Weit vorangeschritten auf dem Weg zum Abgrund

Der 2006 von den US-Politologen Walt und Mearsheimer angestoßene »Streit um Israel« erreicht die deutsche Öffentlichkeit - Von Torsten Kühl

 Wind von vorn - könnte sagen, wer zu Verharmlosungen der Lage Israels und seiner »Freunde« neigt. Tatsächlich scheint aber eher ein Orkan im Anzug zu sein. Nicht weil Israels Palästina-Politik wieder einmal vor den UN-Sicherheitsrat kommt. Das ist mit dem gewohnten US-Veto gegen Mißbilligungen oder gar »Maßnahmen« zu überstehen. Sondern weil sich erstmals in der bald sechzigjährigen Geschichte Israels die Weltöffentlichkeit nicht wenigstens neutralisieren läßt, weil »Kritik am Zionismus« nicht mehr hinreichend wirkungsvoll als Antisemitismus zu deckeln ist. Bewirkt hat das die im März 2006 ins Internet gestellte Philippika der US-Politologen Stephen Walt (Harvard) und John Mearsheimer (Chicago) [Junge Freiheit JF 17/06], die in diesem Sommer auch auf dem US-Buchmarkt gelangt. Die Kernthese der Autoren lautet: Eine gut organisierte, mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattete Israel-Lobby beeinflusse die Außenpolitik der USA und richte sie an den Interessen des jüdischen Staates aus. So sei auch die Intervention im Irak auf die Machenschaften dieses zwischen Israels Regierung, den Rechtsparteien, der Washingtoner Botschaft, dem World Jewish Congress (WJC), der Anti-Defamation-League (ADF), dem American-Israel Public Affairs Committee (Aipac) und anderen zionistischen »Subunternehmen« in den USA gespannten Koordinationsnetzwerks zurückzuführen.
 
Lobby mit hausgemachten Imageproblemen in den USA
Wie zu erwarten, lösten Walt und Mearsheimer Wellen der Empörung aus. Die Lobby machte mobil und stellte die Thesen der Autoren mit einer Aggressivität in Abrede, die unfreiwillig bestätigend wirkte. Persönliche Beleidigungen, Drohungen und die obligaten Antisemitismus-Bezichtigungen begleiteten die Auseinandersetzung. »Keine Verleumdung war zu billig, keine Verzerrung der Thesen zu grob, keine Spielart der Selbstgerechtigkeit zu peinlich«, wie Norman Birnbaum zusammenfaßt [Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/07], was außerhalb der USA lange ignoriert wurde. In den Staaten selbst dagegen kam es zu Nachahmungseffekten. Mit nicht selten verschwörungstheoretisch aufgeladener Hysterie wurden immer mehr jüdische Einflußzonen »entdeckt«, von den Universitäten, über die Presse bis zur Pornoindustrie. Nach Birnbaums Einschätzung steht daher mittlerweile die »Israel-Lobby unter Druck«. Hausgemachte Imageprobleme trugen dazu nicht wenig bei, wie sich nicht nur beim Vorgehen gegen Mearsheimer und Walt oder den Zionismus-Kritiker Tony Judt offenbarte, das Birnbaum an »furchterregende Gangster einer früheren Generation« erinnert. Schlimme Selbstbeschädigungen ergaben sich aus den Rangeleien um die Nachfolge des WJC-Präsidenten Edgar Bronfman [JF 21/07].
 
