EU-Reformvertrag - Angriffe auf Tschechien

d.a. Der nachfolgende Beitrag sollte all denjenigen, die sich unentwegt für den Beitritt der Schweiz zur EU stark machen, »nachhaltigst« zu denken geben.

Václav Klaus bleibt im Streit um die Ratifizierung des Vertrags unnachgiebig. Am Rande eines Moskau-Besuchs schloß er am 14.10.09 aus, von seiner für die Unterschrift gestellten Bedingung abzurücken. Für ihn sei grundlegend, daß die »Beneš-Dekrete« zur Ausbürgerung und Enteignung der »Sudetendeutschen« nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Lissabon-Vertrag nicht ausgehebelt werden dürfen 1. Berlin hätte es durchaus in der Hand, die Einwände des tschechischen Staatspräsidenten zu entkräften; Klaus verlangt Garantien dafür, daß die EU-Menschenrechts-Charta, die mit dem Vertrag von Lissabon verbunden ist, nicht mißbraucht werden kann, um Eigentumsansprüche umgesiedelter Deutscher gegenüber der Tschechischen Republik - wie sie Sudetendeutsche immer wieder vortragen - zu stärken.
 
Diese Einstellung hatte bekanntermaßen scharfe Kritik zur Folge. Auch Barroso erhöhte laut BBC online vom 13. Oktober den Druck: Tschechien solle den Vertrag unterzeichnen und keine künstlichen Barrieren errichten. Worte dieser Art erscheinen im Vergleich zu denjenigen des deutschen Sozialdemokraten Jo Leinen geradezu als gemäßigt. Diese offenbaren für meine Begriffe nicht nur eine ungeheuerliche Anmaßung, sondern zeigen, inwieweit der Begriff Demokratie Geltung für ihn hat. Wie einem unter dem überaus passenden Titel Prager Fenstersturz von German Foreign Policy veröffentlichten Bericht vom 14. Oktober 09 zu entnehmen ist, »verlangt der EU-Parlamentarier ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten der Tschechischen Republik. Sollte Václav Klaus den Vertrag von Lissabon nicht unmittelbar ratifizieren, sobald eine positive Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts vorliegt, müsse Klaus aus dem obersten tschechischen Verfassungsorgan zwangsweise entfernt werden.«  
 
Das ist jedoch längst nicht alles: »Berichten zufolge«, so GFP ferner, »haben deutsche Diplomaten in Prag entsprechende Schritte bereits sondiert. Dabei soll auch die Entmachtung des Präsidenten mittels einer Änderung der tschechischen Verfassung diskutiert worden sein. Die Interventionen betreffen einen deutschen Nachbarstaat, dessen Verfassungsorgane nicht zum ersten Mal ins Fadenkreuz der Berliner Außenpolitik geraten. In Prag unvergessen und Ursache der Vorbehalte gegen den Lissabon-Vertrag sind die deutschen Expansionsbestrebungen, die vor 70 Jahren in einen Weltkrieg mündeten. Auch ohne Berücksichtigung der historischen Zusammenhänge reißt das deutsche Vorgehen demokratische Mindeststandards nieder, die während der Installierung des sogenannten Vertrags von Lissabon schon mehrfach ins Lächerliche gezogen wurden. Der jetzige Vertragsentwurf begünstigt den Umbau der EU zur global operierenden Militärmacht und stärkt die deutsche Hegemonie. Die massiven Einmischungsversuche werden in der Bundesrepublik von einer nationalistischen Medienkampagne gegen die Tschechische Republik begleitet. Wie die britische Presse berichtet 3, haben deutsche und französische Diplomaten bereits mit tschechischen Kollegen über Wege verhandelt, das Hindernis Klaus zu entfernen. Im Gespräch ist demnach außer einem Amtsenthebungsverfahren auch eine Änderung der tschechischen Verfassung, um die Rechte des Präsidenten zu beschneiden 3.
 
Mit den aktuellen Aktivitäten gegen Prag ergreift Berlin erstmals direkte Schritte zur Absetzung oder Entmachtung eines EU-Staatschefs, der deutschen Vorhaben nicht Vorschub leistet. Die Maßnahmen, die der staatlichen Souveränität Tschechiens Hohn sprechen, reißen erneut demokratische Mindeststandards in der EU ein. Bereits bei ihren bisherigen Schritten zur Durchsetzung des Vertragsentwurfs hat die Bundesregierung demonstriert, wie sie per Referendum (in Frankreich und den Niederlanden) abgelehnte Dokumente umdeklariert und inhaltsgleich neu zur Entscheidung vorlegen läßt. Zudem hat Berlin klargestellt, daß, sollte ein Referendum wie in Irland tatsächlich unvermeidlich sein, Abstimmungen wiederholt werden können, bis PR-Offensiven das gewünschte Ergebnis erbringen. Mit den jüngsten Interventionen in Prag stehen nun auch Verfassungsgesetze von EU-Mitgliedstaaten zur Disposition. Bereits vor Inkrafttreten des Vertragsentwurfes erweist sich damit eine häufig geäußerte Kritik an dem Dokument als zutreffend: daß durch die sogenannte europäische Integration die Souveränität der Mitgliedstaaten untergraben und dem Zugriff der westeuropäischen Hegemonialmächte geöffnet wird.«
 
Wie GFP berichtet, »wird das Ganze in der Bundesrepublik von vernichtenden Äußerungen über die politischen Eliten Tschechiens begleitet. So heißt es in den deutschen Medien wahlweise über Klaus, er beharre stur auf seiner Position oder wechsle unberechenbar seine Haltung. Aus dem ARD-Hörfunkstudio in Prag wird öffentlich verbreitet, Klaus sei ein Präsident in der Trotzphase, ein Populist und Nationalist, der sein holzschnittartiges Weltbild ganz unbelehrbar bewahre. Der Präsident, ein Überzeugungstäter und Egomane, sei Schuld daran, daß Tschechien als Tollhaus Europas dastehe, behauptet die Korrespondentin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über ihr Gastland und über dessen Staatsoberhaupt. Vor allem aber seien sein Feindbild (...) die Deutschen4 «.
 
Auf der Hand liegt, daß, sofern man auf den von Jo Leinen gebrauchten Begriff eines Amtsenthebungsverfahrens zurückkommen will, all diejenigen zwangsweise entfernt gehörten, die ihre Stimme auf die dargelegte Weise erheben. 
 
1 http://www.jungewelt.de/2009/10-15/038.php  15. 10. 09
2 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57646 14.10.2009
Prager Fenstersturz, Numero Vier
3 Germans seek to oust Czech president Václav Klaus over EU treaty; The Sunday Times 11.10.2009
4 Christina Janssen: Ein Präsident in der Trotzphase; www.tagesschau.de 10.10.2009