Die Mär vom hundertjährigen Frieden - Von Doris Auerbach 12.01.2015 00:44
Man erinnere sich: Als der Europäischen Union im Dezember des Jahres 2012 in Oslo der
von Barroso, van Rompuy und Schulz
entgegengenommene Friedensnobelpreis
zugesprochen wurde, sprach van Rompuy in seiner Dankesrede davon, »dass wir in 40 Jahren einen
hundertjährigen Frieden feiern werden«, wobei er das Ende des Zweiten Weltkriegs als zeitlichen Ausgangspunkt
zugrunde gelegt haben dürfte. Ganz offensichtlich gelang es ihm dabei, den
eigentlichen Bruch in dieser EU-›Friedensachse‹, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien
im Jahr 1999, der die Abspaltung des Kosovos mit sich brachte, problemlos
auszublenden. Ähnlich ›glaubwürdig‹ liess sich Wolfgang Schäuble
vernehmen: »Die Begründung ›keine
Kriege mehr in Europa‹ erscheine 67 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zwar zu
selbstverständlich als Argument. Doch diese lange Friedensphase habe das
geeinte Europa erreicht.« Auch die kriegerischen Einsätze
der NATO wurden mühelos übergangen. So lautet denn damals auch der gemeinsame
Kommentar der drei Politiker: »Es ist eine grosse
Ehre für die Europäische Union: Dieser Preis ist die stärkst mögliche
Anerkennung der tiefen politischen Motive hinter unserer Union: Die
einzigartige Anstrengung von immer mehr europäischen Staaten, Krieg und
Spaltungen zu überwinden und gemeinsam einen Kontinent des Friedens und des
Wohlstands zu gestalten.« Für Bundeskanzlerin Angela Merkel war die Verleihung, wie sie sagte,
eine ›wunderbare Entscheidung‹. Das ›ist
Ansporn und Verpflichtung zugleich, auch für mich ganz persönlich.‹ Mit
den römischen Verträgen sei nach ›Jahrhunderten furchtbaren Blutvergiessens, schrecklicher Kriege, Mord
und Verwüstungen‹ der Grundstein für eine ›Friedensgemeinschaft Europa‹ gelegt worden, so Merkel ferner. An Aussagen dieser Art, die sich nur
beschränkt resp. überhaupt nicht mit der Wirklichkeit decken, haben wir uns
längst gewöhnt.
Um auf Jugoslawien zurückzukommen, so ist festzuhalten, dass sich die
strategische Neuausrichtung der USA seit dem Jugoslawienkrieg dahingehend
entwickelt hat, dass die USA die Welt jederzeit mit Krieg überziehen kann, wenn
es im amerikanischen Interesse ist. Hierzu äusserte sich Willy Wimmer, der
vormalige Vizepräsident der ›Parlamentarischen Versammlung der Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa‹ [OSZE], in einem Interview mit dem
deutschen Zweig des iranischen Radios am 27. 2.14 wie folgt: »Die USA hat sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre
offensichtlich genötigt gesehen, das politisch-militärisch-völkerrechtliche
Faustrecht zu ihren Gunsten wieder einzuführen, weil sie offensichtlich ein
Europa der Kooperation fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Die Vereinigten
Staaten, und ich bedauere das sehr wegen der engen Kooperation, die es über
Jahrzehnte hinweg gegeben hat, haben sich dazu entschieden, den Krieg nach
Europa zurückzubringen. …. Wenn man sich heute die Ukraine ansieht,
wenn man sich ansieht, was in Syrien gemacht worden ist, um die russische
Föderation von Süden her aufzurollen, dann kann man in Moskau den Eindruck
haben, dass demnächst auf Moskauer Strassen das so losgehen soll, wie es
derzeit auf den Kiewer Strassen stattfindet. Und ich sage das vor dem
Hintergrund der Umstände, dass immer viele Gründe zu einer solchen Entwicklung
führen: Aber die USA und Grossbritannien haben immer die Finger drin.«
Der
Fortgang der ›wunderbaren
Entscheidung‹ unter der NATO Sergej Naryschkin, der Präsident der russischen Staatsduma, erklärte
Anfang letzten Dezember: »Die
Streitkräfte Russlands haben die letzten 20 Jahre nie ausserhalb der Russischen
Föderation geschossen. Und trotzdem hat sich die Militärinfrastruktur der NATO
immer mehr unserer Landesgrenze genähert.« Das
Russland vor 25 Jahren gegebene Versprechen, dass die NATO keine Schritte an unsere
Grenzen machen wird, ist - heute für jeden sichtbar - nicht eingehalten worden. »Wenn sich bei dieser Entwicklung jemand zu fürchten
hätte«, so Naryschkin, »dann wohl am ehesten wir. Wir haben jedoch keine
Angst. Russland war immer imstande, sich selbst zu verteidigen. Unser Appell
