Schwerpunkt Asien 13.06.2021 20:54
Einer Mitteilung des in der Regel verlässlich informierten Netzwerks »Réseau Voltaire« zufolge hat das Pentagon den Befehl erhalten,
den Nahen Osten aufzugeben und sich auf den Fernen Osten zu konzentrieren. Die »China Task Force«, eine Arbeitsgruppe des US-Verteidigungsministeriums für China, hat jetzt ihren Bericht vorgelegt. Dieser bleibt zwar geheim, er prangert aber offenbar die Kluft zwischen Erklärungen und Taten an. Die Arbeitsgruppe war diesen Februar, wenige Stunden vor einem Telefongespräch zwischen den Präsidenten Biden und Xi Jinping, angekündigt worden. Sie besteht aus 15 Mitgliedern, die hauptsächlich aus
dem Pentagon und der Geheimdienstwelt stammen; den Vorsitz führt Ely Ratner,
der während der Obama-Regierung stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater
von Vizepräsident Biden war. In der Folge unterzeichnete Verteidigungsminister General
Lloyd James Austin III sofort mehrere geheime Richtlinien und wandte sich an
die Mitarbeiter des Pentagons, damit diese unmittelbar umgesetzt würden, dies ohne
neue Prioritäten abzuwarten. Es würde darum gehen, den Schwerpunkt nicht mehr
auf den erweiterten Nahen Osten, sondern auf Asien zu legen. Kurz gesagt, zu
tun, was man seit Jahren sagt, aber nicht durchführt. [1]
Hinsichtlich der Frage, wie das Pentagon China ins
Visier nehmen soll, findet derzeit eine heftige Debatte statt, die sich mit
zwei Visionen der Rolle der US-Streitkräfte gegenüber China befasst. Sollen diese
in der Ferne positioniert werden und nur Raketen zu befürchten haben, oder in
der Nähe, wo sie möglicherweise von feindlichen Soldaten angegriffen würden? Beide
Optionen verlangen sehr unterschiedliche Stationierungen der Truppen und erfordern
im Fall von Stützpunkten an der chinesischen Grenze sehr hohe Kosten.
Das Office of Cost Assessment and Program Evaluation ›CAPE‹ [Büro für Kosten- und Programmbewertung] sowie das Office of Net Assessment ›ONA‹ [Büro für die strategischen Einschätzung] bestehen darauf, dass
die Stützpunkte so weit wie möglich von China entfernt liegen. Die Gegner der
beiden Gruppierungen weisen ihrerseits auf die Notwendigkeit einer sofortigen
Entsendung von Truppen hin, wenn China Taiwan angreift. Laut ›CAPE‹ und ›ONA‹ würde die Annexion Taiwans durch Peking indessen nicht viel bedeuten. Der Kommandant der Luftwaffe der ›IndoPaCom‹, General Ken
Wilsbach, wiederum plädiert für eine Zerstreuung der Streitkräfte in einer
Vielzahl kleiner Stützpunkte, die gleichzeitig schwer angreifbar sind. [2]
Was die EU angeht, so soll
diese gemäss einem Bericht von ›German Foreign Policy‹ [3] »ihre außen- und militärpolitischen Aktivitäten in der Asien-Pazifik-Region
deutlich ausweiten, wie dies der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach seiner
Rückkehr von einer mehrtägigen Reise nach Indonesien gefordert hat. Borrell besprach in Jakarta
nicht nur eine Intensivierung der Kooperation mit Indonesien, sondern auch mit
dem südostasiatischen Staatenbund ASEAN. »Wir sind dabei«, so Borrell, »Optionen zur Ausweitung der maritimen Präsenz
der EU im riesigen indo-pazifischen Raum zu erkunden«. Das sei erforderlich, da sich die globalen
Gewichte mit dem Aufstieg Chinas immer mehr weg vom Atlantik hin zum Pazifik
verschöben: »Die Geschichte der Menschheit des 21.
Jahrhunderts wird in der Indo-Pazifischen Region geschrieben«. Nur wenige Tage zuvor hatte Verteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer als erstes Mitglied einer Bundesregierung überhaupt die
Pazifikinsel Guam besucht, wo die Fregatte ›Bayern‹ bei ihrer Asienfahrt im Herbst Station machen
wird. Guam beherbergt wichtige US-Militärstützpunkte und gilt bei einem Krieg
zwischen den USA und China als mögliches Schlachtfeld.
