Der Kampf um Minsk 30.08.2020 17:40
Belarus: Deutsche Außenpolitiker dringen auf rasche finanzielle Unterstützung
für
die prowestliche Opposition. Die EU soll »Druck für Neuwahlen machen»: Dies
fordert ein langjähriger führender Politiker von Bündnis 90/Die Grünen. Wie
Ralf Fücks, Ex-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung - seit 2017 Geschäftsführer der transatlantischen
Denkfabrik ›Zentrum
Liberale Moderne‹ -
behauptet, operiere die Union in den Machtkämpfen in Belarus nicht
offensiv genug. Deutsche Außenpolitiker raten unterdessen zu systematischer
Unterstützung der belarussischen «Zivilgesellschaft»; auf diese Weise ließen
sich prowestliche Milieus mit Millionensummen fördern. Berlin ist damit bereits
seit Jahrzehnten befaßt. Seitdem Präsident Alexander
Lukaschenko das Land 1999 in eine Union mit Russland führte und die Kooperation
mit Moskau intensivierte, wurden Umsturzbestrebungen in Belarus von Deutschland
und den anderen Mächten des Westens begünstigt. Eine allzu intensive
Abhängigkeit vom östlichen Nachbarland fürchtend, hatte Lukaschenko zuletzt
freilich enger mit dem Westen kooperiert, gemeinsame Militärübungen mit
NATO-Staaten inklusive.
Im
Bündnis mit Russland
Bemühungen,
Lukaschenko zu stürzen, entfalteten die
Staaten der EU, darunter insbesondere die Bundesrepublik, bereits vor gut zwei
Jahrzehnten. Lukaschenko hatte nach seinem Wahlsieg im Jahr 1994 begonnen,
Minsk wieder enger an Moskau zu binden, und Belarus 1999 in eine vertraglich
festgelegte Union mit Russland geführt. Belarus gehört darüber hinaus der
Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) an, ein von Moskau
geführtes Militärbündnis; außerdem ist es Mitglied der gleichfalls um Russland
zentrierten Eurasischen Wirtschaftsunion. Die wirtschaftlichen Bindungen sind
überaus eng; so ist Russland mit gewaltigem Abstand Belarus größter Lieferant, es
stellt 58,4 % der belarussischen Importe, Nummer zwei ist mit 7,8 % China;
China ist mit 38,2 % zugleich größter Abnehmer belarussischer Exporte. 31 % aller
ausländischen Direktinvestitionen kommen aus Russland; weitere 17,6 % werden
via Zypern, dem bei russischen Geschäftsleuten populären Finanzstandort, getätigt.
Nicht zuletzt kooperieren Belarus und Russland militärisch recht eng.
Schlagzeilen im Westen machte etwa im September 2017 das Großmanöver ›Zapad‹, bei dem Soldaten beider Länder die gemeinsame Abwehr westlicher
Aggressionen probten.
Geschwundene
Mehrheit
Anders
als etwa in der Ukraine sind die jahrelang mit Hilfe intensiver Unterstützung
der stark zersplitterten prowestlichen Opposition erfolgten
westlichen Umsturzbemühungen allerdings erfolglos geblieben. Die Ursache
hierfür war, dass sich Lukaschenko lange Zeit auf sichere Mehrheiten stützen
konnte, da es ihm gelang, einen Ausverkauf der belarussischen Wirtschaft an
Oligarchen und einen sozialen Absturz der Bevölkerung, wie er sich
beispielsweise in der Ukraine vollzog, zu verhindern. In der Tat liegt Belarus'
Wirtschaftsleistung pro Kopf bis heute erheblich oberhalb derjenigen der
Ukraine. Dementsprechend trafen die im Westen regelmäßig lautstark erhobenen
Vorwürfe, Lukaschenkos Wahlsiege beruhten auf Fälschung, nicht zu; selbst im
Berliner Auswärtigen Amt räumten Experten intern ein, die Ergebnisse
belarussischer Präsidentenwahlen seien zwar wohl ein wenig geschönt, spiegelten
allerdings den Mehrheitswillen im Kern korrekt wider. Dies hat sich erst in
jüngerer Vergangenheit geändert. Hintergrund ist, dass die belarussische
Wirtschaft seit 2012 meist nur noch geringfügig wuchs oder sogar schrumpfte,
was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nährte. Seit diesem Frühjahr kam
hinzu, dass Lukaschenkos Ignoranz gegenüber der Covid-19-Pandemie den
wachsenden Unmut verstärkte. Umfragen sahen den Präsidenten zuletzt nur noch
bei 25 bis 30 % - ein Novum in der Geschichte des Landes seit Mitte der 1990er
Jahre.
