Die Bundeswehr in Afghanistan 11.08.2007 11:59
Die Bundeswehr in Afghanistan
»Dass US-Soldaten in Guantánamo, in Abu Ghraib und Bagram systematisch schweren Völker- und Menschenrechtsrechtsbruch begehen, ist zweifelsfrei dokumentiert. Noch nicht herumgesprochen hat sich hingegen, wie Jürgen Rose schon letztes Jahr schrieb 1, dass auch die Bundeswehr bei ihrem Einsatz im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan fortwährend Völkerrechtsverstösse begeht. Konkret geht es um den Kampfeinsatz deutscher Sanitätssoldaten an der Waffe, um die dortigen Feldlager der multinationalen Truppen zu sichern. Eine Praxis, wie sie durch das ?Humanitäre Völkerrecht in bewaffneten Konflikten? strikt untersagt wird. Dieses ?Kriegsvölkerrecht?, wie es oft verkürzt genannt wird, ist in den vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahr 1977 kodifiziert. Die politische Verantwortung für die Missachtung dieser Normen liegt beim BRD-Bundesverteidigungsministerium und dem in Völkerrechtsfragen federführenden Auswärtigen Amt. Dort freilich wird unisono behauptet, die Bundeswehr leiste in Afghanistan einen reinen Friedenseinsatz - deshalb dürfe das Sanitätspersonal, wie in jeder heimischen Kaserne auch, durchaus zum Wachdienst eingeteilt werden.
.« Trotz der in Afghanistan unausgesetzt
vor sich gehenden Massaker - die Zahl der Getöteten ist mörderisch hoch und das
Wort Gefangennahme scheint für immer der Versenkung anheimgegeben - reagiert Berlin auf
den zunehmenden Unmut am westlichen Besatzungsfiasko in Afghanistan mit
Durchhalteparolen und neuen PR-Projekten
2: >Während die Zustimmung der Bevölkerung zum
Bundeswehreinsatz weiter schwindet und staatsfinanzierte Medien auf Distanz zur
Bundesregierung gehen, schlagen Aussenpolitiker der Regierungspartei CSU die
Einsetzung eines Afghanistan-Koordinators vor. Er soll im Bundeskanzleramt gegenüber
der deutschen Öffentlichkeit die Kriegführung ‚vermitteln’ und der
Intervention, die als alternativlos dargestellt wird, neue Akzeptanz verschaffen. Das Berliner Vorgehen erinnert an
Taktiken aus der Zeit, als sich eine frühere deutsch-amerikanische
Kriegsniederlage abzuzeichnen begann: Das Desaster der Intervention in Vietnam.
Die damaligen Kämpfe wurden nicht nur von deutschen Unternehmen für
Kriegsgeschäfte genutzt, sondern auch von bundesdeutschen Söldnern in erheblichem
Umfang unterstützt. Als das Scheitern der transatlantischen Aggression absehbar
wurde, zögerte Bonn den
unvermeidlichen Rückzug mit jahrelangen Durchhalteparolen hinaus - nicht anders
als heute. Hintergrund der CSU-Forderung nach Installierung eines Afghanistan-Koordinators
ist die zunehmende Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Umfragen
zufolge sprechen sich inzwischen fast zwei Drittel der deutschen Bevölkerung
gegen die Militärintervention aus; auch die Haltung Berlins im afghanischen Geiseldrama
findet demnach keine Mehrheit mehr. Die »kleinen Erfolge« am Hindukusch machten »die Rückschläge nicht wett«, heisst es bei der Deutschen Welle: »Selbst wenn es der
Bundesregierung in diesen Wochen gelingen sollte, der unangenehmen Frage nach
dem Sinn des gesamten Afghanistan-Einsatzes trickreich auszuweichen - die Frage wird sich garantiert schon
bald von neuem stellen.« Wie die CSU-Aussenpolitiker Christian Schmidt und Karl Theodor zu
Guttenberg in einem Strategiepapier fordern, soll die Bundesregierung einen
Afghanistan-Koordinator bestellen - mit einem eigenen Arbeitsstab im
Bundeskanzleramt. Der Koordinator soll die Afghanistan-Aktivitäten der
unterschiedlichen deutschen Stellen »strategisch bündeln«, heisst es mehr als fünf Jahre nach Beginn der aussichtslosen Militärexpedition.
Insbesondere komme ihm auch »die wichtige Aufgabe zu, das deutsche Engagement in Afghanistan nach aussen
in seiner Gesamtheit darzustellen«. Die Forderung nach einer Bündelung der Kriegsbeteiligung folgt
zunehmenden Differenzen innerhalb der Regierungskoalition, die sich nicht
länger verborgen halten lassen. Die Situation erinnert an Ereignisse der 1960er
und 1970er Jahre, die den Krieg in Vietnam begleiteten, den Rückzug aber
letztlich nicht verhindern konnten. Damals waren nicht nur deutsche
Unternehmen, sondern auch deutsche Soldaten in erheblichem Umfang in die Kämpfe
verwickelt - und später von der schweren Niederlage der westlichen
Interventionstruppen betroffen.< Lehren werden ganz offenbar nie gezogen,
was die Worte des deutschen Grünen-Politikers und
Joseph-Fischer-Vertrauten Tom Koenigs, der seit Februar 2006 UN-Sondergesandter
für Afghanistan ist, bekunden. Dieser warnte vor einem Abzug deutscher Truppen
und mahnte 3: »Wir werden
zusätzliche Unterstützung benötigen«, ohne konkret eine Aufstockung der
deutschen Truppen Präsenz zu verlangen. Dafür ist das deutsche Gemüt noch nicht
reif. Das lässt sich ändern. Im Stil des grünen Fanatismus für
Menschenrechtskriege erklärte Koenigs, unabdingbar
sei vor allem die Durchsetzung des Rechtsstaats - doch hoffentlich
nicht nach US-Muster ! - notfalls mit militärischen Mitteln.
Für die UNO komme es in der gegenwärtig schwierigen Phase darauf an, dass die
Partnerländer und vor allem Deutschland »energisch den Kurs halten«. Wie Jaap de Hoop Scheffer
kürzlich in der Financial Times
erklärte, schadet die Anzahl der bei den Kämpfen zwischen der westlichen
Militärallianz und den Taliban ums Leben gekommenen Zivilisten dem Ansehen der
NATO. Durch die »smart bombs«,
also kleinere Bomben, soll nun die Zahl der zivilen Opfer gesenkt werden.
Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass weiterhin Unschuldige
getötet werden, stellte de Hoop Scheffer klar. Für jeden ersichtlich: Von Gewissen, Menschlichkeit oder Mitleid ist
kaum eine Spur auszumachen.
Wie Rainer Rupp in der Jungen Welt 4
schreibt, versammeln sich derzeit unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen über
600 afghanische und pakistanische Stammesführer zu einem grossen Ratschlag in Kabul.
