Libyen

d.a. Wenig Aufsehen erregte bislang ein von den US-Neocons bereits am 25. Februar an Obama gerichteter öffentlicher Appell,

in dem 44 frühere Mitglieder der US-Administration, so auch Paul Wolfowitz, Elliot Abrams, Eliot Cohen, Max Boot, William Kristol, Robert Kagan, John Podhoretz und Randy Scheunemann, eine Militärintervention gegen Libyen forderten. »Das libysche Volk, die Völker des Nahen Ostens und der Welt verlangen eine klare Führerschaft der USA.« Offenbar haben die Unterzeichner noch immer nicht erfasst, welche Vernichtungsspuren eine solche Führerschaft in der Regel zu hinterlassen droht. »Eindeutig und offensichtlich ist«, schreibt Knut Mellenthin hierzu 1, »dass die Neokonservativen die Zeit für gekommen halten, um sich nach einer langen Pause wieder kollektiv zu Wort zu melden.« In der Erklärung werden die nachfolgenden Forderungen erhoben: Herstellung einer militärischen Präsenz im libyschen Luftraum, um dort ein Flugverbot durchzusetzen und um dort, soweit erforderlich, andere Operationen durchzuführen; Verlegung von Kriegsschiffen in die libyschen Küstengewässer, um eventuelle Evakuierungen zu unterstützen und die Fähigkeit zu Angriffen gegen die Marine des Landes zu haben; Beschlagnahme aller Vermögenswerte der libyschen Regierung in der USA und in Europa; Unterbrechung der Einfuhr von libyschem Öl; Abgabe einer klaren Stellungnahme, dass Gaddafi und Mitglieder seines Führungskreises damit rechnen müssen, vor ein internationales Tribunal gestellt zu werden. Schnellstmögliche Bereitstellung humanitärer Hilfe für die libysche Bevölkerung.
 
Indessen führen, wie einem Bericht von Rainer Rupp zu entnehmen ist 2, die Spitzenvertreter des Pentagons und des US-Aussenministeriums internationale Bedenken und die fehlende Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats als Rechtfertigung für ein Nichteingreifen an, auch wenn Obama die Lage in Libyen inzwischen als eine ungewöhnliche und ausserordentliche Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten dargestellt hat. Man fragt sich, ob noch irgendein Vorgang auf diesem Globus, der nicht gerade US-kompatibel ist, nicht sofort als Bedrohung der USA eingestuft wird, was, nüchtern betrachtet, stets eine Art von Vorläufer für eine allfällige Kriegshetze darstellt. Noch berufen sich Robert Gates und Hillary Clinton auf das Völkerrecht, das der Einrichtung einer Flugverbotszone im Weg stünde. »Als hätte sich Washington«, so Rupp völlig zu Recht, »je an das Völkerrecht gehalten, wenn es galt, seine Interessen durchzusetzen.« Laut Ausführungen von Richard Haass, Chef der politisch einflussreichsten US-Denkfabrik The United States Atlantic Council in einem Artikel des Wall Street Journals vom 8. 2., läge der Grund des Nichteingreifens bei Al-Qaida. Zwar sei Gaddafi ein skrupelloser Despot, aber damit seien diejenigen, die sich ihm widersetzen, noch lange keine Demokraten, schreibt Haass. Selbst wenn einige unter den Opponenten wirkliche Demokraten seien, gebe es keinen Grund zu glauben, dass eine US-Hilfe bei der Beseitigung des Regimes dazu führen würde, dass diese Leute an die Spitze des neuen Staates kommen.« Die USA, so Haass, sollte sich daher auf keinen Fall militärisch in Libyen engagieren, weder direkt, noch indirekt durch die Lieferung von Waffen, auch nicht über Drittländer, selbst auf die Gefahr hin, dass Gaddafi als Sieger aus den derzeitigen  Unruhen hervorginge.
 
