Landgrabbing 21.10.2012 14:20
d.a. Unter diesem Begriff figuriert der Landkauf von Staaten, Konzernen und mitunter auch von Banken in ärmeren Ländern,
dies zur
Absicherung der eigenen Ernährungsbasis. Bekanntlich hatte die Preisexplosion für
Nahrungsmittel von 2007/2008 bewirkt, daß das Ziel, sich den Zugang zu den
Ackerböden anderer Länder zu erschließen, verstärkt verfolgt wurde. Zu den
Drittländern, die Landflächen verkaufen resp. verpachten, gehören sowohl
Krisenregionen und sogenannte Schwellenländer, aber auch Australien. »Teile
dieser neoliberalen Landeroberung«, vermerkte Klaus Pedersen bereits
2009, »muten
wie ein großes Grund-und-Boden-Roulette an: Während China über 1,6 Millionen
Hektar gekauft bzw. geleast hat, pachten japanische Firmen Flächen in China.
Ägypten, selbst das Ziel von Landeinkäufern aus Japan und den Golfstaaten,
produziert künftig 2 Millionen Tonnen Weizen pro Jahr im Nordsudan. Darüber
hinaus hatte Ägypten im Juni 2008 auf ministerieller Ebene über die Verpachtung
von 840000 Hektar Land in Uganda verhandelt; nach Protesten in Uganda wurde die
Flächenangabe dementiert, ohne daß eine andere Zahl genannt wurde. Nahezu
grotesk wirkt es, wenn einer der größten Erölexporteure der Welt,
Saudi-Arabien, Land pachtet, um Agrotreibstoffe zu produzieren. Aber genau dies
ist Teil eines Deals mit Indonesien, bei dem es um die Nutzungsrechte für 1.6
Millionen Hektar Land geht.« [A] Geschäfte dieser Art, so Pedersen ferner, »die nicht selten mit den korrupten
Machthabern der ärmsten Länder abgeschlossen werden, unterliegen den eisernen Gesetzen
der ›freien‹ Marktwirtschaft und dem Bereicherungsdrang der Beteiligten. ›Die internationalen Unternehmen haben
alle Rechte eines Landeigentümers und können frei entscheiden, wem sie ihre Nahrungsmittel
verkaufen wollen‹, wird der
Rechtsanwalt Stephen Barrister in einem Beitrag des australischen Daily Telegraph vom 7. März 2009
zitiert. In Ländern, die bezüglich der Ernährungssituation von der FAO 2008 als
Hochrisikoländer eingestuft wurden, findet zum Teil ein massiver Ausverkauf fruchtbaren
Ackerlandes statt. Dazu zählen Äthiopien, Madagaskar und Mocambique.
Auch der Sudan ist, wie bereits erwähnt, trotz der konfliktbedingten
Hungerkrise ein beliebtes Objekt der Landspekulanten. Die in München ansässige
Firma FloraEcoPower hatte sich bereits 2007 über 10000 Hektar in der
äthiopischen Region Oromia zur Produktion von Agrotreibstoffen
gesichert. Dann titelte die Financial
Times in ihrer Ausgabe vom 7. März 2009 ›Saudis get first taste of foreign harvest‹ und bezog sich darauf, daß dem saudischen König Abdullah der
erste in Äthiopien geerntete Reis in einer Zeremonie übergeben wurde. Während
der Reis in Äthiopien gedieh, verteilte das Welternährungsprogramm der
Vereinten Nationen dort Nahrungsmittelhilfe an 11 Millionen Menschen.« Zu den
rührigsten Akteuren der neuen globalen Landnahme«, legt
Pedersen dar, »gehören die Golfstaaten. Die Liste der Länder, mit denen
sie Verhandlungen führen oder Verträge abgeschlossen haben, ist lang und reicht
von Äthiopien über Australien, Burma, Indonesien, Jemen, Kambodscha, Laos,
Marokko, Pakistan, Philippinen, Philippinen, Sudan, Tadschikistan und Thailand
bis zu Vietnam.« 2009 waren laut Weltbank weltweit mehr als 47 Millionen
Hektar bebaubaren Bodens an internationale Konzerne verkauft worden, zwei
Drittel davon in Afrika. Dagegen kommt die Vereinigung ›Global Land Project‹
auf deutlich höhere Angaben: Ihr zufolge sind im gleichen Zeitraum allein in
Afrika 63 Millionen Hektar Grund und Boden an ausländische Investoren verkauft
oder verpachtet worden. Während internationale Konzerne so bebaubares Land
»hamstern«, hungern die Menschen. »Die von afrikanischen Regierungen
willkommen geheißenen Investoren«, legte María José Esteso Poves im November letzten
Jahres in der ›jungen Welt‹ dar, »nutzen die Flächen vor allem für
die Herstellung von Biokraftstoff für die Industrienationen, während immer
weniger Boden für die Produktion von Lebensmitteln zur Verfügung steht. In
Afrika leben 80 % der Bevölkerung auf bäuerlichen Familienbetrieben. Darüber
hinaus ist in vielen Ländern des Kontinents Grund und Boden Kommunaleigentum.
