Die Türkei und die Frage eines EU-Beitritts 25.02.2014 20:55
Infolge der Geschehnisse in der Ukraine ist das Thema Türkei eher in den Hintergrund gerückt.
Noch vor dem
Besuch Erdogans Anfang Februar hatte Berthold Köhler in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ festgehalten,
dass die Türkei, wie sie sich unter Erdogan präsentiert, den Europäern
jedenfalls kein Vorbild sein kann. »Schon lange gebe
es Zweifel am Zustand des türkischen Rechtsstaats und der Gewaltenteilung.
Deren Berechtigung bestätigte Erdogan nun selbst, als er sagte, es habe im
Dezember ›einen Angriff organisierter Strukturen in
Polizei und Justiz‹ auf die Demokratie und die Stabilität des
Landes gegeben. Nach Darstellung der AKP existiert in der Türkei ein von der
Gülen-Bewegung gebildeter Staat im Staate, der Teile des Justizapparats
kontrolliere und diese in einem Kampf um die politische Macht gegen gewählte
Politiker einsetze. Erdogans Regierung schlug zurück, indem sie Hunderte
Ermittlungsbeamte und Staatsanwälte versetzte, die gegen Regierungsmitglieder
und deren Angehörige wegen Korruptionsverdachts ermittelten. Erdogans Kritiker
behaupten, diese Säuberungswellen dienten dazu, die Aufdeckung von Käuflichkeit
und Vetternwirtschaft bis in die höchsten Kreise hinauf zu verhindern. Vermutlich
sind beide Darstellungen nicht vollkommen falsch. In jedem Fall aber ist das
Gesamtbild verheerend, das der türkische Staat unter Erdogan abgibt.« [1] Bei seinem Besuch
hatte Erdogan deutlich um eine deutsche Unterstützung für den EU-Beitritt
seines Landes geworben. Indessen war die Antwort, die er von Frau Merkel
erhielt, kühl: Die Regierung betrachte die Verhandlungen nach wie vor ›als einen ergebnisoffenen Prozess‹; einer
EU-Vollmitgliedschaft stehe sie weiterhin skeptisch gegenüber.
Hierzu ein Artikel von F. William
Engdahl:
Der wirkliche Korruptionsskandal in der
Türkei Seit Dezember 2013 erlebt die Türkei
eine Serie von Festnahmen. Der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan von der AK-Partei wird Korruption vorgeworfen. Erdogan, bei all seinen
Exzentrizitäten ein kampflustiger Politiker, kämpft zurück und erklärt, ›ausländische Mächte‹ stünden hinter seinem heutigen Gegner,
dem ehemaligen Imam Fetullah Gülen, den die US-Botschaft in Ankara als
mächtigsten Mann der Türkei betrachtet. Was sich zurzeit in der Türkei
abspielt, ist viel interessanter als ein normaler Bestechungsskandal. Es ist
offene Kriegsführung, aber nicht für die Zukunft der Demokratie in
der Türkei – davon gibt es kaum eine Spur. Vielmehr ist es ein Stellvertreterkrieg
zwischen Ost und West um die Zukunft eines Schlüssellandes an der
geopolitischen Wegscheide zwischen Asien, Europa und dem Nahen und Mittleren
Osten. Der interne Konflikt in der Türkei besteht zwischen Justiz und Polizei
auf der einen und Familienmitgliedern und Kumpanen Erdogans auf der anderen
Seite. In Wirklichkeit ist es eine Art Stellvertreterkrieg zwischen einer
Washingtoner Fraktion aus CIA und einem harten Kern von
Dick-Cheney-Neokonservativen, deren Mann in der Türkei Fetullah Gülen ist.
Diesem mächtigen Team gegenüber steht Erdogan, der entschlossen ist, zu
überleben, und ein sich abzeichnendes Bündnis aus dem Iran, China und sogar Putins Rußland. Fetullah Gülen, dessen Bewegung sich über die gesamte Welt erstreckt, hat auch in Deutschland erheblichen Einfluß. Die renommierte deutsche
Islamwissenschaftlerin Professor Ursula Spuler-Stegemann von der Universität
Marburg nennt die Gülen-Bewegung ›die wichtigste und gefährlichste
islamistische Bewegung in Deutschland. … Sie sind überall.‹ Im Dezember 2013 verhaftete die türkische Polizei Süleyman Aslan, den
Direktor der staatlichen Halkbank. Ihm wird vorgeworfen, ein 10 Milliarden
Dollar schweres Geschäft Gold gegen Erdöl vermittelt zu haben. Tatsächlich sind
es die Neokonservativen und ihre AIPAC-Lobby [American Israel Public Affairs Committee,
amerikanisch-israelischer Ausschuß für öffentliche Angelegenheiten] im US-Kongreß, die sich darüber ereifern, daß Erdogan die US-Sanktionen gegen den Iran, die sie vor über einem Jahr im US-Kongreß durchgesetzt haben, umgeht.