Einflussnahme
Es zeigt sich immer wieder, dass Aussenstehende danach trachten, ihren Interessen dienende Revolutionen vorauszuplanen und in Gang zu bringen, so auch in Libyen. Diesbezüglich ist ein Bericht in der jungen Welt durchaus aufschlussreich. Rainer Rupp 3 hat darin den Artikel der russischen Tageszeitung Prawda mit dem Titel Die libysche Opposition organisiert ihre Proteste von Washington aus zusammengefasst. Es geht um Ibrahim Sahad und die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL). Sahad ist Generalsekretär der NFSL. Unter seiner Führung wurde 2005 die National Conference of the Libyan Opposition (NCLO) in London gegründet, natürlich unter den wohlwollenden Augen der CIA und anderer westlicher Geheimdienste. Obwohl man in der NCLO anfangs sehr darum bemüht  war, jegliche Unterstützung durch Washington zu kaschieren, konnten die Verbindungen zu den US-Democracy-Kampfgruppen, die vornehmlich vom Aussenministerium der USA und den beiden grossen Parteien finanziert werden, nicht lange verborgen bleiben. Als Geheimdienstoffizier der Armee des libyschen Königs Idris I. (1890 -1983) hatte der aufstrebende junge Offizier Sahad in den 60er Jahren auch einige Zeit zur Ausbildung an der US-Militärakademie für Militäraufklärung in New Jersey verbracht. Es liegt nahe, dass er bei dieser Gelegenheit von den Amerikanern angeworben wurde. Als Oberst Muammar Al-Gaddafi im September 1969 die seit 1951 regierende britische Marionette Idris vom Thron stürzte, konnte sich Sahad behaupten und machte zunächst im Militär und dann im diplomatischen Dienst Karriere. Als seine Position zu stark gefährdet war, setzte er sich Anfang 1981 ab und schloss sich 1982 der NFLS an. Es war Sahads NCLO, die über moderne Kommunikationsmittel wie Twitter und Facebook die Libyer am 17. Februar zum »Tag des Zorns« aufrief, dem Beginn der Revolte. Die US-Medien, die bemüht waren, die Aufmerksamkeit von der unter zunehmendem Druck stehenden US-Marionettenregierung in Ägypten abzulenken, brauchten sich bequemerweise nur über die Westgrenze Ägyptens nach Bengasi zu begeben, um ins Zentrum des Aufstandes zu gelangen. Dort wurden sie von Sahads Männern, die fliessend englisch sprechen, in Empfang genommen und über alle Ereignisse informiert. Entsprechend voreingenommen und extrem einseitig, heisst es, ist die bisherige Berichterstattung der westlichen Konzernmedien ausgefallen. Sahad dagegen ist die ganze Zeit über in Washington geblieben, von wo aus er mit Unterstützung seiner US-Helfer versucht, Einfluss auf die Entwicklung und die Richtung der Rebellion in Libyen zu nehmen, was ihm bislang jedoch nur mit mässigem Erfolg gelang, sofern man das Schwenken monarchistischer Fahnen durch einige Rebellen als solchen ansieht. Die meisten libyschen Gegner Gaddafis befinden sich schon seit Jahrzehnten ausser Landes und haben so gut wie keine Kontakte zu den neuen Kräften der Opposition, die die Last des Kampfes tragen und sich auf keinen Fall ihre »Revolution« von den Amerikanern oder dem Westen stehlen lassen wollen. Obwohl Sahad wenig Rückhalt bei den Rebellen hat, gilt er vielen US-Medien als Sprecher der gesamten libyschen Opposition. Bei Fernsehinterviews präsentiert sich Sahad gern symbolträchtig mit dem Weissen Haus in Washington als Hintergrund. Zu vernehmen ist bei diesen Gelegenheiten von ihm nur stets ein und dasselbe: die Forderung nach einer militärischen Intervention des Westens in Libyen.
 
»Tatsächlich ziehen hinter einer Propagandanebelwand westliche Journalisten und Politiker gemeinsam die Fäden für einen neuen imperialistischen Krieg«, erklärt Prof. Stephen Cohen von der New York University 4. Wie schon bei den Vorbereitungen des US-Angriffskriegs gegen den Irak 2003 ist die New York Times (NYT) erneut Wortführerin einer hysterischen Kriegstreiberei, was Cohen dazu veranlasste, die NYT am 7. März in einem Interview mit dem Nachrichtensender Russia Today als »das offizielle staatliche Ministerium für Propaganda  und Desinformation der Regierung der Vereinigten Staaten« zu bezeichnen.  Cohen bezweifelt nicht den Willen eines grossen Teils der libyschen Bevölkerung, Ghaddafi loszuwerden. Nach seiner Ansicht wissen aber die Libyer genau, dass es ihnen sehr viel besser geht als ihren Nachbarn in Ägypten und Tunesien. Sie seien sich darüber im klaren, dass das Schlimmste, was ihnen passieren könnte, eine westliche Intervention wäre. Ihr Land mit den begehrten Ölvorräten würde dann zur Beute westlicher Konzerne und Kapitalinteressen. Was den Lebensstandard der Libyer betrifft, so hat das Land die niedrigste Kindersterblichkeitsrate in Afrika, das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Afrika - weniger als 5 % der Menschen hungern- und angesichts der steigenden Lebensmittelpreise in aller Welt schaffte die libysche Regierung alle Steuern auf  Lebensmittel ab.   
 
