Zypern: Bankenrettung und Insiderwissen

d.a. Die Beteiligung der zypriotischen Bürger am Rettungsschirm ihres Landes

mittels einer Abgabe auf ihre auf den Bankkonten lagernden Guthaben schlägt noch immer hohe Wellen. Bekanntlich umfasst das für Zypern erforderliche Rettungspaket 9 Milliarden Euro der Euroländer sowie eine Milliarde vom IWF, das sind insgesamt 10 Milliarden € an reinen Steuergeldern. Hingegen ist nicht festzustellen, dass die folgenden, geradezu ungeheuerlichen Nachrichten Gegenstand auch nur des geringstens Aufschreis in Brüssel geworden wären: 

Am 26. 3. hatten die Russen ihre Konten bereits geräumt, auch wenn die Banken offiziell bis zum 28. 3. geschlossen blieben. Offenbar, vermeldeten die Deutschen MittelstandsNachrichten vom 26. März, wurden reiche Russen und russische Unternehmen rechtzeitig vor dem Haircut in Zypern gewarnt. Die russische Filiale der Bank of Cyprus, die eine Filiale in London unterhält, führte ihre Operationen während der EU-Banken-Blockade weiterhin durch und die Transfers wurden ohne Limit durchgeführt. Die Bank of Cyprus ist überdies mit 80 % an der russischen Uniastrum-Bank beteiligt: auch hier waren Transfers ohne Begrenzungen möglich. »Ein Banker erklärte Reuters gegenüber, daß die Bank of Cyprus in der fraglichen Woche viel mehr Banknoten von der EZB anforderte, als sie an Abhebungen nach Frankfurt meldete. Darüber hinaus waren sogar offizielle Überweisungen möglich: Wenn Firmen einen Margin-Call zu gewärtigen hatten und dadurch von der Insolvenz bedroht waren: für humanitäre und sonstige Zwecke konnte überwiesen werden. Diejenigen Russen, die nicht schon zuvor reagiert hatten, konnten auf diesem Weg ihre Vermögen in Sicherheit bringen. Möglicherweise haben auch zahlreiche Briten, die ihr Geld in der Steueroase Zypern angelegt haben, rechtzeitig reagiert und ihr Geld über London in Sicherheit gebracht. Hinter den Kulissen dürfte es wohl Absprachen zwischen Brüssel und Moskau gegeben haben, daß die wichtigsten Oligarchen und Unternehmer ungeschoren bleiben. Daher lenkte Moskau am Montag, 25. 3., auch ein und sagte beim organisierten Bank-Raub bei der Restrukturierung der Banken in Zypern volle Kooperation mit der EU zu. 
http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/03/51196/   26. 3. 13   

»Die Griechen«, so die DWN u.a. am 27. März, »hatten offenbar besonderes Insider-Wissen: Unmittelbar vor der Eskalation der Krise haben griechische Reeder ihr Vermögen aus den zypriotischen Banken abgezogen. Milliardenbeträge sind auf den Konten der norwegischen Großbank DNB eingegangen. Die Eskalation der Krise in Zypern war lange Zeit absehbar. Und  die Griechen haben ihr Insider-Wissen von der Insel offenbar schon eine ganze Weile genützt: Innerhalb der letzten zwei Jahre haben sich die Überweisungen von Zypern nach Norwegen verdoppelt, sagte Harald Serck-Hanssen, Chef der norwegischen Großbank DNB. Die Kapitalflucht aus Zypern könnte also bereits seit Jahren laufen.« http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/03/27/insider-wissen-zu-zypern-griechische-reeder-haben-milliarden-nach-norwegen-verschoben/   27. 3. 13  

