Netanjahu in Berlin 10.12.2012 00:00
Am Mittwochabend, 5. Dezember, fanden in Berlin zwei getrennte Kundgebungen gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu statt. Rund 40 Palästinenser demonstrierten in Sichtweite des abgesperrten Bundeskanzleramtes für die »sofortige Anerkennung des Staates Palästina«, während sich am Brandenburger Tor 20 vor allem israelische Jugendliche versammelt hatten, um Netanjahu und die ihn begleitenden Kabinettsmitglieder mit Protestschildern zu begrüssen. Auf Flugblättern warfen sie der Merkel-Koalition eine »einseitige Unterstützung der israelischen Regierung« vor und kritisierten die deutschen »Waffenlieferungen in die gesamte Region«. Eingeladen hatte der »iranisch-israelische Kreis«, ein Zusammenschluss junger Menschen aus beiden Ländern, die sich gegen Krieg, Sanktionen und Besatzung wenden.
Martin
Forberg von der Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden« erklärte,
Israel sei für die Palästinenser »keine Demokratie, so wenig wie der Iran das
für seine eigene Bevölkerung sei«. Netanjahus Ankündigung neuen Landraubs, die
unmittelbar nach der Palästina zu einem Nichtmitglied- oder Beobachterstaat
aufwertende UNO-Abstimmung erfogte, ist bei Befreundeten und selbst Verbündeten
ausgesprochen schlecht angekommen. Sie hatten versucht, schreibt Roland Etzel, Netanjahu
Brücken zu bauen. Dennoch zog dieser es vor, sich dafür bei den Europäern mit
einem Tritt gegen das Schienbein bedanken. Eine zusätzliche Ohrfeige aus Israel
gab es für Deutschland. Merkel wird das besonders ärgern. Schliesslich hatte
Berlin Mahmud Abbas bis zuletzt unter Druck gesetzt, den palästinensischen
Antrag noch zurückzunehmen. Dennoch klagte die israelische Zeitung »Haaretz«,
sei »der schwerste Schlag« von den Deutschen gekommen. Netanjahu hätte sich bis
fast zuletzt darauf verlassen, dass Berlin wegen seiner historischen
Sonderbeziehung zu Israel den Antrag der Palästinenser ablehnen werde. Der
stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Gernot Erler erklärte am 4.
12. dem »Kölner Stadtanzeiger«, die Fortsetzung der israelischen
Siedlungspolitik untergrabe alle Hoffnungen auf einen baldigen Frieden. Darüber
müsse Merkel mit Netanjahu Klartext reden. Dagegen forderte Erlers
Fraktionskollege Reinhold Robbe »Stillschweigen« über die Verhandlungen. Für
ihn gilt es, Sorge zu tragen, »dass niemand das Gesicht verliert«. Auf die
Siedlungspolitik ging er gar nicht ein. Robbe ist Präsident der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
[1]
Wie inzwischen bekannt wurde,
haben drei Rabbiner der New Yorker Synagoge B'nai Jeshurun die Abstimmung in
der UNO-Vollversammlung, durch die der Status Palästinas zu einem
Nichtmitglied-Staat mit Beobachtercharakter aufgewertet wurde, in einem e-mail
an ihre Mitglieder gelobt.Diese Abstimmung sei »ein grosser
Moment für uns als Bürger der Welt«; »wir hoffen, dass der 29. November 2012 in Zukunft den
Moment bezeichnen wird, der dem palästinensischen Volk ein nötiges Gefühl von
Würde und Sinn brachte, der zu einem Ende von Gewalt führte und der die
Zweistaatenlösung voranbrachte«, heisst es in der von der Rabbinerin und den zwei
Rabbinern unterzeichneten Botschaft. [2] Die Gemeinde ›Bnai Jeshurun‹ - ›Jeschurun‹ bedeutet ›Israels Kinder‹ - [Manhattan, 88th St., W] ist im
nicht-orthodoxen konservativ-liberalen Spektrum positioniert und zieht an
Festtagen Tausende von Gottesdienstbesuchern an.
Nachfolgend
ein ›Portrait‹ Netanjahus.
King Bibi - Von
Norman Paech Kriege
werden nicht nur auf den Reißbrettern der Generalstäbe und in den
Rüstungskammern der Armeen vorbereitet, sondern immer mehr in den Medien. Die
eigene Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit müssen für Kriegsverbrechen
gewonnen werden. Sie aber von einem Überfall auf ein anderes Land zu überzeugen
ist komplizierter, als die notwendigen Waffen zu kaufen, die Überflugsrechte zu
sichern und die Angriffspläne zu erstellen. Es gibt da verschiedene Varianten
des Kriegsmarketings. Die USA hatte im Frühjahr 2003 den UNO-Sicherheitsrat
dazu benutzt, die psychologische Vorbereitung des Krieges gegen den Irak zu
leisten. Zwar gelang es ihnen nicht, das erlösende Mandat für den Angriff zu
erhalten, aber sie konnten mit ihren Fälschungen und Schautafeln die Mehrzahl
der entscheidenden Medienkonzerne hinter ihre Pläne bringen und den
verbleibenden Widerstand durch ihre Menschenrechtsbeschwörung paralysieren.
