»Mehr Zurückhaltung - oder Order per Mutti« - Von Evelyn Hecht-Galinski 27.10.2013 20:30
Palästinenserpräsident Abbas war auf Berlin-Besuch. Da war natürlich Kontinuität angesagt.
Was das
bedeutet, wissen wir zur Genüge. Kontinuität bedeutet Stillstand und Duldung
der unhaltbaren Zustände in Palästina. Dazu passend war dann auch die Forderung
von Merkel, die Israelis - laut dem Obersten Israelischen Gerichtshof gibt es
keine israelische Identität mehr, sondern »nur Juden, Muslime, Christen und Drusen« [1] - sollten ›mehr Zurückhaltung‹
beim Siedlungsbau üben, um die laufenden Friedensgespräche nicht zu gefährden. Was für ein Hohn! Was heißt denn ›Zurückhaltung‹, Kanzlerin Merkel? Meinen Sie wirklich, was Sie da von sich
geben? Die sogenannten Friedensgespräche werden doch hauptsächlich durch die expansive jüdische Siedlungspolitik
hintertrieben. Die illegalen jüdischen Siedlungen müssen verschwinden! In
diesem Zusammenhang erscheint das Wort ›Zurückhaltung‹ wie ein Peitschenhieb in das Gesicht eines jedes nachdenkenden
Menschen, und besonders natürlich eines jeden Palästinensers. Würden Sie einen
anderen Serientäter auch auffordern, seine Taten nur noch ›zurückhaltend‹ zu
begehen? Anstatt Zurückhaltung zu fordern, wäre die Forderung nach einem
jüdischen Siedlungsstopp und einem Rückzug auf die Grenzen von 1967 das Gebot
der Stunde. Unzeitgemäß dagegen die
uneingeschränkte Solidarität mit dem ›jüdischen
Staat‹ und seiner
Besatzer-Unrechtspolitik, die die Palästinenser erniedrigt und ihrer Rechte
beraubt! Ebenso dringlich ist die Zurücknahme der von Ihnen, Kanzlerin Merkel,
verkündeten ›Staatsräson‹ für Israels Sicherheit, anläßlich ihrer Rede vor
dem israelischen Parlament, der Knesset, während ihres Besuches im Jahr 2008.
Hier hatten wir es mit einer ›Order
von Mutti‹ zu tun. Wo uns diese
Staatsräson im Ernstfall hinführen kann, zeigt uns die jüdisch-israelische
Expansions- und Kriegsdrohungspolitik nur allzu deutlich. Wir haben es bei dem
illegalen jüdischen Siedlungsbau mit einem völkerrechtswidrigen Verbrechen und
einem Beispiel von zionistischer Expansion auf geraubtem palästinensischem Land
zu tun. Hat nicht gerade die israelische Organisation ›Peace Now‹ festgestellt,
daß sich der Neubau von Siedlungen im
besetzten Westjordanland und im annektierten Ostjerusalem allein im ersten Halbjahr 2013 um
über 70 % im Vergleich zum Vorjahr erhöht hat. Zudem liegen über 60 %
der neuen jüdischen Siedlungsprojekte außerhalb der großen Siedlungen. Hagit
Ofran von ›Peace Now‹ sagte dazu, das sei so, als ob zwei
über die Aufteilung einer Pizza verhandelten und einer von beiden die Pizza inzwischen
aufißt.
Ist es da
nicht mehr als verwunderlich, wenn Präsident Abbas in Berlin immer noch von der
›Zwei Staaten Lösung‹ spricht und von ›der historischen Chance, die zu ergreifen wäre‹? Immerhin hat sich seit der Unterzeichnung des israelisch-palästinensischen
Friedensvertrags von 1993 die jüdische Bevölkerung in den besetzten
palästinensischen Gebieten verdreifacht. Das Völkerrecht
untersagt die Besiedlung besetzter Gebiete ausdrücklich. Warum wird dieser
Punkt nicht angesprochen und dieses
jüdisch-israelische Vergehen nicht angeprangert? Was wird stattdessen
angekündigt? Daß die deutsche Hilfe, die die besetzten Palästinensergebiete
unterstützt, im laufenden Jahr mit 100 Millionen € weiterlaufen
wird? Daß Investitionen für eine Wirtschaftsstruktur getätigt werden, die sich
erst noch entfalten soll, und daß sich auch deutsche Geschäftsleute an diesen
Investitionen beteiligen sollen. Schön und gut, aber kann man wirklich einem
Geschäftsmann empfehlen, in einem vom ›jüdischen
Staat‹ widerrechtlich besetzten Gebiet
zu investieren? Wo dieser ‹jüdische
Staat‹ alles widerrechtlich zerstören
kann - in der Gewißheit, daß die Geberländer alles Zerstörte klaglos
wieder aufbauen? Es ist nicht die Aufgabe der Weltgemeinschaft, als großzügiger
Geber diese Besatzung zu finanzieren. Es ist die Aufgabe der Geberländer, den ›jüdischen Staat‹ dazu zu zwingen, die von ihm zu unrecht einbehaltenen
Steuergelder oder durch Falschdeklarierungen erzielte Gelder an die besetzten
Palästinenser sofort auszuzahlen. Nicht umsonst wird die Palästinenserbehörde [PA]
im November wieder einmal zahlungsunfähig sein, sollte diese Hilfe ausbleiben.
