Die Bundeswehr in Afghanistan

Die Bundeswehr in Afghanistan »Dass US-Soldaten in Guantánamo, in Abu Ghraib und Bagram systematisch schweren Völker- und Menschenrechtsrechtsbruch begehen, ist zweifelsfrei dokumentiert. Noch nicht herumgesprochen hat sich hingegen, wie Jürgen Rose schon letztes Jahr schrieb 1, dass auch die Bundeswehr bei ihrem Einsatz im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan fortwährend Völkerrechtsverstösse begeht. Konkret geht es um den Kampfeinsatz deutscher Sanitätssoldaten an der Waffe, um die dortigen Feldlager der multinationalen Truppen zu sichern. Eine Praxis, wie sie durch das ?Humanitäre Völkerrecht in bewaffneten Konflikten? strikt untersagt wird. Dieses ?Kriegsvölkerrecht?, wie es oft verkürzt genannt wird, ist in den vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahr 1977 kodifiziert. Die politische Verantwortung für die Missachtung dieser Normen liegt beim BRD-Bundesverteidigungsministerium und dem in Völkerrechtsfragen federführenden Auswärtigen Amt. Dort freilich wird unisono behauptet, die Bundeswehr leiste in Afghanistan einen reinen Friedenseinsatz - deshalb dürfe das Sanitätspersonal, wie in jeder heimischen Kaserne auch, durchaus zum Wachdienst eingeteilt werden.