Wie am 2. 4. von den DMN berichtet, machte sich in Zypern die Empörung über die lokalen Politiker Luft: Diese erhielten von den Banken in Form gelöschter Kredite Millionen geschenkt. Allen voran hat sich offenbar der ehemalige Staatspräsident George Vassiliou bedient. Zypriotische Politiker und Regierungsbeamte nahmen bei der Bank of Cyprus und der Laiki Bank Kredite auf, zahlten aber, wenn überhaupt, nur einen kleinen Teil des Geldes zurück. Die Banken erließen ihnen die Schulden, berichtet Keep Talking, Greece. So hat Vassiliou über eine von ihm beherrschte Firma 5,8 Millionen $ geschenkt bekommen: Der Kredit wurde vor wenigen Wochen schlicht gelöscht. Die zypriotische Webseite 24H hat der Staatsanwaltschaft eine Liste mit den Namen der begünstigten Politiker übergeben. Die Cyprus Mail legte am Samstag nach und   konnte mit folgender Enthüllung aufwarten: »Vassiliou war ein guter Freund der Russen, daher verwundert es nicht, daß auch die Kredite für zahlreiche russische  Unternehmen plötzlich als nicht mehr werthaltig abgeschrieben wurden. Nun soll eine parlamentarische Untersuchung durchgeführt werden, um den Grund für diese Sonderbehandlung bei der Kreditvergabe zu klären. Klar ist, daß dieselben Politiker, deren Schulden erlassen wurden, über die Besetzung von Führungspositionen in den Banken mitentschieden. Die griechische Tageszeitung Ethnos veröffentlichte die Liste am Freitag – allerdings ohne die vollständigen Namen der Politiker. Auf der Liste befindet sich etwa ein Kredit der Bank of Cyprus an ein Hotelunternehmen, das Verbindungen zur Zypriotischen Kommunistischen Partei (AKEL) und zu Gewerkschaften hat. Der Kredit in Höhe von 2,8 Millionen € wurde dem Unternehmen im Mai 2012 komplett erlassen. Ein weiterer Kredit der Laiki Bank an das Unternehmen eines berühmten Politikers in Höhe von 5,8 Millionen $ sollte 2014 erlassen werden. Die von Ethnos veröffentlichte Liste enthält mindestens zwei Dutzend Fälle. Der Skandal schlägt in Zypern wie eine Bombe ein. Denn dieselben Banken, die den Politikern Gefälligkeiten in Millionenhöhe erwiesen haben, haben den Zyprioten Zwangsabgaben, Kapitalkontrollen und somit einen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes gebracht.  
http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/03/51312/   2. 4. 13 

Wie die Redaktion des Kopp-Verlags am 2. 4. festhielt, wurden laut Angaben der zypriotischen Zeitung Haravgi vor Beschluß des Rettungspakets von Unternehmen aus dem familiären Umfeld des zypriotischen Präsidenten Nikos Anastasiades 21 Millionen € nach London verschoben. Genauer: Drei Tage vor dem Treffen der Finanzminister der Euro-Gruppe, auf dem man sich auf ein 10 Milliarden € schweres Rettungspaket für Zypern einigte und damit vor der Entscheidung, eine allgemeine Vermögensabgabe einzufordern. Wie es in dem Bericht heißt, wird der Vorgang bestritten. Ferner heißt es: »Die Zeitung erinnert daran, daß der zypriotische Finanzminister Michaelis Sarris öffentlich eingestanden hatte, die Regierung sei im Voraus von den Absichten der Euro-Gruppe, eine Abgabe auf Einlagen von mehr als 100.000 Euro durchzusetzen, informiert worden.« 
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/redaktion/vor-beschluss-des-rettungspaketes-1-millionen-euro-von-unternehmen-aus-dem-familiaeren-umfeld-des-.html