Doch welche Vereinbarungen die Behörden über deren Nutzung mit den
transnationalen Konzernen getroffen haben, ist weitgehend unklar. Vor allem
Unternehmen aus Saudi-Arabien und China gelten als die größten Aufkäufer von
Grundstücken in Afrika; aber auch Kuwait, Katar, Bahrain und Unternehmen aus
Schweden, Deutschland und Großbritannien haben sich per Abkommen in Angola,
Kenia, Sambia, der Demokratischen Republik Kongo oder Moçambique Ländereien
angeeignet. Führend beim Landraub in Afrika ist jedoch Indien. Nach Angaben der
indischen Wirtschaftszeitung The
Economist Times haben mehr als 80 indische Unternehmen in Plantagen in
Kenia, Äthiopien, Madagaskar, Senegal und Moçambique investiert, die für den
indischen Markt produzieren.«
Wie dies auf den Philippinen aussieht, hat Philippe Revelli in aller Ausführlichkeit beschrieben [2]: »Ausländische Investoren kaufen dort
mittlerweile die Äcker auf, um daraus Plantagen zu machen, was die Regierung dies
mit allen Mitteln fördert: Soweit sich die Bauern erinnern, hat es weder in San
Mariano noch irgendwo sonst in der bergigen Provinz Isabela auf Luzon, der
größten Insel der Philippinen, je ein Zuckerrohrfeld gegeben. Anfangs mußten noch erfahrene Zuckerbauern von den Inseln
Negros und Mindanao zu Hilfe gerufen werden. Inzwischen aber ist die Landschaft
mehr und mehr von den hellgrünen Stängeln geprägt, und am Ortsausgang thront
eine Ethanolfabrik der GFII, der Green Future Innovations Inc., über dem Fluß. Es handelt sich um ein Joint Venture der
japanischen Firma Itochu mit philippinischen und taiwanischen
Fondsgesellschaften. [1] Mit einer
Investitionssumme von 120 Millionen $ und einer geplanten Jahresproduktion von
54 Millionen Liter Ethanol und 19 Megawatt Strom, die aus den Überresten des
Zuckerrohrs, der Bagasse, gewonnen werden, ist das GFII-Programm eines der
wichtigsten Projekte zur Gewinnung erneuerbarer Energien auf den Philippinen. Das
Unternehmen wurde 2007 gegründet, kurz nach der Verabschiedung des ›Biofuel Act‹ im Dezember 2006, der die Beimischung von zunächst 5 und seit
2011 10 % Ethanol im Benzin vorschreibt. Den neuen Markt wollen aber auch
andere nutzen: Die San Carlos Bioenergy Inc. ist mit 36 Millionen Litern
jährlich der nach wie vor größte philippinische Ethanolhersteller, und die
Pacific Bio-Fields Holding, ein Zusammenschluß
japanischer und philippinischer Unternehmen, hat 400 000 Hektar Land in der
Provinz Ilocos Norte auf Luzon erworben.
Um das
Biokraftstoffgesetz tatsächlich umzusetzen, wären 440 Millionen Liter Ethanol
pro Jahr nötig, dafür reichen jedoch die Produktionskapazitäten noch nicht aus.