Beträgt doch das derzeitige Haushaltsdefizit der PA etwa 370 Millionen Euro.
Natürlich
gibt es gerade auch in dieser PA erhebliche ›Mißstände‹ im Umgang mit den Milliardenhilfen, die aus der USA
und Europa kommen. Aber diese Zustände gedeihen nicht nur in den besetzten
Gebieten! Wie viele Korruptionsprozesse kennen wir schon vom Besatzer Israel
und dessen Politikern? Leidtragende sind dabei wie immer die einfachen Bürger.
Fakt ist, daß die Besatzung nicht von uns allen weiter bezahlt werden darf,
weil damit die Schuld an dieser Besatzung und Beraubung auch immer mehr zu
unser aller Problem wird, weil wir dafür mitverantwortlich werden! Mehr als
verwunderlich ist auch, daß Merkel die Palästinenser auffordert, auch bei der
Versöhnung untereinander voranzukommen, also die Spaltung zwischen der
Hamas-Führung in Gaza und der Fatah-Führung in Ramallah zu überwinden. Zunächst
einmal ist es notwendig, die Hamas nicht mehr als Terrororganisation
einzustufen und sie stattdessen als normalen gewählten Verhandlungspartner zu
betrachten! Und vor allen Dingen wird es Zeit, der unerträglichen Blockade von
Gaza durch Israel ein Ende zu setzen. Dieses größte Freiluftgefängnis der Welt
muß endlich wieder frei zugänglich werden, und die Menschen dort müssen endlich
eine lebenswerte Perspektive bekommen, damit sie keine Tunnel mehr graben
müssen, um an die Güter des täglichen Bedarfs zu kommen. Diese Situation zu
ändern ist auch eine Aufgabe für die EU und eine deutschen Regierung! Doch auch
hier zeigt sich das Unausgegorene an der deutschen Außenpolitik. Hoffentlich
ändert sich diese verfehlte einseitige Außenpolitik zugunsten Israels in einer
neuen Regierungskoalition.
EU- Richtlinien für
die Fördermittel an Israel Ein neuer
EU-Report berichtet über eine mögliche Umgehung der gerade erst beschlossenen
neuen Richtlinien für die Fördermittel an Israel. [2] Sollte die massive
Lobbyarbeit der israelischen Regierung so schnell zu einem Erfolg geführt haben,
wäre das ein nicht wieder gutzumachender Fehler der EU. Der ›jüdische Staat‹ hatte nichts unversucht gelassen, um diese Richtlinien zu
stoppen. Israelische Minister verglichen die EU-Politik mit der des Dritten
Reichs und bezeichneten sie als rassistisch und das ›jüdische Volk diskriminierend‹.
Verschiedene Siedleranführer verglichen diese
Richtlinien sogar mit den Selektionen in Konzentrationslagern! Hier haben wir
sie wieder, die Instrumentalisierung des Holocaust als wirksames Druckmittel. Noch
einmal zur Erinnerung: Die EU hatte endlich beschlossen, daß ab 2014 Israel in
allen zu schließenden Verträgen klarstellen müsse, daß die Abkommen und damit
die Fördergelder nur noch dem Kernland Israel in den Grenzen von 1967 zugute
kommen. Damit wären dann endlich die jüdischen Siedlungen im besetzten
Westjordanland, im annektierten Ostjerusalem und auf den Golan-Höhen von den
zukünftigen Fördergeldern ausgeschlossen. Das betrifft die Bereiche
Wissenschaft, Wirtschaft, Sport und Kultur. Bedauerlicherweise sind aber diese
Richtlinien löchrig wie ein Schweizer Käse und betreffen z.B. diejenigen Wissenschaftler
nicht, die zwar in einer illegalen jüdischen Siedlung leben, aber in einer
israelischen Universität im Kernland forschen. Diese werden von den EU-Geldern weiterhin
profitieren.