In den zwei Wochen vor dem Zypern-Haircut, zwischen dem 1. bis und 15. März, haben, so die DMN, »132 Personen und Unternehmen ihre gesamten Guthaben aus Zypern abgezogen und ins Ausland überwiesen Für viele Insider kam die Entscheidung der Eurogruppe offenkundig nicht überraschend. Auch der Präsident Anastasiades, noch vor wenigen Tagen den Tränen nahe, hatte längst seine Verwandtschaft gewarnt. Am Freitag, 15. März, fand das Treffen der Eurogruppe statt, bei dem die Zwangsabgabe offiziell beschlossen wurde. Doch offenbar haben fast alle dies schon vorher gewußt. Nur die einfachen Leute und die kleineren und mittleren Unternehmen ohne Beziehungen zur Politik konnten ihr Geld nicht in Sicherheit bringen und sind nun ruiniert. …..  Auf der Liste der Insider befindet sich etwa das Unternehmen Loutsios & Sons, das rechtzeitig 21 Millionen € nach Großbritannien überwies. Es verfügt über Familienbeziehungen zu Nicos Anastasiades, dem Präsidenten Zyperns. Das Unternehmen gehört einem Schwager – der natürlich mit Sicherheit rein zufällig gehandelt hat. Der Präsident gab sich denn auch empört über die Anschuldigungen und kündigte eine strenge Untersuchung unter seiner unabhängigen Leitung an.« 
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/02/zypern-insider-wurden-gewarnt-jetzt-zahlen-die-einfachen-buerger/    2. 4. 13  

Zu den jetzt als Gegenleistung für die Finanzhilfe zu ergreifenden Maßnahmen gehört laut der Berliner Umschau u.a. die Verpflichtung, »bis 2018 Staatsbetriebe im Gesamtwert von 1,4 Milliarden € zu verkaufen. Im öffentlichen Dienst sollen bis 2016 mindestens 4.500 Stellen wegfallen. Danach gilt drei Jahre lang ein Einstellungsstopp. Hinzu kommen höhere Steuern für Verbraucher, Unternehmen und Sparer. Sogar auf Lotteriegewinne muß Zypern erstmals eine 20 %-Abgabe erheben.«  
http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=7259&title=Trotz+Kritik%3A+Sch%E4uble+setzt+auf+Freigabe+der+Zypern-Kredite+durch+Bundestag&storyid=1365834380824    13. 4. 13 

Neben dem Verkauf von Staatsbetrieben, bei dem anzunehmen ist, daß er nicht zum Vorteil der Zyprioten abgewickelt werden wird, setzen sich die Forderungen an das Land  - ungeachtet der bekannt gewordenen Fluchtgelder -  fort: Wie in den DMN zu lesen ist, besteht auf Seiten Mario Draghis und der Regierung des Landes die Absicht, die Zentralbank Zyperns zu zwingen, das Gold des Landes zu verkaufen, was der Zentralbankchef Panicos Demetriades indessen für ein Unrecht hält: »Die Zentralbank des Landes muß im Rahmen des Troika-Bailouts Gold im Wert von circa 400 Millionen € verkaufen. Das sind fast die gesamten 13,9 Tonnen Gold des Landes. Am 12. 4. war zudem bekannt geworden, daß diese Forderung von niemand anderem als Mario Draghi gekommen war. Dennoch betonte Draghi die Unabhängigkeit der Zypriotischen Zentralbank: Die Unabhängigkeit der Zentralbanken in der Eurozone ist vertraglich vereinbart. Regierungen könnten sogar vor dem Europäischen Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie in die Geschäfte der Zentralbanken eingriffen. Das heißt, einerseits warnt Draghi die Regierung Zyperns, sich nicht in die Geschäfte der Zypriotischen Zentralbank einzumischen, andererseits stellt er derselben Bank seine eigenen Forderungen. Eurogruppen- Chef Jeroen Dijsselbloem stimmte Draghi zu und sagte, die Entscheidung zum Goldverkauf müsse unabhängig von der Zypriotischen Zentralbank getroffen werden. Zudem sei der Goldverkauf von den Zyprioten vorgeschlagen worden. Und es ist nicht irgendeine Forderung der Troika oder der Eurogruppe, zitiert ihn Bloomberg. Wie Demetriades erklärte, wird so die Unabhängigkeit der Zypriotischen  Zentralbank angegriffen. Er sei kaum noch in der Lage zu handeln. Es gebe nicht nur gegen ihn selbst, sondern auch gegen seine Kinder und seine Frau Mord-Drohungen.  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/12/hilferuf-aus-zypern-mario-draghi-fordert-das-gold-zyperns/   13. 4. 13