Israel
kann den UNO-Sicherheitsrat für seine Kriegspläne gegen den Iran nicht
einspannen. Der Iran ist in der UNO bei weitem nicht so isoliert, wie es uns
erzählt wird. Die Welt ist all der Kriege und all deren Folgen müde, des Elends
und des Terrors, die vor keiner Grenze haltmachen. Und schließlich rechnet
niemand mit einer Zustimmung von Rußland und China im Sicherheitsrat zu einem
erneuten Krieg. Israel ist für diesen Feldzug ganz auf sich allein gestellt.
Wenn es dennoch gelungen ist, offensichtlich erhebliche Teile der eigenen
Bevölkerung und weite einflußreiche Kreise in der USA davon zu überzeugen, daß
ein militärisches Vorgehen zum Stopp der Uranpläne notwendig ist, dann
ist das vor allem das »Verdienst«
eines
einzigen Mannes: Benjamin Netanjahu. Seit Jahren hat er alle
politischen, medialen und diplomatischen Hebel eingesetzt, um die Welt von der
absoluten Gefährlichkeit der iranischen Führung, ihrem aggressiven
Vernichtungswillen und ihrer unaufhaltbaren Arbeit an einer Atombombe zu
überzeugen. Er hat dabei alle gewöhnlichen und ungewöhnlichen Mittel der
Politik eingesetzt, von der Halbwahrheit über die Lüge, die Unterstellung und
Diffamierung bis zur offenen Drohung und Erpressung. Was treibt diesen Politiker
dazu, das Parkett der Politik so schnell wie möglich mit dem Kriegsschauplatz
zu wechseln und sein Volk in den abenteuerlichsten und vielleicht letzten Krieg
zu stürzen – trotz aller Warnungen auch im eigenen Land?
Der
israelische Schriftsteller David Grossman hat jüngst auf diese Frage eine
Antwort versucht, die auf Netanjahus eschatologischen Tunnelblick verweist:
»Weil Benjamin Netanjahu eine historische Geisteshaltung und historische
Auffassung hat, der zufolge, einfach gesprochen, Israel eine ›ewige Nation‹ ist
und die Vereinigten Staaten, bei allem Respekt, nur das Assur oder Babylon, das
Athen oder Rom unserer Zeit sind. Soll heißen: Wir sind unsterblich, wir sind
ein ewiges Volk, und sie, trotz ihrer Stärke und Macht, sind bloß vorübergehend
und flüchtig. Sie haben engstirnige [...] Anliegen [...], während wir, wie
schon immer, im Reich des Ewigen Israels leben. Wir verfügen über ein
historisches Gedächtnis, das mit aufblitzenden Wundern und triumphalen
Rettungen, die auf Logik und Wirklichkeit keine Rücksicht nehmen, gesprenkelt
ist. Ihr Präsident ist ein Weichei, das daran glaubt, daß seine Feinde dasselbe
rationale Denken wie er pflegen, während wir in den letzten viertausend Jahren
in erbittertem Kampf mit den dunkelsten Mächten der Unterwelt und den
finstersten menschlichen Absichten standen und deshalb sehr gut wissen, was
nötig ist, um in diesen zwielichtigen Zonen zu überleben.« [Übersetzung von
Andreas Platthaus, hier und im folgenden Absatz nach faz.net zitiert]
Was aus
der Nähe des israelischen Landsmannes wie mythisches Sendungsbewußtsein und
Unantastbarkeitsglaube erscheint, sieht aus der Distanz eines nicht
präsidentiellen »Weicheis« wie eine Mischung aus manichäischer Arroganz und
gefährlichem Sektierertum aus. Demgegenüber schaut man auf die Anhänger der
»Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage« oder die »Zeugen Jehovas«
wie liebenswerte Einfältige. Gefährlich ist dieses in »viertausend Jahren in
erbittertem Kampf« entwickelte – man ist versucht zu sagen »gestählte« –
Bewußtsein, weil es nicht nur die gesamte Umwelt als Feinde betrachtet, sondern
ihr auch die »finstersten menschlichen Absichten unterstellt«, mit der man
folglich nur im Kampf überleben kann. »Israels Führung ist so in dieser
Denkungsart gefangen, daß es für sie ein himmlisches Gebot oder ein Naturgesetz
zu geben scheint, das Israel fast immer dazu verurteilt, bei jedem Dilemma oder
jeder Sicherheitsentscheidung nur den einen Weg einzuschlagen: ›Bombardieren
oder Bombardiertwerden‹, zwischen Angreifen und Angegriffenwerden«, urteilt
Grossman. Diese Zwangsvorstellung hat, wie der israelische Militärhistoriker
Martin van Creveld – beileibe kein »Weichei« – jüngst beklagte, »in Israel eine
widerliche Mischung von Aggression und Selbstmitleid hervorgebracht«. Man
könnte auf den Gedanken kommen, daß diese ungebremste Aggressivität das
Eingeständnis einer kolonialen Schuld gegenüber der verdrängten Bevölkerung
überdecken soll.
