Konferenz der Kantonsregierungen - Herrschaft der Exekutiven statt Föderalismus und Demokratie - Von Dr. iur. Marianne Wüthrich 10.11.2013 21:17
20 Jahre »Konferenz der Kantonsregierungen«, 5 Jahre »Haus der Kantone«,
so war es
vor kurzem in den Schweizer Medien zu lesen. Das »Haus der Kantone« wurde
im August 2008 an bester Lage in Bern
eröffnet, für den stolzen Betrag von 6,5 Millionen Franken und einer Miete von 1,68
Millionen pro Jahr; rund 200 Leute arbeiten dort bei der ›KdK‹, der Konferenz der
Kantonsregierungen oder bei den anderen Direktorenkonferenzen - in der Weiterbildung usw. – aus den 26 kantonalen Steuerkassen bezahlt.
Wozu
braucht die Schweiz ein »Haus der Kantone«? Die Zusammenarbeit zwischen Bund
und Kantonen soll dadurch verbessert werden: Durch die gemeinsame Infrastruktur
im Haus an der Speichergasse entstünden
Synergien …… Diese Argumente kommen uns irgendwie bekannt vor: Richtig, damit versuchen die Zentralisierer
seit Jahren, den unwilligen Schweizern die Fusion ihrer Gemeinden schmackhaft zu
machen. Das sei billiger und die ›professionelle‹ Verwaltung sei effizienter – jo
chasch dänke! Im ›Fusionswunder‹ Glarnerland werden heute rote Zahlen
geschrieben, wie es die Fusionsgegner richtig prophezeit hatten. Hauptsache, die
historisch gewachsenen Strukturen konnten aufgebrochen werden und es wurde ein
weiterer Schritt der Schweiz hin zur schönen globalisierten und zentralisierten
Welt gemacht. Parallel zu den Versuchen, unsere Kantone und Gemeinden zu
zentralistischen Einheiten zusammenzupacken, zu Grossgemeinden, Regionen,
Metropolitanräumen und Naturpärken, wurden als neue Ebene zwischen dem Bund und
den Kantonen die Konferenzen der kantonalen Exekutiven errichtet, ohne
das Stimmvolk zu fragen!
Wozu
braucht die Schweiz eine KdK, eine GDK [Gesundheitsdirektorenkonferenz], eine
EDK [Erziehungsdirektorenkonferenz ? Die EDK, die GDK und die übrigen Direktorenkonferenzen
brauche es, weil »einige Dinge harmonisiert werden müssten, etwa gewisse
Strukturen in der Bildung«, so die damalige EDK-Präsidentin [am 18. 8. 2008 in ›20 minuten‹). Daran arbeiten sie: Nach der HarmoS-Gleichschaltung will die
EDK nun den deutsch- und mehrspachigen Kantonen den unsäglichen Lehrplan 21
aufdrängen, gegen den Willen der Kantone, die zu HarmoS nein gesagt haben,
und gegen
die kantonalen Schulgesetze sowie mit einer ungenügenden Grundlage in der
Bundesverfassung. Die GDK ›harmonisiert‹ zusammen mit dem Bundesamt für
Gesundheit BAG die Prävention – über den Beschluss des Parlaments und über die
verfassungsmässige Zuständigkeit der Kantone hinweg. Und wie sie harmonisieren:
BAG-Chef Pascal Strupler will den Kampf gegen das Gläsli Wein zum Essen
aufnehmen und jedem, dessen Gewicht nicht der erfundenen US-Norm entspricht,
die Kosten für seine Hüftoperation aufbrummen.
Hinter dem Rücken von
uns Bürgern findet seit 20 Jahren ein ungeheuerlicher Umbau unseres
föderalistischen und direktdemokratischen Bundesstaates statt Seit fünf
Jahren wird dieser Umbau im »Haus der Kantone« verfestigt. Dort residieren
zahlreiche zentralistische Klubs von Exekutivmitgliedern, die gemeinsam mit den
EU-Turbos in der Bundesverwaltung die Zentralisierung und Entdemokratisierung der
Schweiz vorantreiben, auf dass unser Land - ungestört von den lästigen Bürgern, die ewig
ihre Rechte als Souverän ausüben möchten - in die globalisierte Welt der EU, der OECD und
der angloamerikanischen Grossfinanz hineingepresst werden kann. Die KdK war im
Hinblick auf den geplanten EWR-Beitritt vorbereitet worden, damit die
Kantonsregierungen dem Bund bei der Integration der Schweiz in die EU die Steigbügel
halten könnten. Trotz des Neins der Schweizer Stimmberechtigten zum EWR wurde
die KdK 1993 dennoch gegründet und dient nun seit 20 Jahren als ›gemeinsame Stimme‹ der Kantone gegenüber dem Bund, nicht nur in der Aussenpolitik.