Daß eine andere Zentralfigur der Israel-Lobby, der einstige Falke im US-Verteidigungsministerium, Paul Wolfowitz, soeben wegen Nepotismus als Chef der Weltbank zurücktreten mußte, trübte das Bild weiter ein. Birnbaum läßt durchblicken, daß dabei bislang nur die Spitze des Eisbergs zu sehen ist. So habe Wolfowitz-Freund Douglas Feith, bei Donald Rumsfeld für die »Beweise« in Sachen Massenvernichtungswaffen und al-Qaida-Beziehungen des Iraks zuständig, dank guter familiärer Beziehungen zur Likud-Partei »als Mittelsmann zur israelischen Rüstungsindustrie« fungiert. Überhaupt habe sich »die totale Unterstützung Israels« in den radikal-zionistischen Kreisen des US-Judentums zu einem »ziemlich profitablen Geschäftszweig« entwickelt. Gleichzeitig mit dem Erscheinen von Birnbaums informativer Übersicht zur »Kontroverse über die Israel-Lobby in den Vereinigten Staaten« scheint sich endlich auch die bundesdeutsche Debatte darüber zu beleben. Der unvermeidliche Micha Brumlik hatte im April-Heft der Blätter für deutsche und internationale Politik versucht, Israel-Kritiker wie Tony Judt oder Alfred Grosser mit dem Verweis auf die angeblich »genozidale Bedrohung« des Judenstaates mundtot zu machen. Er kolportierte damit freilich nur das monströs-apokalyptische Szenario eines angeblich bevorstehenden iranischen Atomschlags gegen Israel, mit dem der Historiker Benny Morris Anfang des Jahres aufwartete [JF 4/07]. In der Literarischen Welt [Ausgabe vom 26. Mai] legt Morris jetzt nach, macht sich anheischig, die wahren Gründe für den Schulterschluß zwischen Washington und Jerusalem aufzudecken und das Hearsheimer-Walt-Papier als komplett falsch oder bestenfalls Halbwahrheiten bietend zu verhöhnen. Wieder muß für ihn die Bedrohung durch den Iran als Vormacht des islamischen Fundamentalismus dafür herhalten, um Solidarität für Israel einzufordern. Ebenso argumentiert die zionistische Stimme der Welt am Sonntag (Ausgabe vom 20. Mai), George Lord Weidenfeld, gegen die linksliberalen Intellektuellen, die wie Tony Judt Israel gar die Konföderationslösung - einen gemeinsamen Staat aus Juden und Arabern - zumuten. Soweit wie dies von der anti-israelischen Propaganda an den Universitäten der USA unterstützt werde, spiele dafür wohl arabisches Geld die wichtigste Rolle. Die Nobilitierung Weidenfelds hat offensichtlich seinen Charakter nicht veredelt, da ein redlicher Disputant Israels Kritiker nicht in toto als gekaufte Subjekte denunzieren dürfte.
 
Die jüdische Gemeinschaft mit »kritikloser Solidarität«  
Doch nicht nur Weidenfelds Einwurf dokumentiert, daß eine »gehörige Portion Einschüchterung und Rufmord« (Birnbaum), wie sie in den USA professionell die wohl passender Defamation-League zu nennende ADF besorgt, auch hierzulande beim »Streit um Israel« im Spiel ist. Rolf Verleger, Vorsteher des Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein, wurde nach öffentlicher Kritik an Israels Libanon-Einmarsch im Sommer 2006, regelrecht gefeuert [JF 34/06], in der Jüdischen Allgemeinen beschimpft, per E-Post mit mehr oder weniger phantasievollen Beleidigungen überhäuft und sogar aufgefordert, er möge sich erschießen. Dies berichtet Verleger in seiner Antwort auf Brumliks Propagierung der »Ethnizität als Religionsersatz « (Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/07). Eindruck hat diese polemische Orgie auf Verleger offenbar kaum gemacht. Denn an seiner kritischen Position hält er fest, glaubt weiter, wie seine Sekundanten, der Soziologie-Professor Michal Bodemann (Toronto) und Matthias Jochheim (Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), Israel sei mit seiner nationalistisch-rassistischen Politik schon weit vorangeschritten auf dem »Weg zum Abgrund«. Und er nimmt einmal mehr die jüdische Gemeinschaft ins Visier, die in »kritikloser Solidarität« verharre, weil sie mit ihren auch durch »Holocaust«-Erinnerungspolitik nicht zu lösenden »Identitätsproblemen« nicht zu Rande komme.
 
http://www.jungefreiheit.de/jf.htm Ausgabe: 24/07 08. Juni 2007
Siehe auch »Eine neue Pro-Israel-Lobby für die USA? »Christliche Zionisten« wollen beweisen, daß allein Juden über das Land zwischen Mittelmeer und Jordan herrschen sollen«     von Knut Mellenthin sowie »Israels Ziel ist die Auflösung der palästinensischen Nation! Offener Brief gegen die israelische Kriegsführung« auf politonline