bezes in seiner Untersuchung
über die RGPP festgestellt hat. Seitdem ist der Einfluß der privaten Berater stetig gewachsen,
wobei zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle spielten: einerseits der
Vormarsch neoliberaler Think tanks und andererseits die immer mehr Raum in
Anspruch nehmende Frage der Staatsverschuldung. Überdies hätten ›die Wahl Nikolas Sarkozys zum
französischen Präsidenten sowie die Berufung von Personen - die nicht aus dem staatlichen
Verwaltungsapparat, sondern aus der Wirtschaft kamen - auf Schlüsselpositionen in der Regierung die
Entwicklung systematisiert und radikalisiert‹, schreiben die Soziologen Odile Henry und Frédéric Pierru. So
haben der ehemalige Minister für Umwelt, Jean-Luis Borloo, sowie der
Arbeitsminister, Eric Woerth, die Manageruniversität École des Hautes Études
Commerciales durchlaufen und sich danach ihre Sporen als Wirtschaftsanwälte und
Unternehmensberater verdient. Die ehemalige Finanzministerin und jetzige Chefin
des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, hat vor ihrer politischen
Laufbahn eine Karriere als Wirtschaftsanwältin in der US-Filiale der Kanzlei
Baker & McKenzie gemacht. Und Jean-François Copé, der Nachfolger Sarkozys
als Parteivorsitzender der UMP, arbeitete in Teilzeit für die große Pariser
Anwaltskanzlei Gide Loyrette Nouel. Die Politologin Julie Gervais nennt diese
Politiker ›Überläufer, die die
Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre aufweichen und die Logik,
Interessen, Deutungsmuster und Instrumente des Marktes in die öffentliche
Verwaltung tragen‹. Während die
Beraterfirmen immer stärker in den öffentlichen Sektor vordrangen, ist
der Sachverstand der öffentlichen Hand geschrumpft. Früher besaß jedes
Ministerium seine eigene Abteilung für Forschung und Analyse. Durch die
Restrukturierung sind davon heute nur einige wenige große Institutionen übriggeblieben,
wie das dem Premierminister unterstellte Zentrum für strategische Analysen,
oder der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat [CESE], der Vertreter von
Gewerkschaften, Arbeitgebern und anderen Organisationen versammelt und die
Regierung und das Parlament bei der Ausarbeitung von Gesetzen beraten soll. In
einem von Präsident Sarkozy 2009 in Auftrag gegebenen Bericht hieß es allerdings:
›Die öffentlichen Meinung beachtet
den CESE so gut wie nicht. Doch was viel beunruhigender ist: Das gilt auch für
die Regierung.‹ Der Einfluß der
Beraterfirmen beschränkt sich aber nicht nur auf die Effizienz der Verwaltung.
Laut Bezes hatte deren ›Beteiligung
an den Reformen des Staats natürlich starke Auswirkungen auf die Inhalte und
Ausgestaltung der Politik‹. Ein
Beispiel ist die Übernahme der ursprünglich privatwirtschaftlichen Praxis des ›Lean Managements‹ in die öffentliche Verwaltung. »Die privaten Beraterfirmen wurden
dafür bezahlt zu untersuchen, wie sich die Prinzipien des ›Lean Managements‹ auf
den französischen Justizapparat anwenden lassen«, erzählt der Untersuchungsrichter
Jean de Maillard.
»Diese
Managementlogik basiert auf einem ultraliberalen Ansatz, bei dem minutiös alle
Entscheidungen bewertet werden. Dieser Ansatz funktioniert nicht, jeder weiß
das. Aber kein hoher Beamter würde das zugeben.«
Wie ihre Kollegen in
Deutschland nehmen
die französischen Minister bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen
üblicherweise die Hilfe von Anwälten in Anspruch. Das frappierendste Beispiel ist
die aktive Teilnahme großer Wirtschaftskanzleien bei der Privatisierung von
Staatsunternehmen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine neue
Praxis, wie Michel Guenaire, Partner in der Anwaltskanzlei Gide Loyrette Nouel,
bestätigt: »Meine
Kanzlei ist während der ersten Amtszeit von François Mitterand groß geworden.