Die Regierung hat daher ein Programm zur Entwicklung von Agrotreibstoffen
aufgelegt, das unter der Leitung der Investitions- und Entwicklungsagentur Philippine
Agricultural Development & Commercial Corporation, PADCC, steht. Sie hat
die Aufgabe, ›den Investoren zu
helfen, die gesetzlichen und logistischen Hindernisse, auf die sie bei der
Umsetzung großer agrarwirtschaftlicher Projekte stoßen könnten, zu überwinden‹. [2] Darüber hinaus soll sie landwirtschaftliche
Flächen ausweisen, die sich für derartige Vorhaben eignen. In ihrer Datenbank
sind bereits 2 Millionen Hektar Land als ›verfügbar‹ eingestuft, das heißt, sie sind
entweder ›brachliegend‹, ›verlassen‹ oder ›in Randlage‹, wobei
sich Letzteres auch auf Parzellen in der Umgebung von Naturschutzgebieten
beziehen kann. Die Definitionen sind bewußt
unklar
gehalten, damit möglichst viele Flächen als ›verfügbar‹ gelten
können. In San Mariano will Green Future in einem Umkreis von 30 km auf 11 000 Hektar Zuckerrohr für die Ethanolfabrik anbauen.
Kein Problem, zumindest für den zuständigen Verwaltungsbeamten Alexandre Uy,
der erklärt: ›Ein großer Teil der Böden von San
Mariano liegt brach.‹ [3] Aber das kann nur jemand behaupten, der nicht
richtig hinschaut. Heremias Jovito, ein Bauer aus dem Dorf El Pilar, erzählt: ›Bis letztes Jahr habe ich auf 5 Hektar
Mais angebaut. Die Traktoren vom Ethanolprojekt sind kurz nach der Ernte
gekommen – da war natürlich nichts mehr auf dem Feld!‹ Seitdem wächst auf seiner Parzelle Zuckerrohr statt Mais. Das ist
kein Einzelfall: Die meisten Dörfer in der Gegend sind davon betroffen, ebenso
wie die Stammesgebiete der indigenen Gemeinschaften und Wälder
im Naturschutzgebiet Sierra Madre.
›In San Mariano hat GFII die Bodenpreise in die Höhe getrieben. Das weckt
natürlich auch bei den örtlichen Eliten Begehrlichkeiten‹, erklärt Cita Managuelod, die das ›Center for Genuine Agrarian Reform‹ leitet, und die Bauernorganisation ›Dagami‹ berät [Danggaya
Dagiti Mannalon ti Isabela, die Abkürzung bedeutet ›Unser Land‹]. ›Sie haben keine Hemmungen, Beamte zu
bestechen oder Dokumente zu fälschen, um sich Land anzueignen, das die
Kleinbauern seit vielen Generationen beackern, allerdings meist ohne jeden
schriftlichen Besitznachweis.‹
Unabhängig von den fragwürdigen Methoden
widerspricht die Übereignung solcher Ländereien an landwirtschaftliche
Großprojekte der philippinischen Verfassung von 1987. In Artikel 18, Absatz 22 heißt
es zwar, der Staat könne ›brachliegende
oder verlassene‹ landwirtschaftliche
Flächen enteignen, aber diese müssen dann ›an
die Nutznießer der Landreform‹
umverteilt werden. ›Die Regierung
gibt das Land lieber den ausländischen Investoren‹, schimpft Cita Managuelod. ›Dabei
ist die Provinz Isabela der wichtigste Mais- und der zweitgrößte Reisproduzent
des Landes – die Gesamtproduktion deckt nicht einmal die Inlandsnachfrage.‹ Die Philippinen sind mittlerweile die
größte Reisimportnation der Welt. In San Mariano regt sich allerdings
Widerstand gegen das Ethanolprojekt. Im Februar 2011 standen mehrere hundert
Demonstranten vor dem GFII-Büro. Im August desselben Jahres wurde in El Pilar
ein GFII-Traktor angezündet. Die unter dem Dach von ›Dagami‹ versammelten
Bauern und Indigene konnten sogar einige Parzellen, die Green Future
unrechtmäßig gepachtet hatte, zurückgewinnen. Daraufhin wollte das Unternehmen
seine Plantagen zunächst von 11 000 auf 6 000
Hektar verkleinern.