»Im Unterschied zu Ägypten und Tunesien«, legt Rainer Rupp 5 dar, »hat Libyen viel zu bieten, nämlich Gas und Öl. Letzteres ist von der ganz besonders feinen und leichten, auf den internationalen Märkten entsprechend begehrten Sorte. Deshalb drängt sich die selbsternannte internationale Gemeinschaft der imperialistischen Länder Amerikas und Europas geradezu auf, den Revolutionären in Libyen zu helfen und den Entwicklungen dort eine ihnen genehme Richtung in die freie Raubwirtschaft zu geben.« Jedenfalls haben die Anführer der libyschen Oppositionsgruppen, die sich inzwischen in Bengasi zum neuen  ›Nationalen Rat Libyens zusammengeschlossen haben, vor der Presse erklärt, dass sie bislang weder mit ausländischen Regierungen Kontakt aufgenommen, noch diese um Hilfe gebeten hätten. Eine Einmischung von aussen sei »höchst unwillkommen«, zitiert das in London erscheinende arabische Nachrichtenportal Al-Arabya den Sprecher.
 
Was den Aufstand und die Fülle der diesen betreffenden Nachrichten angeht, so weisen auch die folgenden, dem Artikel Die Welt jubelt während die CIA Libyen ins Chaos stürzt6 entnommenen Ausführungen auf Eingriffe von aussen hin: Die Unruhen, heisst es dort, brachen nicht wegen sekulärer Jugendlicher aus, die Veränderungen wollten, wie wir das in Ägypten oder Tunesien beobachten konnten. Vielmehr hatte eine Gruppe mit dem Namen Islamisches Emirat von Barka (der Name der früheren nordwestlichen Region von Libyen) mehrere Geiseln genommen und zwei Polizisten erschossen. Diese Entwicklung zeichnet sich nicht erst seit kurzem ab. Am 18. Februar stahl die Gruppe 70 Militärfahrzeuge, nachdem sie den Hafen angegriffen und vier Soldaten erschossen hatte. Der Aufstand begann bekanntlich in der östlich gelegenen Stadt Bengasi, was den italienischen Aussenminister dazu veranlasste, seine Besorgnis über ein mögliches Islamisches Emirat von Bengasi, welches sich als unabhängig erklären könnte, zu äussern. Woher kommt also das plötzliche Aufbegehren? Die Antwort liegt in der Tatsache, dass dieselben Gruppen, welche von der USA seit langem finanziert werden, nun die Chance ergreifen, die Kontrolle in ganz Libyen an sich zu reissen. Eine kürzlich verhaftete Gruppe bestand aus Dutzenden von Leuten ausländischer Nationalität, welche sich an Plünderungen und Sabotage beteiligt hatten. Die grösste Oppositionsgruppe, die Nationale Heilsfront Libyens, welche von Saudi-Arabien, der CIA und dem französischen Geheimdienst finanziert wird, ging inzwischen mit anderen Oppositionsgruppen zusammen und bildet nun [die bereits erwähnte] Nationale Konferenz der libyschen Opposition NCLO. Es ist auffällig, dass die Nationale Heilsfront Libyens gut bewaffnet ist. Schon 1996 hatte diese versucht, im östlichen Libyen eine Revolution anzuzetteln.
 