ist aber ein anderer. Wir appellieren an den Frieden und den Dialog in Europa.« Ebenso sichtbar ist, dass dieser auf Regierungsebene
ungehört verhallt. In diesem Zusammenhang sei
nochmals der konservative britische Unterhausabgeordnete William
Cash zitiert, der im März letzten Jahres zum Ausdruck brachte, dass das ›Projekt Östliche Partnerschaft‹ und das Assoziierungsabkommen der
Ukraine eindeutig den Weg in die Europäische Union und vermutlich auch in die
NATO bahnen sollte. In beiden Fällen
verfolge die EU eine bemerkenswert naive Aussenpolitik«, schrieb Cash auf der
Internetseite ›Conservative Home‹. Die EU müsse anerkennen, dass sie
»einen überproportional grossen Anteil an der Verantwortung für die Krise
trägt, die vermieden werden können hätte.« Nun haben Strategien in der Regel
lange Vorläufer, so auch die Anbindung der Ukraine an die EU, die schon Anfang
Dezember 2006 ein Thema bei dem Treffen von Jacques Chirac, Lech Kaczynski und
Angela Merkel in Mettlach (Saargebiet) war; deutsche Militärkreise debattierten
Anfang Dezember 2009 sowohl über eine Osterweiterung der NATO als auch über
eine Spaltung
der Ukraine. Laut einem Bericht von ›German Foreign Policy‹ vom
1. 12. 2009 [1] schrieb ein früherer Mitarbeiter des Amtes für
Studien und Übungen der Bundeswehr, ein Oberstleutnant der Reserve, dass die
Ausdehnung des westlichen Kriegsbündnisses auf ukrainisches Territorium
weiterhin im Gespräch sei. »Komme es
tatsächlich zu einem solchen Schritt, dann träte wahrscheinlich nur die
Westukraine der NATO bei. Die Ostukraine würde in diesem Fall unabhängig oder
ein De-facto-Staat wie Abchasien.« Dem
Autor zufolge ist der ›Cordon
Sanitaire‹ zwischen dem
Kriegsbündnis und Russland, den die Alliierten des Zweiten Weltkriegs der
Sowjetunion zugestanden hatten, inzwischen weitgehend von der NATO absorbiert
worden; dabei habe man alle ›roten
Linien‹ Moskaus überschritten. Auf der Krisensitzung der NATO zur Ukraine am
29. 8. 14 in Brüssel erklärte der inzwischen von Jens Stoltenberg abgelöste Nato-Generalsekretär
Anders Fogh Rasmussen, dass »das
Bürgerkriegsland alsbald in die NATO aufgenommen werden soll.«
Wie es gegenwärtig
um den ›Ansporn
und die Verpflichtung‹ steht, ist ebenfalls am Verhalten der NATO, die seit Jahren damit beschäftigt ist, ihre
Militärpräsenz in Osteuropa auszubauen, abzulesen. Dem für Europa zuständigen
US-Heereskommandeur Generalleutnant Ben Hodges zufolge will die USA in diesem
Jahr etwa 150 gepanzerte Fahrzeuge nach Europa verlegen, von denen etwa ein
Drittel an den Ausbildungsstätten in Deutschland stationiert werden dürften.
Eine endgültige Entscheidung steht allerdings noch aus. Insgesamt sind
gegenwärtig in Europa etwa 60.000 US-Soldaten stationiert. Die beim NATO-Gipfel
in Newport / Wales geplante Eingreiftruppe ›Speerspitze‹ für Osteuropa soll schon ab diesem
Frühjahr einsatzbereit sein. Diesbezüglich sprach Aussenminister Steinmeier von
einem ›guten und wichtigen Beitrag‹, ›im Fall der Fälle‹ sollten
die sich durch Russland ›bedroht fühlenden
Länder‹ wie Polen und Litauen sicher
sein können, dass die NATO militärisch hinter ihnen steht und bei einem
unerwarteten Angriff in der Lage ist, sie zu verteidigen. Wie es ferner heisst,
würde Russland mit dem Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland einen Angriff auf die
ganze Allianz begehen. Immer der gleiche Tenor: Das Gute in Brüssel und das Böse
in Moskau. So betonte denn auch Stoltenberg am 3. 12. 14, wie wichtig
das momentane Vorhaben der NATO angesichts der andauernden ›russischen
Aggression‹
sei. Und Wolfgang Schäuble: »Eine
Beeinträchtigung von Frieden und Stabilität wäre im
übrigen die grösste Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung. Niemand in
Moskau darf den Eindruck gewinnen, Russland könne mit seinem Vorgehen am Ende
erfolgreich sein. Dazu gehört auch, die Verlässlichkeit der NATO zu betonen.« Er übergeht nicht nur, dass von einer russischen
Aggression nicht die Rede sein kann, sondern dass die US-Aussenpolitik in
Wahrheit einen Regimewechsel in Moskau verfolgt, was ihm nicht verborgen geblieben
sein kann. Denn Henry Kissinger hatte schon im Februar letzten Jahres auf CNN
ganz unverhohlen erklärt, dass die USA die Fäden in der Ukraine zieht und das
Ganze nur eine Generalprobe für einen Regime Change in Moskau ist.
