Streit um Jean-Claude Juncker 14.06.2014 20:26
d.a. Dieser zieht sich ganz offensichtlich in die Länge. Englands Premier David Cameron
hatte beim EU-Gipfel am 27. 5. sogar
mit einem Austritt seines Landes aus der EU gedroht, sollte Juncker Kommissionschef
werden; gleichzeitig hatte er deutlich gemacht, dass ein solches Ergebnis seine
Regierung derart destabilisieren könnte, dass ein Austrittsreferendum vorgezogen
werden müsste. Und bei einem solchen, steht zu fürchten, ergäbe sich mit
grosser Wahrscheinlichkeit ein Nein der Briten zum Verbleib in der EU. »Ein
Gesicht der achtziger Jahre«, so Cameron, »kann nicht die Probleme der
nächsten fünf Jahre lösen.« Was hierunter konkret zu verstehen
ist, hat der deutsche Publizist
und Sachbuchautor Dr. Werner Rügemer, der Juncker einen gnadenlosen
Opportunisten nennt, in dessen unvergleichlich aufschlussreichem Portrait
zusammengefasst, das wir in unserem Aufsatz ›Die Europawahl 2014‹ auszugsweise
wiedergegeben haben. [1] Juncker, der 18 Jahre lang Premierminister
von Luxemburg war, hatte auch den, man kann ruhig sagen, umstrittenen
Maastricht-Vertrag entscheidend mit ausgearbeitet. Auch
wenn, wie Rügemer ausführt, »Luxemburg mit
Junckers stiller Hilfe zur größten Finanzoase in Europa wurde, global gesehen
die zweitgrößte nach dem US-Ministaat Delaware und weit vor den Cayman Islands,
so hinterliess dieser nach seiner Abwahl als Premierminister dennoch ein Defizit in
Millionenhöhe, so dass das kleine Land nun 230 Millionen Euro einsparen muß, um das derzeitige
Haushaltsdefizit von 545 Millionen Euro zu reduzieren.« »Am
Bruttoinlandsprodukt gemessen«, vermerken hierzu die ›Deutschen Wirtschafts Nachrichten‹, »gilt Luxemburg zwar als reichstes Land der EU. Doch das
verdankt das Land der starken Finanzindustrie, die sich nur deshalb dort
ansiedelte, weil sie dort so geringe Steuersätze genießt. Dementsprechend
klamm sind die Kassen des Staatshaushaltes, der von der Finanzindustrie nur
statistisch profitiert. Denn trotz seines Reichtums ist Luxemburg Nettoempfänger
in der EU.« Bedenkt
man die Steuerhatz auf den Bürger, ein geradezu unglaublicher Tatbestand; noch
weitaus unglaublicher allerdings ist der Fakt, dass sich kaum einer der
Politspitzen je an Gegebenheiten dieser Art stören würde.
Gerhard
Wisnewski [2] bezeichnete Juncker Anfang dieses Jahres als »einen ganz alten Hasen und als die große
Spinne im Netz der europäischen Nomenklatura. Wenn man jemanden als
europäischen, ja globalen Insider bezeichnen kann, dann wohl ihn. Als
Karlspreisträger hat er höchste europäische Weihen erhalten und gehört zur
obersten Elite der europäischen Zirkel. Damit ist er auch eine zentrale Figur
des internationalen diplomatischen Parketts und kungelte mit sämtlichen
Mächtigen dieser Welt.« Wie Wisnewski des
weiteren darlegt, ist Junckers Neujahrsansprache, die dieser am 7. Januar 2013
vor der luxemburgischen Presse hielt, also zwei Wochen vor seinem Abtritt als
Euro-Gruppen-Chef am 21. Januar 14, an unseren Medien interessanterweise glatt
vorbei gegangen. Bemüht man die Google News, findet man keine einzige
Fundstelle in den Mainstreammedien – was eigentlich nur eine Deutung zulässt:
Die Rede wurde totgeschwiegen. In dieser hält Juncker fest, dass »er überrascht sei, daß man sich in der Luxemburger
Publizistik mit der Bedeutung des Jahres 1913 und mit dem, was seither
geschehen ist, nicht
mehr beschäftigt hat. Ein Jahr, in dem ›die
Menschen meinten, der Friede sei für ewige Zeiten gesichert.‹ So finde man in der Literatur des Jahres 1913 ›eine Friedensgläubigkeit, die unbändig war. Und die
in keinerlei Hinsicht den Sturm verraten hat, der bereits im Jahr 1914 über
Europa hereingebrochen ist – zunächst im Ersten und dann im Zweiten Weltkrieg.‹ Ja, das Jahr 1913 weise ›unendlich viele Parallelen zum Jahr 2013 auf. Oder
das Jahr 2013 zeigt unendlich viele Parallelen zum Jahr 1913‹.« »Weiß der scheidende Euro-Gruppen-Boss etwas«, fragt Wisnewski, »das
wir nicht wissen? Hängt es vielleicht mit der Schulden- und
Wirtschaftskrise zusammen und damit, daß derartige Probleme bisher
immer mit einem Krieg einhergingen? Denn die Währungs- und Schuldenprobleme der
Union dürften dem obersten Euro-Chef vertraut sein wie sonst niemandem. Und
wenn sich Wirtschafts- und Schuldenkrisen nicht anders lösen ließen, war ein
Krieg bisher noch immer die letzte Option.«
Juncker oder nicht Juncker?