Warum steht die USA in solch starker Opposition zu Gaddafi? Er ist die Hauptbedrohung für die US-Hegemonie in Afrika, weil er versucht, den Kontinent zu vereinen und gegen die USA in Stellung zu bringen. Die USA und Israel haben kein Interesse an einer starken arabischen Welt. Vielmehr hat es den Anschein, als bestünde ein elementares Interesse an ihrem Plan darin, Libyen durch Anarchie und Chaos in die Knie zu zwingen. Ende letzten Jahres rüstete Grossbritannien Libyen noch mit lukrativen Waffenverkäufen auf. Ein blutiger Bürgerkrieg ist die beste Garantie für die Zerstörung Libyens. Die Stammesstruktur in der libyschen Gesellschaft ist immer noch sehr stark und daher nützlich für das Unterfangen, einen solchen Krieg zu entfachen und auszunutzen, denn historisch gesehen ist Libyen in verschiedene ethnische Gruppen geteilt. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn die derzeitigen Gewaltexzesse zu einer stabilen Demokratie führen würde, welche in der Lage wäre, das ganze Land zu kontrollieren. Das Land mit seinen 6 Millionen Einwohnern ist zweimal so gross wie Pakistan und zwischen vielen Städten liegen endlose Wüsten.
 
Sanktionen und Interventionen
Am 26. 2. hatte der UNO-Sicherheitsrat bekanntlich einstimmig eine Reihe von Sanktionen gegen das  Gaddafi-Regimes beschlossen und weitere Waffenlieferungen nach Libyen verboten. Nach der USA hat auch die EU Sanktionen in Form von Reiseverboten und Sperrung der Bankkonten verhängt; der deutsche Aussenminister hatte hier einen einmalig glänzenden Einfall: er plädierte dafür, zwar weiterhin Öl aus Libyen zu beziehen, es aber 60 Tage lang nicht zu bezahlen. Woraufhin Gaddafi weitere Lieferungen 60 Tage nach verspäteter Begleichung sicherlich prompt eingestellt hätte!
 
Wenig Gutes verspricht der Hinweis von militärischer Seite, dass Libyen für die europäischen Streitkräfte rasch und problemlos erreichbar sei. Einem Bericht der NYT zufolge, die sich auf ungenannte Regierungsmitarbeiter stützt, bereite man den Einsatz von Flugzeugen im internationalen Luftraum vor, mit denen die Funkkommunikation in Libyen gestört werden könne. Die beiden Angriffsschiffe Kearsarge und Ponce liegen bereits in Reichweite vor Tripolis. Eine Option sei auch, Sondereinsatztruppen einzuschleusen, um die Aufständischen zu unterstützen. Diese speziell ausgebildeten Einheiten könnten deren Kampfkraft praktisch über Nacht verbessern, so die NYT. Am 5./6. März prognostizierte US-Senator Kerry, dies im Gegensatz zu den von Richard Haass vorgebrachten Argumenten, Waffen würden »in den nächsten Wochen ihren Weg auf die eine oder andere Weise« nach Libyen finden. Der frühere Sicherheitsberater von US-Präsident George W. Bush, Stephen Hadley, forderte auf CNN, Waffenlieferungen an die Rebellen zuzulassen und der vormalige UN-Botschafter der USA, William Richardson, sprach sich dafür aus, die Rebellen »heimlich« mit Waffen zu versorgen. An der Evakuierung zahlreicher Mitarbeiter der BASF-Tochter Wintershall aus einem Ölfeld in der libyschen Wüste waren einem Pressebericht zufolge bewaffnete Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) beteiligt. Die Flüge der deutschen Luftwaffe zur Evakuierung starteten auf Malta; das EU-Mitglied Malta arbeitet seit 2008 mit der NATO im Rahmen des Programms Partnership for Peace zusammen. Am 8. März hatte dann Präsident Obama der Regierung Libyens mit einer Militärintervention gedroht, sollte die Gewalt nicht aufhören. Wie Rainer Rupp 7 festhält, hatte der Friedensnobelpreisträger zugleich versucht, »den Bürgerkrieg anzuheizen, indem er westlichen Agenturmeldungen zufolge Saudi-Arabien bat, die Rebellen mit panzerbrechenden und anderen Waffen aller Art zu versorgen. Am selben Tag musste der britische Aussenminister William Hague im Londoner Unterhaus eingestehen, dass eine schwer bewaffnete Spezialeinheit der britischen Armee, angeblich von einem Diplomaten ihrer Majestät begleitet, in der Nähe von Bengasi festgenommen wurde. Das unterstreicht, dass die westliche Aggression gegen Libyen längst begonnen hat.«  
  
