Jean-Daniel Delley: Neues Terrorgesetz schiesst weit über das Ziel hinaus. Abwehr gegen Terror ja, aber ohne Attacke auf Grundrechte 23.05.2021 21:40
Die Schweiz will mit einem neuen Gesetz gegen Terrorismus ins Feld ziehen. Doch laut Rechtsxperten sprengt es den Rahmen.
Es ist zu offen formuliert und hebelt die Kinderrechte aus. »Der Terrorismus bedroht den Rechtsstaat und die demokratischen Werte und Freiheiten«, schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zum Gesetz über »Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus« (PMT), über das am 13. Juni 2021 abgestimmt wird. Nur: Es gilt aufzupassen, damit diese Massnahmen nicht selber zum Angriff auf die Rechte enden, die sie schützen wollen. Heute
werden Terrorattentate oft von isolierten Einzelnen oder kleinen Gruppen
ausgeführt, mit wenig Mitteln und ohne ausgeklügelte Vorbereitung. Dieser ›billige‹ Terrorismus erweist sich aber als umso gefährlicher, da er
schwierig zu entdecken und zu verhindern ist. Also scheint es gerechtfertigt,
das Abwehrdispositiv anzupassen. Die als
Begründung zur Gesetzesverschärfung ins Feld geführten Attentate richten sich
nicht gegen die Staatsmacht. Die Terroristen bereiten keinen Staatsstreich vor.
Mit dem blindwütigen Blutzoll wollen sie die Gesellschaft destabilisieren. Attentate
verbreiten Angst und lösen als Reaktion Panik und Lähmung aus. Das wiederum
kann dazu führen, dass Prinzipien des Rechtsstaats und unveräusserliche
Freiheitsrechte vergessen werden. Kurz gesagt: Terroristen beeinflussen mit
ihren Taten auch die Vernunft und den kühlen Kopf der Menschen und der ganzen
Gesellschaft.
Ein kühler Kopf wäre gefragt - das Gesetz lässt aber genau
das vermissen:Eine Analyse des PMT ergibt, dass es dem Gesetzgeber eben an
kühlem Kopf gemangelt hat. Der Bundesrat anerkennt zwar in der Botschaft: »Die Schaffung einer entsprechenden Gesetzesgrundlage
verlangt angesichts der Breite der damit verbundenen Einschränkungen
fundamentaler Grund- und Menschenrechtsgarantien besondere Sorgfalt«; und: »Konkret
geht es darum, die neuen polizeilichen Instrumente grund- und völkerrechtskonform
auszugestalten und anzuwenden«.
Die neuen Instrumente sollen das Dispositiv der bisherigen
Regeln zur Bekämpfung von Terrorismus im Inland verstärken. »Eine terroristische oder fundamentalistische Ideologie
und Gesinnung allein können nicht Auslöser präventiv-polizeilicher Massnahmen
sein«, schreibt der Bundesrat in der
Botschaft. Und weiter: »Erst wenn die
Radikalisierung einer Person in eine terroristische Aktivität überzugehen
droht, ist staatliches Handeln angezeigt und gerechtfertigt«.
Eine staatliche Intervention - ohne dass ein Verdacht auf eine konkrete
Straftat vorliegt - heisst, dass die
Polizei ausserhalb des Strafrechts eingreifen würde. Als neue Massnahmen stehen
ihr zur Verfügung: Meldepflicht bei den Behörden, obligatorische Teilnahme an
Gesprächen, Kontaktverbote, Ausreiseverbote, das Verbot, einen bestimmten Ort
entweder aufzusuchen oder zu verlassen, elektronische Überwachung und
Lokalisierung. Diese Massnahmen können für eine Dauer von sechs Monaten verfügt
und einmal verlängert werden. Und: Sie sind auch auf Kinder ab 12 Jahren
anwendbar und das auf alleinige Anordnung der Bundespolizei hin.
Ausnahme bildet der Hausarrest, der erst ab 15 Jahren erlaubt ist und von einem
Richter genehmigt werden muss.
Menschen- und Kinderrechte werden verhöhnt
Die Unschärfe in diesem Gesetz widerspricht der vom Bundesrat
betonten ›besonderen Sorgfalt‹. Das Gesetz weckt
berechtigte Ängste, denn die Polizei kann Freiheitsrechte allein mit Annahmen
und Mutmassungen einschränken. Das öffnet der Willkür Tür und Tor. Zudem
besteht die Gefahr, dass sich die Liste der möglichen Gründe für solche
Massnahmen weiter vergrössert. Anna Coninx, Strafrechtlerin an der Universität
Luzern, sieht das Risiko, dass Menschen allein aufgrund ihrer Herkunft unter
Generalverdacht gestellt werden. Und sie stellt die Frage, wie wir reagieren
würden, wenn unsere politischen Gegner solche Massnahmen gegen uns ergreifen
würden.
