Ausrichtung auf den Countdown: Wollen wir wirklich den Dritten Weltkrieg? -Von Helga Zepp-LaRouche

Bis auf die Aufnahme Georgiens und der Ukraine gab der NATO-Gipfel in Bukarest sämtlichen Forderungen der Kriegspartei um George Bush und Gordon Brown nach und machte damit einen Riesenschritt in Richtung einer Konfrontation mit Rußland. Wer auch immer die Idee hatte, den größten Nato-Gipfel aller Zeiten in dem modernen und superhässlichen Turmbau zu Babel in Bukarest, dem nach dem Pentagon mit 364 000 Quadratmetern zweitgrößten Gebäude der Welt, stattfinden zu lassen, hat vermutlich einen makabren Sinn für Humor.

Denn der monströse Bau, den die rund 3000 offiziellen Delegierten des Gipfels und ebenso viele Journalisten nur zu einem Drittel nutzten, wurde nach den Wünschen des größenwahnsinnigen rumänischen Diktators Ceausescu errichtet, der allerdings gestürzt und hingerichtet wurde, bevor er ihn einweihen konnte. Unbestätigten Gerüchten zufolge war es die alteingesessene PR-Firma Dracula LTD, die die gesamte Organisation des Mega-Events - von der Promotion und Dekoration bis hin zum Catering vor allem der vorzüglichen Getränke - übernommen hatte, einschließlich des graphischen Designs der bewährten Feuerschrift an der Wand beim Gala-Diner zu Ehren der Erinnerung an Belsazar und seinen rumänischen Nachfolger. 

 Doch Ironie beiseite. Denn der NATO-Gipfel in Bukarest [2.4. bis 4.4.08], der die NATO ihrem Wesen nach in eine imperiale globale Organisation transformieren sollte, ist nur ein Element in einer atemberaubenden Eskalation der strategischen Lage. Vor dem Hintergrund des täglich eskalierenden Finanzkollapses versucht die Finanzoligarchie des Britischen Empire, die Hauptgegner des anglo-amerikanischen Empire ins Chaos zu stürzen. Dazu gehört die orchestrierte und gewalttätige Kampagne gegen China ebenso wie die unerbittliche britische Kampagne gegen Rußland und Putin persönlich, als auch der Versuch, Simbabwe wieder unter koloniale Kontrolle zu bringen. Dabei ist offensichtlich, daß es die Geostrategen hinter dieser globalen Politik der Provokation in Kauf nehmen oder sogar beabsichtigen, daß sich in Ländern wie China, Rußland, Indien und anderen ein enormer Wutfaktor gegen London und Washington aufbaut. Wenn nicht umgehend eine völlig andere Politik auf die Tagesordnung gesetzt wird, droht ein neuer Weltkrieg, der furchtbarer zu werden droht als die Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts. Auf diesem Gipfel wurde die gesamte imperiale Tagesordnung - mit Ausnahme der Aufnahme Georgiens und der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt‹ - von allen NATO-Mitgliedern unterstützt. Dazu gehört die Aufnahme Kroatiens und Albaniens ebenso wie die Reintegration Frankreichs in die NATO, die Stationierung von Raketenabwehrsystemen und Radaranlagen in Polen und der Tschechischen Republik, die Verstärkung der NATO-Truppen in Afghanistan um 700 französische Soldaten, die Integration der militärischen Strukturen der NATO und der EU gemäß den Direktiven des Vertrags von Lissabon und - unbestätigten Medienberichten zufolge - hinter den Kulissen auch die Debatte und Verständigung über neue Strategiepapiere wie das der fünf ehemaligen Generalstabschefs, das den Ersteinsatz von Atomwaffen auch zur präventiven Konfliktvermeidung überall auf der Welt vorsieht.

