Ein Mord mit Kalkül - Von Jürgen Elsässer 06.01.2008 16:50
Nach dem Mord an Oppositionsführerin Benazir Bhutto am 27. 12. 07 starben in Pakistan bei landesweiten Unruhen mindestens 23 Menschen. Die Demonstranten stürmten auch am darauffolgenden Tag die Büros der Regierungsparteien und riefen lautstark nach dem Rücktritt des »Mörders« - des Staatspräsidenten Pervez Musharraf. Derweil gibt es im Mainstream von Politik und Medien zwei Versionen über die Drahtzieher der Bluttat. Die US- Bundespolizei FBI verkündet, daß sich Al Qaida zu dem Selbstmordanschlag bekannt habe. Die Hauptquelle für diese Theorie, ein Interview des vordem unbekannten Qaida-Sprechers Abu Al Yazid gegenüber der kleinen italienischen Agentur Adnkronos International, ist jedoch fragwürdig. Wahrscheinlicher ist die zweite Version. Demnach wurde das Attentat von Musharraf nahestehenden Sicherheitskreisen in Auftrag gegeben.
Diese
Theorie wird unter anderem durch den früheren Geheimdienstchef Hamid Gul gestützt,
der sich angesichts des Tathergangs wunderte: »Wie konnte man durch den
Polizeikordon schlüpfen? Ich bin überrascht.« Tatsächlich ist es schwer
vorstellbar, daß sich am Kundgebungsort - inmitten der Garnisonsstadt
Rawalpindi, in der es von Militärs und Polizisten wimmelt - irgendein
Bewaffneter Frau Bhutto nähern konnte, ohne daß er Helfer hatte. Die
Darstellung der pakistanischen Behörden, wonach ein Einzeltäter zunächst auf
Bhutto geschossen und dann eine Bombe gezündet habe, wird durch erste
Agenturberichte dementiert: Demnach detonierte der Sprengsatz etwa 50 Meter von
Bhuttos Wagen entfernt, also nicht am Körper des Schützen. Was Musharraf
vorgeworfen wird, ist die Verweigerung von Sicherheitsmaßnahmen für Bhutto,
nachdem sie einem ersten Anschlag am 19. Oktober nur knapp entgangen war. Wenn
ihr wieder etwas passieren sollte, »würde ich Musharraf verantwortlich machen«,
soll Bhutto hinterher geschrieben haben. Aber auch diese Schuldzuweisung ist zu
prüfen. So soll das Zitat aus einem e-mail stammen, die Bhutto Ende Oktober 07
an einen gewissen Mark Siegel geschickt hat - angeblich ihr »Freund« und
»Sprecher« in den USA. Veröffentlicht wurde es erst jetzt von CNN-Frontmann
Wolf Blitzer, der lange Jahre für das American Israel Public Affairs Committee
gearbeitet hat - die wichtigste Organisation der allzeit kriegsbereiten
Neokonservativen. Außerdem hat er vor einigen Wochen Bhutto eine Art
Machtteilung angeboten: Sie solle nach ihrem wahrscheinlichen Wahlsieg
Premierministerin werden, er bliebe Präsident.
Andererseits
hat es für bestimmte US-Kreise durchaus Sinn, Musharraf durch Mordvorwürfe zu
diskreditieren. Zwar war der Autokrat nach dem 11. September 2001 ein
verläßlicher Verbündeter des Westens. Doch spätestens seit er in seiner
Autobiographie im Jahr 2006 enthüllte, daß die USA sein Land »in die Steinzeit
zurückbomben« würden, falls er ihnen nicht zu willen sei, sind seine Aktien in
Washington steil gefallen. Der demokratische Präsidentschaftskandidat
Barack Obama und der Neocon-Stratege Frederik Kagan haben bereits offen ein
militärisches Eingreifen der US-Army in Pakistan gefordert, um »Chaos« zu
verhindern. Dieses Chaos ist jetzt eingetreten. Nicht zu vergessen: Der
als Strippenzieher des Bhutto-Mordes vom FBI verdächtigte Ayman Al-Zawahiri
steht seit langem im Verdacht, ein Mann der US-Geheimdienste zu sein. Der
Versuch von US-Streitkräften, ihn im Jahre 2005 in Afghanistan zu verhaften,
wurde »von dem damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in letzter
Minute abgebrochen«, berichtete die New
York Times im Juli 2007.