Die Anwendung der Massnahmen an Minderjährigen widerspricht
auch der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wie der Hausarrest,
eigentlich ein Freiheitsentzug, der gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
verstösst, ausser es handelt sich um ein schweres und unmittelbar drohendes
Delikt. Die Kritik von verschiedenen Organisationen [Humanrights.ch,
Amnesty International und andere) sowie von rund 60 Rechtsexperten von
Schweizerischen Universitäten wurden von den Verfassern des Gesetzes
nicht gehört.
Die Stimmberechtigten müssen also am 13. Juni 2021
entscheiden, wie wichtig ihnen die Verteidigung der Freiheitsrechte ist.
Verfassungsrechtliche Grundlage fehlt
Für den Erlass der Massnahmen zur Verhinderung
terroristischer Aktivitäten, welche den Kern des PMT bilden, fehle dem Bund eine
hinreichende verfassungsrechtliche
Grundlage; das schreibt Patrice Martin Zumsteg, Dozent für öffentliches
Recht an der ZHAW School of Management and Law, in der neuesten Ausgabe der
Zeitschrift ›sui
generis‹. Sein Fazit lautet: »Insgesamt
weist das Gesetzespaket erhebliche Schwachpunkte auf. Sollte es in der kommenden
Volksabstimmung angenommen werden, wird es an Lehre und Praxis, vor allem an
den Gerichten sein, diese so gut als möglich zu beheben und an den Gesetzgeber
zu appellieren, bald wieder eine Teilrevision des BWIS an die Hand zu nehmen«.
Der vollständige Beitrag von
Zumsteg - ›Das geplante
Bundesgesetz über
polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) - Verfassungsgrundlage und Verfahrensrecht‹ ist auf
https://sui-generis.ch/article/view/sg.176/1795 abrufbar.
In einem weiteren Beitrag auf derselben Plattform schreibt
Markus Mohler zum PMT-Gesetz: »Wichtige Bestimmungen
sind weder verfassungs- noch EMRK-konform«. Mohler war Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt, zuvor Staatsanwalt
und Lehrbeauftragter an den Universitäten Basel und St. Gallen. ›sui
generis‹ publiziert
rechtswissenschaftliche Artikel nach dem Prinzip ›Open
Access‹ und ist die einzige
rechtswissenschaftliche Zeitschrift der Schweiz mit ›Double-Blind
Peer Review‹. Der
Autor Jean-Daniel Delley ist emeritierter Rechtsprofessor der Universität Genf
und spezialisiert in direkter Demokratie und Gesetzgebung. Der Artikel erschien
zunächst in französischer Sprache auf der Website von ›Domaine public‹ - Journal d'actualité suisse en ligne.
Unter
dem Titel Braucht es dieses Anti-Terror-Gesetz ?
schreibt
Dr. iur. Marianne Wüthrich, dass das Parlament am 25. September 2020 das
Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus samt dem dazu gehörenden
Zusatzprotokoll genehmigt hat. Um die Verpflichtungen der Schweiz gemäss diesem
Abkommen zu erfüllen, hat das Parlament gleichzeitig das Strafgesetzbuch um
neue Strafbestimmungen für die Beteiligung an kriminellen und terroristischen
Organisationen sowie an terroristischen Straftaten ergänzt. [1]
Ausgehend
von Terroranschlägen im Ausland und von der Tatsache, dass in der Schweiz lebende
Jugendliche und junge Erwachsene in den Nahen Osten gereist waren, um sich
bewaffneten Terroristengruppen anzuschliessen, haben der Nationalrat und der
Ständerat gleichentags dem »Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur
Bekämpfung von Terrorismus« [PMT] zugestimmt.
Dagegen haben verschiedene Komitees aus rechtsstaatlichen Gründen das
Referendum ergriffen [Abstimmungsbüchlein 2, S. 105]. Diese Abstimmungsvorlage
soll hier unter die Lupe genommen werden.
Die
wichtigsten Inhalte des Gesetzes
Den
Text des Gesetzesentwurfs finden Sie im Abstimmungsbüchlein [S. 114ff.]. Grundsatz:
Die Polizei soll bereits präventiv einschreiten können, wenn anzunehmen ist,
dass von einer Person eine terroristische Gefahr ausgeht [Abstimmungsbüchlein [2], S. 105].
