Warum braucht es eine Strategie für die Berggebiete und ländlichen Räume? 27.04.2014 22:04
Theo Maissen, ehemaliger Präsident der SAB,
der
Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete,
und
Alt-Ständerat des Kantons Graubünden, reichte 2011 eine Motion zur ›Strategie des Bundes für die
Berggebiete und ländlichen Räume‹ ein,
an der jetzt eine Arbeitsgruppe arbeitet, um zuhanden des Bundesrats
entsprechende Vorschläge dieser Strategie zu konzipieren. In Artikel 2 der
Bundesverfassung, erklärt Maissen, ist der Zweck der Schweizerischen
Eidgenossenschaft definiert. Dabei wird in Absatz 2 festgelegt, dass der Bund
die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt
und die kulturelle Vielfalt fördert. Wenn dieser Zweck nicht zur leeren
Worthülse verkommen soll, bedarf es steter Anstrengungen, damit diese hehren
Werte in der Realität nicht nur für Teile der Schweiz erkennbar sind. Diese
Werte müssen auch für die Berggebiete und die ländlichen Räume, die im heutigen
Wirtschaftsumfeld standortbedingt benachteiligt sind, ihre ungeteilte
Gültigkeit haben. Damit diese Gebiete nicht zur Residualfunktion degradiert
werden, bedarf es deshalb von Zeit zu Zeit intellektueller und politischer
Anstrengungen zur Erarbeitung von Grundlagen für die künftigen Aktivitäten.
Dies auf Grund der Überzeugung, dass die Schweiz als staatliche Gemeinschaft um
Vieles ärmer wäre, wenn diese Regionen keine attraktive Lebens- und
Wirtschaftsräume mehr wären.
In dem
nachfolgenden Interview erklärt der Alt-Ständerat, was die Beweggründe für die Lancierung
der Motion waren und was er damit erreichen will.
Im Text Ihrer Motion (11.3927)
steht unter anderem: ›Spätestens
seit Inkrafttreten der neuen Regionalpolitik im Jahre 2008 hat die
Regionalpolitik ihren integrativen Charakter weitgehend verloren‹. Sind Sie der Meinung, dass die Einführung der NRP zu einem Bruch
in der Politik für die Berggebiete geführt hat?
Rückblickend
kann festgestellt werden, dass die auf der Basis eines gesamtwirtschaftlichen Entwicklungskonzeptes
zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts installierte Regionalpolitik
mehr war als nur ein technokratisches Vorhaben. Es war eine neue Politik mit
einem staatsphilosophischen
Hintergrund, indem ihr Inhalt nicht allein prosaische Entwicklungsziele
umfasste, sondern auch methodische Vorgehensweisen postulierte, welche die für
eine nachhaltig wirkende Entwicklungspolitik unabdingbaren Faktoren forderten und stützten. Zu erwähnen sind
vorab die partizipativen und demokratisch legitimierten Arbeitsabläufe und die
Initiierung der regionalen Zusammenarbeit. Mancherorts ist diese integrative Wirkung,
das dadurch entwickelte Regionalbewusstsein sowie die Erfahrung mit den
Erfolgen dank eines gemeinschaftlichen Handelns in den Bergregionen auf lange
Sicht von entscheidenderer Bedeutung als die in Beton realisierten Werke. Die
NRP wurde demgegenüber im wesentlichen auf klassische Instrumente und Methoden
der Regionalökonomie reduziert.
Ihre Motion wurde sowohl vom
Ständerat (21 zu 2 Stimmen) wie auch im Nationalrat (einstimmig) angenommen.
Wie erklären sie sich diesen Erfolg, obwohl die Unterstützung für die
Berggebiete und ländlichen Räume im Allgemeinen geringer ist als auch schon?
Diese
erfreuliche Unterstützung zeugt von der eigenständigen Erarbeitung von
einschlägigen Erkenntnissen der beiden Räte. Wie den Ratsberichten entnommen
werden kann, haben sich die Kommissionen unbesehen der Beeinflussung durch den
Bundesrat und Teilen der Verwaltung fundiert
und kompetent mit den anstehenden Sachfragen auseinandergesetzt und sind in der
Folge zu
denselben Schlussfolgerungen gelangt wie die Motion. Als ehemaliges Mitglied
des Parlamentes freut mich dies ausserordentlich.
Wieso hat der Bundesrat Ihre Motion
abgelehnt, obwohl er die Bedeutung einer koordinierten Ausgestaltung der
verschiedenen Sektoralpolitiken anerkennt?
Tatsächlich
ist die Haltung des Bundesrates in dieser Frage erstaunlich. Denn seinerzeit
hat Bundesrat Moritz Leuenberger im Ständerat die Entgegennahme einer solchen
Motion zugesichert [Amtliches Bulletin SR vom 2. Juni 2010]. Des weiteren ist im
Entwurf zum Raumkonzept Schweiz zu
lesen [Seite 74]: »Er – also der Bund
– entwickelt zusammen mit den Kantonen,
Städten und Gemeinden eine Gesamtstrategie für die ländlichen Räume sowie eine
Gesamtstrategie für den Alpenraum.« Es ist ja nicht so, dass der
Bundesrat Konzepten und Strategien abgeneigt wäre. So wird zum xten Mal das
sogenannte Wolfskonzept im Auftrag des Bundesrats mit erheblichen finanziellen
Konsequenzen überarbeitet, damit die Wölfe weiterhin Schafe reissen und sich in
unseren Bergtälern wohl fühlen können. Eine Strategie für die Sicherstellung
günstiger Lebensumstände für die Menschen in den Berggebieten und in den
ländlichen Räumen findet der gleiche Bundesrat hingegen als unnötig.
Das ist erklärungsbedürftig. Möglicherweise ist der Bundesrat über die
Bedeutung der Motion durch die Verwaltung sachlich nicht zutreffend beraten
worden.
Beabsichtigen Sie mit der Motion
auf indirektem Weg eine Organisation zu schaffen, die mit der Tripartiten
Agglomerationskonferenz (TAK) vergleichbar wäre, oder die Berggebiete und
ländlichen Räume in die bereits bestehende TAK zu integrieren?
Explizit
ist diese bedeutende Frage der Zusammenarbeit mit der Motion nicht
angesprochen. Die Erkenntnisse aus den bevorstehenden Strategiediskussionen können
freilich die Bestrebungen unterstützen, eine Umwandlung der TAK in eine
Tripartite Konferenz (TK) der Städte, Berggebiete sowie der
ländlichen Räume vorzunehmen. Denn es stehen viele Themen und Probleme an,
welche die
Vertreter der urbanen und der ländlichen Räume zum Vorteil der Bewältigung
gemeinsamer Anliegen miteinander bearbeiten sollten. Die SAB wäre für eine solche
institutionelle Einbindung in eine erweiterte TK prädestiniert zur Wahrnehmung des
Parts der Berggebiete und der ländlichen Räume.
Quelle: Montagna
4 / 2014 – die offizielle Zeitschrift der SAB für das Berggebiet Interview
mit Vincent Gillioz, SAB, 3001 Bern http://www.alpwirtschaft.ch/sav/montagna.html resp. http://www.sab.ch/Montagna.730.0.html
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