Die NATO hat laut einem Bericht von Rüdiger Göbel 8 ihre Planungen für militärische Interventionen in Libyen offensichtlich abgeschlossen. Der Militärpakt sei zu einem Eingreifen bereit, erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am 7. März in Brüssel, ohne weitere Details zu nennen. Man habe jedoch nicht vor, ohne Mandat der UNO zu operieren. Man kann nur beten, dass diese UNO, die sich in der Regel unfähig zeigt, beabsichtigte Kriege resp. Krisen zu verhindern, dieses Mal entschlossen genug ist, einen weiteren Überfall auf eine fremde Nation abzuwenden. Rasmussen ferner: »Er könne sich nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos zuschauten, wenn Gaddafi und sein Militär weiterhin systematisch die libysche Bevölkerung angreifen. Diese weit verbreiteten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung können Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen, erklärte er.«  Und dies, so Göbel völlig richtig, nur sechs Tage, nachdem NATO-Truppen in Afghanistan wieder einmal Zivilisten bombardiert und dabei neun Kinder getötet hatten, die Feuerholz sammeln waren.  
 
Wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. Februar 9 zu entnehmen war, brächten Gaddafi und sein Clan systematisch prominente Oppositionelle in ihre Gewalt. Gaddafi hat offenbar bereits in der ersten Phase der Revolution reihenweise prominente oppositionelle Intellektuelle entführen und nach Tripolis verschleppen lassen. Unter den Entführten befindet sich allem Anschein nach auch eine Gruppe von Regimekritikern, die in Bengasi verhaftet wurden. Einer von ihnen ist Idris al Mismari, Literaturhistoriker, Publizist und einer der führenden politischen Aktivisten der älteren Generation, der mehrere Male im Gefängnis sass, die längste Zeit  von 1978 bis 1988, nachdem ihm vorgeworfen worden war, Kommunist zu sein.
 
Das Europäische Parlament hatte die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton bereits Anfang März gebeten, den UN-Sicherheitsrat zur Einrichtung einer Flugverbotszone zu drängen. Für eine solche hat sich das EP nun mit grosser Mehrheit am 10. 3. 11 in Strassburg ausgesprochen. Die Resolution enthält auch die Forderung, Beziehungen zum vorläufigen Nationalen Übergangsrat« in Libyen aufzunehmen. Eine Flugverbotszone stellt für den deutschen Bundesausschuss Friedensratschlag bereits eine Kriegshandlung dar, so dass vor einer Kriegseskalation im Fall einer NATO-Intervention in Libyen gewarnt wird. Der Ausschuss hat die Bundesregierung aufgefordert, sowohl in der NATO, in der EU und im UN-Sicherheitsrat allen Bestrebungen entgegenzutreten, die ein militärisches Eingreifen in dem nordafrikanischen Land zum Ziel haben. Es sei »unverständlich«, so Peter Strutynski vom Friedensratschlag, »weshalb der kürzlich vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez entworfene Friedensplan vom Westen übergangen wurde. Jedes militärische Eingreifen von aussen würde zusätzliches Öl ins Feuer giessen.« »Interventionsplanspielen der NATO oder der EU muss entschieden entgegengetreten werden«, so der Friedensratschlag. 10  Dennoch hat sich die Arabische Liga bei ihrem Sondergipfel zum Libyen-Konflikt für eine Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Land ausgesprochen. »Die Vereinten Nationen sollen ihre Verantwortung wahrnehmen und eine Flugverbotszone über Libyen einrichten«,  hiess es in einer Stellungnahme, die nach dem Treffen der Aussenminister der Liga veröffentlicht wurde. Nach Angaben des ägyptischen Staatsfernsehens haben sich alle, bis auf Syrien und Algerien, auf eine entsprechende Forderung an den UN-Sicherheitsrat geeinigt. »Es geht darum«, so der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa 11, »mit einer Flugverbotszone dem libyschen Volk in seinem Freiheitskampf gegen ein zunehmend menschenverachtendes Regime beizustehen.« Beim Gipfeltreffen der EU am 11. März bezeichnete er dies als eine humanitäre Aktion, von der er 22 Mitgliedstaaten überzeugen konnte. Eine Flugverbotszone, so die Einschätzung von Experten, wäre jedoch nur mit militärischer Gewalt durchsetzbar, denn hierbei müsste die Infrastruktur der libyschen Luftwaffe zerstört werden.
 