Käme der Goldverkauf zustande, so geschähe dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem der Goldpreis auffallend tief liegt, was sich zu einem weiteren Nachteil der wirtschaftlichen Lage Zyperns auswirken würde.

Es stellt sich somit die Frage, wer im einzelnen in Brüssel dafür verantwortlich zeichnet, dass ganz offensichtlich Absichten der Euro-Gruppe noch vor dem Öffentlichmachen der Entscheidungen an die Banken gelangten, noch dazu in einem Moment, in dem der Kleinste bis zum Obersten dieses Verwaltungsmolochs eine riesige Empörung über das Hinterziehen von Steuern und Vermögen kundtut, was unter den gegebenen Umständen somit nur noch als eine verlogene Show uns gegenüber betrachtet werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob eine Ahndung dieser von mir als absolut mafios eingestuften Vorgänge in Gang kommen wird.

Einen Rückblick auf den Gang der Dinge vermittelt der nachfolgende Aufsatz des Ökonomen Zenon Pophaidis. 

Falsche Wahrheiten über Zypern  -  Von Zenon Pophaidis

Trotz aller Empörung: Die Steueroasen werden sich noch lange halten, denn sie haben die internationalen Großbanken auf ihrer Seite. Nur in Zypern wurde das Geschäftsmodell widerstandslos zerschlagen, weil die lokalen Banker es längst ruiniert hatten. Die Folgen sind dennoch fatal. Vor allem in einigen nordeuropäischen Ländern ist es die herrschende Meinung, daß Zypern seinen Finanzsektor zu dem Zweck aufgebaut habe, russischen Oligarchen und Großunternehmern illegale Operationen zu ermöglichen. Diese Wahrnehmung ist schlicht falsch. Denn die Entscheidung der politischen und ökonomischen Elite der Republik Zypern, das Land in ein regionales Finanz- und Wirtschaftszentrum zu verwandeln, wurde bereits in den 1980er Jahren getroffen. Diese wirtschaftspolitische Neuorientierung zielte schon deswegen nicht auf das russische Kapital, weil es so etwas gar nicht gab. Schließlich existierte damals noch die Sowjetunion. 

Mit ihrer Strategie, Offshore-Geschäfte anzuziehen, nutzten die griechischen Zyprioten vielmehr einige komparative Vorteile wie die geografische Lage, eine gute und ausbaufähige Infrastruktur, ein funktionierendes Rechtssystem, das aufgrund der Kolonialzeit auf dem englischen Recht basierte, einen leistungsfähigen Banksektor und ein solides Netz von juristischen und finanziellen Dienstleistungen. Zusätzliche Anreize boten eine niedrige Unternehmenssteuer für Offshore-Firmen und laxe Regelungen für die Lizenzierung ausländischer Unternehmen. Das Ganze erwies sich als ziemlich erfolgreich, und viele Unternehmen verlegten ihren Sitz nach Zypern. Die Folge war eine Expansion des Finanzsektors und der entsprechenden Dienstleistungen. Nach der Auflösung der Sowjetunion führte die dortige ökonomische Anarchie zu einem enormen Abfluß russischen Kapitals, von dem ein Teil in Zypern landete, da die entsprechenden  Finanz-Infrastruktur hier bereits vorhanden war. Weitere Schübe erhielt dieser Entwicklungstrend durch den Beitritt der Republik Zypern zur Europäischen Union im Jahr 2004 und zur Eurozone 2008. Dadurch veränderte sich das Image des Landes binnen kürzester Zeit radikal, und der zypriotische Finanzsektor wuchs weiter. Die Einführung des Euros erhöhte das Vertrauen der ausländischen Unternehmen und Investoren. Die zypriotische Regierung beließ den Unternehmenssteuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne bei 10 P% und vereinfachte das Einkommensteuergesetz. Zudem wurden bürokratische Prozeduren verschlankt, um eine unternehmerfreundliche Umgebung zu schaffen.