- Europa ist mehr als der Euro Und mehr als die Europäische Union! Ein ›weiter
so‹ darf es nicht geben! »Soviel
Verblendung war selten«, kommentiert Holger
Steltzner die Wahl zum Europaparlament in ›faz.net‹. »Wie wäre es,
wenn die Berufseuropäer für einen Moment das Wahlergebnis als das zur Kenntnis
nähmen, was es ist? Eine dramatische Warnung vor dem, was Europas ›Elite‹ dem EU-Bürger wieder
verordnen möchte……«
Also weiter wie bisher? Aber Schönreden hilft nicht mehr. Und ob
es helfen wird, weiter auf Jean-Claude Juncker als neuem EU-Präsidenten zu
bestehen, das ist längst nicht ausgemacht. Der Mann ist ein Politiker von
gestern, auch er hat – in einer Spitzenposition – das Desaster zu verantworten,
unter dem die Bürger Europas heute leiden.
Juncker ist der Inbegriff des Eurokraten Juncker hat mit seinen Aussagen oft genug seine Verachtung gegenüber den
Wählern artikuliert. Hier seine wohl bekanntesten Sprüche: »Nichts
sollte in der Öffentlichkeit geschehen. Wir sollten in der Euro-Gruppe im
Geheimen diskutieren. Die Dinge müssen geheim und im Dunkeln getan werden. Wenn
es ernst wird, müssen wir lügen.« »Wir beschließen etwas, stellen es dann in den Raum
und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt
und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde,
dann machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.« Ausgerechnet ein Mann mit dieser Einstellung will nun EU-Präsident werden!
Ein Mann, der an einem Europa der Illusionen, Versprechungen und
Rechtsbeugungen gearbeitet hat, der uns Milliarden-Risiken aufgebürdet hat.
Schämt er sich nicht? Zeigt er etwa Reue? Auf eine Entschuldigung werden wir
vergeblich warten können…… Nein, Herr Juncker. Sie können kein EU-Präsident
werden. Sie wären untragbar. Auch Martin Schulz, dem der Begriff des häßlichen
Deutschen anhängt, kann es nicht. Sie beide stehen für das Europa von gestern.
Sie beide haben versagt. Hans Heckel schreibt in der ›Preußischen Allgemeinen Zeitung‹: »Junckers Europa
ist eines, das man hinter dem Rücken und auch gegen den Willen der Völker
herbeimogelt. Er will den europäischen Superstaat, den er über eine Art
schleichenden Staatsstreich zu erreichen trachtet, auf daß die Völker
jeden neuen Stand der ›Integration‹ immer erst dann bemerken, wenn sie ihn nicht mehr
rückgängig machen können. Wer so vorgeht, der vernichtet die Idee der
europäischen Einheit, die nur gedeihen kann, wenn sie dem freien Willensakt der
Völker entspringt, nicht ihrer Überlistung.«
Auf keinen Fall Juncker! Europa braucht an seiner Spitze ein neues, ein unverbrauchtes frisches
Gesicht. Der Europäische Rat sollte einen Osteuropäer zum
Kommissionspräsidenten nominieren, schlägt Alexander Gauland für die ›Alternative für Deutschland‹ vor. Wirtschaftlich und politisch liegt in den
nächsten Jahren ein massiver Handlungsbedarf in Osteuropa vor. Angesichts der
krisenhaften Entwicklung am östlichen Rand der EU darf kein Zweifel aufkommen,
daß die osteuropäischen Staaten Teil der EU und Teil der westlichen
Wertegemeinschaft sind und bleiben. Die EU muß die wirtschaftliche Entwicklung
und politische Integration ihrer östlichen Mitgliedstaaten energisch
vorantreiben und deren Sicherheit gewährleisten. Dazu ist ein angeschlagener
Politiker, dem die Unterstützung wesentlicher Mitgliedstaaten fehlt, gar nicht
in der Lage.