»Trotz politischer Dekolonisierung«, legt Hans Schelkshorn unter anderem dar 12,  »greift Europa bis heute unter dem Schutz des Desinteresses der Öffentlichkeit in neokolonialer Manier in die Politik der Maghreb-Staaten und des Vorderen Orients ein. Dazu kommen wirtschaftliche Verflechtungen, genauer, die unstillbare Gier der Industriestaaten nach Öl und Bodenschätzen, die Bedürfnisse der Waffenindustrie und die Interessen der Grossbanken, die bis heute bereitwillig die dem Volk abgepressten Milliarden übernehmen. Die privaten Beziehungen europäischer Politiker zu den arabischen Herrschern, die selbst noch während der bereits aufflammenden Kämpfe gepflegt wurden, machen auch im Format der Boulevardpresse deutlich, dass Europa alles andere als ein blosser Zuschauer in dieser weltgeschichtlichen Stunde der arabischen Welt ist. In der Zurückhaltung Europas gegenüber dem arabischen Freiheitskampf tritt daher eine seit langem bestehende Komplizenschaft mit arabischen Despoten zutage. Manche EU-Staaten entfernen sich in gefährlicher Weise von den Idealen eines demokratischen Rechtsstaates. Die Herrschaft von Parteien, die neofeudale Züge angenommen hat, und die Macht der Medienkonzerne unterminieren das Prinzip der Gewaltenteilung. So sind manche Staaten Europas zu Zerrbildern der Demokratie geworden; ihre Eliten gehören nicht zufällig zu den engsten Freunden der Despoten im Maghreb. Wenn die Steigerung der eigenen Wirtschaftsmacht zur alles bestimmenden Hauptagenda wird, fällt es nicht mehr schwer, sich in zweifelhaften Allianzen mit Diktatoren bequem einzurichten.«
 
 
1 http://www.jungewelt.de/2011/03-01/049.php
2 https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2011/03-10/018.php  Lektion gelernt? Chef von US-Denkfabrik warnt vor Einmischung in Libyen - Von Rainer Rupp
http://www.jungewelt.de/2011/03-09/048.php Gut vernetzt - Der Mann Washingtons für Libyen - Rainer Rupp
4 http://www.jungewelt.de/2011/03-09/049.php Desinformation: Strippenzieher hinter Nebelwand
5 http://www.jungewelt.de/2011/03-01/047.php  1. 3. 11 »Hilfe« aus Washington - Clinton bietet Aufständischen in Libyen Unterstützung an - die wollen davon aber nichts wissen. 
6 http://www.politaia.org/politik/die-welt-jubelt-wahrend-die-cia-libyen-ins-chaos-sturzt-david-rothscum/  4. 3. 11  Die Welt jubelt während die CIA Libyen ins Chaos stürzt - David Rothscum 7http://www.jungewelt.de/2011/03-09/047.php Treibende Kräfte -Ein russischer Fernsehsender belegt: Die »Berichterstattung« westlicher Medien über den Bürgerkrieg in Libyen ist zum grossen Teil Kriegspropaganda  - Von Rainer Rupp
8 http://www.jungewelt.de/2011/03-08/058.php  8. 3. 11 NATO kriegsbereit - Von Rüdiger Göbel
9 F.A.Z. Nr. 49 vom 28. 2. 2011, Seite 29; Der Diktator und seine Geiseln
10  http://www.jungewelt.de/2011/03-09/057.php  9. 3. 11 Hände weg von Libyen - Von Rüdiger Göbel
11 http://www.bz-berlin.de/archiv/arabische-liga-will-flugverbot-ueber-libyen-durchsetzen-article1138976.html   13. 3. 11 Generalsekretär Amr Mussa: Eine humanitäre Aktion
12 http://www.fr-online.de/kultur/debatte/fuer-eine-sprache-der-anerkennung/-/1473340/7800130/-/index.html    8. 3. 11 Europa und die arabische Revolte - In den intellektuellen Debatten setzten sich der eurozentristische Ungeist und die Herablassung fort - Für eine Sprache der Anerkennung - Von Hans Schelkshorn
Dieser lehrt Philosophie an der Universität Wien und ist Gründungsmitglied von Polylog - Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren.