Alle Macht an Brüssel - Von Russland keine Rede 23.08.2012 22:10
d.a. Die in dem nachfolgenden Abriss dargelegte Strategie erinnert nicht nur auffallend an
das von
Zbigniew Brzezinski erstellte Konzept der amerikanischen Vorherrschaft, sondern
steht auch in direktem Einklang mit der Einstellung von Mario Monti, wie sie
Sara Wagenknecht so treffend analysiert hat: »Was bei Angela Merkel marktkonforme
Demokratie heißt, entspricht Mario Montis Appell, sich bei Entscheidungen zur
Eurokrise von den Parlamenten zu emanzipieren. Was dahinter steht, ist
letztendlich das Gleiche: Um auf Dauer Politik gegen die Interessen der
überwiegenden Bevölkerungsmehrheit betreiben zu können, muß man demokratische
Entscheidungsprozesse abschaffen - egal ob man Monti oder Merkel heißt«. Wolfgang Schäuble seinerseits hat
dass seit langem verfolgte Ziel der Entmachtung der Nationalstaaten am 8.
Oktober letzten Jahres glasklar in Worte gefasst: »Wir sind dabei, das Monopol des
alten Nationalstaates aufzulösen….. Der Weg ist mühsam, aber es lohnt sich, ihn
zu gehen.« Nicht, dass
daraufhin je eine Rücktrittsforderung an den Minister gerichtet oder auch nur
im entferntesten einmal bedacht worden wäre, wieso es die Vertreter
der Entsouveränisierung so eilig haben, ihre Nachkommen der Knechtschaft zu
übereignen, denn nichts anders bedeutet die mit der Aufgabe nationaler
Befugnisse einhergehende Unterjochung. Was nun die Vorstellungen der ›Raumplaner von morgen‹, die ebenfalls für das Aufheben
jeglicher nationalen Kontrolle eintreten, angeht, so sind diese in dem
nachfolgenden Bericht von GFP niedergelegt:
Im ›Großraum‹ der EU Ein
europäischer Think Tank mit Verbindung nach Deutschland plädiert für den Aufbau
eines EU-kontrollierten ›Großraums‹ vom Polarmeer über Zentralasien und
Nahost bis Nordafrika. Die ›Group on
Grand Strategy‹, die GoGS, will mit der ›Grand Area‹ dem ihrer Auffassung nach zu errichtenden europäischen
Föderationsstaat eine Machtbasis schaffen, die den europäischen
Rohstoffinteressen dient und die weitestgehend gegen die Einflußnahme
außereuropäischer Mächte abgeschirmt sein soll. Die Konzeption, die in
vielerlei Hinsicht mit deutschen Interessen konform geht, sieht unter anderem
vor, den Großraum mit einem Netz von Militärbasen zu überziehen, die europäisch
und damit
jeder nationalen Kontrolle enthoben sein sollen. Dem Beirat der
Vereinigung gehört eine Vertreterin der Bertelsmann-Stiftung an, eines der
einflußreichsten deutschen Think Tanks; die Politikwissenschaftlerin bearbeitet
für die Stiftung den Themenbereich ›Europas
Zukunft‹.
Liberale Ordnung Den Großraum-Plan
hat James Rogers, ein Mitbegründer der GoGS,
verfaßt. In seinem umfassenden Paper ›A
new Geography of European Power?‹ plädiert
er dafür, eine solche ›Grand Area‹ unter EU-Kontrolle zu bringen. In
diesem Gebiet müßten zivile und militärische Kräfte aus Europa regelmäßig
intervenieren, um Unordnung zu beseitigen und eine liberale Ordnung zu gewährleisten. Der Großraum soll Rogers zufolge
die geringste Wahrscheinlichkeit einer Intervention außereuropäischer Mächte
aufweisen und möglichst kosteneffektiv mit einer angepaßten gemeinsamen
EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verteidigen sein. [1] Er umfaßt ganz Europa inklusive Island und
Grönland, greift dann weiter bis nach Zentralasien und auf Teile Südostasiens
aus und erstreckt sich schließlich bis nach Nahost und Nordafrika. Orientiert
sich die Karte größtenteils an den derzeitigen international anerkannten
Grenzen, so verläuft sie im Falle Rußlands
quer durch dessen Staatsgebiet.
70° Ost Als Ostgrenze
der ›Grand Area‹ zeichnet James Rogers eine Linie von der pakistanisch-indischen
Grenze über die chinesisch-kasachische Grenze und das westsibirische Ischim bis
nach Norden ins Polarmeer. Die nordsibirischen Jamal-Gasfelder, die zu den
größten der Welt gehören, sind eigens eingezeichnet und werden dem europäisch
kontrollierten Großraum zugeschlagen. Die russische Kleinstadt Ischim liegt am
69. östlichen Längengrad. Nur wenig davon entfernt, entlang des 70. östlichen
Längengrades, hatte das faschistische Deutschland im Verlauf des Zweiten
Weltkrieges seine Interessensphäre von derjenigen des verbündeten japanischen
Kaiserreiches abgegrenzt.