Die KdK –
Handlangerin für eine reibungslose Integration der Schweiz in die EU Zwanzig
Jahre später fragen wir uns und unsere Mitbürger: Ist es denn Sinn und Zweck
des schweizerischen Föderalismus, dass die 26 Kantone gegenüber dem Bund ›mit einer Stimme‹ sprechen? Wem dient das? In der Standortbestimmung der KdK vom
24. Juni 2011 ist zu lesen: Es geht in erster Linie um die Europapolitik des
Bundes, in der sich ›die Kantone‹, sprich einige kantonale
Exekutivmitglieder ›mit einer Stimme‹ einbringen wollen. Die KdK stellt
sich auf eine ›zunehmende Vertiefung
der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU‹ ein. Vier Jahre früher war sie noch deutlicher: »Ein
Beitritt zur EU steht zwar aus innen- und aussenpolitischen Gründen kurz- und
mittelfristig nach wie vor nicht zur Debatte, ist nach Ansicht der
Kantonsregierungen aber auf jeden Fall als längerfristige Option offenzuhalten.« [KdK, Standortbestimmung vom 23.
März 2007]
Wie kommen
unsere Kantonsregierungen dazu, sich derart über mehrere klare Entscheide von
Volk und Ständen gegen den EU-Beitritt hinwegzusetzen? Was erlauben sich ein
paar Exekutivmitglieder - die vom Volk
gewählt wurden, damit sie die kantonalen Angelegenheiten im Sinne des
Gemeinwohls regeln! - sich mit den
Kräften in Bundesbern zusammenzutun, die eifrig nach Brüssel pilgern, um den
EU-Herrschaften zu ›höbele‹? Statt ihre Pflichten im Dienste des
Souveräns zu erfüllen, beschäftigen sich die kantonalen Exekutiven seit 20
Jahren damit, der EU-weichen Bundesratsmehrheit und den geldgierigen
EU-Institutionen den Weg zu ebnen. Wie die einzelnen Kantonsregierungen an den
KdK-Konferenzen jeweils Stellung nehmen, erfahren wir nicht.
Zufällig
gefunden haben wir eine Konsultationsantwort des Berner Regierungsrats vom 4. 5.
2011, in der zu lesen ist: »Der Regierungsrat unterstreicht seine mehrfach
bekräftigte Haltung, wonach a) längerfristig nur ein Beitritt zur EU eine
gleichberechtigte Mitgestaltung der Schweiz an den politischen Entscheidungen
in Europa und an der Weiterentwicklung des massgebenden Rechts garantiert […]« Was die Berner Bevölkerung wohl dazu sagen würde, falls sie über
dieses Statement informiert worden wäre?
Direktorenkonferenzen
sind eine Neuschöpfung im rechtsfreien Raum: Rechtliche Grundlagen und
demokratische Legitimation fehlen gänzlich Anlässlich
der Eröffnung des »Hauses der Kantone« wurde in verschiedenen kantonalen
Parlamenten die Frage nach der rechtlichen Grundlage der KdK gestellt, so zum
Beispiel im Zürcher Kantonsrat durch Claudio Zanetti [Protokoll des
Regierungsrates des Kantons Zürich vom 18. September 2007, KR-Nr. 207/2007]: »1. Warum
intensiviert der Regierungsrat durch die Teilnahme am »Haus der
Kantone«
die Zusammenarbeit im Rahmen der KdK, obwohl dafür keine rechtliche Grundlage
besteht? 2. Was hat der Regierungsrat seit 2004 unternommen, um eine rechtliche
Grundlage für seine Aktivitäten im Rahmen der KdK zu schaffen?« Die
bemerkenswerte Antwort des Zürcher Regierungsrats [Auszug] lautete wie folgt: »Wie der
kürzlich publizierte ›Föderalismusbericht‹ des Bundesrates (BBl 2007, 5907)
ausführt, erachtet dieser die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) im Bereich
der Aussenpolitik ›als primäres
Kontaktorgan des Bundes‹ (5945).
