Syrien - Der Annan-Plan

Am 19. April hatte Sergej Lawrow nach einem Treffen mit NATO-Aussenministern erneut dazu aufgerufen,

den Annan-Plan international zu unterstützen. Lawrow erklärte, er habe in Brüssel dazu geraten, »die Prophezeiungen zu beenden, dass dieser fehlschlagen wird. Alle Länder, einschliesslich der Golfstaaten, sollten den Plan so unterstützen, dass er funktioniert. Eine weitere Bewaffnung von Oppositionsgruppen in Syrien würde eine fortgesetzte Instabilität in der Region erzeugen.« Russland hatte sich im übrigen geweigert, an dem Treffen der sogenannten Freunde Syriensam 20. 4. in Paris teilzunehmen.

Zu Kofi Annans Plan vermerkt allerdings Werner Pirker u. a.: »Selbst wenn der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan nur Gutes im Sinn gehabt haben sollte, was ohnedies zu bezweifeln ist, bildet sein Sechs-Punkte-Plan keine wirklich geeignete Voraussetzung für eine friedliche Lösung des Konflikts in und um Syrien. Nachdem sich der UN-Sondergesandte die Zustimmung aus Moskau und Peking eingeholt hatte, sah sich die syrische Regierung dazu genötigt, den Plan zu akzeptieren. Hätte sie ihn abgelehnt, wäre sie der Fortsetzung des Genozids am eigenen Volk bezichtigt worden. Nun, da sie ihn angenommen hat, wird jede weitere Eskalation gegen sie ausgelegt werden. Die Möglichkeit seiner einseitigen Auslegung ist im Annan-Papier bereits angelegt. Zwar richtet sich die Forderung nach einem Ende der Gewalt an beide Seiten, konkret aber sieht sich nur die Regierungsseite in die Pflicht genommen. Sie soll ihre Streitkräfte aus den bevölkerten Gebieten zurückziehen: analoge Forderungen an die bewaffnete Opposition werden nicht gestellt. In seinem Grundgehalt stellt der Annan-Plan eine ziemlich unverhüllte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens dar. So wird der Regierung in Damaskus gleich in Punkt eins die Verpflichtung abverlangt, mit dem UN-Beauftragten bei der Erfüllung der legitimen Anliegen des syrischen Volkes zuammenzuarbeiten. Die Opposition legte den Plan dann auch umgehend als Einbahnstraße zu ihrer Machtergreifung aus. Das Regime habe auf die Bekämpfung des bewaffneten Aufstands zu verzichten, damit dieser siegreich zu Ende geführt werden könne. Doch werde sich Assad nicht an die Abmachung, jedenfalls nicht zu der von ihnen gewünschten Interpretation halten, befürchten Aufständische, Westmächte und arabische Feudalstaaten unisono, womit die Schuldfrage für die Fortsetzung der Gewalt gleich einmal geklärt wäre. Der Annan-Plan enthält keinerlei Vorschläge für einen nationalen Dialog, was darauf schließen läßt, daß sein Hauptzweck in der Einleitung eines Prozesses besteht, an dessen Ende der Sturz des Baath-Regimes stehen soll. Was ansteht, ist ein Regimewechsel zu den vom Westen vorgegebenen Geschäftsbedingungen.«  [1]  

Was sich mit Kofi Annans Auftrag verbindet, geht noch deutlicher aus der 16seitige Studie »Assessing Options for Regime Change« zu Handlungsmöglichkeiten im Fall Syrien hervor, die die US-Brookings Institution diesen März veröffentlicht hat. Diese lässt keinen Zweifel daran, dass Kofi Annan als Sondervermittler lediglich seine zugewiesene Rolle in der Gesamtstrategie zu dem seit langem vom Westen geplanten Sturz von Präsident Baschar Al-Assad spielt. Die UNO ist lediglich ein Aushängeschild, das Aktionen, die sonst als nackte Aggression und militärische Eroberung fremder Länder verurteilt würden, Legitimität verleihen soll, was in dem Bericht auch tatsächlich eingeräumt wird. So liest man auf Seite 3: »Das Ergreifen von Massnahmen ohne UNO-Mandat würde wahrscheinlich auch zur Auflösung der Doktrin der ›Schutzverantwortung‹ führen, zumal diese die Notwendigkeit von UNO-legitimierter Autorität betont.« Kofi Annans Mission in Syrien ist es, heisst es auf Seite vier, in den von den Aufständischen besetzten syrischen Gebieten, in denen, wie zugegeben wird, die syrischen Rebellen zunehmend äusserst brutale, religiös motivierte Gewaltakte begehen, sichere Schutzzonen zu errichten, um von dort aus weitere Angriffe zu starten. Bemerkenswert ist die Anerkennung der Tatsache, dass Al-Qaida-Gruppierungen auf der Seite der Rebellen kämpfen.  [2]

Nachstehend veröffentlichen wir den Bericht von Webster G. Tarpley zum gleichen Thema:    

Kofi Annans Friedensplan für Syrien: Befehl für internationale Katastrophe?