Group on Grand
Strategy Die GoGS, die die Großraum-Planungen
veröffentlicht, hat sich im Sommer 2011 gegründet - laut ihrem Manifest, um den
europäischen Abstieg im Zuge der weltweiten Kräfteverlagerung vom Atlantik zum
Pazifik [2] zu verhindern. Sie will eine Plattform für
europäische strategische Denker sein und ein selbstdefiniertes europäisches
Interesse in der öffentlichen Debatte stark machen. Insbesondere will sie die
Diskussion über eine europäische Großstrategie fördern. Ihre Vorhaben stuft die
GoGS laut ihrer eigenen
Zielbeschreibung als ›abenteuerlich‹ ein. [3] Im Beirat der Vereinigung ist mit der Politikwissenschaftlerin
Stefani Weiss eine Mitarbeiterin der Bertelsmann-Stiftung vertreten, die dort
für den Themenbereich ›Europas
Zukunft‹ zuständig ist und zugleich
als Assistentin der Geschäftsführung der deutschen Atlantik-Brücke fungiert.
Mit Walter Posch hat im April 2012 erstmals ein Mitarbeiter der vom deutschen
Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) einen
Beitrag für die GoGS publiziert.
Deutschland:
Terrestrische Macht Deutschland
wird in den Veröffentlichungen der GoGS
ausdrücklich als terrestrische Macht eingestuft, die bis heute beharrlich an
der Bismarck'schen Landstrategie festhalte. [4] Diese auf kontinentalen Einflußgewinn abzielende
Strategie berge jedoch auch für die Seemächte Großbritannien und Frankreich
Gefahren, heißt es: Es könne in Zukunft zur Bildung einer deutsch-russischen
Achse kommen, warnt der GoGS-Stratege
Luis Simón, ein einstiger Fellow der Volkswagen-Stiftung. »Für den Moment« jedoch halte Deutschland an der EU
fest. Simón ergänzt aber, dass die britisch-amerikanische Macht in der Ostsee - gemeint ist die teilweise enge Kooperation
der baltischen Staaten und Polens mit der USA und Großbritannien - eine weitere deutsch-russische Annäherung
verhindere. Ihm zufolge wird Großbritannien in den nächsten Jahren seinen
Einfluß in Osteuropa noch weiter ausbauen, um eine Annäherung zwischen Berlin und
Moskau zu erschweren. [5] Tatsächlich etwa sind seit dem Jahr 2000
britische Soldaten dauerhaft in der Tschechischen Republik stationiert und
haben dort im Jahr 2010 das größte Land-Luft-Manöver des Vereinigten
Königreichs durchgeführt. James Rogers ergänzt, eine Abkehr Deutschlands von
der atlantischen Allianz werde die Rivalität zwischen Berlin und London wiederbeleben;
die Geschichte zeigt, dass dann wenig Gutes folgt. [6]
Georgien Rogers, publizistischer
Protagonist der GoGS, identifiziert
zwei Länder als Standorte künftiger EU-Militärstützpunkte, in denen sich
Deutschland bereits jetzt um intensiven Einfluß bemüht. Bei einem davon handelt
es sich um Georgien, ein Land, das wegen seiner Lage im Transportkorridor
zwischen Zentralasien und Europa sowie wegen seiner Grenze zum instabilen Süden
Rußlands geostrategisch von erheblicher Bedeutung ist. In Georgien ist die EU
mit der European Union Monitoring Mission (EUMM) präsent, die die ersten drei
Jahre (2008 bis 2011) von dem deutschen Diplomaten Hansjörg Haber geleitet
wurde. An dem Einsatz sind 20 deutsche Bundespolizisten sowie eine ungefähr
gleich große Anzahl Zivilisten beteiligt, darunter Offiziere der Bundeswehr
außer Dienst. Der EU-Truppe ist wiederholt vorgeworfen worden, in den
kaukasischen Konflikten nicht neutral zu sein. Die Bundeswehr arbeitet darüber
hinaus auch unmittelbar mit Georgien zusammen und bildet regelmäßig georgische
Offiziere aus. Im Land selbst haben Großbritannien und die USA Militärberater
stationiert.
Kaspisches Meer Als
Standort für eine weitere EU-Militärbasis ist laut den Großraum-Strategen
Turkmenistan vorgesehen. Das Land, das über immense Erdgasvorräte verfügt, kooperiert
auf dem Energiesektor recht eng mit China, hat in letzter Zeit aber immer
wieder auch Annäherungen an die EU und die NATO vollzogen. So nahm
Staatspräsident Gurbanguly Berdimuhamedov 2008 an einem NATO-Gipfel teil.
Letztes Jahr besuchten NATO-Vertreter die turkmenische Hauptstadt Aschgabad.