Erdogans Schachzug mit dem Iran und
China Weit davon entfernt zu versuchen, sich
vom Iran und den Geschäften der Halkbank zu distanzieren, hat Erdogan den
Fehdehandschuh hingeworfen und ist nach Teheran gereist, um dort ein engeres
strategisches Bündnis mit dem Iran zu schließen. Wie das türkische Fernsehen
berichtete, verfolgte er mit dieser Reise die Absicht, die Handelsbeziehungen,
insbesondere im Bereich Energie, zu stärken. In dem Fernsehbericht wurde
erwähnt, Erdogan wolle die Spannungen in den türkisch-iranischen Beziehungen,
die durch die türkische Unterstützung für die Angriffe auf Baschar al-Assad,
den Alliierten des Irans, in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind,
beilegen. Nach seinen Gesprächen mit Chamenei und Präsident Rohani betonte Erdogan
vor Pressevertretern: »Es ist offensichtlich, daß wir Rohöl und Erdgas aus dem Iran importieren. Es sind strategische Energiequellen und wir werden den Umfang
dieser Importe erhöhen können.« Rohani
wird in den nächsten Monaten nach Ankara reisen. Der Iran war 2012 mit 16
Milliarden € der drittgrößte Handelspartner der Türkei, bevor die jüngsten
US-Sanktionen den Handel mit Erdöl lahmlegten. Die dem israelischen
Geheimdienst nahestehende Website ›Debkafile‹ berichtet, der wahre Grund für
Erdogans Gespräche in Teheran sei, »die Regierung Obama zu spalten, weil er
eine US-Verschwörung vermutet, ihn durch Präsident Abdullah Gül zu ersetzen und
durch Korruptionsskandale, wonach
Mitglieder seiner Familie über die staatliche türkische Halkbank in Geschäfte
verwickelt seien, mit denen die Sanktionen unterlaufen würden, zu
diskreditieren.« Die engeren Beziehungen zwischen Teheran und der Regierung
Erdogan überschneiden sich mit einer engeren iranisch-russischen Kooperation.
Am 17. Januar lud der iranische Präsident Rohani den russischen Präsidenten
Wladimir Putin zu einem Besuch nach Teheran ein. Putin: »Ich hoffe, Sie sehr
bald in Teheran zu besuchen.« Die Annäherung zwischen Erdogan und dem Iran
folgt auf eine wichtige Initiative zum Aufbau engerer Beziehungen mit China und
der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), bei der die Türkei
Beobachterstatus genießt. Im Oktober 2013 verhandelte Erdogan mit dem
chinesischen Rüstungskonzern ›China Precision Machinery Import and
Export Corp‹ [CPMIEC, chinesische Import- und
Exportgesellschaft für Präzisionsgeräte] über den Kauf eines Langstrecken-Luft-
und Raketenabwehr-Systems; Gebote russischer, US-amerikanischer und
europäischer Firmen zogen den kürzeren. Vorausgegangen war ein Pekingbesuch im
April 2012 – der erste eines türkischen Ministerpräsidenten in 27 Jahren – bei dem Handelsverträge in Milliardenumfang
unterzeichnet wurden. Darüber hinaus hat Erdogan die Vollmitgliedschaft in der
SCO beantragt.