Anmerkung
von politonline
d.a. Es gibt fast keinen Anschlag mehr, der nicht sofort Al Qaida
angelastet würde. Insofern müsste diese Organisation ein
Ausmass an Potential besitzen, das dem der
westlichen Geheimdienste in jeder Weise gleichkäme, was allerdings zweifelhaft
ist, wodurch das Ganze langsam eine lächerliche Note gewinnt, die jedoch weder
den Urhebern der Meldungen noch der Presse zu schaffen macht. Ebenso anzuzweifeln
ist die Authentizität der immer wieder auftauchenden Video-Botschaften, vor
allem wenn sie von Osama bin Laden stammen sollen, selbst wenn sie in letzter
Zeit wenigstens mit dem Etikett »mutmasslich« versehen werden. Was den
Mord an Bhutto betrifft, so sei hier der Inhalt eines Artikels des bekannten Autors
F. William Engdahl auszugsweise wiedergegeben 1: Dieser schreibt, dass es eines professionellen
Geheimdiensttrainings bedarf, um zu gewährleisten, dass der Auftrag erledigt
und niemand, der eine Verbindungen zu den Dahinterstehenden ermöglichen könnte,
lebend gefasst wird. Engdahls Frage, was hinter dem Mord an Bhutto steht, befasst
sich mit dem Zeitpunkt, zu dem es schien, als würde ihre Partei einen
durchschlagenden Erfolg bei den für den 8. Januar geplanten Wahlen erringen,
wodurch das diktatorische Regime Musharrafs eine von den Massen getragene Herausforderung
erlitten hätte. Dessen ungeachtet war auch die Regierung Musharraf schnell
dabei, Al Qaida für das Attentat verantwortlich zu machen: Musharraf war sich sicher, dass Al Qaida der
Täter war, obwohl er auf Druck Washingtons hin Scotland Yard gebeten hat, bei
den Untersuchungen behilflich zu sein. Auch in einer Fernsehansprache am 3. 1. gab
er seiner Überzeugung Ausdruck, dass Al Quaida Benazir Bhutto zur Märtyrerin
machte; er nannte Musharraf Baitullah
Mehsud - ein militanter, das pakistanische Militär bekämpfender Stammesführer -
der angeblich über Verbindungen zu Al Qaida und den Taliban verfüge, was dieser
in Abrede stellte. Indem Musharraf Al Qaida mit dem Mord in Verbindung bringt,
erreicht er mehrere Ziele. Erstens stärkt er dadurch den Mythos Al Qaida selbst,
was für Washington in Zeiten wachsender globaler Skepsis hinsichtlich der
echten Absichten hinter dem Krieg gegen den Terror äusserst zweckmässig ist.
Zweitens ergibt sich dadurch für Musharraf ein plausibler Sündenbock, welchem
er die Schuld an der passenden Eliminierung der ernstzunehmenden Rivalin geben kann,
wodurch seine Ein-Mann-Regierung gefestigt wird. Bemerkenswert ist der Fakt,
dass Musharrafs Regime eine Routineautopsie ablehnte. Bhutto hatte die
Regierung offen angeklagt, eine Folgeuntersuchung der Vorgänge des
Bombenattentats vom Oktober, dem sie beinahe zum Opfer gefallen wäre und bei dem
134 ihrer Gefolgsleute getötet wurden, zurückzuweisen. Laut Bhutto gewährten
ihr die Behörden nur ungenügenden Schutz. Sie deutete ferner an, dass diese in
den Anschlag in Karachi verwickelt gewesen sein könnten. Vor ihrem Tod machte
sie in einem englischen Fernsehinterview klar, dass sie das pakistanische
Militär und die Geheimdienste von korrupten islamistischen Elementen »reinigen«
würde. In demselben, von David Frost geführten Interview liess sie die
explosive Neuigkeit verlauten, dass der afghanische Talibanführer Sheikh Omah
Bin Laden vor einiger Zeit getötet hätte, was die angeblichen Bin Laden Terrorvideos
zur Fälschung machte. Tage nach dem Mord an Bhutto veröffentlichten die
pakistanischen Behörden ein Photo, das angeblich den abgetrennten Kopf des
Selbstmordattentäters zeigte. Abgetrennte Köpfe, so Engdahl, können weder
sprechen noch peinliche Dinge aussagen. Die Manöver der Bush-Cheney-Administration
zur Stärkung ihrer politischen Kontrolle über Pakistan sind seit Monaten bekannt.