.« Trotz der in Afghanistan unausgesetzt vor sich gehenden Massaker - die Zahl der Getöteten ist mörderisch hoch und das Wort Gefangennahme scheint für immer der Versenkung anheimgegeben - reagiert Berlin auf den zunehmenden Unmut am westlichen Besatzungsfiasko in Afghanistan mit Durchhalteparolen und neuen PR-Projekten 2: >Während die Zustimmung der Bevölkerung zum Bundeswehreinsatz weiter schwindet und staatsfinanzierte Medien auf Distanz zur Bundesregierung gehen, schlagen Aussenpolitiker der Regierungspartei CSU die Einsetzung eines Afghanistan-Koordinators vor. Er soll im Bundeskanzleramt gegenüber der deutschen Öffentlichkeit die Kriegführung ‚vermitteln’ und der Intervention, die als alternativlos dargestellt wird, neue Akzeptanz verschaffen. Das Berliner Vorgehen erinnert an Taktiken aus der Zeit, als sich eine frühere deutsch-amerikanische Kriegsniederlage abzuzeichnen begann: Das Desaster der Intervention in Vietnam. Die damaligen Kämpfe wurden nicht nur von deutschen Unternehmen für Kriegsgeschäfte genutzt, sondern auch von bundesdeutschen Söldnern in erheblichem Umfang unterstützt. Als das Scheitern der transatlantischen Aggression absehbar wurde, zögerte Bonn den unvermeidlichen Rückzug mit jahrelangen Durchhalteparolen hinaus - nicht anders als heute. Hintergrund der CSU-Forderung nach Installierung eines Afghanistan-Koordinators ist die zunehmende Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Umfragen zufolge sprechen sich inzwischen fast zwei Drittel der deutschen Bevölkerung gegen die Militärintervention aus; auch die Haltung Berlins im afghanischen Geiseldrama findet demnach keine Mehrheit mehr. Die »kleinen Erfolge« am Hindukusch machten »die Rückschläge nicht wett«, heisst es bei der Deutschen Welle: »Selbst wenn es der Bundesregierung in diesen Wochen gelingen sollte, der unangenehmen Frage nach dem Sinn des gesamten Afghanistan-Einsatzes trickreich auszuweichen - die Frage wird sich garantiert schon bald von neuem stellen.« Wie die CSU-Aussenpolitiker Christian Schmidt und Karl Theodor zu Guttenberg in einem Strategiepapier fordern, soll die Bundesregierung einen Afghanistan-Koordinator bestellen - mit einem eigenen Arbeitsstab im Bundeskanzleramt. Der Koordinator soll die Afghanistan-Aktivitäten der unterschiedlichen deutschen Stellen »strategisch bündeln«, heisst es mehr als fünf Jahre nach Beginn der aussichtslosen Militärexpedition. Insbesondere komme ihm auch »die wichtige Aufgabe zu, das deutsche Engagement in Afghanistan nach aussen in seiner Gesamtheit darzustellen«. Die Forderung nach einer Bündelung der Kriegsbeteiligung folgt zunehmenden Differenzen innerhalb der Regierungskoalition, die sich nicht länger verborgen halten lassen. Die Situation erinnert an Ereignisse der 1960er und 1970er Jahre, die den Krieg in Vietnam begleiteten, den Rückzug aber letztlich nicht verhindern konnten. Damals waren nicht nur deutsche Unternehmen, sondern auch deutsche Soldaten in erheblichem Umfang in die Kämpfe verwickelt - und später von der schweren Niederlage der westlichen Interventionstruppen betroffen.< Lehren werden ganz offenbar nie gezogen, was die Worte des deutschen Grünen-Politikers und Joseph-Fischer-Vertrauten Tom Koenigs, der seit Februar 2006 UN-Sondergesandter für Afghanistan ist, bekunden. Dieser warnte vor einem Abzug deutscher Truppen und mahnte 3: »Wir werden zusätzliche Unterstützung benötigen«, ohne konkret eine Aufstockung der deutschen Truppen Präsenz zu verlangen. Dafür ist das deutsche Gemüt noch nicht reif. Das lässt sich ändern. Im Stil des grünen Fanatismus für Menschenrechtskriege erklärte Koenigs, unabdingbar sei vor allem die Durchsetzung des Rechtsstaats - doch hoffentlich nicht nach US-Muster ! - notfalls mit militärischen Mitteln. Für die UNO komme es in der gegenwärtig schwierigen Phase darauf an, dass die Partnerländer und vor allem Deutschland »energisch den Kurs halten«. Wie Jaap de Hoop Scheffer kürzlich in der Financial Times erklärte, schadet die Anzahl der bei den Kämpfen zwischen der westlichen Militärallianz und den Taliban ums Leben gekommenen Zivilisten dem Ansehen der NATO. Durch die »smart bombs«, also kleinere Bomben, soll nun die Zahl der zivilen Opfer gesenkt werden. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass weiterhin Unschuldige getötet werden, stellte de Hoop Scheffer klar. Für jeden ersichtlich: Von Gewissen, Menschlichkeit oder Mitleid ist kaum eine Spur auszumachen.


 