Ausländische Verschwörung? Es scheint alles andere als
übertrieben. Ende Dezember nahm Erdogan den Kampf gegen die aus dem Gülen-Lager
erhobenen Korruptionsvorwürfe auf. Er entließ bestimmte Gülen-loyale Richter
und ordnete Entlassungen bei der Polizei an. In den ersten Tagen der Bestechungsermittlungen
berichtete der amerikanische Botschafter in Ankara, Francis Ricciardone,
europäischen Diplomaten, sein Land habe die Türkei aufgefordert, die
Beziehungen der Halkbank zum Iran zu kappen: »Wir haben ein Ende der
finanziellen Verbindungen der Halkbank zum Iran gefordert. Aber sie haben nicht
zugehört. Sie erleben den Kollaps eines Imperiums Türkei«, erklärte Ricciardone
gegenüber der türkischen Zeitung ›Yeni ?afak‹. Am folgenden Tag drohte Erdogan bei
einer Wahlkampfveranstaltung vor
Unterstützern mit der Ausweisung des US-Botschafters wegen Einmischung in die
inneren Angelegenheiten der Türkei. Später erschien in der ›Washington Post‹ ein ungewöhnlicher Gastkommentar mit
der Überschrift: ›Die Vereinigten Staaten müssen die
Türkei auffordern, ihren Kurs zu ändern.‹ Darin erklärten die drei Autoren: »Der
türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zerstört die gefährdete
Demokratie seines Landes.« Und weiter: »Erdogan versucht, seine Gegner zu
vernichten, anstatt Kompromisse einzugehen. Nachdem er den politischen Einfluß des Militärs beiseite geschoben hat,
ging Erdogan gegen andere Machtzentren vor: Medien, Unternehmen, Unternehmer
und die Zivilgesellschaft; jetzt sind die Gülenisten, eine starke, politisch
effektive Gemeinschaft, an der Reihe.« Unterzeichnet war der Gastkommentar von
Morton Abramowitz, Eric Edelman und Blaise Misztal. Abramowitz gilt als CIA-Agent, der US-Botschafter in der Türkei wurde. Daß sie ›die Gülenisten, eine starke, politisch effektive Gemeinschaft‹, erwähnen, ist kein Zufall. 1998 war
Gülen vor der türkischen Militärregierung ins politische Exil geflohen, nachdem
ihm wegen des Versuchs des Aufbaus eines islamisch-religiösen Staats in der
Türkei Hochverrat vorgeworfen worden war. Er landete ausgerechnet in den
Pocono-Bergen im US-Bundesstaat Pennsylvania auf einem abgelegenen Anwesen, das
von Anhängern streng bewacht wird. 2008 schaffte es Gülen gegen den Einspruch
von FBI, US-Außenministerium und US-Heimatschutzministerium, eine permanente
Aufenthaltsgenehmigung, die berühmte Green Card, zu erhalten. Morton Abramowitz
und Graham E. Fuller, der ehemalige CIA-Agent in Istanbul und
Gülen-Unterstützer, hatten sich für ihn verwendet. Laut der ehemaligen
FBI-Übersetzerin und Whistleblowerin Sibel Edmonds »gehört Abramowitz, ein
bekannter Neokonservativer, Israel-Lobbyist, Agent von CIA und
US-Außenministerium und Unterzeichner der Erklärung für ein ›Neues Amerikanisches Jahrhundert‹, zu den wichtigsten Betreuern und Unterstützern
von Fetullah Gülen«. Tatsächlich ist dieses Netz aus Abramowitz, CIA, Neokonservativen
und Gülen genau das ›aus dem Ausland gesteuerte‹ Netzwerk, dem Erdogan vorwirft, ihn aus dem Amt jagen zu wollen. Ein
politischer Witzbold hat mir einmal gesagt: »Nur weil du paranoid bist, heißt
das noch lange nicht, daß sie nicht hinter dir her sind..…« Erdogan verweist
auf die Quelle der Destabilisierung, und seine neuen Feinde in Washington
wissen das nur allzu gut. Seine Reaktion wird sein, sich an die erbitterten
Gegner der Washingtoner Neokonservativen zu wenden. Das politische Drama in der
Türkei ist ganz anders, als es in der Berichterstattung der westlichen
Mainstream-Medien dargestellt wird, und es ist angesichts der laufenden
grundlegenden Veränderung in den globalen Machtbeziehungen auch viel
faszinierender. Erdogan ist offenkundig dabei, die Beziehungen zum Iran, zu Assads Syrien, zu Rußland und China zu stärken. Das sind genau die
Mächte, die er noch vor zwei Jahren, als er
Washington noch hörig war, wegen der Lage in Syrien scharf attackierte. Die Politik schafft in der Tat manchmal seltsame
Bettgenossen. Wenn Erdogan das Machtspiel der Gülen-US-Neokonservativen
überlebt, könnten die Umrisse einer neuen Machtkonstellation Türkei-Iran-Syrien-Irak-Rußland-China erkennbar werden. Daraus könnte ein
neues eurasisches Einflußzentrum entstehen, das sich der von
Netanjahus Likud-Partei und Elementen der israelischen Geheimdienste
unterstützten NATO-Kriegsfraktion widersetzt.
[2]
[1]
http://www.faz.net/aktuell/politik/erdogan-in-deutschland-nicht-mit-dieser-tuerkei-12785161.html 4. 2. 14
Berthold Kohler Nicht mit dieser
Türkei [2]
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/f-william-engdahl/der-wirkliche-korruptionsskandal-in-der-tuerkei.html 4. 2. 14
Der wirkliche Korruptionsskandal in der Türkei
- VonF. William Engdahl
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