Jean Loyrette, einer der drei Gründer, bereitete damals eine Reihe von
Gesetzesänderungsanträgen für Abgeordnete der Rechten vor, die die
Verstaatlichungsprojekte einschränken sollten. 1986 wurde Jacques Chirac
Premierminister und legte ein Privatisierungsprogramm auf. Als Berater für den
Staat waren wir damals die treibende Kraft hinter diesen Privatisierungen und
haben auch die entsprechenden Verträge mit den Banken aufgesetzt.« In
Frankreich sei die Gesetzgebung weitgehend Sache der Regierung, erklärt Jean de
Maillard. »Aber weil die
Regierung kein Vertrauen zur Verwaltung hat, die im Ruf steht, von Verteidigern
des Wohlfahrtsstaats infiltriert zu sein, wendet sie sich an den Privatsektor«, lautet seine Erklärung. »Das hat positive und negative
Seiten. Auf der höchsten Verwaltungsebene hat es den positiven Effekt, daß man
sich dort nicht mehr für allwissend hält. Doch das Problem besteht darin, daß
man nicht weiß, welche Ideologie sich hinter der eingekauften Expertise verbirgt.« Genau
damit argumentiert auch die Organisation Anticor, die gegen Korruption und für
politische Ethik kämpft. Die Anticor-Aktivisten kritisieren den Rückzug des
öffentlichen Sektors zugunsten privater Dienstleister. »Es scheint sich hierbei geradezu um
eine Strategie zu handeln: Die Erarbeitung von Gesetzestexten wird privaten
Dienstleistern überlassen, während die entsprechenden Stellen im öffentlichen
Dienst abgebaut werden«, mutmaßt die Anticor-Sprecherin Séverine Tessier. Selbst
Renaud Denoix de Saint-Marc, der seit 2007 Mitglied im Verfassungsrat ist, fand
während seiner langen Laufbahn im öffentlichen Dienst keinen Zugang zu den
Gesetzgebungsverfahren: »Die Frage ist, wie die von den Verwaltungsreformen direkt betroffenen
Bürger und Unternehmen in der Politik Gehör finden können. Es gibt das offizielle Prozedere,
das über die verschiedenen Beratungsgremien läuft, die die Interessen der
Wirtschaft und anderer gesellschaftlicher Gruppen repräsentieren. Und dann gibt
es die halboffiziellen Kanäle, die abendlichen Besucher, Leute, die mehr oder
weniger direkte Verbindungen zu den Mächtigen pflegen.« Da sind zum Beispiel die Anrufe
einiger Mitglieder der erst kurz zuvor ernannten sozialistischen Regierung bei
großen Pariser Anwaltskanzleien, zu deren Kunden die großen französischen
Industriellen zählen. Einer Quelle zufolge, die anonym bleiben will, ging es
dabei um Fragen wie die Wiedereinführung der Steuerbefreiung von Überstunden
oder die Deckelung von Managerbezügen. »Natürlich ist der politische Initiator einer
Gesetzesinitiative nicht verpflichtet, die Meinungen seiner Berater umzusetzen«, sagt Denoix de Saint-Marc. »Aber die gleichen Interessengruppen
bearbeiten hinterher ja auch die Abgeordneten. Und im Parlament ist das Phänomen
des Lobbyismus besonders ausgeprägt.«
Wie viele
Anwälte gibt Michel Guénaire unumwunden zu, daß
er regelmäßig im Auftrag privater Unternehmen die Anträge für die Abgeordneten
verfaßt. »Die Firmen kontaktieren uns und
sagen: Es gibt eine Parlamentsdebatte. Könnten Sie uns einen Änderungsantrag
für dieses oder jenes Gesetz schreiben, das wir dann an einen Abgeordneten
weitergeben?«, erzählt
Guénaire. »Ich habe kein
Problem damit. Die Gesetze werden für einen ganz bestimmten Wirtschaftsbereich
erlassen. Da ist es ganz natürlich, daß die betroffenen Akteure wünschen, daß
das Gesetz ihren Interessen entspricht.« In der französischen Nationalversammlung sind von
der Privatwirtschaft vorgefertigte Änderungsanträge gang und gäbe. Auch bei der
Rechten zeigen sich einige Abgeordnete schockiert über solche Praktiken. »Von den Lobbyisten der großen
Konzerne wird oft schweres Geschütz aufgefahren«, berichtet der UMP-Abgeordnete
Lionel Tardy. »Wenn man einen Änderungsantrag vorliegen hat, der von 70 Abgeordneten
auf einmal unterschrieben wurde, weiß man, woher das kommt.« Tardy nimmt seine
Parlamentskollegen aber zumindest teilweise in Schutz und erklärt die
Ausbreitung der privaten Expertise durch die Komplexität der
Gesetzesinitiativen: »Wir haben es mit sehr speziellen Themen zu tun, und unter
den Abgeordneten gibt es nur sehr wenige Spezialisten. Das ist das Einfallstor
für die Lobbyisten.« Dies habe sich beispielsweise beim
Urheberrechtsschutzgesetz gezeigt, durch das alle Verletzungen des
Urheberrechts im Internet streng verfolgt werden. Für viele Beobachter ist die
größere Durchlässigkeit zwischen privater und öffentlicher Sphäre auf einen generellen
Wandel zurückzuführen. »Das Gesetzgebungsverfahren hat sich weitgehend ›anglo-amerikanisiert‹«, bestätigt der Untersuchungsrichter Maillard.