Asiens Münchner Sicherheitskonferenz
Die Südostasienreise, die
der EU-Außenbeauftragte absolviert hat, mußte pandemiebedingt deutlich
reduziert werden. Borrell hatte ursprünglich einen Auftritt beim ›Shangri-La Dialogue‹ in Singapur eingeplant; die Veranstaltung, die
jedes Jahr vom Londoner ›International Institute for Strategic Studies‹ (›IISS‹) durchgeführt wird, wird zuweilen als
asiatische Parallele zur Münchner Sicherheitskonferenz
eingestuft. Borrell hätte dort die Gelegenheit gehabt, mit Verteidigungsminister
Austin zusammenzutreffen. Singapur sagte den ›Shangri-La Dialogue‹ allerdings wegen eines starken Aufflackerns
der Pandemie kurzfristig ab. Genauso wenig konnte Borrell die Philippinen
bereisen, was kürzlich im Gespräch gewesen war: Auch dort macht die Pandemie
Besuchsaufenthalte zur Zeit unmöglich. Um seine Reise nicht gänzlich abblasen zu
müssen, traf Borrell am 2. 6. für vier Tage in Indonesiens Hauptstadt Jakarta
ein. Dort führte er Gespräche mit Präsident Joko Widodo, Außenministerin Retno
Marsudi und Verteidigungsminister Prabowo Subianto. Darüber hinaus fand er sich
zu Gesprächen im Hauptquartier des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN ein,
das in Jakarta angesiedelt ist.
Nicht mehr in Europa
Hintergrund von Borrells Reise war ausdrücklich die
globale Kräfteverschiebung hin zum Pazifik, die Europa - jahrhundertelang globaler Mittelpunkt der
technologischen und der ökonomischen Entwicklung sowie Expansionszentrum über
die gesamte Welt ausgreifender Kolonialmächte -
an den Rand der Weltpolitik zu
rücken droht. Der EU-Außenbeauftragte verdeutlichte dies mit der Feststellung,
der ›Indo-Pazifik‹ schaffe 60 % der globalen Wirtschaftsleistung und erarbeite zwei
Drittel des globalen Wachstums. In der Tat befindet sich in der Region
mittlerweile das größte Freihandelsbündnis der Welt [die Regional Comprehensive
Economic Partnership ›RCEP‹]; letzteres umfaßt neben der ASEAN China, Südkorea und Japan sowie Australien und
Neuseeland und steht für annähernd ein
Drittel der Weltbevölkerung und ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung: Dies
mit unvermindert steigender Tendenz. Experten schreiben dem ›RCEP‹ das Potential zu,
globale Standards zu setzen. »Die Geschichte der
Menschheit des 21. Jahrhunderts wird in der Indo-Pazifischen Region geschrieben«, diagnostizierte Borrell in Jakarta: »Das Gravitationszentrum der Welt liegt nicht mehr mitten in Europa«. Dem müsse die EU nun umgehend Rechnung tragen.
»Grüner Neokolonialismus«
Dementsprechend dringt Borrell darauf, dass die EU, die
»zu oft mit sich selbst und mit ihrer Nachbarschaft beschäftigt ist«, in Südostasien deutlich mehr Präsenz zeigen müsse. Bei seinem jetzigen
Besuch in Jakarta hatte der EU-Außenbeauftragte mit hausgemachten Problemen zu
kämpfen. So hält der Streit um den Import
von Palmöl aus Indonesien und Malaysia, das als Basis für Biokraftstoffe
genutzt wird, an. Das Europaparlament hat sich klar gegen die Nutzung von
Palmöl als Kraftstoff ausgesprochen, da bei dessen Produktion soziale und
Umweltstandards oft schwer verletzt werden; auch hat die EU 2019 einen
Importzoll auf indonesischen Biodiesel wegen angeblich unzulässiger
Subventionen erhoben. Dagegen geht Jakarta bei der WTO vor und beschwert sich über den ›grünen Neokolonialismus‹ der europäischen Mächte. Borrell sah sich nun genötigt zu bekräftigen, dass
die EU »nicht gegen Palmöl sei«. Darüber hinaus
erörterte der EU-Außenbeauftragte mit seinen Gesprächspartnern in Indonesien
den Kampf gegen die Pandemie. In Indonesien wird, wie auch sonst in
Südostasien, sehr genau registriert, dass die reichen Mächte des Westens,
darunter die EU, die meisten verfügbaren Impfstoffe wegkaufen und dass deshalb
für ärmere Länder wenig übrig bleibt. Indonesien etwa bekam AstraZeneca-Dosen
aus Indien; seit deren Ausbleiben ist es gänzlich auf chinesische Vakzine
angewiesen.