Ende August kündigte GFII dann die Schließung der Fabrik von San Mariano an. Die Fabrik war schon bald nach der
Inbetriebnahme im Mai in Verruf geraten: Sie hatte gegen Umweltvorschriften
verstoßen und giftige Abwässer in den Fluß geleitet. Die Ankündigung der
saudischen Far Eastern Agricultural Investment Company [FEAICO], für 25
Jahre 78 000 Hektar Land auf Mindanao zu pachten, um Reis, Mais, Bananen
und Ananas für Saudi-Arabien zu produzieren, sorgte dagegen für keinerlei
Unruhe auf der Insel.
Die auf Initiative der saudischen Regierung hin gegründete FEAICO, ein
Zusammenschluß von international operierenden Agrarkonzernen, verabredete dafür
eigens ein Joint Venture mit der philippinischen Firma Aztropex. Und die konnte
sich auf die Unterstützung der philippinischen Regierung verlassen, die sich um
Agrarinvestitionen aus dem Nahen Osten und vor allem von Saudi-Arabien bemüht,
wo 200 000
philippinische Migranten arbeiten. FEAICO setzte darauf, daß
die muslimische Bevölkerung Mindanaos Sympathien für Saudi-Arabien hegt, und
nahm sogar Verbindung zu den Rebellen der ›Moro
Islamic Liberation Front‹ (MILF)
auf, die in der Gegend großen Rückhalt genießt und jetzt die muslimischen
Investoren begrüßte. ›Erst
Entwicklung, und dann Frieden‹,
argumentiert Aztropex-Chefin Rose Sira. [4] Um den Kauf dieser riesigen Ackerflächen zu
bewerkstelligen, wurden alle staatlichen Hebel in Bewegung gesetzt. In der
Gemeinde Isulan, wo das Konsortium 1 500 Hektar Land für Bananenplantagen pachten
will, ist Rodger Barasquia für das Ministerium für Landreform im Einsatz. ›Die ausländischen Investoren bieten
den Bauern eine große Chance‹, sagt
er. ›Jetzt können sie endlich die
Tilgung für ihr Land bezahlen‹ – und
zwar an den Staat. In Isulan bebaut eine Familie im Schnitt anderthalb Hektar.
Den meisten wurde dieses Land im Zuge der Agrarreform zugesprochen. Um einen
Besitztitel zu erwerben, hätten die Bauern bei der staatlichen ›Land Bank‹ die vorgeschriebene Ablösesumme, die Tilgung, bezahlen müssen.
Doch das Geld hatten nur wenige. Jetzt erhalten die Bauern, die ihr Land
verpachten, jährlich 8 000
Pesos [etwa 140 €] pro Hektar. Die Hälfte davon geht zur Tilgung ihrer Schulden
sofort an die ›Land Bank‹. Die
Bauern besitzen somit zwar ein Stück Land, dürfen es aber nicht mehr bebauen und bekommen es erst nach 25
Jahren intensiver Monokultur wieder zurück. ›Diese
Methode der Besitzübertragung sichert im Übrigen auch langfristig die
Bodenansprüche der Investoren‹,
erklärt Arze Glipo, die Leiterin der NGO ›Integrated
Rural Development Foundatio‹ [IRDF].