- Gegen »terroristische Gefährder« sollen Massnahmen ergriffen werden können, »wenn auf
Grund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass
sie oder er eine terroristische Aktivität ausüben wird«. [Art. 23e Absatz 1]
- »Terroristische Aktivität« [Art. 23e Abs. 2]: »Bestrebungen zur
Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung
oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und
Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen«.
- Zuständig für die Anordnung der
Massnahmen ist Fedpol [Bundesamt für Polizei] [Art. 23f Abs. 1], auf Antrag der Gemeinde,
des Kantons oder des NDB [Nachrichtendienst des Bundes] [Art. 23i].
- Vollzug und Kontrolle der Massnahmen sind
Sache der Kantone [Art. 23r].
- Die Massnahmen dürfen nur ergriffen werden,
wenn sie »verhältnismässig« sind [das gilt für jede staatliche Massnahme im
Rechtsstaat] und wenn vorher versuchte Massnahmen in den Kantonen oder
Gemeinden nicht ausreichen [Art. 23f Abs. 1 b] [Abstimmungsbüchlein, S. 108].
- Mögliche Massnahmen [Art. 23k–q]: Gesprächsteilnahmepflicht, Kontaktverbot,
Ausreiseverbot, Meldepflicht, Ein- und Ausgrenzung [Verbot, bestimmte Orte
aufzusuchen oder zu verlassen], Hausarrest, Ausschaffungshaft [für Ausländer; für
Schweizerbürger ist keine Haft/Festnahme vorgesehen], elektronische Überwachung
[Abstimmungsbüchlein, S. 107].
Gemeinsame
Bestimmungen:
- Altersgrenze: 12 Jahre [Art. 24f]
- Maximale Dauer einer Massnahme: Sechs
Monate [einmalige Verlängerung um maximal
sechs Monate möglich] [Art. 23g Abs. 1].
- Rechtsschutz: »Gegen Verfügungen von
Fedpol […] kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt
werden«. [Art. 24g Abs. 1] »Beschwerden haben keine aufschiebende Wirkung«. Der
Instruktionsrichter [Untersuchungsrichter] kann jedoch einer Beschwerde
aufschiebende Wirkung erteilen, »wenn der Zweck der Massnahme dadurch nicht
gefährdet wird«. [Art. 24g Abs. 3].
- Strafbestimmungen: »Mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer gegen Massnahmen
nach den Artikeln 23l–23q verstösst«. [Art. 29a]
Schwerwiegende
rechtliche Einwände
Die beiden Referendumskomitees stossen sich an den schwammigen Definitionen der
›Gefährder‹ und der ›terroristischen
Aktivität‹, die der Willkür Tür und
Tor öffnen. Bundesrätin und EJPD-Chefin Karin Keller-Sutter beteuert zwar, mit ›Gefährdern‹ seien keine Demonstranten gemeint, »auch nicht solche, die
Fensterscheiben einwerfen«, aber schwammig bleibt schwammig. Die vorgesehenen
Massnahmen könnten zudem auf blossen Verdacht hin und ohne Beweise gegen
unbescholtene Bürger und gegen Kinder ab 12 Jahren verhängt werden [Verstoss
gegen die Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK] und die UNO-Kinderrechtskonvention].
Auch würde die Gewaltenteilung missachtet: Die Massnahmen würden von
Polizeibehörden [Exekutive] sowohl angeordnet als auch durchgeführt, im
Rechtsstaat müssten sie aber von einem Gericht angeordnet werden. »Dieses
Gesetz ist ein Angriff auf den Rechtsstaat, ohne dass es mehr Sicherheit bringt«.
[Abstimmungsbüchlein, S. 110f.]