Viel Kapital für eine kleine Insel 
All das führte zu einer gewaltigen Steigerung der Kapitalzuflüsse, vor allem in Form von Einlagen bei den zypriotischen Banken. Und in dem Maße, in dem Tausende von Firmen die Basis ihrer Finanzoperationen nach Zypern verlegten, nahmen auch die Geldtransaktionen über die Banken zu. Die explodierenden Gewinne der zypriotischen Geldhäuser und anderer Firmen im Finanzsektor erzeugten eine allgemeine Euphorie. Das Volumen der Branche wuchs auf das sieben- bis neunfache des zypriotischen BIP.  [1]  Von 2005 bis 2012 stiegen die zypriotischen Bankeinlagen von 38,1 Milliarden € auf 70,2 Milliarden, also um 84 %. Nach der offiziellen Statistik beliefen sich die Einlagen von Bürgern aus Nichteuroländern Ende 2012 auf 21,5 Milliarden € oder 120 %  des zypriotischen BIP.  [2]  Dieser enorme Zufluß ausländischen Kapitals in die winzige zypriotische Volkswirtschaft erzeugte einen gewaltigen Liquiditätsüberschuß. Die Banken nutzten diese Gelder, um ihre Operationen auf ausländischen Märkten, vor allem in Griechenland, auszuweiten, womit sie übrigens schon vor dem EU-Beitritt Zyperns begonnen hatten. Das billige Geld führte zwischen 2004 und 2008 zu einer Immobilienblase und trieb die Preise auf ein unhaltbares Niveau. Die Aussicht auf vermeintlich hohe Profite lockte ausländische Investoren an, was die Immobilienpreise weiter anheizte. Diese Blase platzte 2008, also in der entscheidenden Phase der heraufziehenden globalen Finanzmarktkrise. 

Der Kapitalzufluß und die damit einhergehende Kreditexpansion wirkten sich zudem negativ auf die Zahlungsbilanz aus, die seit Jahren ein Defizit aufwies. Das bedeutete nicht nur mangelnde Konkurrenzfähigkeit, sondern verwies auch auf das Problem schnell wachsender Importe. Dieser Importüberschuß stieg 2008 auf 18 % und fiel erst wieder 2011, als das rückläufige Wirtschaftswachstum auch die Importe schrumpfen ließ, auf ein tragbares Niveau.  [3]   Das Zahlungsbilanzdefizit war nur durch einen weiteren Kapitalzufluß zu finanzieren. Den wollten die Banken verstetigen oder sogar noch verstärken, indem sie ausländische Geldanlagen mit noch höheren Habenzinsen anlockten. Damit waren sie aber gezwungen, auch ihre Kreditzinsen zu erhöhen, die zuweilen über 10 % anstiegen, was für alle Bereiche der zypriotischen Wirtschaft eine schwere Belastung darstellte und deren Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigte. Auch beim Staatshaushalt spitzte sich die Lage zu, weil die Regierung mit einer verfehlten Politik das Defizit in die Höhe trieb, was sie zur Aufnahme teurer kurzfristiger Kredite zwang. Allerdings war das jährliche Haushaltsdefizit Zyperns wie auch die staatliche Gesamtverschuldung vor der großen Bankenkrise keineswegs dramatisch und deutlich niedriger als in anderen Euroländern.  Andererseits konnte jeder sehen, daß der Bankensektor dermaßen aufgebläht war, daß ihn der Staat im Ernstfall nicht retten konnte. Das war der eigentliche Grund dafür, daß Zypern vom Mai 2011 an, als die Bankenkrise offenbar wurde, auf den internationalen Finanzmärkten nicht mehr kreditwürdig war. Der nächste schwere Schlag war eine Folge der griechischen Krise. Mit dem Schuldenschnitt, der im Februar 2012 für die privaten Gläubiger Griechenlands beschlossen wurde, verloren die zypriotischen Banken etwa 4,5 Milliarden Euro, was etwa einem Viertel des zypriotischen BIP entspricht. Zudem mußten die Filialen der zypriotischen Banken in Griechenland hohe Summen abschreiben, weil viele Kunden ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten. Auch in Zypern selbst verschlechterte sich die Kreditbilanz rapide, vor allem als Folge der hohen Summen, die in den aufgeblähten Immobiliensektor geflossen waren. Dies hatte, wie zu erwarten, auch negative Folgen für die zypriotische Volkswirtschaft, die 2009 in die Rezession abrutschte. Zugleich spitzte sich die Krise im Finanzsektor derart zu, daß die beiden größten Banken staatliche Hilfen beantragen mußten. Die Regierung zögerte und beantragte einen Rettungsplan im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit erheblicher Verspätung - was die Lage nur noch verschärfte. Nach langen Verhandlungen mit der Troika  - EU, EZB, IWF -  kam im November 2012 eine Vereinbarung, das sogenannte Memorandum, zustande. 