Der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat kürzlich einen Friedensplan für das umkämpfte Syrien vorgelegt. Doch wie objektiv und gerecht ist dieser eigentlich? Welche Rolle spielt Kofi Annan als Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, und in wessen Auftrag handelt der Friedensnobelpreisträger wirklich? 

Der UN-Sicherheitsrat hat am 14. 4. eine Beobachtermission in Syrien beschlossen, die über die Umsetzung des Plans wachen soll. Nach wenigen Tagen des so genannten Waffenstillstands in Syrien waren sechs UNO-Beobachter im Land eingetroffen. Weitere 250 Beobachter sollen folgen. Westliche Medien veröffentlichen Berichte, daß die Stadt Homs wieder von Artilleriegeschützen der Regierungstruppen beschossen worden sei. Andererseits berichtet die syrische Nachrichtenagentur SANA von Dutzenden von Verletzungen des Waffenstillstands durch die Aufständischen. Die Rebellen sollen Armee und Polizei vielfach angegriffen haben.   Zur gleichen Zeit fand eine Debatte im UNO-Weltsicherheitsrat statt, an der die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland (durch Peter Wittig aus dem Auswärtigen Amt vertreten) teilnahmen. Hier wurde der Fokus nahezu ausschließlich auf die Tätigkeit des syrischen Regimes konzentriert und die Verbrechen und Greueltaten der Opposition außer Acht gelassen, obwohl einige dieser Berichte durchaus auch in der europäischen Presse zu lesen waren. Was die Todesopfer angeht, so haben wir es mit einer neuen Runde des inflationären Wettkampfs zu tun. Hier überbieten sich der syrische Nationalrat und das Koordinierungskomitee: Wer kann die höchste Zahl von Todesopfern täglich melden?  

Es scheint, als ob der Friedensplan des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan kein Friedensplan im richtigen Sinne ist, sondern nur die Vorstufe für einen größeren Krieg. Diesen Friedensplan wollen wir zunächst einmal näher betrachten. Kofi Annan ist weltweit gewürdigt worden: So wurde er von der englischen Königin Elisabeth II. zum Ritter ernannt und mit zahlreichen internationalen Ehrendoktorwürden sowie dem Friedensnobelpreis dekoriert. Der 1. Punkt seines Friedensplans sieht folgendes vor: »Beide Seiten sollen sich an einem legitimierten Friedensprozeß beteiligen, in Verbindung mit dem Gesandten. Also in Verbindung mit Kofi Annan. Der 2. Punkt betrifft den Waffenstillstand: »Beide Seiten sollen den Kampf einstellen, die Regierung soll die Truppenteile aus den Großstädten abziehen«. Dabei ist nur davon die Rede, daß der Gesandte zusammen mit der Opposition Ähnliches für die Oppositionsseite verhandeln muß. Weitere Punkte betreffen die humanitäre Hilfe (3), die Freilassung der Gefangenen (4), die Freizügigkeit im ganzen Land (5) sowie die Freiheit für Demonstrationen, politische Reden und ähnliches (6). 