Für den Dialog mit der Bevölkerung hat FEAICO die Immobilienagentur und
Arbeitsvermittlung ›Badrun‹ gegründet. Seit 2009 haben bereits Hunderte
von Kleinbauern Pachtverträge unterzeichnet, die mit einem ausdrücklichen Anbauverbot verbunden sind. ›Badrun‹ verspricht den Bauern, die ihr Land verpachten, sie als erste
einzustellen, wenn Landarbeiter benötigt würden. Barasquia ist begeistert: ›Ein Hektar, ein Arbeitsplatz. 1 500 Hektar verpachtetes Land,
das sind also 1 500
neue Arbeitsplätze!“ Die
Bauern, die mit Badrun verhandeln, wissen zwar, daß
sie es mit Investoren aus dem Nahen Osten zu tun haben, aber den Namen der
Firma kennen sie nicht. Um das Vorhaben durchzusetzen, hat sich FEAICO – mit
Besuchen, Geschenken, Versprechungen und so weiter – das Wohlwollen von Beamten
und geistlichen Würdenträgern gesichert. Der Einsatz hat sich gelohnt. ›Sonst hätten die Leute hier nein
gesagt‹, meint Abedine Datukan, ein
Bauer aus dem Dorf Laguilayan in Isulan. ›Aber
der Sultan hat ja zugestimmt, dann machen wir mit.‹ Er macht sich trotzdem Sorgen: ›Was wird aus meinen vier Söhnen, wenn ich als Einziger Arbeit
habe? Wenn es pro Hektar nur einen einzigen Arbeitsplatz gibt?‹ Jetzt verzögert sich der Start des
Projekts auch noch. Für die Bauern heißt das, daß
sie auf ihrer verpachteten Parzelle nichts anbauen können. ›Sie haben uns die Verträge unterschreiben lassen, uns
aber kein Geld gegeben‹, berichtet Bainoria Sinienggayan, die Ehefrau
des Sultans von Laguilayan, etwas verlegen. ›Seitdem haben wir die Leute nicht wiedergesehen, und wir wissen
nicht, was los ist.‹
Die
meisten dieser Großprojekte, bei denen neuerdings ausländische Investoren
Agrarflächen pachten, sind im Grunde noch in der Testphase [5], weshalb
zwischen Vertragsabschluß und Anbaubeginn viele Monate, manchmal sogar Jahre
liegen. In Casiguran in der Provinz Aurora, das an einer tiefen Bucht in der
Nähe der Schiffsrouten nach Taiwan und Südkorea liegt, verschlingt die Gründung
einer riesigen Freihandelszone, der Aurora Pacific Ecozone & Free Port [Apeco],
das Land der Bauern und Ureinwohner. Das ursprüngliche Projekt, das unter der
Regierung von Gloria Macapagal Arroyo im Jahr 2007 vorgestellt wurde, umfaßte
500 Hektar. Die neuere Planung aus dem Jahr 2010, der Amtszeit Benigno Aquinos
III., sieht schon 13 000
Hektar vor, und die Verkäufer weisen bereits darauf hin, daß in der Umgebung noch
Flächen für eine weitere Expansion vorhanden wären. Die Regierung nutzt die als ›Ökozonen‹ bezeichneten Sonderwirtschaftszonen hauptsächlich dafür, Investoren
anzulocken. Schon 2012 waren mehr als 2 000 Betriebe bei der staatlichen Philippine
Economic Zone Authority (Peza) registriert, die dem Handels- und
Industrieministerium unterstellt ist. Inzwischen existieren 250 ›Ökozonen‹, die
im Textil-, Agrar-, Elektronik- und Automobilsektor oder im Tourismus [auch Medizintourismus] tätig
sind; dazu kommen Banken, Callcenter und Telekommunikationsfirmen. Die
registrierten Unternehmen profitieren von vereinfachten Ansiedlungsformalitäten
und erhalten
zahlreiche Steuervergünstigungen: Für 6 bis 8 Jahre zahlen sie keine
Körperschaftsteuer und keine Importzölle auf Maschinen und Material.
Die Investoren können sich jederzeit aus dem Geschäft wieder zurückziehen,
während auf der anderen Seite auch künftige Regierungen an die eingegangenen
Verpflichtungen gebunden sind. Die Sonderwirtschaftszonen gelten als autonome
Territorien, die über eine eigene Polizei verfügen; das ungeschriebene Gesetz ›Keine Gewerkschaft, kein Streik‹
wird rigoros angewendet. [6] Seit
einigen Jahren hat die Entwicklung landwirtschaftlicher Sonderwirtschaftszonen
höchste Priorität. Marriz Agbon, der Präsident der PADCC, erklärt: ›Idealerweise liegen die
Sonderwirtschaftszonen in der Nähe eines Hafens, das erleichtert den
Gütertransport. Und die Fläche muß so groß sein, daß wir auf die Bedürfnisse
potentieller Investoren eingehen können.‹
[7] In Casiguran haben die
südkoreanische Regierung und 4 taiwanische Firmen Interesse daran bekundet, in
einen Freihafen und ein Containerterminal zu investieren, sowie in Aquakulturen
und die dazugehörigen Fischfabriken. [8] Das Programm sieht auch einen
internationalen Flughafen, Hotels und die Herstellung von Kokosprodukten vor.