Wie Rainer Rupp in der Jungen Welt 4 schreibt, versammeln sich derzeit unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen über 600 afghanische und pakistanische Stammesführer zu einem grossen Ratschlag in Kabul. Die viertägige Zusammenkunft war von eifrigen US-Propagandisten im Vorfeld »Friedens-Dschirga« getauft worden. Auf die Initiative Washingtons hin sollen in der afghanischen Hauptstadt Wege gefunden werden, um die Grenzprovinzen zu Pakistan für US- und NATO-Soldaten sowie deren Helfer sicherer zu machen. Kurz vor Beginn sagte jedoch einer der wichtigsten Akteure in der Region, Pakistans Präsident Pervez Musharraf, seine Teilnahme wegen »anderer dringender Verpflichtungen« ab. Berichten aus Islamabad zufolge erwägt der General, ein »enger Verbündeter« der US-Regierung, den Notstand beziehungsweise das Kriegsrecht auszurufen. Dies wird mit der angespannten Lage im ganzen Land, insbesondere aber in den quasi autonomen Stammesgebieten im Nordwesten zur afghanischen Grenze begründet. Die Aussicht auf die Ausrufung des Notstands hat die pakistanische Opposition bereits in Aufruhr versetzt. Zugleich warnen Experten, dass eine solche Massnahme zur Bekämpfung der islamischen Fundamentalisten denkbar ungeeignet ist. So ist es nicht verwunderlich, dass kein einziger Führer der paschtunischen Stämme in Pakistans Nordwesten der Einladung zur Dschirga in Kabul nachgekommen ist. Aber ausgerechnet sie sind aus US-amerikanischer Sicht der Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Bekämpfung der Taliban, die zwischen den Kämpfen in Afghanistan Zuflucht für Ruhepausen jenseits der Grenze finden. In jüngster Zeit hat die Regierung von US-Präsident George W. Bush deshalb Musharraf massiv unter Druck gesetzt: Entweder er sorge für Ordnung in den Stammesgebieten oder das US-Militär werde das selbst erledigen. Allerdings haben Washingtons Drohungen, die Souveränität Pakistans anzugreifen, die Nationalisten in Militär und Gesellschaft gegen den »amerikanischen Lakaien« Musharraf aufgebracht. »Wenn sich Afghanistan und Pakistan zusammenschliessen, werden wir die Unterdrückung gegen beide Staaten in einem Tag besiegen können«, schwärmte Hamid Karsai laut AFP bei der Eröffnung der Dschirga am 9. 8. 07. Wegen der Abwesenheit des pakistanischen Staatschefs und insbesondere der pakistanischen Paschtunenstämme werden der Dschirga jedoch kaum Chancen beigemessen, die »Herzen und Köpfe« der einheimischen Bevölkerung für die westlichen Besatzer zu gewinnen. Zumindest solange nicht, wie die US-Armee ohne Rücksicht auf die lokale Zivilbevölkerung weiterbombt. Laut der International Herald Tribune vom 9.8. hat ein ranghoher britischer Militär in der afghanischen Provinz Helmand seine amerikanischen Waffenbrüder aufgefordert, ihre Sondereinheiten aus der Region abzuziehen. Grund: Die Amerikaner rufen bei jedem Problem nach Luftunterstützung - mit der Folge von vielen zivilen Opfern. Das mache es schwierig, so der namentlich nicht genannte Kommandeur, die örtliche Bevölkerung zu gewinnen. Allein in Helmand sind der Zeitung zufolge in diesem Jahr fast 300 Zivilisten getötet worden. Die meisten von US- und NATO-Soldaten und »nicht von den Taliban«.


 

Was das Schicksal von Bundeswehrsoldaten betrifft, so schreibt die Spatzseite 5: Und so kann der Deutsche Bundestag mit seinem Verteidigungsminister für drei Millionen € und mehr ein Kriegerdenkmal für diejenigen Soldaten vorbereiten, die in Übersee die Interessen der amerikanischen Finanzelite - einschliesslich deren Rauschgiftbasis (in Afghanistan) - durchzusetzen beziehungsweise zu schützen haben und dabei fallen.


 

1 http://www.freitag.de/2006/13/06130601.php Jürgen Rose - Die Sanitäter und das Maschinengewehr; Die Ost-West-Wochenzeitung vom 31.3.06. Der Autor, Dipl. Päd. Jürgen Rose, ist Oberstleutnant der Bundeswehr

2 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56957 - 09.08.2007  9.8.07 Perspektivlos


Alle Hervorhebungen durch politonline

3 http://www.jungewelt.de/2007/07-25/057.php 25.7.07 Zweite Angriffswelle - Von Arnold Schölzel

4 Quelle: http://www.jungewelt.de/2007/08-10/048.php 10.8.07 Pantomime in Kabul - Binationale »Friedens-Dschirga« soll für USA und NATO Stammesgebiete befrieden. Karsai schwärmt vom »Ende der Unterdrückung«, Musharraf denkt über Kriegsrecht nach - Von Rainer Rupp


5 http://spatzseite.de/20070617.htm  17.6.07