Die große Frage lautet: Konnte das beschriebene Entwicklungsmodell überhaupt tragfähig sein? Die Antwort ist: in der extremen Ausprägung der letzten Jahre auf keinen Fall. Der überdimensionierte Bankensektor und die hohen Guthabenzinsen waren auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Es ist erstaunlich, daß fast die gesamte politische Klasse Zyperns dies nicht rechtzeitig erkannt und die Warnungen einheimischer Experten sowie der internationalen Ratingagenturen ignoriert hat. Fatal war auch, daß die zypriotischen Aufsichtsinstanzen, vorweg die Zentralbank, nichts taten, um den absehbaren Bankencrash abzuwenden. In ihrem ultraliberalen Dogma Gefangen, ließen sie es zu, daß die Vorstandsgremien der Banken für die Einschätzung der Risiken allein verantwortlich waren. Dennoch kann der Finanzsektor Zyperns durchaus lebensfähig bleiben, wenn eine vernünftige Politik umgesetzt wird. Die Entscheidung der Eurozone, den zypriotischen Bankensektor auf die Durchschnittsgröße der Mitgliedsländer zu reduzieren, ist nicht unbedingt richtig und auf lange Sicht auch nicht durchzusetzen. Denn Zypern besitzt, wie eingangs erklärt, eine Reihe komparativer Vorteile, die nicht einfach verschwinden werden. Viele ausländische Firmen werden diese auch weiterhin nutzen, wenn sich die Wirtschaft einigermaßen erholt hat.