Doch das Projekt ist umstritten. ›5 Dörfer
sind davon betroffen‹, berichtet
Pater José Francisco Talaban. ›Tausende von Menschen werden umgesiedelt und
die Fischer und Bauern ihrer Lebensgrundlage beraubt. Wo jetzt die
Friedhöfe der indigenen Gemeinschaften liegen, sollen Luxushotels entstehen.
Der Bau von Hafen und Aquafarmen wird dramatische Folgen für die
Mangrovenwälder und die Lebewesen des Meeres haben.‹
Ohne Land in
Mindanao, ohne Arbeit in Manila Die Gegner
des Projekts, die von der Bauernorganisation ›Panama‹ [9],
Umweltverbänden und Vertretern der katholischen Kirche unterstützt werden,
kritisieren auch, daß öffentliche Gelder zugunsten von privaten Investoren
eingesetzt werden: Zwischen 2007 und 2010 wurden 46 Millionen $ für Apeco
ausgegeben; im Haushalt für 2012 sind weitere 7,5 Millionen eingeplant. [10] Während
die Aztropex-Chefin Rose Sira mit Hilfe der Landverpachtung an ausländische
Investoren einen bewaffneten Konflikt in Mindanao beilegen will [11], wird in Casiguran, wo alle Gegner zum
Schweigen gebracht werden sollen, ein erbitterter Krieg gegen die
kommunistische Guerilla der Neuen Volksarmee [New People’s Army, NPA] geführt. ›Das Militär behauptet, wir gehörten
zur NPA. Die Projektgegner werden regelrecht verfolgt‹, erzählt Elmer Dayson von der Bauernorganisation ›Panama‹. Am 26. Juni
2010 wurde auf das Haus von Pater Francisco Talaban ein Anschlag mit
Handgranaten verübt. Die Täter waren Mitglieder der paramilitärischen Allianz
gegen die Kommunisten von Bianoan [dem Dorf, in dem der Geistliche wohnt]. Wenn
›Panama‹ eine Informationsveranstaltung im Dorf Cozo abhält, kommen die
Soldaten uneingeladen hinzu. Sie beteiligen sich nicht an den Diskussionen,
sondern schreiben nur die Namen der Anwesenden auf. Im Wahlkampf 2010, aus dem
Benigno Aquino schließlich als Sieger hervorging, hatte dieser angekündigt, die
Verträge und die Vereinbarungen zur Verpachtung großer Ackerflächen überprüfen
zu lassen. Nun verlangen mehrere Organisationen, die ihn unterstützt hatten,
die Auflösung der staatlichen Investitions- und Entwicklungsagentur PADCC. ›Aber es ist noch nichts passiert‹, stellt die NGO-Vertreterin Arze
Glipo fest. ›Für die Regierung sind
ausländische Investitionen nach wie vor der wichtigste Schlüssel zur
wirtschaftlichen Entwicklung.‹ Es
geht aber nicht nur um Ackerland. Mit 340 Hektar Büroflächen, Einkaufszentren
und Wohnhäusern an einer zentral gelegenen Kreuzung der Hauptstadt Manila will
der Quezon City Central Business District (QC-CBD) zum wichtigsten
Geschäftsviertel des Landes aufsteigen. Im Rahmen des von der Weltbank
unterstützten Vorhabens hat die Immobiliengesellschaft Ayala eine Public
Private Partnership mit der staatlichen National Housing Authority
abgeschlossen, um eine 29 Hektar große Fläche zu erschließen – zu der gehört
auch das Armenviertel San Roque, wo derzeit 6 000 Familien leben. ›Erst haben sie mir zu Hause in
meiner Provinz mein Land genommen. Und jetzt wollen sie mein Stadtviertel
abreißen, um Türme für die Geschäftsleute zu bauen!‹, schimpft Estrilita Bagasbas. Sie ist Sprecherin der Anti-Abriß-Allianz
von San Roque. ›Die Regierung und
Ayala behaupten, wir würden das Land geringschätzen, auf dem wir leben, und es
wäre viel profitabler, wenn man es an ausländische Investoren verpachtete.‹ Nachdem Estrilita Bagasbas ihr
kleines Stück Land auf Mindanao, auf dem Reis und Kokospalmen wuchsen, verloren
hatte, machte sie sich auf den Weg nach Manila, um Arbeit zu suchen. Sie fand
eine Unterkunft in einem der illegal errichteten Stadtviertel, die in der 13-Millionen-Stadt
überall aus dem Boden schießen. Hier lebt sie nun schon seit etlichen Jahren.
