Wie grosse Goldreserven will der Stimmbürger? - von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich 26.10.2014 23:16
Ist die Volksinitiative «Rettet unser Schweizer Gold» wirklich «unnötig, schädlich und ganz
und gar
unerwünscht», wie dies Bundesrätin Widmer-Schlumpf und der Finanzdirektor des
Kantons Zug in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 8. Oktober 2014 behaupten?
Die
laufende Diskussion über die Goldreserven ist nicht neu. Seit dem II. Weltkrieg
gab es etliche «Goldabstimmungen», die es wert sind, wieder in Erinnerung
gerufen zu werden. Bereits im Jahr 1949 gab es politisch eine ganz ähnliche
Situation wie heute. Es ging um eine neue Währungsverfassung und insbesondere
um die Art und Zusammensetzung der Währungsreserven. Bundesrat und Parlament
entwarfen damals in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Nationalbank einen
Währungsartikel für die Bundesverfassung, der die Zusammensetzung der
Währungsreserven offenlassen wollte. Der vorgeschlagene Artikel 39 Absatz 6
sollte wie folgt lauten: «Der Bund kann die Banknoten und andere gleichartige
Geldzeichen als gesetzliche Zahlungsmittel erklären. Er bestimmt Art und Umfang
der Deckung.» Wäre dieser Artikel angenommen worden, hätte das Parlament die
gesetzlichen Voraussetzungen schaffen können, um vor allem US-Dollars als
Währungsreserve zu halten, wie es die USA den am Bretton-Woods-System
beteiligten Ländern nahelegte. Dies war möglich, weil die Banknoten nicht mehr
in Gold einlösbar waren. Die neue Währungsverfassung war im Parlament und in
den Medien unbestritten. Der Bundesrat, der National- und der Ständerat
stimmten fast einstimmig zu. Einzig die beiden der Freigeldbewegung
nahestehenden Nationalräte stimmten dagegen. Umso mehr überraschte die Antwort
der Stimmbürger: Am 22. Mai 1949 verwarfen 61,5 % der Bürger und 20 ½ von 22 Ständen die Vorlage. Der Grund war klar:
Die deutliche Mehrheit der Stimmbürger lehnte es ab, die Art und die
Zusammensetzung der Währungsreserven dem Bund, das heisst den Politikern und
der Nationalbank, zu überlassen. Grosse Teile der Bevölkerung wünschten, die Goldreserven in der
Bundesverfassung verankert zu sehen.
Die
Schweizerische Nationalbank, der Bundesrat und das Parlament lernten die
Lektion aus dieser Abstimmung. Sie arbeiteten eine neue Vorlage aus. Darin
hiess es in Absatz 7: «Die ausgegebenen Banknoten müssen durch Gold und
kurzfristige Guthaben gedeckt sein.» Allerdings waren die Banknoten auch jetzt
nicht einlösbar. Verschiedene National- und Ständeräte brachten zum Ausdruck,
dass das Gold als Vorsorge für den Katastrophenfall diene. Der Sprecher der
vorberatenden Kommission Renold erklärte dies am 22. Juni 1950 im Nationalrat
wie folgt: «Zwar sind die Noten bis auf weiteres nicht einlösbar. Hingegen
bleibt das Gold für weiteste Kreise der Bevölkerung mit der Notendeckung
verknüpft. Insbesondere ist es die Golddeckung, nach der die Währung am
häufigsten beurteilt wird. […] Bei den gegenwärtigen unausgeglichenen
internationalen Wirtschafts- und Währungsverhältnissen ist es für ein Land von grosser
Wichtigkeit, über einen ausreichenden Goldbestand zu
verfügen. […] Wo dazu in einem Land noch Vorschriften über eine
Mindestgolddeckung bestehen, scheint mir, wird damit auch eine grössere Gewähr
geboten, dass ein Goldvorrat im entsprechenden Masse geäufnet und gehalten
wird.»
Ja zu mehr
Goldreserven am 15. April 1951 Am 15.
April 1951 sagten 71 % der
Stimmenden und alle Kantone ›Ja‹ zur neuen
Währungsverfassung, die dem Gold wieder ein grösseres Gewicht gab und
damit entsprechende Weichen stellte. In den folgenden 15 Jahren äufnete die
Nationalbank die Goldreserven von etwa 800 Tonnen auf bis 2600 Tonnen. Sie kaufte das Gold für 4500
Franken je Kilogramm und hielt an dieser Bewertung bis vor wenigen Jahren fest.
Volkswirtschaftlich hat die Schweiz das Gold aus den Ertragsbilanzüberschüssen
jener Jahre finanziert, weil sie mehr Güter und Dienstleistungen exportierte
als importierte. Dahinter standen Hunderte Millionen von Arbeitsstunden der Bevölkerung.
