Der Kampf um Minsk

Belarus: Deutsche Außenpolitiker dringen auf rasche finanzielle Unterstützung

für die prowestliche Opposition. Die EU soll »Druck für Neuwahlen machen»: Dies fordert ein langjähriger führender Politiker von Bündnis 90/Die Grünen. Wie Ralf Fücks, Ex-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung  - seit 2017 Geschäftsführer der transatlantischen Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne -  behauptet, operiere die Union in den Machtkämpfen in Belarus nicht offensiv genug. Deutsche Außenpolitiker raten unterdessen zu systematischer Unterstützung der belarussischen «Zivilgesellschaft»; auf diese Weise ließen sich prowestliche Milieus mit Millionensummen fördern. Berlin ist damit bereits seit Jahrzehnten befaßt. Seitdem Präsident Alexander Lukaschenko das Land 1999 in eine Union mit Russland führte und die Kooperation mit Moskau intensivierte, wurden Umsturzbestrebungen in Belarus von Deutschland und den anderen Mächten des Westens begünstigt. Eine allzu intensive Abhängigkeit vom östlichen Nachbarland fürchtend, hatte Lukaschenko zuletzt freilich enger mit dem Westen kooperiert, gemeinsame Militärübungen mit NATO-Staaten inklusive.

Im Bündnis mit Russland
Bemühungen, Lukaschenko zu  stürzen, entfalteten die Staaten der EU, darunter insbesondere die Bundesrepublik, bereits vor gut zwei Jahrzehnten. Lukaschenko hatte nach seinem Wahlsieg im Jahr 1994 begonnen, Minsk wieder enger an Moskau zu binden, und Belarus 1999 in eine vertraglich festgelegte Union mit Russland geführt. Belarus gehört darüber hinaus der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) an, ein von Moskau geführtes Militärbündnis; außerdem ist es Mitglied der gleichfalls um Russland zentrierten Eurasischen Wirtschaftsunion. Die wirtschaftlichen Bindungen sind überaus eng; so ist Russland mit gewaltigem Abstand Belarus größter Lieferant, es stellt 58,4 % der belarussischen Importe, Nummer zwei ist mit 7,8 % China; China ist mit 38,2 % zugleich größter Abnehmer belarussischer Exporte. 31 % aller ausländischen Direktinvestitionen kommen aus Russland; weitere 17,6 % werden via Zypern, dem bei russischen Geschäftsleuten populären Finanzstandort, getätigt. Nicht zuletzt kooperieren Belarus und Russland militärisch recht eng. Schlagzeilen im Westen machte etwa im September 2017 das Großmanöver Zapad, bei dem Soldaten beider Länder die gemeinsame Abwehr westlicher Aggressionen probten. 

Geschwundene Mehrheit
Anders als etwa in der Ukraine sind die jahrelang mit Hilfe intensiver Unterstützung der stark zersplitterten prowestlichen Opposition erfolgten westlichen Umsturzbemühungen allerdings erfolglos geblieben. Die Ursache hierfür war, dass sich Lukaschenko lange Zeit auf sichere Mehrheiten stützen konnte, da es ihm gelang, einen Ausverkauf der belarussischen Wirtschaft an Oligarchen und einen sozialen Absturz der Bevölkerung, wie er sich beispielsweise in der Ukraine vollzog, zu verhindern. In der Tat liegt Belarus' Wirtschaftsleistung pro Kopf bis heute erheblich oberhalb derjenigen der Ukraine. Dementsprechend trafen die im Westen regelmäßig lautstark erhobenen Vorwürfe, Lukaschenkos Wahlsiege beruhten auf Fälschung, nicht zu; selbst im Berliner Auswärtigen Amt räumten Experten intern ein, die Ergebnisse belarussischer Präsidentenwahlen seien zwar wohl ein wenig geschönt, spiegelten allerdings den Mehrheitswillen im Kern korrekt wider. Dies hat sich erst in jüngerer Vergangenheit geändert. Hintergrund ist, dass die belarussische Wirtschaft seit 2012 meist nur noch geringfügig wuchs oder sogar schrumpfte, was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nährte. Seit diesem Frühjahr kam hinzu, dass Lukaschenkos Ignoranz gegenüber der Covid-19-Pandemie den wachsenden Unmut verstärkte. Umfragen sahen den Präsidenten zuletzt nur noch bei 25 bis 30 % - ein Novum in der Geschichte des Landes seit Mitte der 1990er Jahre.