»Die
Vorstellung, daß nach einer demokratischen
Debatte abgestimmt wird, in der sämtliche Standpunkte im Interesse des
Gemeinwohls zur Sprache kommen, ist überholt.« Vor diesem Hintergrund halten auch
die Anwälte ihre Teilnahme an der Debatte für vollkommen legitim. Schließlich
seien doch auch sie und ihre Klienten wichtige Akteure in der Gesellschaft.
Doch dieses System hat einen Makel: Es bevorzugt diejenigen, die die
wirtschaftliche und finanzielle Macht ausüben, die Meinungsbildung kontrollieren
und diejenigen, die sich sowieso schon auf ein offenes Ohr in der
Politik verlassen können. Viele Beobachter sprechen sich daher nicht etwa für
ein Verbot des Lobbyismus aus, sondern für mehr Transparenz und eine
Wiederherstellung des Gleichgewichts der Interessen. Deshalb wurde 2009 auch
ein freiwilliges Lobbyregister in der Nationalversammlung eingerichtet. Die
Aktivisten von Anticor überzeugt diese Lösung nicht. Sie sehen in der
Entwicklung hin zum angloamerikanischen Modell nichts anderes als die Privatisierung
des Gesetzgebungsverfahrens. »Wir akzeptieren, daß die öffentliche Entscheidung
letztendlich das Ergebnis eines Tauziehens unterschiedlicher Interessen ist«, sagt
Séverine Tessier. »Wir wehren uns aber dagegen, daß
man diese Praxis durch mehr Transparenz ethisch verklärt. Was vorher im
Verborgenen geschah, wird zur offiziellen Spielregel. Aber in Wahrheit geht es
dabei nur um das Gesetz des Stärkeren und eine ausgeklügelte Form der Korruption.«
Frankreich
vollzieht damit eine Entwicklung, die auf EU-Ebene längst abgeschlossen ist. In
Brüssel haben die Lobbyorganisationen ihre Büros direkt im Europaviertel. Sie
sind integraler Bestandteil der legislativen Debatte. Mittlerweile kann kein
größeres Unternehmen und kein Verband mehr Einfluß ausüben, ohne eigene
Lobbyisten in Brüssel zu beschäftigen. Ein freiwilliges Lobbyregister gibt es in
der EU-Hauptstadt seit 2008 - anders als etwa in Deutschland. Aber Transparenz
allein reicht nicht. So kam zum Beispiel 2011 heraus, daß einige
Europaparlamentarier hoch dotierte Beraterfunktionen übernehmen wollten: Zusätzlich
zu ihrem Mandat als Parlamentarier. Viele Lobbyorganisationen arbeiten außerdem
über informelle Kanäle, ohne in irgendeinem offiziellen Register aufzutauchen.
Diese Praktiken beeinflussen die Gesetzgebung in den einzelnen
EU-Mitgliedstaaten direkt, weil dort ein beträchtlicher Teil der
parlamentarischen Arbeit aus der Umsetzung der Brüsseler Vorgaben besteht.«
Man könnte
direkt in Versuchung geraten, den Vorschlag zu unterbreiten, die Gesetzgebung
unmittelbar in dir Hände der Konzerne zu legen, um uns von der Milliarden verschlingenden EU-Bürokratie zu entlasten ……
[1] Belén Balanyá, Ann Doherty, Olivier Hoedeman,
Adam Ma’anit und Erik Wesselius: ›Konzern
Europa - Die unkontrollierte Macht der Unternehmen‹, Rotpunktverlag 2001, ISBN3-85869-216-6 [2] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/02/01/eu-diktat-deutschland-muss-gift-werte-bei-spielzeug-lockern/ 1. 2. 13
EU-Diktat: Deutschland muss Gift-Werte bei Spielzeug lockern [3] http://de.rian.ru/business/20130205/265461845.html RIA NOVOSTI
6. 2. 13 [4] http://www.jungewelt.de/2013/01-31/026.php Benjamin Beutler Geldsäcke und Not Warum der
Schulterschluß der Bundesregierung mit der Bill-Gates-Stiftung und großen
Agrar- und Lebensmittelkonzernen den Kampf gegen Hunger nicht fördern kann. [5] http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/01/49792/ 28. 1. 13 Glühbirnen-Verbot war eine Erfindung von Sigmar Gabriel [6] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/01/25/cameron-rede-die-eu-fuehrer-in-bruessel-sind-sprachlos/ 25. 1.
13 [7] Quelle auszugsweise: »Die
Abdankung der Politik« - Von Mathilde Goanec Le Monde diplomatique Nr. 10003 vom 11. 1. 13, Seite 22-23; aus dem
Französischen von Jakob Horst
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