Schon seit
Jahren unterlaufen israelische Firmen die Kennzeichnungspflicht für
Waren, die in den illegalen jüdischen Siedlungen hergestellt werden, um vom
Zollfreihandelsabkommen zu profitieren. Und vergessen wir nicht: Nach
internationalem Recht sind die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten ILLEGAL!
Sie werden auch nicht dadurch legal, wenn der ›jüdische Staat‹ völkerrechtswidrige
Gesetze hat, die diese Besatzung legalisieren. Im Wissen um diese Tatsachen hat
nun die EU diese Regelung leider mehr als einseitig positiv zugunsten Israels
beschlossen. Sollte dieser Report stimmen, scheint sich eine nochmalige ›Aufweichung‹ abzuzeichnen. Laut Darstellung des Reports in der israelischen
Zeitung ›Maariv‹ wird es zwei wesentliche Änderungen geben:
1. Israelische Einrichtungen werden nicht mehr dazu
verpflichtet sein, zu unterschreiben, daß sie nicht in den besetzten Gebieten arbeiten,
wenn sie Anträge für Fördergelder stellen. Es wird vielmehr die Aufgabe der EU
sein, die Angaben nachzuprüfen und diese Beweise selbst aufzuspüren!
2. Die israelischen Einrichtungen können ihre
Aktivitäten weiterhin frei in den besetzten Gebieten betreiben, solange sich
ihr Hauptsitz im Kernland von Israel befindet [Grenzen von 1967]. Und die
Verhandlungen darüber gehen fröhlich weiter, da die israelische Regierung noch
mehr Vereinfachungen herausholen will. Sie schlägt vor, daß eine Adresse ausreichen
muß, um den Hauptsitz der Einrichtung anzuzeigen. Die EU verlangt dagegen auch
die Eintragung eines Sub-Unternehmers in Israel.
Ungeachtet
der Frage, wie die endgültigen Details oder Alternativen für diese Richtlinien
am Ende ausgehandelt werden, das Resultat wird laut einem israelischen
Offiziellen folgendes sein: Mit den Richtlinien zu ›marschieren‹, diese
aber nicht zu spüren. Sollte dieser Bericht stimmen, und es ist davon
auszugehen, weil ›Maariv‹ eine der Regierung nahestehende
Zeitung ist, hätte die EU bei der Durchsetzung angekündigter Ziele erneut versagt.
Ein weiteres Beispiel dafür, daß die Vergabe des Friedensnobelpreises am 10.
Dezember 2012 an die EU eine eklatante Fehlentscheidung war. Denn die
Begründung der Preisverleihung war die Rolle der EU als ›Friedensstifter‹! Und
bei der Entgegennahme der Auszeichnung durch die drei Vertreter der EU hieß es
ausdrücklich, dies sei ›ein Ansporn,
Europa zu erhalten und ein Appell, unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten‹. Große Worte in der Tat, mehr auch
nicht, sieht man auf die EU und ihre mehr als fragwürdige Rolle in der
Gestaltung der Zukunft für die Palästinenser und im Umgang mit dem ›jüdischen Staat‹!
Flüchtlinge nur
Europas Zukunft?
Große Worte
fand ich auch in der ›Jüdischen
Allgemeinen‹ von einem Rabbiner namens
Andrew Aeyeh Steiman der ›Budge
Stiftung‹ in Frankfurt am Main. Er
meinte unter dem Titel: ›Flüchtlinge
sind Europas Zukunft‹ in einem
Artikel, daß das Unglück von Lampedusa zeige, daß die EU ihr vielbeschworenes jüdisch-christliches
Erbe über Bord werfe. Interessant war dabei, daß
der Rabbiner in seinem Beitrag mit keinem Wort auf das Flüchtlingsproblem im ›jüdischen Staat‹ einging. Er erwähnte
nicht, daß Israel seit seiner Gründung 1948
nur 170 Asylanträge anerkannt hat. Er erwähnte auch nicht die Verweigerung der
legitimen Rückkehr der vertrieben palästinensischen Flüchtlinge der Nakba in ihre Heimat Palästina. Siehe
hierzu http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=701 Zum Gedenken an Al-Nakba
Israel
erkennt nur ein Rückkehrrecht an, dasjenige der Diaspora-Juden! Daran sollte
der ›jüdische Staat‹, der doch immer zu Europa gehören
will und dessen ›Wohlwollen und
Wohltaten‹ genießt, erinnert werden!
[3]
Kommen wir
noch zu einer ›musikalischen
Geheimwaffe‹, die auf Einladung
[Kosten?] des ›Keren Hayesod‹, des weitweiten Spendensammlers für
Israel, durch Deutschland tourte, wie dies auch die ›Jüdische Allgemeine berichtete‹.