Neben
den Referendumsgegnern bringen auch zahlreiche Schweizer Juristen ernste
rechtliche Bedenken gegen das Anti-Terrorismus-Gesetz ein, so UNO-Sonderberichterstatter
Nils Melzer, den wir als unerschrockenen Kämpfer für die Freilassung des
Whistleblowers Julian Assange kennengelernt haben. Gemeinsam mit vier weiteren
UNO-Sonderberichterstattern forderte er das Parlament auf, die Vorlage
abzulehnen: »Die Polizei soll weitgehende Befugnisse im Kampf gegen den Terror
erhalten – zu weitgehende«, sagt der Schweizer Jurist Melzer. [3]
Bereits
im September 2020 hatten mehr als 50 Schweizer Strafrechtsexperten in einem offenen
Brief das Parlament aufgefordert, die Gesetzesvorlage abzulehnen, weil »die
vorliegenden Massnahmen weitreichende Beschränkungen von Grund- und
Menschenrechten erlauben, deren Schutz durch die Bundesverfassung und
internationale Abkommen [EMRK, UNO-Pakt I und II, usw.] garantiert sind«. [4]
Die
Rechtsexperten kritisierten unter anderem den ›extrem unpräzise(n) Begriff des terroristischen Gefährders‹ und insbesondere die unzureichende
richterliche Kontrolle: »Es
etabliert sich eine Gefährlichkeitsvermutung, welche von der richterlichen
Behörde widerlegt werden muss. Das ist unserer Rechtsordnung und den ihr
zugrunde liegenden Werten fremd. Das Fehlen einer aufschiebenden
Rechtsmittelwirkung sowie einer vorgängigen richterlichen Kontrolle führt dazu,
dass die von polizeilichen Massnahmen betroffene Person die beruflichen, sozialen
und psychologischen Folgen selbst dann zu erdulden hat, wenn sich die
Massnahmen als unbegründet erweisen«.
In
ihrem offenen Brief kommen die Strafrechtler zu dem Schluss: »Auch wenn ausser
Frage steht, dass Terrorismus nach einer starken Antwort unserer Institutionen
verlangt, muss staatliches Handeln im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit erfolgen.
Es ist ein starker Rechtsstaat, dessen die Schweiz bedarf, um der terroristischen
Bedrohung entgegenzutreten. Die der Bundesversammlung unterbreitete Gesetzesvorlage
ist hingegen höchst problematisch mit Blick auf die Bundesverfassung und
internationale Menschenrechtsabkommen. Ihre Annahme würde unseren Rechtsstaat
aushöhlen«.
Inakzeptabler
Übergriff des Bundes in die kantonale Polizeihoheit
Völlig
fremd ist dem Schweizer Staatsverständnis die Machtposition, welche der
Gesetzesentwurf dem Bundesamt für Polizei [Fedpol] überträgt. Fedpol soll die alleinige
Entscheidungsgewalt über die Verfügung von Massnahmen gegenüber einem ›terroristischen Gefährder‹ haben [Art. 23f und j],
während die zuständigen kantonalen und kommunalen Behörden
zu blossen Antragstellern [Art. 23i]
und Vollzugsgehilfen [Art. 23r
Abs. 1] abqualifiziert werden. Ja,
das Bundesamt soll gemäss Absatz 2
dem zuständigen Kanton dabei sogar ›helfen‹: »Fedpol leistet Amts- und Vollzugshilfe«. Ein
absolut untragbarer Eingriff in die seit jeher in der Hand der Kantone liegende
Polizeihoheit. Überlassen
wir dazu Fedpol selbst das Wort: Unter dem Titel ›Polizeistruktur – Föderalistischer Aufbau‹
ist auf deren Homepage zu lesen: »In der Schweiz haben grundsätzlich die 26
Kantone die Polizeihoheit inne. Es handelt sich dabei um eine originäre
Zuständigkeit der Kantone, also eine Zuständigkeit, die bereits bestand, als es
die schweizerische Bundesverfassung [BV] noch nicht gab. Die BV hat daran
nichts geändert und anerkennt damit diese Zuständigkeit. Die Kantone sind somit
für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf ihrem
Territorium verantwortlich«. [5]
Vielleicht sollten die Beamten des EJPD
[6], bevor sie ein Gesetz
entwerfen, zuerst einen Blick auf die Informationen der eigenen Bundesämter
werfen.
Das
dicke Ende: Anti-Terror-Gesetz ist überflüssig
Die Polizei habe heute »nur beschränkte Möglichkeiten, um präventiv gegen
terroristische Gefahren vorzugehen. Mit dem vorliegenden Bundesgesetz wollen
Bundesrat und Parlament diese Lücke schliessen«. [Abstimmungsbüchlein, S. 105] Allerdings verschweigt der Bundesrat, dass die
Lücke so gross nicht ist. Denn am selben Tag, an dem das Parlament das Anti-Terror-Gesetz
beschlossen hat, hat es auch eine Reihe von Vorbereitungshandlungen zu
kriminellen oder terroristischen Verbrechen unter Strafe gestellt. Anders als
die Massnahmen des Anti-Terror-Gesetzes werden sie im Strafgesetzbuch stehen
und somit allen Verfahrensregeln und Grundrechten unterstehen, die der
Rechtsstaat garantiert.