Radikale Wende in der Krisenpolitik  
Die Republik Zypern hat ihre Gesetzgebung mit den einschlägigen EU-Normen schon in der Anpassungsphase vor ihrem Beitritt harmonisiert, was von der EU-Kommission begutachtet und für korrekt befunden wurde. Zypern übernahm in der Folge alle Direktiven aus Brüssel, die sich auf das Problem der Geldwäsche beziehen. Auch der IWF und die Moneyval-Kommission des Europarats  [4]  haben das zypriotische System in jüngerer Zeit gecheckt und positiv bewertet. Im Übrigen könnte die Eurozone, wenn das Problem nur eine zu laxe Kontrolle der Geldflüsse wäre, ohne weiteres effektive Maßnahmen zur Eindämmung der Geldwäsche durchsetzen. Aber die Europäische Union wie die internationale Gemeinschaft haben es bislang versäumt, ein Regelwerk zu verabschieden, das für die notwendige Transparenz sorgen würde. Was auch für die einschlägigen Dienstleistungen der Großbanken gilt.  [5]  Das heißt keineswegs, daß in Zypern in Sachen Geldwäsche alles mit rechten Dingen zuging. Einer der wenigen Fälle, durch die Zypern konkret und explizit belastet wird, geht auf die Aussagen des Moskauer Anwalts Sergei Magnitsky zurück, der 2009 im Gefängnis verstorben ist.  [6]  Aber der ganze Komplex Geldwäsche ist seiner Natur nach so wenig transparent, daß es schwer ist, den eigentlichen Ursprung der russischen Gelder, die sich um die ganze Welt bewegen, zu ermitteln. Von verschiedenen Experten wird der Umfang des russischen Kapitals, das auf zypriotischen Banken liegt, auf 20 bis 30 Milliarden € geschätzt, und die Geldumsätze dürften noch deutlich höher liegen. Gleichzeitig ist Zypern einer der größten ausländischen Investoren in Rußland, was bedeutet, daß riesige Summen dieser Gelder in ihr Ursprungsland zurückfließen. All diese Transaktionen erfolgen legal auf Basis des Doppelbesteuerungsabkommens, das Nikosia und Moskau unterzeichnet haben. Natürlich kann man berechtigte Zweifel an der ethischen Legitimation solcher Operationen haben, und die Praktiken der zypriotischen Banken und anderer Beteiligter sind ganz sicher verbesserungswürdig. Aber das gilt nicht nur für Zypern, sondern für viele andere Länder auch.

Die Beschlüsse, die am 15. und am 25. März von der Eurogruppe und dem IWF getroffen wurden, zielten eindeutig auf die Zerschlagung des zypriotischen Finanzsektors. Das Land benötigte 17 Milliarden Euro, um die beiden größten Banken zu rekapitalisieren, seine Staatsschulden zu refinanzieren und natürlich die erwarteten Haushaltsdefizite der nächsten drei Jahre abzudecken. Die Eurogruppe hat eine Kredithilfe von 10 Milliarden Euro bewilligt, dies unter der Bedingung, daß Zypern die Rekapitalisierung seiner Banken aus eigenen Mitteln bewältigen könnte. Da dies ausgeschlossen war, verfügten die Finanzminister der Eurozone die Abwicklung der zweitgrößten Bank, der Laiki Trapeza. Damit verloren die Kontoinhaber der Laiki-Bank ihre gesamten Einlagen oberhalb der Grenze von 100.000.- €. Auch die Einleger bei der größten Bank, der Bank of Cyprus, müssen bei Einlagen von über 100.000.- € einen Haircut von 40 bis 60 % hinnehmen. Damit verlieren zypriotische wie ausländische Kontobesitzer ganz erhebliche Geldsummen; wobei die Verluste von russischen Kapitaleignern auf mindestens 3 Milliarden Euro geschätzt werden.

Nachdem die zypriotische Regierung mit ihrem Ersuchen um russische Hilfe wie zu erwarten  abgeblitzt war, blieb ihr nichts anderes übrig, als die von der Eurozone diktierten Bedingungen zu schlucken. Zu diesem Rettungsplan gehören eine Reihe von Sparmaßnahmen und ein Privatisierungsprogramm, die für Zypern außerordentlich hart sind. Zugleich bedeutet er eine radikale Wende in der Krisenpolitik der Eurozone. Auf einmal sollen die Bankkunden, die ein Konto unterhalten, für die Entscheidungen geradestehen, die leichtfertige Banker getroffen haben. Damit sind neue moralische Maßstäbe etabliert, die das seit über hundert Jahren gültige Finanz- und Wirtschaftsmodell entscheidend verändern: Die Einlagen sind nicht mehr sicher. Falls dieses neue Modell darauf angelegt sein soll, den Finanzsektor zu stabilisieren, ist die Sache schiefgegangen. Erreicht wurde vielmehr das Gegenteil. 