Die EU als ›geopolitischer Akteur‹
Nach seiner Rückkehr fordert Borrell nun außer
erneuten Bemühungen um ein Freihandelsabkommen mit Indonesien - die EU unterhält solche Abkommen innerhalb
von ASEAN bisher lediglich mit Singapur und mit Vietnam - insbesondere auch entschlossenere
außen- und militärpolitische Aktivitäten in der Region. »Wenn wir ein geopolitischer Akteur sein wollen, müssen wir auch als
politischer und als Sicherheitsakteur in der Region wahrgenommen werden«, erklärte er und gab bekannt: »Wir sind dabei,
Optionen zur Ausweitung der maritimen Präsenz der EU im riesigen
indo-pazifischen Raum zu erkunden«. Kriegsschiffe
Frankreichs sowie des außen- und militärpolitisch weiterhin eng mit der EU kooperierenden
Vereinigten Königreichs sind immer häufiger mit Übungsfahrten sowie Manövern im
Indischen und im Pazifischen Ozean präsent. Auch die Bundeswehr verstärkt ihre
Anstrengungen: Sie wird Kampfjets nach Australien und eine Fregatte in den Pazifik
entsenden. Zur Vorbereitung hielt sich Bundesverteidigungsministerin Annegret
Kramp-Karrenbauer Ende Mai in Südkorea auf: Die Fregatte ›Bayern‹ soll nach
gemeinsamen Übungen mit den japanischen Streitkräften eine Zeitlang an der Überwachung
der UN-Sanktionen gegen Nordkorea teilnehmen.
Potentielles Schlachtfeld
Nach ihren Gesprächen in Seoul reiste
Kramp-Karrenbauer als erste bundesdeutsche
Ministerin zu Gesprächen nach Guam. Guam ist ein Außengebiet der Vereinigten
Staaten, das unter anderem eine Marine- und eine Luftwaffenbasis beherbergt;
die von Kramp-Karrenbauer besuchte ›Andersen Air Force Base‹ gilt als einer der bedeutendsten US-Militärstützpunkte
in der Asien-Pazifik-Region und im Falle eines Kriegs in Asien nicht nur als
wichtige Brücke für den US-Nachschub, sondern auch als Startpunkt für
US-Langstreckenbomber. Auf ihrer Asienfahrt wird die Fregatte ›Bayern‹ auch auf Guam
erwartet. Die Insel hat unter US-Militärstrategen
zuletzt größere Aufmerksamkeit erhalten, weil Kriegssimulationen, sogenannte
war games, ergeben haben, dass China im Kriegsfall mit seinen zahlreichen
Abwehrraketen wohl in der Lage ist, Landebahnen auf Guam und sonstige
Einrichtungen dort mit seinen Abwehrraketen zu zerstören und dadurch
US-Angriffe auf chinesisches Territorium zu verhindern. Um dennoch ungehindert
Angriffe führen zu können, sieht der neue US-Militärhaushalt umfangreiche
Mittel zur Errichtung von High-Tech-Abwehrsystemen auf der Insel vor.
Kramp-Karrenbauer besuchte also Ende Mai - von der deutschen Öffentlichkeit kaum
beachtet - mit Guam ein potentielles
Schlachtfeld in einem drohenden Krieg der Vereinigten Staaten gegen China.
[1] https://www.voltairenet.org/article213346.html 10. 6.
21
[2] https://www.voltairenet.org/article213358.html 11. 6. 21
[3] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8620/ 8. 6. 21 Das Gravitationszentrum der Welt
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