Dieser Bericht zeigt auch, dass die Umsetzung zahlreicher sektorieller Abkommen
mit der EU, insbesondere dasjenige zu Schengen/Dublin, ohne das tragende
Mitwirken der KdK sowie weiterer Direktorenkonferenzen unmöglich wäre.«
Wirklich
bemerkenswert! Der Bundesrat interpretiert in seinem ›Föderalismusbericht‹ den
Föderalismus um, stellt die grundsätzliche Rechtsstellung der Kantone als
souveräne Glieder der Eidgenossenschaft gemäss Artikel 3 der Bundesverfassung
auf den Kopf und ersetzt die Kantone ganz einfach durch die KdK, sozusagen in
freier Rechtsschöpfung. Bemerkenswert auch die ›Begründung‹ dieser
Rechtsumdrehung: Wenn der Bund jeden Kanton einzeln kontaktieren würde, wäre
die Umsetzung der Bilateralen unmöglich. Aha, jetzt wird manches klarer. Den
Zürcher Regierungsrat, der derartige Machenschaften deckt, entschuldigt das
allerdings nicht. »Die KdK wurde mittels einer gemeinsamen
Verwaltungsvereinbarung aller Kantone am 8. Oktober 1993 gegründet; diese
bildet bis heute die formelle Rechtsgrundlage der KdK.« [Protokoll
des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 18. September 2007, KR-Nr. 207/2007]
Eine
Verwaltungsvereinbarung - tolle Rechtsgrundlage für eine neu erfundene Staatsebene,
für eine Machtzentrale, die seit 20 Jahren die kantonalen Parlamente entmachtet
und hinter
dem Rücken der Bürger im geheimen hinweg operiert! Zur Erinnerung: Der
Lehrplan 21 wurde durch die EDK ebenfalls auf Grund einer Verwaltungsvereinbarung
produziert [vgl. Zeit-Fragen Nr. 31/32]. Wie viele Verwaltungsvereinbarungen
haben wohl unsere ihren Kantonen und der Bevölkerung gegenüber rechenschaftspflichtigen
Exekutiven noch unterzeichnet?
›Mitwirkungsföderalismus‹ heisst Entmachtung von Kantonen und
Bürgern Den
Kantonsregierungen ist es seit Jahren klar, dass die Bilateralen Verträge,
verbunden mit der Übernahme von EU-Recht, und erst recht der Beitritt der
Schweiz zur EU, massive negative Auswirkungen auf den Föderalismus und die
direkte Demokratie zur Folge haben und hätten. [1]
Und wie
geben die Regierungsräte Gegensteuer? »Die Kantone wollen im Gefolge der
zunehmenden Vertiefung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU nicht zu
blossen Vollzugseinheiten degradiert werden. […] Der Autonomieverlust der
Kantone und der Zentralisierungsdruck müssen durch eine verstärkte Mitwirkung
und Mitentscheidung der Kantone kompensiert werden.« [KdK,
Standortbestimmung vom 24. Juni 2011, S. 2]
Ohne uns
Bürger zu fragen, nehmen ein paar Regierungsräte den Autonomieverlust ihrer
Kantone und den Zentralisierungsdruck durch die EU in Kauf. Hauptsache, die
Direktorenkonferenzen dürfen bei der Entmachtung von Souverän und Kantonen
›mitwirken‹. Ihre Pflicht wäre es, uns darauf aufmerksam zu machen: »Hört
mal, liebe Bürger, wenn die Schweiz weitere bilaterale Abkommen mit der EU
abschliesst, würden die Kantone ihren Rest an Autonomie, ihre in der
Bundesverfassung verankerte Souveränität verlieren. Unter dem Druck aus
Brüssel, welches nicht 27, sondern nur einen Ansprechpartner will, würde die
Zentralisierung in unserem Bundesstaat weiter ausgebaut. Wenn ihr das nicht
wollt, solltet ihr gegen weitere bilaterale Abkommen stimmen.« Wenn
unsere Regierungsräte so zu uns sprechen würden, was denken Sie, wie viele
Chancen dann unsere EU-Turbos in Bundesbern hätten? Mit dem schweizerischen
Föderalismus hat der ›Mitwirkungsföderalismus‹ bei den Verhandlungen des Bundes mit
der EU jedenfalls gar nichts zu tun. Der Souverän bleibt aussen vor: »Es sind
Lösungen zu priorisieren, die keine Änderung der Bundesverfassung bedingen.« [KdK,
Standortbestimmung vom 24. Juni 2011, S. 3] Das bedeutet: ›Lösungen‹ ohne
obligatorisches Referendum und ohne das Erfordernis des Volks- und Ständemehrs
…
Gemäss ›Bundesgesetz über die Mitwirkung der
Kantone an der Aussenpolitik des Bundes‹
muss der Bund jeden Kanton einzeln anhören, informieren und seine
Stellungnahme einbeziehen. Dies findet schon lange nicht mehr statt: ohne
irgendeine rechtliche Grundlage. »Die Anhörungen zum geplanten
institutionellen Abkommen mit der EU gehen bis jetzt fast geräuschlos über die
Bühne.