Unmittelbar
vor der letztjährigen Münchner Sicherheitskonferenz vom 31. 1. bis 2. 2. 14 hatte
sich Steinmeier dahingehend geäussert, dass eine ›Politik militärischer Zurückhaltung‹ nicht ›als ein Prinzip
des Heraushaltens missverstanden werden dürfe‹; für die Bundesrepublik stehe jetzt tätige Aussenpolitik an.
Deutschland sei ›zu gross, um die
Weltpolitik nur zu kommentieren. Es wird zu Recht von uns erwartet, dass wir
uns einmischen. Militärinterventionen dürfe man dabei nicht aus dem Denken verbannen.‹ Und zuvor hatte die BRD-Verteidigungsministerin
von der Leyen erklärt, ›Europa komme
ohne kriegerische Mittel im Spiel der globalen Kräfte nicht voran, wenn die
einen sich immer dezent zurückhalten, wenn es um militärische Einsätze geht,
und die anderen unabgestimmt nach vorne stürmen.‹ Wer hätte geahnt, schreibt Peter Scholl-Latour in seinem letzten Werk ›Der Fluch der bösen Tat‹,
dass sich ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
und der feierlichen Bereinigung des Ost-West-Konflikts die Gegnerschaft zwischen
Washington und Moskau neu entzünden würde und dass die Europäer unfähig sein
würden, diesen Rückfall in den Kalten Krieg zu verhindern? Der unselige Konflikt
entzündete sich vollends, als die ›Westliche Gemeinschaft‹, die den Beitritt der Ukraine in die
von Moskau gesteuerte ›Eurasische
Union‹ zu hintertreiben suchte, eine
wirtschaftlicher Assoziation mit der Europäischen Gemeinschaft anbot.
Zur Krise in der Ukraine Wir in Europa und das, was sich zum ›Westen‹ zählt, legt Wimmer u.a. dar, sollten
nicht die Erinnerung daran vergessen, in welcher moralischen, wirtschaftlichen,
finanzpolitischen und allgemein politischen Lage wir am Ende des Kalten Krieges
und der Wiedervereinigung Deutschlands dagestanden sind. Und heute? Selten ist
eine Lage, die es uns erlaubt hätte, wirksam gegen das Elend in der Welt
vorzugehen, so verspielt worden, wie wir es heute feststellen müssen. Der
Westen hat ausschliesslich durch eigene Schuld eine glänzende Ausgangsposition
für jede mögliche Herausforderung über Bord geworfen. Warum? Weil wir uns in
einem aus vielen Gründen notwendigen Bündnis mit einer Macht [die USA; Anmerk. politonline] befinden, die seit mehr als einem Jahrzehnt
im wahrsten Sinne des Wortes ›um
sich schlägt‹ und alle Regeln, die
uns eine Chance auf eine friedlichere Welt gegeben hatten, willentlich ausser
Kraft gesetzt hat. Heute können wir nur beten, dass uns der Konflikt in der
östlichen Ukraine nicht mehr als nur das nächste Weihnachtsfest verhagelt. Es
war eben nicht förderlich, dass die Russische Föderation am Ende des Kalten
Krieges und dem Ende der Sowjetunion eine ›Feder
im Wind‹ geworden war, die als
Mit-Anker jeder europäischen Stabilitätsordnung lange Zeit ausfiel. Und jetzt
nimmt es uns förmlich den Atem, dass die Russische Föderation wieder auf der
weltpolitischen Bühne steht, nachdem sie mit den völkerrechtswidrigen Kriegen
gegen Belgrad, Bagdad, Damaskus und Tripolis die neue amerikanische
Vorgehensweise leidvoll und auch als gegen sich selbst gerichtet empfinden
musste. Alles spricht derzeit dafür, dass der amerikanisch dominierte Westen
weder mit der russischen Sprachlosigkeit, noch der heutigen Rückkehr der
Russischen Föderation als global agierende Macht zurechtkommt. Wer, wie
Frederica Mogherini, seit 1. 11. 14 die neue ›Aussenbeauftragte‹ der
EU, bereits in der ersten öffentlichen Erklärung deutlich macht, die
künftige Politik gegenüber Moskau eng mit der NATO abstimmen zu wollen,
der macht doch klar, wie wenig er zu sagen haben will. Es bedurfte noch nicht