Letztere soll den Weg dafür bereiten, den »Krieg gegen den Terror« in der
Region zu vertiefen. Gut unterrichtete Geheimdienstquellen erklären, dass es hinter
der Szene einen zynischern Handel zwischen Washington und Musharraf gab. Dieser
ist dafür bekannt, Cheneys bevorzugter Partner zu sein und Cheney, so wird uns
gesagt, ist der einzige Mann, der heute die Pakistanpolitik der USA bestimmt.
Falls Musharraf damit einverstanden wäre, US Special Forces in Pakistan zu
stationieren, so könnte der »Plan B«, die demokratische Farce mit Bhutto,
zugunsten der fortgesetzten Alleinherrschaft Musharrafs beiseite geschoben
werden; Washington würde dann »ein Auge zudrücken«. Am 28. Dezember, dem Tag nach der
Ermordung Bhuttos, berichtete die Washington Post, dass
erwartet würde, dass die US Special Forces früh zu Beginn des Jahres 2008 ihre
Anwesenheit in Pakistan erheblich vergrössern. Dies als Bestandteil der Bestrebung,
einheimische, gegen die Aufständischen gerichtete Kräfte sowie geheime Gegenterror-Einheiten
unter dem zentralen Kommando der USA und des Kommandos für spezielle
US-Operationen auszubilden und zu unterstützen, was einen bedeutenden Wandel in
den Beziehungen zwischen der USA und Pakistan darstellt. Bislang haben sich
Musharraf und seine Armee geweigert, eine solche direkte Kontrolle der USA
zuzulassen.
Strategic
Alert vom 3. Januar 2008 [Jahrg. 22, Nr. 1] sieht die Ermordung Bhuttos als
Teil einer britischen Operation für globales Chaos und schreibt, dass
man den Mord als regelrechte »Chaos-Operation« charakterisieren kann. »Die
britische Hand dahinter ist deutlich zu erkennen, aber die Briten operierten
mit vielen Gruppen, in allen Fraktionen und auf allen Seiten des Konflikts, die
mit parallelen, aber auch widersprüchlichen Zielen arbeiteten. Die Motive
hinter dem Bhutto-Mord sind globaler, nicht regionaler Natur. Teile der
britischen Oligarchie wollen die gesamte Weltlage in ein heilloses Chaos verwandeln.
Das hat mehr mit dem Finanzkrach zu tun als mit irgendwelchen internen Aspekten
der Politik in Südwest- oder Südasien. Es gibt Fraktionen in der Londoner City
und deren Verbündete, die verstehen, daß das gegenwärtige Finanzsystem dem
Untergang geweiht ist und bereits mit zunehmender Geschwindigkeit kollabiert.
Sie betrachten dies als das »Endspiel« und wollen nun entscheiden, wer überlebt
und wer untergeht. Sie nutzen den Terrorismus als Waffe, um Chaos anzurichten und so
sicherzustellen, daß sie den Kollaps überstehen.
1 http://www.jungewelt.de/2007/12-29/062.php
29. 12. 07 Ein Mord mit Kalkül - Von Jürgen Elsässer 2 http://www.mai2.eu/
4.1.08 Bhutto’s Assassination: Who Gains? By F. William Engdahl
Alle Hervorhebungen durch politonline
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