Der Blick auf die Landkarte läßt keinen Zweifel daran, daß die NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine als Ausdruck der Einkreisungsstrategie gegenüber Rußland ebenso wie die Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien die Sicherheitsinteressen Rußlands massiv verletzen. Rußland hatte im Vorfeld vor den katastrophalen Konsequenzen dieser Entwicklungen gewarnt. Acht Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und Frankreich, hatten sich gegen die Aufnahme Georgiens und der Ukraine ausgesprochen. Und obwohl Bush von der negativen Haltung dieser acht wußte, versprach er bei seinem Besuch in Kiew zwei Tage vor dem Bukarest-Gipfel die baldige Aufnahme der Ukraine. Kanzlerin Merkel, die sich nach Ansicht von Spiegel- Online zu einer ausgekochten Spielerin auf dem NATO-Feld gemausert hat, überzeugte Präsident Bush angeblich von dem Kompromiß, daß die beiden Länder nicht zu diesem Zeitpunkt aufgenommen würden. Wieviel dieser Kompromiß wert ist, verdeutlichte Frau Rice in einem Presse-Briefing, als sie sagte, es sei nur »eine Frage wann, nicht ob« diese beiden Nationen aufgenommen würden. Präsident Putin verdeutlichte die russische Sicht der Dinge in einer einstündigen Pressekonferenz in Bukarest, in der er betonte, daß das Entstehen eines mächtigen Militärblocks an den Grenzen Rußlands als direkte Bedrohung der nationalen Sicherheit verstanden würde. Erklärungen, daß dies keine Bedrohung darstelle, seien nicht ausreichend, zumal man dies vor jeder Ausweitung schon gehört habe. Putin warf der NATO vor, Unklarheiten über die künftige Rolle des Bündnisses nicht auszuräumen, sowie die Absicht, zu einem weltweiten Akteur zu werden, der weit über das Territorium seiner Mitgliedstaaten hinausreicht. Trotz dieser klaren Worte kommentierte Frau Merkel, die NATO sei gegen niemanden gerichtet, schon gar nicht gegen Rußland. Dieses Ignorieren des Widerstands und die Politik der permanenten Druckerhöhung beleuchtet die böswillige Absicht der Strategen hinter dieser Politik. Rußland  - und in anderer Hinsicht China - werden so lange provoziert und unter Druck gesetzt, bis sie an die Grenze des Erträglichen gelangen und dann zu Reaktionen schreiten, die die Empire-Fraktion schon einkalkuliert hat. US-Vizepräsident Cheney hat es vor Jahren schon öffentlich formuliert, daß man niemals erlauben werde, daß eine Nation oder eine Gruppe von Nationen auch nur in die Nähe der wirtschaftlichen und militärischen Macht der USA gelangen würde. Genau zu einem Zeitpunkt, an dem sich die amerikanische Finanzkrise zu einer Depression der Realwirtschaft steigert, beschreibt der Londoner Economist in einem 14-seitigen Sonderteil über die Zukunft der amerikanischen Außenpolitik einerseits den Niedergang der USA und andererseits Rußland und vor allem China als die großen Rivalen für das 21. Jahrhundert. Andere Berichte verschiedener Investmenthäuser variieren lediglich darin, wann China und bald danach Indien die USA zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht überholen werden. Derselbe Economist hatte bereits am 3. Februar 2007 eine Artikelserie unter dem Titel Britannia Redux begonnen, in der der Anspruch erhoben wurde, daß die Zeiten, in denen Großbritannien  der kranke Mann Europas war, vorüber seien und daß London nun im Zuge der Globalisierung wieder das rechtmäßige Hauptquartier der Macht sei. Bei dieser Vorstellung spielte sicher die Tatsache, daß rund 80 % aller Hedgefonds ihr Hauptquartier auf den Cayman-Islands und damit in einer britischen Kronkolonie haben, eine wesentliche Rolle. Man könnte eine lange Reihe weiterer Hinweise dafür anbringen, daß das Britische Empire in der Tat entschlossen ist, aus dieser Systemkrise als dominierender Faktor hervorzugehen und dabei sowohl die USA als auch das in das EU-Korsett eingezwängte Kontinentaleuropa als Vasallen ins Reich zu inkorporieren. Die strategische Partnerschaft zwischen Rußland, China und Indien soll dabei zerstört und dann jede dieser Nationen, nachdem sie isoliert und in territoriale Konflikte verwickelt worden sind, zerschlagen werden.

Kriegsszenarien der Sunday Times

Wenn es für diese Analyse noch eines Beweises bedurft hätte, dann ist er in einem erstaunlichen Artikel in der Sunday Times vom 30. März mit dem Titel Tibet ist eine Sache, aber Spannungen zwischen Indien und China versprechen größeres Desaster zu finden. Der  Autor preist zunächst den genialen Schachzug von George W. Bush, Indien auf die Seite der USA gezogen zu haben (was in Indien allerdings genau umgekehrt als massiver Druck und geopolitische Manipulation gesehen wird). Dann beschreibt er die Spannungen zwischen China und Indien über den indischen Staat Arunachal Pradesh südlich von Tibet, auf den auch China Anspruch erhebt, und über Aksai Chin, einem ebenfalls dünn besiedelten Gebiet auf einem Hochplateau im Himalaja nordöstlich von Kaschmir, auf das auch Indien Anspruch erhebt. Für China ist Aksai Chin aber sehr wichtig, weil es dort die höchstgelegene Autobahn der Welt gebaut hat, die die Verbindung von Tibet nach Xinjiang viel schneller macht, als dies über die nördliche Route möglich wäre. Der Autor verschweigt, daß es gerade diese Grenzfragen waren, die China und Indien in den letzten Jahren bewußt ad acta gelegt hatten.