Was wäre die Alternative gewesen?
Die Eurozone hätte Zypern einen langfristigen Plan zur Konsolidierung der Staatsfinanzen und zur Korrektur des Finanzsektors vorschlagen können und müssen. Stattdessen entschied man sich für die entgegengesetzte Methode. Die brutale Abwicklung des zypriotischen Finanzsektors wird eine Rezession zur Folge haben; Experten rechnen mit einem Einbruch von bis zu 25 % des BIPs. Sobald die Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben werden, dürfte eine Kapitalflucht einsetzen. Die Arbeitslosenrate wird bis zum Jahresende auf über 20 % steigen (derzeit 15 %). Das alles wird den Staatshaushalt treffen, und das heißt: Die öffentlichen Ausgaben werden gekürzt und die Steuern erhöht, was wiederum eine Abwärtsspirale auslöst, die schwer zu durchbrechen sein wird. In den Medien wird bereits heftig diskutiert, ob Zypern aus der Eurozone austreten soll. Die Rückkehr zum Zypernpfund ist keine leichte Option, denn das Land wäre angesichts seiner Euro-Schulden sofort bankrott. Zudem bestünde die Gefahr einer Hyperinflation mit gravierenden politischen Konsequenzen, die sich auch auf die EU-Mitgliedschaft Zyperns auswirken könnten. Dennoch ist in der aktuellen Situation, die sich politisch und wirtschaftlich noch verschärfen kann, eine solche Entwicklung nicht auszuschließen. Das zukünftige Wirtschaftsmodell Zyperns dürfte sich vom alten nicht radikal unterscheiden. Das Land wird eine Dienstleistungsökonomie bleiben, und auch ein regionales Finanzzentrum, wenn auch in kleineren Dimensionen. Der Tourismussektor wird wohl an Bedeutung gewinnen, ebenso wie einzelne industrielle Nischenbereiche und Dienstleistungen in Bereichen wie Reedereimanagement, Gesundheits- und Bildungswesen. Ob die Hoffnungen auf eine künftige Erdgasförderung realistisch sind, ist noch nicht abzusehen. 

Zurzeit ist die Regierung vor allem damit beschäftigt, das Bankensystem zu stabilisieren, wozu sie auf die Hilfe der EZB angewiesen ist. Sie tut zudem alles, um die Atmosphäre zu beruhigen und einen sozialen und politischen Minimalkonsens zu erhalten. In der Bevölkerung entwickelt sich nach dem anfänglichen Schock eine Stimmung der Wut. Die richtet sich zum Teil gegen die EU und insbesondere die deutsche Regierung, deren Entscheidungen als brutales Abstrafen empfunden werden. Mehr und mehr jedoch richtet sich der Volkszorn gegen die einheimische ökonomische und politische Elite, die als gierige, korrupte und unfähige Klasse wahrgenommen wird. 

 

Quelle:    
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText1.artikel,a0007.idx,1
   12. 4. 13
Le Monde diplomatique
Nr. 10079 vom 12. 4. 2013

[1]  Angaben der Europäischen Zentralbank 
[2]  Zahlen nach Statistiken der zypriotischen Zentralbank  
[3]  Angaben der zypriotischen Zentralbank 
[4]  Ein Expertenausschuß des Europarats, der sich mit der Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung beschäftigt 
[5]  Siehe Global Financial Integrity Russia: Illicit Financial Flows and the Underground Economy, February, 2013. Abrufbar unter:  http://russia.gfintegrity.org/ 
[6]  Magnitzky hatte russischen Offiziellen eine Steuerhinterziehung in Höhe von 230 Millionen US-$ vorgeworfen. Geschätzte 30 Millionen davon wurden über zypriotische Banken ins Ausland geschafft. Siehe Russian money streams through Cyprus, Financial Times, February 6, 2013  Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
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