So ähnlich ist es vielen Bewohnern von San Roque ergangen, die dem Elend auf
dem Land entfliehen wollten. Im Jahr 2002 hatte die Regierung versprochen, für
die elementare Infrastruktur in San Roque zu sorgen und die rechtliche
Situation der Bewohner zu regeln. 5 Jahre später kam der Plan für das neue
Geschäftszentrum, und die Versprechen waren nichts mehr wert. Die Behörden
schlagen den Bewohnern jetzt als einzige Alternative den Umzug in die 20
Kilometer nördlich von Manila gelegene Siedlung Montalban vor. Die meisten
Einwohner von San Roque leben jedoch von Gelegenheitsjobs in den nahegelegenen
Einkaufsstraßen. Wenn sie aus ihrem Viertel wegziehen müssen, verlieren sie
auch ihre Arbeit. Hinzu kommt, daß Montalban in einem Überschwemmungs- und Erdbebengebiet
liegt. Daher leisten die Leute in San Roque weiter Widerstand. Im
September 2010 konnten sie nach schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei
einen Räumungsversuch abwehren. Seitdem lebt das Viertel in einem ständigen Ausnahmezustand.
Die Bewohner werden brutal unter Druck gesetzt: Am 2. März 2012 stürmten
Sicherheitsleute der Firma Ayala das Haus von Josy Lopez, einer weiteren
Sprecherin der Gemeinde, und drohten, sie umzubringen. Seitdem haben die
Bewohner Angst vor Brandstiftung. 2011 haben die zuständigen Behörden 851 Fälle
von Brandstiftung verzeichnet, die meisten in Stadtvierteln, die vom Abriß
bedroht sind.
Anmerkung politonline: Im eigentlichen verstossen Vorgänge dieser Art ganz klar gegen die
Menschenrechte der davon Betroffenen. Diese Menschenrechte haben allerdings,
wie es sich seit geraumer Zeit immer deutlicher herausstellt, ganz
offensichtlich zwei Seiten: Geht es um die Menschenrechte, die uns in Form von
UNO-Gesetzen wie die Agenda 21, die Gleichschaltung oder das Rassismusgesetz oktroyiert
werden, erhebt sich bei deren Nichterfüllung jeweils ein Sturm der Entrüstung;
geht es hingegen um Menschenrechte, die, wie oben beschrieben, von Konzernen negiert
resp. ausgehebelt werden, dann sehe zumindest ich die UNO nirgendwo zur Stelle.
Nun müssen wir ja die FAO, die Organisation der Vereinten Nationen für
Ernährung und Landwirtschaft, seit ihrer Gründung finanzieren; die Betonung
liegt auf müssen, denn auch ein UNO-Ressort wie die FAO erachte ich als
uns aufgezwungen. Dennoch liegt mir kein Bericht vor, der nachwies, dass die FAO
je gegen die Landkäufe der genannten Art vorgegangen wäre resp. darauf
gedrungen hätte, dass die zum Teil mit regelrechten Enteignungen der indigenen
Bevölkerung verbundenen Landverkäufe in gerechte Bahnen gelenkt würden, auch
wenn längst offenliegt, dass der Ausverkauf des Bodens die Hungerkrisen verschärft.
Und letztlich wurde die FAO ja gerade auch deshalb institutioniert, um den
Hunger in der Welt zu überwinden.