Fremdes
Recht, fremde Richter; das Potential für Polemik ist riesig. Aussenminister
Didier Burkhalter ist in den Konsultationen bisher auf wenig Widerstand
gestossen. Allerdings werden von Gesetzes wegen nur drei Institutionen
angehört: Die Konferenz der Kantonsregierungen und die Aussenpolitischen Kommissionen
der eidgenössischen Räte. Die Kantone, so lässt sich nach einer ersten Sitzung
mutmassen, werden dem Bundesrat einen Versuch nicht verwehren. Der Entscheid
soll aber erst am 13. Dezember fallen.» [Neue Zürcher Zeitung vom 18.10.2013]
Falsch an dieser Meldung ist: ›Von
Gesetzes wegen‹ müssen nicht drei,
sondern 28 Institutionen angehört werden, bevor der Bundesrat aussenpolitisch
tätig wird, nämlich die Aussenpolitischen Kommissionen von National- und
Ständerat sowie die 26 Kantone. Die Konferenz der Kantonsregierungen kommt im
entsprechenden Bundesgesetz gar nicht vor. Vielmehr steht im Bundesgesetz über
die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK) vom 22.
Dezember 1999 unter anderem:
- Art.?1 Abs.?1 Die
Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten
betreffen oder ihre wesentlichen Interessen berühren. - Art.?4 Abs.?2 Bevor
der Bund Verhandlungen aufnimmt, hört er die Kantone in der Regel an. Die
Anhörung ergänzt das Vernehmlassungsverfahren zu völkerrechtlichen Verträgen. - Art.?4 Abs.?3 Der
Bundesrat berücksichtigt die Stellungnahmen der Kantone. Sind die
Zuständigkeiten der Kantone betroffen, so kommt deren Stellungnahmen besonderes
Gewicht zu; weicht der Bundesrat von den Stellungnahmen der Kantone ab, so teilt er ihnen die
massgeblichen Gründe mit. Etwas unklar?
Schluss mit der
Demontage unseres Schweizer Modells! Föderalismus
und direkte Demokratie sind die grossen Stärken des Schweizer Modells. Dank der
kleinräumigen Struktur der Schweiz und dem Zusammenspielen der
verschiedenartigen Kulturen steht unser Land in einer von Unruhen und
finanziellen Nöten geplagten Welt einmalig gut da. Die Schweiz hat weitherum am
wenigsten Arbeitslose, vor allem unter der Jugend, sie ist fast das einzige
Land in Europa, das seine Finanzen im Griff hat. Gerade die unterschiedlichen
Interessen und Stellungnahmen der einzelnen Kantone in unserem Bundesstaat
müssen das Salz in der Suppe der Berner Aussenpolitik bleiben. Wenn Pascal
Couchepin 2003 zum zehnjährigen Bestehen der Konferenz der Kantonsregierungen
behauptete, Föderalismus dürfe ›nicht
länger die Summe bunter Kantonalinteressen sein‹ und ein ›defensiver
Föderalismus‹ führe zum Scheitern ›grosser Projekte‹, zeigte er damit nicht nur einen Mangel an Verbundenheit mit
seinem Land, sondern auch einen gefährlichen Hang, nach ›Grösserem‹ zu streben.
Bleiben wir dabei, ›den Zun nicht zu
wiit‹ zu machen, wie der grosse Schweizer Niklaus
von Flüe seinen Mitbürgern vor Jahrhunderten dringend geraten hat. Bleiben wir
bei den bescheideneren kleinen Projekten, dem sorgfältigen Zusammenwirken der
vielen aktiven Bürger und Bürgergruppen gemäss dem Milizprinzip. Machen wir der
Herrschaft der Exekutiven den Garaus, und überlassen wir das Wohl unseres
Landes wieder der Wachsamkeit seiner kantonalen Parlamente und seiner Bürger, kehren
wir also zurück zur schweizerischen Ausgestaltung des Föderalismus und der
direkten Demokratie. Als eigenständiger, weltoffener Kleinstaat können wir
unser Mitwirken und unsere Verantwortung in der Welt noch alleweil besser
wahrnehmen als manche Supermacht und manche Grossunionen.
Quelle:
Zeit-Fragen Nr. 34 vom 5. 11. 13 - leicht gekürzt - http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1629 [1] Vgl. den ausführlichen und sehr
aussagekräftigen Bericht der Konferenz der Kantonsregierungen (Hrsg.), «Die
Kantone vor der Herausforderung eines EU-Beitritts», Bericht der Arbeitsgruppe
«Europa-Reformen der Kantone», Schulthess, Zürich, 2001
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