Nun gehören Arunachal Pradesh und Aksai Chin ebenso wie Tibet und Kaschmir zu den Gebieten, über die Großbritannien nach dem Ende seiner Herrschaft in Indien die Kontrolle behalten hatte, genau um später Spielraum für ethnische und territoriale Manipulationen zu haben. Die gleiche Politik verfolgte London mit dem Sykes-Picot-Vertrag über die Aufteilung Südwestasiens und dem Trianon-Vertrag für den Balkan, immer gemäß der Idee, Jahrhunderte alte ethnische Konflikte im Interesse des Empires zu schüren. Die Sunday Times elaboriert nun ein Szenario, wonach es nach dem Tod des Dalai Lama, der ja schon 73 Jahre alt ist, darüber zu Streitigkeiten zwischen der Chinesischen Zentralregierung und den Exil-Tibetanern kommen würde, wer denn nun die richtige Inkarnation des neuen Dalai Lama sei. China, so die Sunday Times, würde hart gegen die Aufständischen vorgehen. Aber - hier läßt der Schreiber die Katze aus dem Sack- wenn die chinesische Regierung als Folge eines wirtschaftlichen Niedergangs geschwächt sei und die Unruhen sich in ganz China ausbreiteten, dann würde es schwieriger, gegen die Tibetaner vorzugehen. Indien könnte sich dann im weiteren Verlauf für eine internationale Interventionstruppe einsetzen, selber Truppen entsenden oder ein Exil in Arunachal Pradesh anbieten. (In Wahrheit hat der indische Außenminister den Dalai Lama soeben gewarnt, daß er nur als religiöser, nicht aber als politischer Führer Exil in Indien behalten könne.) Wenn China dann als Folge der US-Krise tiefer in die Krise stürzte und auf die größten Unruhen seit 1989 mit einer Neubestätigung seiner nationalen Kontrolle reagieren würde, steigere dies die Spannungen mit Japan. Falls der Tod des Dalai Lama auch noch mit dem Tod von Kim Jong-Il von Nordkorea zusammenträfe, würde Japan vermehrt aufrüsten, unter diesen Umständen wüchsen die Spannungen zwischen China, Japan und den USA, und es könnte zu einem militärischen Schlagabtausch über Taiwan kommen. Und dann schreibt die Sunday Times: »An das warme Leuchten der Olympischen Spiele von 2008 würde man sich nur noch durch den dicken Nebel der Spannungen erinnern.«

Nicht nur Theorie

Viele Aspekte dieses Wahnsinnsszenarios in der besten Tradition der Geopolitik von Haushofer, Milner und Mackinder sind bereits operationell. Die Destabilisierung der westlichen Provinz Xinjiang durch in Pakistan terroristisch trainierte Uiguren ist in vollem Gang. Unruhen gab es auch schon in Sichuan. Der Plan, der sich hinter der ganzen Kampagne gegen China verbirgt, ist nichts weniger, als in Xinjiang einen feindlichen muslimischen Staat abzutrennen, ein Großtibet zu errichten, und China auf ein relativ kleines Gebiet zu reduzieren. Auch für Indien gibt es ähnliche Szenarios, die auf Konflikte zwischen Hindus, Sikhs, Muslimen, Tamilen etc abzielen. Als Sarkozy während des französisch-britischen Gipfels in London nicht nur die Entente Cordiale, sondern auch die kolonialistische Tradition der europäischen Kolonialmächte als Aktivposten für die heutige Rolle Europas in der Welt beschwor, war dies keineswegs nur Nostalgie. Hinter der britischen Kampagne gegen Mugabe steht nichts weniger als die Absicht, die Unabhängigkeit Südrhodesiens wieder rückgängig zu  machen. Es besteht auch kein Zweifel, daß die früheren Kolonialmächte wild entschlossen sind, die umfangreichen Abkommen Chinas und in zweiter Linie Rußlands in Afrika, Rohstoffe zu importieren und im Gegenzug Infrastruktur und industrielle Kapazitäten aufzubauen, zu brechen. Es gibt weiterhin Bestrebungen, Gordon Brown unter der Queen von England zum Außenminister des Commonwealth zu machen, dem heute 53 Nationen und 16 sogenannte realms angehören. Ebenso haben sich bereits Brown und Sarkozy für Tony Blair als ersten Präsidenten der EU eingesetzt, der dann gemäß dem Vertrag von Lissabon für eine Zeitspanne von zweieinhalb Jahren gewählt würde. Betrachtet man die Vernetzung der EU und der Nato, die bereits gemeinsame militärische Einsätze auf dem Balkan, vor der libanesischen Küste und im Falle der EU auch in Darfur unternimmt, welches Bild ergibt sich dann? Wenn es sich herausstellen sollte, daß sich der NATO-Gipfel in Bukarest wirklich das Strategiepapier der fünf Exgeneräle für globale Präventiveinsätze und den Ersteinsatz von Atomwaffen zu eigen gemacht hat, was bis zum Redaktionsschluß noch nicht eindeutig bestätigt werden konnte, dann befindet sich die Welt auf einer sehr kurzen Strasse in den Dritten Weltkrieg.