Kein Vorwurf gegen die
UNO Schon 2007
prangerte Jean Ziegler die Agrar-Dumpingpolitik der EU resp. deren Export- und
Produktionssubventionen an, die dazu führen, dass EU-Erzeugnisse z.B. auf dem
afrikanischen Markt zu einem Bruchteil des Preises des lokalen Produkts zu kaufen
sind. 37 afrikanische Staaten, erklärt Ziegler, sind reine Agrarstaaten. Dort
wird die Inlandswirtschaft durch diese Dumpingpolitik total ruiniert. Vor 30
Jahren gab es in Afrika 81 Millionen permanent schwerst unterernährter
Menschen, heute sind es 203 Millionen. Dieser Hunger ist laut Ziegler in Europa
gemacht. Nun war Ziegler von 2000 bis 2008 Sonderberichterstatter der UNO für
das Recht auf eine angemessene Ernährung, was infolge der gegenwärtigen
Situation unmittelbar zu der Feststellung führen muss, dass er in seiner
Funktion als UNO-Repräsentant ganz offensichtlich nichts geleistet haben kann,
was den Hunger verrringert hätte: Und genau dieser Umstand zeigt die - gewollte ? - Machtlosigkeit der kostenverschlingenden UNO
einmal mehr auf. Im Prinzip stossen wir hier auf dasselbe Versagen dieser Institution,
das sich manifestiert, wenn es darum geht, Krieg oder Krisen zu verhindern. Die
Ohnmacht der UNO zeigt sich stets von neuem, so dass Zweifel am Sinn dieser
Institution nicht ausbleiben können. Bereits 2006 hatte Ziegler die unumschränkte Macht global tätiger Konzerne,
die die Demokratie bedrohten, sowie ihre Profitmaximierung, die seinen Worte
gemäss ›Leichenberge produziere‹, angeprangert. Nur eben: Wo
war Herr Ziegler, um kraft seines Amtes Schritte einzuleiten, die hier eine
Änderung herbeigeführt hätten? Sicherlich tritt neben der Konzernwelt gerade in
Afrika auch eine Korruption ins Spiel, die sich durchaus als endemisch
bezeichnen lässt. Wenn also Herr Ziegler die heutige Weltordnung nicht
nur als mörderisch, sondern geradezu
als absurd empfindet, müsste er sich dann nicht selbst Vorwürfe machen, dass er
in seinem Amt total versagt hat? [12]
Quelle: LE MONDE
diplomatique Nr. 9928 vom 12.10.2012 Wie der
Zucker nach Luzon kam - Von Philippe Revell Revelli ist Journalist und Fotograf. Aus dem Französischen von Sabine Jainski Siehe auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1776 7. 7. 11 Unsere Welt - Landkauf in Afrika sowie http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1473 28. 3. 10 Wie
gewirtschaftet wird
[A] http://www.jungewelt.de/2009/04-28/018.php 28. 4. 09 Turbokolonialismus
Von Klaus Pedersen (1) Dazu
gehören die philippinische Bioethanol and Energy Investments Corp., die
taiwanische Holding GCO sowie die japanische JGC Corp. (2)
Zitiert nach Ceres P. Doyo, Human face of food sovereignty, in: Philippine
Daily Inquirer, Manila, 30. Juli 2009 (3)
P6-billion bioethanol facility to rise in Isabela, 11. Oktober 2011 www.philstar.com (4)
Zitiert nach: Tania Salerno, Transnational land deals in Mindanao, Land Deal
Politics Initiative, Rotterdam, April 2011 (5) Siehe
Ben Shepherd, Redefining food security in the face of foreign land investors,
Centre for non-traditional security studies, Singapur. www.rsis.edu.sg (6) Siehe ›Philippines:
Voyage autour des zones économiques spéciales‹ Webdokumentation: http://www.philipperevelli.com/ (7) Siehe ›Agri-Business
Economic Zones‹, 14. Mai 2009: www.agriculture-ph.com (8) Taiwanese companies commit investment in Aurora
ecozone, 3. Dezember
2011 www.aurorapacific.com.ph (9) Panama
und Dagami sind Gruppen auf Provinzebene, die der größten Bauernorganisation
des Landes, der Philippinischen Bauernbewegung (KMP), angehören (10) Angara
using underhanded tactics to get back at critics of ecozone, 27. September
2011: http://opinion.inquirer.net/ Die Kritiker haben beim obersten Gerichtshof
eine Petition gegen das ihrer Ansicht nach verfassungswidrige Projekt
eingereicht (11) Inzwischen
hat die Regierung mit der Moro Islamic Liberation Front (Milf) ein
Friedensabkommen vereinbart, das am 15. Oktober unterzeichnet werden soll. Es
sieht für die muslimische Bevölkerung von Mindanao eine autonome Region namens
Bangsamoro vor. (12) http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/187/29189/ 26.1.06 WEF-Kritiker Jean Ziegler: Konzerne produzieren Leichenberge
|