Kurswechsel
Richtung Westen
Im
Rahmen ihrer Umsturzbemühungen hatte die EU erstmals 2004, dann erneut 2010
auch Sanktionen verhängt: Einreiseverbote für mehr als 170 Personen und
Unternehmen aus Belarus, deren Vermögen in der Union zudem eingefroren wurde;
2011 kam noch ein Waffenembargo hinzu. Im Februar 2016 wurden diese Maßnahmen
allerdings weitgehend aufgehoben, da sich in Minsk vorsichtige außenpolitische
Kurskorrekturen abzeichneten. Zum einen fürchtete die Regierung, durch die Polarisierung
infolge des Ukraine-Konflikts könne Belarus allzu eng an Russland gebunden
werden. Zum anderen nahm der Streit um Vergünstigungen bei der Lieferung russischen
Erdöls, die für Belarus ökonomisch überaus wichtig sind, zu; 2019 hob Moskau
diese Vergünstigungen de facto auf. Präsident Lukaschenko reagierte, indem er
die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation nicht anerkannte sowie stattdessen
Minsk als Mittler zwischen Russland und dem Westen positionierte; die zentralen
Verhandlungen über eine Beilegung des Ukraine-Konflikts fanden 2014 und 2015 in
der belarussischen Hauptstadt statt. Hinzu kam zuletzt eine offene Annäherung
an den Westen. Am 1. Februar traf mit Mike Pompeo erstmals seit mehr als zwei
Jahrzehnten ein US-Außenminister zu Gesprächen in Minsk ein. Im März führten
belarussische Truppen ein gemeinsames Manöver mit britischen Soldaten durch; im
Rahmen der Übung habe es den ersten umfassenden Austausch belarussischer und
westlicher Truppen gegeben, hieß es anschließend bei den britischen
Streitkräften.
Unabhängig vom vorsichtigen Ausbau der Kooperation mit Präsident Lukaschenko
haben die westlichen Staaten die Förderung der prowestlichen Opposition
systematisch fortgesetzt. Innerhalb der EU tut sich dabei unter anderem Polen
hervor; der staatliche Fernsehsender TVP betreibt seit 2007 mit Belsat TV einen
Kanal in belarussischer Sprache, der die Opposition im Nachbarland unterstützt.
Warschau nutzt die polnischsprachige Minderheit in der Region um Grodno für
seine Politik. Eine tragende Rolle bei den aktuellen Massenprotesten kommt dem
Telegram-Kanal Nexta zu, dessen Betreiber, ein belarussischer Regierungsgegner,
im polnischen Exil lebt. Ein Zentrum der belarussischen Exilopposition ist
zudem die litauische Hauptstadt Vilnius, in der seit 2005 die zuvor in Minsk
beheimatete, bei der urbanen belarussischen Opposition populäre Europäische
Humanistische Universität (EHU) angesiedelt ist. Die EHU wird von Stiftungen
vor allem aus den USA und aus Deutschland gefördert; im Dezember 2018 hat die
Universität, deren Absolventen nicht selten bei Straßenprotesten in Belarus
anzutreffen sind, einen ihrer Seminarräume in ›Konrad Adenauer Raum‹
umbenannt, dies als Dank für die langjährige intensive Unterstützung durch die
Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU). Die aus Berliner Staatsmitteln finanzierte
Adenauer-Stiftung wiederum unterhält ein ›Auslandsbüro
Belarus‹, das jedoch keine Lizenz
für eine Tätigkeit im Land erhalten hat und daher in Vilnius operiert. Von dort
aus hält sie Eigenangaben zufolge engen Kontakt zu einem breiten Spektrum an ›Partnern in Belarus‹.
Millionen für die ›Zivilgesellschaft‹
Laut übereinstimmenden Einschätzungen von Beobachtern ist allerdings in den
aktuellen belarussischen Massenprotesten - dies trotz aller Bemühungen etwa von Partnern
der Adenauer-Stiftung - eine
prowestliche Orientierung noch nicht mehrheitsfähig: Die breit verankerte
Bindung an Russland unterscheidet das Land von der Ukraine, wo ein größerer
Teil der Bevölkerung, stark antirussisch orientiert, nicht nur gegen die
ukrainische Regierung, sondern auch gegen Moskau leicht zu mobilisieren war. Dementsprechend
warnen deutsche Außenpolitiker vor allzu schroffem Vorgehen gegen Minsk. Zwar
sei der EU-Beschluß vom 19. August, das Ergebnis der Wahlen nicht anzuerkennen,
konsequent und richtig, urteilt etwa der außenpolitische Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, und auch die vorgesehenen
personenbezogenen Sanktionen setzten die richtigen Signale, sie seien aber strikt
auf Verantwortliche für die mutmaßliche Wahlfälschung sowie für die Repression
gegen Demonstranten zu beschränken. »Der richtige Ansatz«
sei, so Schmid, »Mittel für die belarussische Zivilgesellschaft bereitzustellen«.
Dies ermögliche es, prowestliche
Spektren in der belarussischen Opposition gezielt zu stärken. Die EU-Staats-
und Regierungschefs haben am 19. August beschlossen, eine Million Euro für die Zivilgesellschaft,
2 Millionen Euro für Opfer staatlicher Repressionen und darüber hinaus 50
Millionen Euro ›Corona-Soforthilfe‹ nach Belarus zu transferieren, Mittel der
Einmischung im geostrategischen Einflußkampf um Minsk. Dabei haben die
Parteigänger Berlins und des Westens in den belarussischen Proteststrukturen
bereits Erfolge erzielt. So gehören dem von der Präsidentschaftskandidatin Swetlana
Tichanowskaja gegründeten siebenköpfigen ›Koordinationsrat
für die Machtübergabe‹ drei Personen
an, die erst kürzlich in einem Manifest einen Bündniswechsel des Landes hin zu
EU und NATO gefordert haben.
Zwar weist der Koordinationsrat eine solche Positionierung für die
gegenwärtigen Proteste öffentlich noch zurück. Geschickte Einmischung Berlins
und Brüssels
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8359/ 25. 8. 20
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