[4] Eine Frau namens Astrith Baltsan,
die laut Staatspräsident Schimon Peres [›Vater der Atombombe und des
Siedlungsbaus‹ und ›Friedensnobelpreisträger‹ !!!] eine gigantische Errungenschaft ist. [5] Sie wird mit dem Programm ›Hatikvah‹ [Hoffnung]
auftreten. Sie schrieb auch gemeinsam mit dem israelischen Bildungsministerium
(!) ein Buch mit dem Titel ›Hatikvah‹, das zur Standardlektüre (!) an
israelischen Schulen gehört. Für mich persönlich war die ›Hatikvah‹ immer eine
propagandistische israelische Hymne, die meiner Meinung nach völlig unpassend
bei nahezu allen jüdischen Veranstaltungen in Deutschland gespielt wurde, obwohl
ich weiß, daß die ›Hatikvah‹ auch nicht unumstritten war und erst
2004 offiziell als Nationalhymne bestätigt wurde. Denn auch die ›Hatikvah‹ grenzt, ebenso wie der ›jüdische
Staat‹, die Minderheiten als Bürger
zweiter oder dritter Klasse aus. In ihr gibt es nämlich den Vers: »Daß die
jüdische Seele diese Worte mit Leidenschaft singt«. Und ich erfuhr auch, daß die
Melodie der ›Hatikvah‹ von einem rumänischen Volkslied
beeinflußt wurde, das man sang, um das Vieh anzutreiben. Welche Parallele!
Singt man diese Melodie jetzt nicht, um den ›jüdische Staat‹ zu erhalten
und die Palästinenser ›auszutreiben‹? Es waren die ›Hatikvah‹ und der ›Hora-Tanz‹, die mir schon in meiner Kindheit fremd waren und bis heute
blieben, da ich diese Vermischung zwischen Israel und deutschem Judentum nie so
nachvollziehen konnte und wollte. Ich schrieb darüber einmal in dem Buch von
Günter Schenk, einem Freund und Friedensaktivisten aus Straßburg, der in seinem
Buch ›Denk ich an Palästina‹ [›Palestine
On My Mind‹] verschiedene
Erfahrungen von 26 interessanten Menschen als Zeugnisse zusammengetragen hat.
Noch etwas
schier Unfaßbares las ich in der ›Jüdischen
Allgemeinen‹. Da schreibt doch ein
Manfred Gerstenfeld, ein Aufsichtsrat und ehemaliger Vorsitzender des Think
Tanks ›Jerusalem Center for Public
Affairs‹, warum Israel nie ein
normales Land sein kann. Da gibt es Sätze wie: »Zum einen sind alle Nationen an sich
einzigartig. Und manche Länder sind einzigartiger als andere. So wie Israel«. Oder
er nimmt den historischen Antisemitismus - ob religiös oder ethnisch motiviert
- zum Anlaß, diesen mit dem heutigen ›Anti-Israelismus‹ zu vergleichen. Der Artikel gipfelt
dann in der Ausführung zu ›jüdischen
Selbsthaß‹
einiger Israelis, die sich mit dem Standpunkt ihrer Feinde identifizieren.
Diese Beschimpfung von Juden gegenüber anderen Juden kenne ich nur zu Genüge
und sie erscheint mir als eine der übelsten und verwerflichsten Beschimpfungen
gegenüber Israel-Kritikern und Andersdenkenden. Gerstenfeld schreibt über
Israel so viele propagandistische falsche Dinge, die alle Fakten umdrehen. [6]
Apropos,
kennen sie ein Land oder eine Religionsgemeinschaft, die Nobelpreisträgern als
Juden gratuliert? Nein, Hochmut kommt vor dem Fall, und Israel sollte endlich
ein normaler Staat sein, eine Demokratie nicht nur für Juden. Es ist kein ›Licht unter den Völkern‹, sondern ein Staat, der sich immer
mehr verdunkelt, für den man sich als Jude in der Diaspora fremdschämen muß, da
er sich immer wieder herausnimmt, für alle Juden in der Welt zu sprechen und zu
handeln!
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und die Tochter des
1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz
Galinski. Ihre Kommentare schreibt sie vom Hochblauen aus, ihrem 1186 m hohen ›Hausberg‹ im Badischen. Quelle: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19585 Online-Flyer Nr. 429 vom 23. 10. 13
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-gemeinsame-saekulare-identitaet-abgelehnt-a-926138.html [2] http://972mag.com/report-eu-to-bypass-its-own-anti-settlements-guidelines/80521/ [3] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19316 [4] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/17310 [5] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/17234
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