Kurswechsel Richtung Westen
Im Rahmen ihrer Umsturzbemühungen hatte die EU erstmals 2004, dann erneut 2010 auch Sanktionen verhängt: Einreiseverbote für mehr als 170 Personen und Unternehmen aus Belarus, deren Vermögen in der Union zudem eingefroren wurde; 2011 kam noch ein Waffenembargo hinzu. Im Februar 2016 wurden diese Maßnahmen allerdings weitgehend aufgehoben, da sich in Minsk vorsichtige außenpolitische Kurskorrekturen abzeichneten. Zum einen fürchtete die Regierung, durch die Polarisierung infolge des Ukraine-Konflikts könne Belarus allzu eng an Russland gebunden werden. Zum anderen nahm der Streit um Vergünstigungen bei der Lieferung russischen Erdöls, die für Belarus ökonomisch überaus wichtig sind, zu; 2019 hob Moskau diese Vergünstigungen de facto auf. Präsident Lukaschenko reagierte, indem er die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation nicht anerkannte sowie stattdessen Minsk als Mittler zwischen Russland und dem Westen positionierte; die zentralen Verhandlungen über eine Beilegung des Ukraine-Konflikts fanden 2014 und 2015 in der belarussischen Hauptstadt statt. Hinzu kam zuletzt eine offene Annäherung an den Westen. Am 1. Februar traf mit Mike Pompeo erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten ein US-Außenminister zu Gesprächen in Minsk ein. Im März führten belarussische Truppen ein gemeinsames Manöver mit britischen Soldaten durch; im Rahmen der Übung habe es den ersten umfassenden Austausch belarussischer und westlicher Truppen gegeben, hieß es anschließend bei den britischen Streitkräften.

Unabhängig vom vorsichtigen Ausbau der Kooperation mit Präsident Lukaschenko haben die westlichen Staaten die Förderung der prowestlichen Opposition systematisch fortgesetzt. Innerhalb der EU tut sich dabei unter anderem Polen hervor; der staatliche Fernsehsender TVP betreibt seit 2007 mit Belsat TV einen Kanal in belarussischer Sprache, der die Opposition im Nachbarland unterstützt. Warschau nutzt die polnischsprachige Minderheit in der Region um Grodno für seine Politik. Eine tragende Rolle bei den aktuellen Massenprotesten kommt dem Telegram-Kanal Nexta zu, dessen Betreiber, ein belarussischer Regierungsgegner, im polnischen Exil lebt. Ein Zentrum der belarussischen Exilopposition ist zudem die litauische Hauptstadt Vilnius, in der seit 2005 die zuvor in Minsk beheimatete, bei der urbanen belarussischen Opposition populäre Europäische Humanistische Universität (EHU) angesiedelt ist. Die EHU wird von Stiftungen vor allem aus den USA und aus Deutschland gefördert; im Dezember 2018 hat die Universität, deren Absolventen nicht selten bei Straßenprotesten in Belarus anzutreffen sind, einen ihrer Seminarräume in Konrad Adenauer Raum umbenannt, dies als Dank für die langjährige intensive Unterstützung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU). Die aus Berliner Staatsmitteln finanzierte Adenauer-Stiftung wiederum unterhält ein Auslandsbüro Belarus, das jedoch keine Lizenz für eine Tätigkeit im Land erhalten hat und daher in Vilnius operiert. Von dort aus hält sie Eigenangaben zufolge engen Kontakt zu einem breiten Spektrum an Partnern in Belarus.  

Millionen für die Zivilgesellschaft  
Laut übereinstimmenden Einschätzungen von Beobachtern ist allerdings in den aktuellen belarussischen Massenprotesten  - dies trotz aller Bemühungen etwa von Partnern der Adenauer-Stiftung  - eine prowestliche Orientierung noch nicht mehrheitsfähig: Die breit verankerte Bindung an Russland unterscheidet das Land von der Ukraine, wo ein größerer Teil der Bevölkerung, stark antirussisch orientiert, nicht nur gegen die ukrainische Regierung, sondern auch gegen Moskau leicht zu mobilisieren war. Dementsprechend warnen deutsche Außenpolitiker vor allzu schroffem Vorgehen gegen Minsk. Zwar sei der EU-Beschluß vom 19. August, das Ergebnis der Wahlen nicht anzuerkennen, konsequent und richtig, urteilt etwa der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, und auch die vorgesehenen personenbezogenen Sanktionen setzten die richtigen Signale, sie seien aber strikt auf Verantwortliche für die mutmaßliche Wahlfälschung sowie für die Repression gegen Demonstranten zu beschränken. »Der richtige Ansatz« sei, so Schmid, »Mittel für die belarussische Zivilgesellschaft bereitzustellen«. Dies   ermögliche es, prowestliche Spektren in der belarussischen Opposition gezielt zu stärken. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben am 19. August beschlossen, eine Million Euro für die Zivilgesellschaft, 2 Millionen Euro für Opfer staatlicher Repressionen und darüber hinaus 50 Millionen Euro Corona-Soforthilfe nach   Belarus zu transferieren, Mittel der Einmischung im geostrategischen Einflußkampf um Minsk. Dabei haben die Parteigänger Berlins und des Westens in den belarussischen Proteststrukturen bereits Erfolge erzielt. So gehören dem von der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja gegründeten siebenköpfigen Koordinationsrat für die Machtübergabe drei Personen an, die erst kürzlich in einem Manifest einen Bündniswechsel des Landes hin zu EU und NATO gefordert haben.

Zwar weist der Koordinationsrat eine solche Positionierung für die gegenwärtigen Proteste öffentlich noch zurück. Geschickte Einmischung Berlins und Brüssels  

 

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8359/  25. 8. 20