Prof. Dr. Rainer Gladisch und Lutz
Radtke ›Initiative Deutschland
jetzt‹ - 6. Juni 2014
Neueren Meldungen zufolge hat Cameron zwar an Irland,
Frankreich und Deutschland appelliert, sich für einen Kandidaten zu verwenden,
der die Art und Weise, wie Brüssel funktioniert, d.h. wie dort die Politik
gemacht wird, ändert, erlitt jedoch insofern einen Rückschlag, als sich linke
und rechte Gruppen im EP zusammengeschlossen haben, um Juncker, den Spitzenkandidaten der europäischen
Christdemokraten und Christsozialen [EVP],
die bei der Europawahl am 25. Mai die stärkste Kraft im Parlament geworden sind, weiterhin zu unterstützen. Dem Fraktionsvorsitzenden
der EVP, Manfred Weber zufolge ist für Juncker auf allen Ebenen ein zunehmender
Rückhalt zu verzeichnen. Die Wahl eines anderen Kandidaten würde laut Weber eine
›konstitutionelle Krise‹ auslösen. Laut ihm ist die EU, wie es in den Verträgen
steht, auf eine immer engere Union der europäischen Völker angelegt. »Das ist für uns nicht verhandelbar. Wir können nicht die
Seele Europas verkaufen.« So hat Weber auch Camerons Ansinnen, nationale
Parlamente sollten europäische Gesetze stoppen können, widersprochen und sich
hinsichtlich des vielfach ausgesprochenen Wunsches, die Mitgliedstaaten müssten
wieder mehr entscheiden, reserviert geäussert. Indessen räumt er immerhin ein,
»dass das Zusammenleben richtig gestaltet
werden müsse.« Gerade hier liegt für zahlreiche
Beobachter, die den Mangel an Demokratie verfolgen, vieles im Argen.
Für Cameron geht es bei der Frage nach der Besetzung des Amtes zudem um die
Notwendigkeit, sich an die Regeln zu halten
- die sich Brüssel ja nicht scheut, im Bedarfsfall ohne grösseres Zögern
zu ändern - sowie um das richtige
Verhältnis zwischen den europäischen Nationalstaaten und den Institutionen der
EU. Einer
der Gründe, die Cameron dazu veranlasst haben, Juncker abzulehnen, liegt auch
darin, dass ihm der Ex-Chef der Eurogruppe als zu integrationsfreundlich gilt.
So hatte Cameron im März gefordert, das Ziel der fortschreitenden
Integration aus den Verträgen zu streichen. Wie Cameron ferner betont hat, müsse der
Kommissionspräsident akzeptieren, »dass die Dinge in Europa manchmal
am besten auf nationaler Ebene geregelt werden.« Gerade letzteres liegt nicht im
Sinne Brüssels, verfolgt man die Aussagen hinsichtlich der Forderung, weitere
Souveränitätsrechte an Brüssel abzutreten. Derzeit, so Cameron, stehe die
Zukunft der EU auf dem Spiel. »Entweder sie reformiert sich, oder es geht weiter
abwärts mit ihr.« Grossbritanniens Position dabei sei klar: »Wir
wünschen uns, daß die Union Erfolg hat.«
Das
Tauziehen produziert unausgesetzt Für und Wider. So warnte Thomas Oppermann, der Fraktionschef der SPD, Merkel, die von Anfang
an für Juncker eingetreten ist, diesen als Kandidaten fallenzulassen. Hingegen ging
nach den Briten und den Ungarn auch Italiens sozialdemokratischer Premier Matteo Renzi auf Distanz zu Juncker
und hat eine rasche Ernennung Junckers in Frage gestellt. »Juncker ist ›ein‹ Name für die Kommission, aber er ist
nicht ›der‹ Name«, sagte Renzi am 1. 6. im norditalienischen Trento; der
langjährige Eurogruppen-Chef sei nicht der einzige Kandidat und habe kein
automatisches Recht auf den EU-Spitzenposten. Am Donnerstag, 12. 6., haben nun die Sondierungsgespräche zwischen
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und den politischen Parteien im
Europaparlament sowie in den nationalen Hauptstädten begonnen. Er ist von den
28 Staats- und Regierungschefs, die das Vorschlagsrecht für den
Kommissionsvorsitz besitzen, dazu beauftragt, sowohl geeignete Personen für die
zu besetzenden Spitzenjobs als auch die wichtigsten Inhalte für die
Europapolitik der kommenden fünf Jahre zu sondieren.
Abschliessend
Worte von Jürgen Habermas. Dieser hat sich am 13. Juni für eine
Gleichberechtigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat
ausgesprochen. »Im aktuellen Konflikt um die Besetzung des
Kommissionspräsidenten rächt es sich, daß wir
kein System von selbstbewußt handelnden
europäischen Parteien haben«, sagte Habermas dem ›Kölner Stadt-Anzeiger‹ vom
14. 6. 14. Angesichts der Machtfülle des Europäischen Rats beklagte der
Philosoph ein »zum Himmel schreiendes demokratisches Defizit«
innerhalb der Europäischen Union. [3]
[1] http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2268 12. 5. 14 Den
ungekürzten Originalartikel finden Sie auf http://www.jungewelt.de/2014/05-08/042.php 8. 5. 14 Meister
der Hintertreppe - Von Werner Rügemer
[2] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/gerhard-wisnewski/1913-2-13-scheidender-euro-gruppen-chef-juncker-warnt-vor-krieg.html;jsessionid=703B116D2D948175EDF70DC9B3A87AC7 25. 1.
13
[3] http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=33962&title=Philosoph+Habermas+f%FCr+%C4nderung+der+EU-Vertr%E4ge&storyid=1402685479467 13. 6. 14
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