Dieser Friedensplan ist grundsätzlich unzulänglich und nicht ausgewogen: ein Plan ohne Gleichgewicht. Es ist an keiner Stelle von fremden beteiligten Staaten die Rede, nie also geht es um die Einmischung ausländischer Staaten. Vergeblich sucht man auch nach Hinweisen auf die Todesschwadronen, die salvadorianische Lösung ist das, was man für Syrien gewählt hat – eine Tradition, die im State Departement in Verbindung mit Namen wie John Dimitri Negroponte und seinem Stellvertreter Robert Stephen Ford, dem US-Botschafter in Damaskus, angewendet wird. Die Todesschwadronen wurden im Rahmen des Irakkriegs bereits entfesselt und haben sich nun auch auf das Territorium von Syrien verlagert. In Kofi Annans Friedensplan ist niemals die Rede von Waffenlieferungen aus dem Ausland. Man weiß inzwischen, daß die reaktionären Monarchien des Golfs, also Saudi-Arabien und Katar, viel Geld bezahlen; hier ist von 100 Millionen Dollar die Rede; diese Summe macht alle oppositionellen Kämpfer in Syrien zu Söldnern, zu Söldnern des Königshauses Saudi-Arabiens und Katars. Am Freitag, dem 13. April 2012, hat das Weiße Haus in Washington 12 Millionen $ für »nicht tödliche Hilfe« freigestellt, für Laser und andere Gerätschaften, die sich eben doch sehr gut zu Tötungszwecken eignen. Man kann also beobachten: Es finden massive Hilfen statt, eine massive Bewaffnung, massive Zahlungen, auch an Kämpfer aus dem Ausland. Doch davon ist in dem Plan niemals die Rede. Mit den Plänen soll praktisch ein rechtsfreier Raum entstehen. Die syrische Armee soll sich zurückziehen. Das wird durch diesen Friedensplan klar. Aber was dann? Wer sorgt für Recht und Ordnung in den Großstädten? Niemand. Oder besser gesagt: al-Qaida. Es ist niemals die Rede von der Beteiligung der Oppositionellen an freien Wahlen. Die freien Wahlen stehen jetzt im Monat Mai bevor. Warum steht in dem Friedensplan nicht, daß die Rebellen die Waffen niederlegen und sich am demokratischen Prozeß beteiligen müssen? Nirgendwo findet sich auch der Punkt, an dem die Rede von der Entwaffnung der Rebellen ist. Denn schließlich müssen, wenn man von Frieden spricht, alle Waffenlieferungen gestoppt werden und alle fremden Kämpfer und Truppen, alle französischen Offiziere und Söldner müßten nach Hause geschickt werden. Das alles steht jedoch nicht in Kofi Annans Friedensplan. Niemals ist in den Texten, die ich gesehen habe, die Rede davon, daß es fremden Staaten verboten ist, sich in die inneren Angelegenheiten Syriens einzumischen. Ganz im Gegenteil: Dieser Plan ruft die Gewalt erst auf den Plan. Das heißt, die Rebellen haben gute Gründe, den Kampf fortzusetzen. Denn sie können sichergehen, daß alle Todesopfer automatisch durch den arabischen Fernsehsender Al Jazeera und andere westliche Presseorgane nur dem syrischen Regime von Präsident Assad zugeschrieben werden.

Wir sollten uns also die Frage stellen: Wer ist eigentlich Kofi Annan? Nun, er ist ein typischer Vertreter der britischen Kolonialverwaltung. Annan ist zum Teil für eine ganze Reihe von Katastrophen in der internationalen Welt der letzten Jahrzehnte verantwortlich: Da war 1994 der Völkermord in Ruanda. Kofi Annan war zu dieser Zeit beigeordneter Generalsekretär der UNO, er leitete die UNO-Friedenstruppen. Seine passive Haltung erntete eine Menge Kritik, man wirft ihm eine Mitverantwortung am Völkermord in Ruanda vor. [An verantwortlicher Stelle für Afrika und Ruanda soll Annan auch Nachrichten über den Völkermord – mindestens 800.000 Tote – zurückgehalten oder abgemildert haben] Vorwürfe gegen Annan gibt es auch im Zusammenhang mit dem Irakkrieg 2003. Annan hatte geäußert, die US-Invasion sei illegal gewesen, doch unternahm er nichts dagegen. Im Falle der Islamischen Republik Iran schenkte er dem Vorwand Glauben,  die Urananreicherung des Landes sei eine Vorbereitung für Atomwaffen. Kofi Annan kam gegen den Widerstand vieler Länder in sein Amt, vornehmlich durch die Intervention der USA. Die USA hatte 1997 eine weitere Amtszeit von Boutros Boutros-Ghali als Generalsekretär der Vereinten Nationen blockiert, Nutznießer wurde Kofi Annan.

Gestern, am 17. April, fand in Syrien ein wichtiger Feiertag statt. Denn am 17. April 1946 ging das französische Kolonialmandat zu Ende. An diesem Tag begann die Unabhängigkeit des Landes. Es ist ironisch und tragisch, daß genau 66 Jahre danach wichtige Kräfte im internationalen Leben die Unabhängigkeit Syriens immer noch nicht akzeptiert haben. Der Plan von Kofi Annan ist kein Friedensplan. Er ist meiner Ansicht nach viel mehr dazu geeignet, eine internationale Katastrophe  herbeizuführen.  [3]
 
 

[1]  http://www.jungewelt.de/2012/03-29/056.php   29. 3. 12

Einbahnstraße - Damaskus nimmt Annan-Plan an  -  Von Werner Pirker

[2]  http://www.jungewelt.de/2012/03-24/047.php   24. 3. 12
Verlängerung bürgerkriegsartiger Zustände in Syrien  (rwr)

[3]  http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/webster-g-tarpley/kofi-annans-friedensplan-fuer-syrien-befehl-fuer-internationale-katastrophe-.html;jsessionid=78CB590341BB1EA4741A140BAD1E843D   18. 4. 12   Kofi Annans Friedensplan für Syrien: Befehl für internationale Katastrophe? – Von Webster G. Tarpley

Video von Webster Tarpley hier.