Die viertägige Zusammenkunft war von eifrigen US-Propagandisten im Vorfeld
»Friedens-Dschirga« getauft worden. Auf die Initiative Washingtons hin sollen
in der afghanischen Hauptstadt Wege gefunden werden, um die Grenzprovinzen zu
Pakistan für US- und NATO-Soldaten sowie deren Helfer sicherer zu machen. Kurz
vor Beginn sagte jedoch einer der wichtigsten Akteure in der Region, Pakistans
Präsident Pervez Musharraf, seine Teilnahme wegen »anderer dringender
Verpflichtungen« ab. Berichten aus Islamabad zufolge erwägt der General, ein »enger Verbündeter« der
US-Regierung, den Notstand beziehungsweise das Kriegsrecht auszurufen. Dies
wird mit der angespannten Lage im ganzen Land, insbesondere aber in den quasi autonomen
Stammesgebieten im Nordwesten zur afghanischen Grenze begründet. Die Aussicht
auf die Ausrufung des Notstands hat die pakistanische Opposition bereits in
Aufruhr versetzt. Zugleich warnen Experten, dass eine solche Massnahme zur
Bekämpfung der islamischen Fundamentalisten denkbar ungeeignet ist. So ist es
nicht verwunderlich, dass kein einziger Führer der paschtunischen Stämme in
Pakistans Nordwesten der Einladung zur Dschirga in Kabul nachgekommen ist. Aber
ausgerechnet sie sind aus US-amerikanischer Sicht der Dreh- und Angelpunkt
einer erfolgreichen Bekämpfung der Taliban, die zwischen den Kämpfen in
Afghanistan Zuflucht für Ruhepausen jenseits der Grenze finden. In jüngster
Zeit hat die Regierung von US-Präsident George W. Bush deshalb Musharraf massiv
unter Druck gesetzt: Entweder er sorge für Ordnung in den Stammesgebieten oder das
US-Militär werde das selbst erledigen. Allerdings haben Washingtons Drohungen,
die Souveränität Pakistans anzugreifen, die Nationalisten in Militär und
Gesellschaft gegen den »amerikanischen Lakaien« Musharraf aufgebracht. »Wenn
sich Afghanistan und Pakistan zusammenschliessen, werden wir die Unterdrückung
gegen beide Staaten in einem Tag besiegen können«, schwärmte Hamid Karsai laut
AFP bei der Eröffnung der Dschirga am 9. 8. 07. Wegen der Abwesenheit des
pakistanischen Staatschefs und insbesondere der pakistanischen Paschtunenstämme
werden der Dschirga jedoch kaum Chancen beigemessen, die »Herzen und Köpfe« der
einheimischen Bevölkerung für die westlichen Besatzer zu gewinnen. Zumindest
solange nicht, wie die US-Armee ohne Rücksicht auf die lokale Zivilbevölkerung
weiterbombt. Laut der International
Herald Tribune vom 9.8. hat ein ranghoher britischer Militär in der
afghanischen Provinz Helmand seine amerikanischen Waffenbrüder aufgefordert,
ihre Sondereinheiten aus der Region abzuziehen. Grund: Die Amerikaner rufen bei
jedem Problem nach Luftunterstützung - mit der Folge von vielen zivilen Opfern.
Das mache es schwierig, so der namentlich nicht genannte Kommandeur, die
örtliche Bevölkerung zu gewinnen. Allein in Helmand sind der Zeitung zufolge in
diesem Jahr fast 300 Zivilisten getötet worden. Die meisten von US- und
NATO-Soldaten und »nicht von den Taliban«.
Was das Schicksal von Bundeswehrsoldaten
betrifft, so schreibt die Spatzseite 5:
Und so kann der Deutsche Bundestag mit seinem Verteidigungsminister für drei Millionen € und mehr ein
Kriegerdenkmal für diejenigen Soldaten vorbereiten, die in Übersee die
Interessen der amerikanischen Finanzelite - einschliesslich deren Rauschgiftbasis
(in Afghanistan) - durchzusetzen beziehungsweise zu schützen haben und dabei
fallen.
1 http://www.freitag.de/2006/13/06130601.php Jürgen Rose - Die Sanitäter und das Maschinengewehr; Die Ost-West-Wochenzeitung
vom 31.3.06. Der Autor, Dipl. Päd. Jürgen
Rose, ist Oberstleutnant der
Bundeswehr
2 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56957
- 09.08.2007
9.8.07 Perspektivlos
Alle Hervorhebungen durch politonline
3 http://www.jungewelt.de/2007/07-25/057.php
25.7.07 Zweite Angriffswelle - Von Arnold Schölzel
4 Quelle: http://www.jungewelt.de/2007/08-10/048.php
10.8.07 Pantomime in
Kabul - Binationale »Friedens-Dschirga« soll für USA und NATO Stammesgebiete
befrieden. Karsai schwärmt vom »Ende der Unterdrückung«, Musharraf denkt über
Kriegsrecht nach - Von Rainer Rupp
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