Diese vom Volk gestützte Währungspolitik hat zweifellos zum guten Ruf des
Schweizer Frankens beigetragen. Sie hat die Exportindustrie über die Jahre
gestärkt, weil diese gelernt hat, sich auch mit einem starken Franken auf den
internationalen Märkten zu behaupten. Auch die Kantone wurden gestärkt, weil
sie nicht – wie heute – ständig mit Nationalbankgewinnen rechnen konnten,
sondern auf ihre eigene Kraft vertrauten.
Unterlaufen des
Volkswillens durch Bundesrat und Parlament Das Weitere
ist bekannt: Die Goldreserven blieben bis vor wenigen Jahren unangetastet, bis
eine Expertenkommission sie als «überschüssig» erklärte und die Nationalbank
sie danach im Einvernehmen mit Bundesrat und Parlament zu mehr als die Hälfte
verkaufte. Dies geschah allerdings, ohne die Stimmbürger zu fragen, ob
sie mit dem Verkauf von Volksvermögen einverstanden seien, und ohne
breite Debatte mit dem Volk, wie sie am Anfang der 1950er Jahre stattgefunden
hatte. Die Rechtsgrundlage lieferte die neue Bundesverfassung von 1999, von der
der Bundesrat vor der Abstimmung tatsachenwidrig behauptet hatte, sie
sei nur nachgeführt und sprachlich überarbeitet worden, und sie enthalte
inhaltlich nichts Neues. Der Protest des Volkes gegen dieses Vorgehen und gegen
die einsetzenden massiven Goldverkäufe äusserte sich nicht nur in Leserbriefen,
sondern auch in zwei Volksabstimmungen. Am 22. September 2002 blockierten die
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Verteilung des Verkaufserlöses. Sie sagten
›Nein‹ zum Vorschlag der Regierung und des Parlaments, das Geld in eine
Solidaritätsstiftung einzubringen, und auch ›Nein‹ zum Vorschlag
einer Volksinitiative, das Geld für die Altersversorgung zu verwenden.
Goldreserven statt
riskanter Devisen Vor diesem
Hintergrund haben einige Bürgerinnen und Bürger die Volksinitiative «Rettet
unser Schweizer Gold» gestartet und über 100?000 Unterschriften gesammelt. Der US-Dollar war inzwischen von
Franken 4,37 [im Jahr 1949, dem Jahr der ersten Goldabstimmung] auf heute unter
90 Rappen gesunken, und der Goldpreis war von damals 4.500 Franken bis vor
kurzem gegen 50.000
Franken das Kilo gestiegen. Die Nationalbank hält heute gemäss ihrer Bilanz für
etwa 460 Milliarden
Franken Devisen, etwa die Hälfte davon in Euro und ein Viertel in US-Dollar.
Diese Währungen sind mit erheblichen Risiken verbunden. Ihnen gegenüber stehen
heute deutlich weniger als 10 % Goldreserven. Diese gigantische Menge von
risikobehafteten Währungen kann mit gutem Grund als «überschüssig»
bezeichnet werden. Es macht nun wirklich Sinn, mit einem Teil dieser
Überschüsse nicht nur Aktien, wie es heute bereits geschieht, sondern auch Gold
zu kaufen.
Ja zur Goldinitiative Wenn die
Goldinitiative am 30. November von Volk und Ständen angenommen wird, wird die
Nationalbank die Goldreserven in Absprache mit dem Volk wieder aufstocken. Das
Gold hat noch jede Währungskrise und jede Währungsreform überlebt. Ich halte
die Regel, dass die Nationalbank im heutigen System mindestens 20 % der Aktiven
in Gold hält [wie die Initianten es verlangen], für massvoll. Sie ist eine
Versicherung für den Katastrophenfall und stärkt auch die Nationalbank, falls
diese – von innen oder auch von aussen – unter Druck gesetzt wird. [1]
Wem gehören die
Goldreserven? Sind die
Währungs- und Goldreserven, wie das derzeit weltweit beobachtet werden kann,
vor allem eine Manipuliermasse, über welche die Politiker frei verfügen können,
oder Volksvermögen? Dieser Frage geht Ulrich Schlüer nach. Sie kann beantwortet
werden, wenn Rechenschaft darüber abgelegt wird, wie Währungsreserven,
insbesondere Goldreserven, überhaupt entstehen. In den werthaltigen
Währungsreserven, zu welchen heute weitgehend nur noch die Goldreserven zählen,
spiegelt sich der Fleiss, der Erfindergeist, der Pioniergeist, die
Leistungsbereitschaft sowie die Leistungskraft eines jeden Volkes.