Netanjahus
totale Unfähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstdistanz, seine Blindheit nicht
nur gegenüber der Gründungs- und Entwicklungsgeschichte seines eigenen Staates,
sondern auch gegenüber der politischen Realität in Israel zeigt sich an seiner
stereotypen Preisung Israels als »Leuchtturm der Demokratie« oder »Leuchtfeuer
der Freiheit und Menschenrechte«. Wer die Diskriminierung der arabischen
Israelis, die brutale Realität der Besatzung mit Landraub, Vertreibung und
Rechtlosigkeit der Bewohner, die kriminelle Militanz der Siedler und die
Kriegsverbrechen des Gaza-Krieges nicht sieht, sondern verdrängt und leugnet,
walzt wie ein Panzer über die eigenen Werte der Freiheit und Menschenrechte.
Wer unfähig ist, die soziale Realität im eigenen Land kritisch wahrzunehmen,
kann sich auch nur ein Wahnbild von der Realität im vermeintlichen Feindesland
machen – was zwangsläufig zum Krieg führen muß. Die ganze Welt regt sich über
Ahmadinedschads Leugnung des Holocausts und sein Gerede, daß Israel von der
Weltkarte verschwinden werde, auf. Er hat jedoch niemals gesagt, daß er das
selbst besorgen werde. Was ist die Beschimpfung und Beleidigung eines
Kriegstreibers gegen die definitive Ankündigung eines Krieges durch den
Kriegstreiber selbst? Es gibt keine rationale Erklärung für diese
Kriegsplanung, denn der Iran hat niemals mit einem Angriffskrieg gegen Israel
gedroht. Auch für die Zukunft hat er ihn ausgeschlossen, es sei denn, Israel
setze seine Drohungen in die Tat um. Es gibt keine völkerrechtliche
Legitimation für einen Überfall auf den Iran, denn Israel wird nicht
angegriffen, und ein präventives Selbstverteidigungsrecht stünde – wenn
überhaupt – eher dem Iran als Israel zu. Die ›New York Times‹ hat
Netanjahu einen ›autokratischen
Führer‹, ›King Bibi‹, genannt,
eine freundliche Kategorie, in die man auch den Kremlherren Putin steckt.
Netanjahu hingegen bereitet ein monströses Kriegsverbrechen in aller
Öffentlichkeit vor – und diese schaut zu, als wäre es das Börsenbarometer. Es
gibt berechtigte Stimmen, die die Ernsthaftigkeit der Ankündigung immer noch
nicht wahrhaben wollen. Sie können sich einen Irrsinn Shakespeare’schen
Ausmaßes nicht vorstellen. Sie haben den Verdacht, daß es Netanjahu gar nicht
um das Atomprogramm des Irans geht, sondern darum, im Windschatten der
Sturmdrohung den Siedlungsbau voranzutreiben, um die Westbank endgültig in Besitz
zu nehmen und den Traum von einem palästinensischen Staat definitiv zu
zerstören.
Die
Bundesregierung läßt ausrichten, sie beobachte die Situation sehr aufmerksam
und setze weiter auf eine politische Lösung, indem sie sich bemühe, den Iran
dazu zu bringen, »die berechtigten Zweifel der internationalen
Staatengemeinschaft zur Natur seines Atomprogramms auszuräumen«. Netanjahu –
vom Wahn-Sinn getrieben – kann dies nur als Aufforderung zur Tat verstehen. Und
was will die Bundesregierung dann beobachten?
[3]
[1] http://www.neues-deutschland.de/artikel/806482.tacheles-statt-schmusekurs.html 6. 12. 12 Roland
Etzel [2] http://www.nytimes.com/interactive/2012/12/05/nyregion/05Bnai-Jeshurun-email.html?ref=nyregion [3] Quelle:
http://www.sopos.org/aufsaetze/5041c6427d3cb/1.phtml
Heft 18 / 2012 King
Bibi -
Von Norman Paech Impressum
auf http://www.sopos.org/ossietzky/oimpressum.php3 Norman
Paech, emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Hamburger
Universität für Wirtschaft und Politik, war von 2005 bis 2009 aussenpolitischer
Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken und 2010 ein Passagier auf der »Mavi
Marmara«.
|