Bestraft werden soll neu gemäss Art. 260ter StGB, wer
a. sich an einer Organisation beteiligt,
die den Zweck verfolgt
1. Gewaltverbrechen zu begehen […], oder
2. Gewaltverbrechen zu begehen, mit denen die
Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale
Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll;
oder
b. eine solche Organisation in ihrer Tätigkeit
unterstützt. [.…]
Nach Art. 260sexies ist neu auch strafbar, wer
a. jemanden für die Begehung einer solchen
Straftat oder die Teilnahme daran anwirbt;
b. sich für die Begehung einer solchen Straftat
oder die Teilnahme daran anleiten lässt zum Herstellen oder Gebrauch von Waffen,
Sprengstoffen, radioaktiven Materialien, giftigen Gasen oder anderen
Vorrichtungen oder gefährlichen Stoffen, oder jemanden hierzu anleitet;
oder c. eine grenzüberschreitende Reise unternimmt,
in der Absicht, eine solche Straftat zu begehen, sich daran zu beteiligen oder
sich dafür ausbilden zu lassen.
Bereits seit 2003 ist zudem strafbar, wer für
terroristische Zwecke ›Vermögenswerte
sammelt oder zur Verfügung stellt‹ [Art. 250quinquies], und schon seit 1995, wer ›die
Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder
Eigentum in Schrecken versetzt‹ [Art. 258].
Das
heisst, wer mit gefährlichem Material herumpröbelt oder sich in krimineller
Gesellschaft bewegt, wer bedrohliche Mails und Tweets herumschickt, wer ins
Ausland reist, um sich dort terroristischen Gruppen anzuschliessen, oder wer für
solche Gruppierungen Geld sammelt, macht sich bereits durch diese Vorbereitungshandlungen strafbar. Er muss sich
nicht fragwürdigen Massnahmen von Fedpol unterziehen, sondern er wird angeklagt
und vor Gericht gestellt, mit allen grundrechtlichen Garantien [Recht auf
Anhörung, Recht auf einen Anwalt, Recht auf Ergreifung von Rechtsmitteln usw.].
Wozu also ein rechtlich zweifelhaftes Anti-Terror-Gesetz, das diese
Grundrechte massiv einschränkt?
Zum Schluss eine dringliche Frage: Was tun wir mit gewaltbereiten
Jugendlichen?
Bundesrätin Keller-Sutter wirbt für das Anti-Terror-Gesetz mit dem
Beispiel eines 17jährigen, der in den Sozialen Medien ankündigt, »dass er all
diese Muslime töten werde«. Der 17Jährige lädt Ausschnitte aus dem Video jenes
australischen Neonazis hoch, der im März 2019 in zwei Moscheen im
neuseeländischen Christchurch 51 Muslime ermordete. Dazu schreibt er: »Irgendwann
möchte ich das Gleiche in der Schweiz tun«. Im Chat lässt er auch durchblicken,
dass es »ganz in der Nähe bei ihm eine Moschee« gebe. [7]
Wie packen wir Erwachsene solch schwere Probleme an? Wissen wir Eltern und
Lehrer, was für schreckliche Gewaltvideos und Mobbing-SMS unter unseren Kindern
zirkulieren? Können wir einschätzen, ob der Einzelne ein potentieller
Straftäter ist, oder ob er bei ernster Ansprache zur Besinnung kommen könnte?
Diesen anspruchsvollen Fragen muss sich unsere Gesellschaft stellen. Wir sind für
unsere Jugendlichen, für Lösungsversuche mit den Gewaltbereiten und für den
Schutz der anderen verantwortlich. Von Fedpol angeordnete Massnahmen werden es
nicht richten.
Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2021/nr-11-18-mai-2021/braucht-es-dieses-anti-terror-gesetz.html
Nr. 11 vom 18. 5. 21 Braucht
es dieses Anti-Terror-Gesetz? – Von Dr. iur. Marianne Wüthrich
[1]
»Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des
Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem
dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen
Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität«
vom 25. 9. 2020
[2]
Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom
13. 6. 2021
[3]
Poletti, Gregor - »Experten warnen vor Antiterrorgesetz. Auch
unbescholtene Bürger könnten als terroristische Gefährder eingestuft werden«; Tages-Anzeiger vom 27. 4. 2021 [4] https://unser-recht.ch/2020/09/24/51-universitaere-rechtsexpertinnen-und-experten-rufen-zur-ablehnung-des-antiterrorgesetzes-auf/ [5]
https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/polizei-zusammenarbeit/national.html [6] Eidgenössisches Justiz-
und Polizeidepartement [7]
Pelda, Kurt - »Justiz lässt mutmasslichen Terroristen entwischen«;
Tages-Anzeiger
vom 19. 4. 2021
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