Währungsreserven entstehen aus über eine lange Frist hinweg erzielten
Wirtschaftserfolgen, also aus der von den Bürgern des Landes als Arbeitgeber,
Arbeitnehmer sowie als Unternehmer erarbeiteten Leistung. Damit lässt sich die
Frage, wer Besitzer der Währungsreserven, insbesondere der werthaltigen
Goldreserven ist, klar beantworten: Währungsreserven sind Volksvermögen.
Der Nationalbank anvertraute Währungsreserven verpflichten diese Bank, unter
umsichtiger Verwaltung alles zu unternehmen, dass die eigene Währung solide
bleibt; Goldreserven sind das sichtbare Ergebnis eines jahrzehntelangen, durch
Fleiss und Pioniergeist erbrachten Wirtschaftserfolgs. Goldreserven stellen zu
keiner Zeit eine Manipuliermasse für Politiker dar, die damit auf der Weltbühne
pokern wollen. Sie bilden das unverzichtbare Fundament für einen stabilen und
soliden Franken, und eine gesunde Währung ist ein wesentlicher Pfeiler der
Stabilität des Landes und seiner Volkswirtschaft. Keine Regierung ist legitimiert,
über die Köpfe der Bürger hinweg über die
Währungsreserven des eigenen Landes zu verfügen. Währungsreserven,
insbesondere die wertbewahrenden Goldreserven, sind nicht dazu geschaffen
worden, auf dass Politiker auf der Weltbühne damit pokern können. Währungsreserven
gehören dem Volk. Sie bilden die Basis einer stabilen Währungs- und
Wirtschaftsordnung und sind somit die Voraussetzung für einen auch in Zukunft
zu erzielenden Wirtschaftserfolg.
«Überschüssige» Reserven? Kleinstaaten
wie die Schweiz können keine Machtmittel einsetzen, wenn eine Überschuldung die
Bankrott-Gefahr heraufbeschwört. Kleinstaaten benötigen in ausreichendem
Ausmass werthaltige Währungsreserven, damit sie auf der Basis einer soliden
Währung Wirtschaftserfolg und Wohlstand sichern und mehren können. Kleinstaaten
sind also stärker als grosse Staaten davon abhängig, dass die Währungsreserven -
derzeit insbesondere die Goldreserven - intakt bleiben. Das wohl unbedachteste
von einem Notenbanker je ausgesprochene Wort war dasjenige von den angeblich
«überschüssigen Goldreserven», das Ende der Neunzigerjahre den Ausgangspunkt zu
überstürzten Verkäufen zu miserablem Preis bildete. Ein Kleinstaat, der
Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit auch in schwierigen Zeiten bewahren
will, kann eigentlich nie über genug werthaltige Reserven – also Goldreserven –
verfügen. Zehn Jahre nach dem vorschnellen unüberlegten und unter Erpressung
erfolgten Verkauf von mehr als der Hälfte der Goldreserven dürfte das heute
selbst der Nationalbank-Führung sehr wohl bewusst geworden sein.
Voraussetzungen für
Interventionen Mit der
Gold-Initiative soll der Nationalbank zwar keinesfalls verwehrt werden,
notfalls auf den Währungsmärkten zugunsten des Frankens zu intervenieren.
Solche Interventionen sind allerdings der alleinigen Zielsetzung zu
unterstellen, die Stabilität der eigenen Währung im Interesse der Schweiz zu
erhalten. Niemals darf sich die Nationalbank dazu verführen lassen, gleichsam
als Retterin einer durch bestimmte Faktoren, die von der Schweiz nicht
beeinflusst werden können, ins Rutschen geratenen fremden Währung auf der
Weltbühne glänzen zu wollen. Fakt ist, dass die Nationalbank, deren Aufgabe es
ist, über die Währungsreserven des Landes zu wachen, ausreichende werthaltige
Währungsreserven in genügendem Umfang benötigt. Zugunsten des Schweizer
Frankens ist sie auf den Währungsmärkten einzig und allein dann handlungsfähig,
wenn sie über einen beeindruckenden Vorrat an Goldreserven verfügt. Die
Substanz hinter einer Intervention entscheidet, ob eine Intervention
erfolgreich oder erfolglos ist. Deshalb muss der Kleinstaat Schweiz, wenn er
eine eigenständige, nachdrücklich das Interesse des eigenen Landes vertretende
Währungspolitik betreiben will, über ausreichende Goldreserven verfügen. Und
die für die Nationalbank Verantwortlichen haben sich immer vor Augen zu halten,
dass Goldreserven - wie alle anderen
Währungsreserven - Volksvermögen sind. [2]
[1] http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1931 Zeit-Fragen
Nr. 26 vom 21. 10. 14
[2] http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/wem_gehoeren_die_goldreserven-1983 Der aktuelle Freitags-Kommentar der
«Schweizerzeit» vom 24. Oktober 2014 von Ulrich Schlüer, Chefredaktor der
«Schweizerzeit»
|