Ob Frau Merkel dies nun versteht oder nicht, wir erleben derzeit eine globale Ausrichtung (global alignment) auf eine Schlachtordnung für den kommenden Weltkrieg, bei dem das Britische Empire mit den Vasallen USA und Kontinentaleuropa mit Hilfe einer militarisierten EU-Diktatur und der NATO gegen Asien, insbesondere gegen Rußland, China und Indien ausgerichtet wird. Die Feuerschrift an der Wand war in Bukarest schon zu lesen. Wenn man versucht, den Gründen für den gegenwärtigen Prozeß auf die Spur zu kommen, stellt man fest, daß das Britische Empire, der primäre Autor dieser sich zuspitzenden Weltkrise, letztlich aus Verzweiflung und der daraus geborenen Tollheit handelt. In der ganzen Periode seit dem erfolgreichen Durchbruch der alliierten Streitkräfte 1944 in der Normandie hatten die anglo-holländischen Finanzkräfte, die die Fassade der britischen Monarchie gewissermaßen als venezianische Maske vor dem Gesicht tragen, nur einen brennenden Wunsch: Sie sahen es als ihre langfristige strategische Orientierung, die Nachkriegspläne Franklin D. Roosevelts, der 1945 zum falschen Zeitpunkt starb, auszuradieren, und die USA von innen her zu korrumpieren. Schließlich sollte nicht nur jegliche Erinnerung an das Vermächtnis der Amerikanischen Revolution, den amerikanischen Sieg über die konföderierten Marionetten des Lord Palmerston und den brillanten Sieg Präsident Roosevelts zunichte gemacht werden, sondern auch die Politik in der Tradition des Westfälischen Friedens auf der ganzen Welt beendet werden. Für die anglo-holländische Finanzoligarchie und ihre Komplizen im US-Establishment bedeutete dies vor allem, das amerikanische System der Politischen Ökonomie auszumerzen, mit Hilfe dessen die USA zur größten Wirtschaftsmacht wurde, die es je gegeben hat.

Heute ist diese britische oligarchische Absicht fast verwirklicht. Das gegenwärtige Weltfinanzsystem ist zu einem solchen Grade zerstört, daß die seit August 2007 eskalierende Zusammenbruchskrise das gesamte physische Weltwirtschaftssystem an den Rand eines Zustandes gebracht hat, der nur mit dem finsteren Zeitalter verglichen werden kann, der durch den Bankrott der venezianischen Lombard-Liga ausgelöst wurde. Die größte Furcht, die das Britische Empire bei seinen derzeitigen Kriegsplänen gegen Afrika und Asien umtreibt, ist die, daß gerade diese Aktionen die USA dazu bringen könnte, sich auf die Politik von FDR zu besinnen, wie dies 1932-33 geschah. Die Zwangslage der Briten besteht darin, daß es Geschwindigkeit, Umfang und Tiefe der gegenwärtigen globalen Finanzkrise den Kräften des Britischen Empires nicht gestatten, zu zögern. Der Impuls Londons und der mit ihm verbündeten Kräfte geht dahin, jetzt zu handeln, ungeachtet aller Risiken. Wir befinden uns in einer Lage, wo wir das Monster entweder jetzt besiegen - andernfalls werden die britischen Szenarien, die schon laufen, den ganzen Planeten in den Ruin treiben, und das Britische Empire mit dem Rest der Welt in den Abgrund stürzen. Es ist allerhöchste Zeit, dagegen die Zusammenarbeit zwischen Rußland, China, Indien und der USA in der Tradition von Franklin D. Roosevelt, des New Deal und eines Neuen Bretton Woods auf die Tagesordnung zu setzen.

Quelle: Neue Solidarität Nr. 15/2008