Der dortige Flughafen wird seit Jahren als Transport-Hub für
Treibstofflieferungen an die westlichen Besatzungstruppen in Afghanistan
genutzt. Dieses Jahr wurde bekannt, daß Turkmenistan von der Türkei Patrouillenboote
erwerben wird und beabsichtigt, eine neue Marinebasis am Kaspischen Meer zu
bauen. Die US-Marine hat im Jahr 2007 eine geheime Kooperation mit ihrem turkmenischen
Pendant aufgenommen. Auch Deutschland bemüht sich um stärkeren Einfluß,
wenngleich vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Im Jahr 2011 haben Siemens
und Mercedes-Benz größere Aufträge in Turkmenistan erhalten. Die Bundesrepublik
gehört zu den wichtigsten Entwicklungshilfegebern des Landes. Bei einem Besuch
des deutschen Außenministers Westerwelle im November 2011 einigten sich dieser
und der turkmenische Diktator Berdimuhamedov auf den
Ausbau der bilateralen Beziehungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur
und Wissenschaft.
Carl Schmitt Den
Begriff des Großraums, den die GoGS
benutzt, hatte einst der Kronjurist des Dritten Reiches, Carl Schmitt, in seinem
1939 veröffentlichten Buch ›Völkerrechtliche
Großraumordnung und Interventionsverbot für raumfremde Mächte - Ein Beitrag zum
Reichsbegriff im Völkerrecht‹ stark
gemacht. [7] Schmitt postulierte darin
den Grundsatz der Nichteinmischung raumfremder Mächte als geltendes Prinzip des
heutigen Völkerrechts"; dies sollte Deutschland den alleinigen Zugriff auf
sämtliche Länder Europas sichern. Als Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung
seiner Großraumtheorie führte Schmitt Rumänien an, das - wie Kritiker anführen
- unter Preisgabe seiner Naturreichtümer und volkswirtschaftlichen Substanz [8] in
die deutsche Großraum-Ordnung eingegliedert wurde. Eine solche Preisgabe ihrer
Reichtümer an die EU und an Deutschland wird von der GoGS offenkundig auch von den Staaten innerhalb des ›Großraums‹ EU verlangt.
Anmerkung politonline: Die Dreistigkeit, mit der hier
über die involvierten Staaten hinweggeschritten wird, ist gewaltig. Wie soll im
übrigen ein solcher Grossraum unter EU-Kontrolle funktionieren, wenn das
Konzept hierzu bereits den Keim möglicher Rivalitäten in Betracht zieht, die
sich zwischen Deutschland und Grossbritannien, Frankreich eingeschlossen,
ergeben könnten. Nun ist das, was Brüssel heute vorzuweisen hat, ohne
Scheuklappen betrachtet nicht viel mehr als ein Stand der Dinge, der, dies insbesondere hinsichtlich des Euros, lediglich mit äusserst ›mangelhaft‹ zu benoten ist, zumal gerade die unter
der Regie der EU heraufbeschworene Euro-Krise genau den Abstieg hervorrufen
kann, den das Konzept zu verhindern trachtet. Welcher Staat sollte also daran
interessiert sein, einer Equippe, die mit Dauerpannen zu kämpfen hat, die
totale Kontrolle eines riesigen Gebiets zu überantworten, das letztlich allein durch
die zu errichtenden Militärbasen zu beherrschen wäre. Und letztere müssen eindeutig
als Indikator blanker Gewalt gesehen werden, was allein schon der erwähnten
liberalen Ordnung entgegensteht.
Was die ›Vereinnahmung‹ der nordsibirischen Jamal-Gasfelder betrifft, so wird diese
Vorstellung sozusagen problemlos an Russland zerschellen. Insofern dürften die Autoren
schon jetzt ihr Urteil gesprochen haben: Eine derartige Strategie ist - ihren eigenen Worten zufolge – rein abenteuerlich.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58384 26. 7. 12 Im ›Großraum‹ der EU
[1] James Rogers: A New Geography of European
Power?, Brüssel 2011 [2] s. dazu Europas Abstieg (II), Europas Abstieg
(III) und Das pazifische Jahrhundert [3] Group on Grand Strategy: Manifesto,
grandstrategy.eu. [4] James Rogers; Luis Simón: Three geographies -
and societies: The European Union's enduring problem, Group on Grand Strategy -
Strategic Snapshot No. 2, 1. 12. 2011 [5] Luis Simón: Britain-France: A New Agency for the Neo-West?
20. 2. 2012 europeangeostrategy.ideasoneurope.eu [6] Britain will never accept German leadership;
19. 1. 2012 europeangeostrategy.ideasoneurope.eu [7] Carl
Schmitt: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für
raumfremde Mächte - Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin 1991 [8] Dietrich Eichholtz: Brüchiges Bündnis; junge
Welt 22. 4. 2010
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