einmal der veröffentlichten Telefonate von Victoria Nuland, um die allgemeine
westliche Strategie in der Ukraine zu begreifen. Der Westen hat an Präsident Janukowitsch
und dem Oligarchenfestival in der Ukraine nichts auszusetzen gehabt, solange
dieser bereit zu sein schien, die entsprechenden Verträge mit der Europäischen
Union zu unterschreiben. Noch in der Nacht nach den Morden von Kiew wurden die
mit den westlichen Hintermännern abgestimmten Brandfackeln in jene Gebiete der
Ukraine geschleudert, die man sich vorgenommen hatte, um gegen Russland
vorgehen zu können. Man war auch nicht zimperlich, sich jener Kräfte zu
bedienen, die in dieser Region die Wirkung einer mittelalterlichen Pest haben:
Alter und neuer Nazis. Es ist schon ebenso erstaunlich wie schändlich, wer in
Kiew und bei uns dazu schweigt oder den Einsatz militärischer Formationen mit
diesem Hintergrund an der russischen Staatsgrenze herunterspielt. Man mag es
gar nicht glauben, wer in dieses Schweigen einbezogen ist. Eines sollten unsere
Regierungen allerdings wissen: Wer ihnen oder den von ihnen beeinflussten
Medien in Zusammenhang mit den ständigen Meldungen aus dem Konfliktbereich in
der Ost-Ukraine noch etwas glaubt, dem kann man nicht helfen. [2]
Dem Mitglied der ›Stern‹-Chefredaktion, Hans-Ulrich Jörges,
zufolge, »ist die Art und Weise der Verankerung des
Krisenjahres 2014 im öffentlichen Bewusstsein ›ein Meisterwerk der Bewusstseinstrübung und
Perspektivenverschiebung‹. Seiner
Meinung nach tragen die grossen Krisen unverkennbar amerikanische Handschrift:
Dass der IS in Syrien und im Irak wuchern konnte, geht für Jörges auf die drei
Golfkriege zurück, auf die Politik der USA und deren Verbündeten Saudi-Arabien.« Auch Jörges legt dar, »dass die USA schon 2008 mit Macht zur Aufnahme von
Georgien und der Ukraine in die NATO gedrängt hätte; beim Umsturz im Februar
2014 hätte dann die USA ihre Finger kräftig mit im Spiel gehabt.« »Alles, was
uns über Jahrzehnte als verlässliche Grösse präsentiert worden ist und uns bei
allen Dissonanzen einen gewissen Halt zu versprechen schien, steht«, wie Wimmer Ende Dezember ausführte, »in diesen ersten Wochen des neuen Jahres auf einem
Prüfstand, wie er schlimmer nicht sein dürfte: In Washington wird ab sofort
Feindschaft institutionalisiert, wenn sich in einer ohnehin verfeindeten Lage,
die innerstaatlicher Auseinandersetzung zu eigen ist, eine republikanische
Kongressmehrheit mit aller Brachialgewalt mit Präsident Obama herumschlagen
wird. Grossbritannien und die dort zu erwartende Unterhauswahl macht die Lage
auch nicht besser. Man kann sich zwar unverändert wundern, warum dieses
menschlich eng befreundete Land jemals auf die Idee gekommen ist, dem vereinten
Kontinentaleuropa beizutreten. Unterstellt man allerdings, dass alles immer dem
nationalen britischen Interesse unterworfen wird, dann war es für Grossbritannien
gewiss nicht ohne Reiz, sich einem aufstrebenden europäischen Projekt
anzuschliessen, als man selbst nichts Besseres aufzuweisen hatte. Wenn Premier
Cameron und andere auf der Insel heute damit nachhaltig spielen, die EU unter
ebenso begründeten wie fadenscheinigen Argumenten verlassen zu wollen, muss einem
vor dem Hintergrund einschlägiger Erfahrungen mit der Insel über Jahrhunderte
eigentlich schlecht werden. Will sich London vom Kontinent lösen, um wieder
seine eingeübten Reflexe spielen zu lassen, die seit langem darauf gerichtet
sind, den Kontinent solange aufzumischen, bis alles wieder in Ruinen liegt?«
Was Griechenland betrifft, so fragt auch Wimmer,
wo die 240 Milliarden Euro der EU-Hilfe denn geblieben sein könnten. »Bevor die verdutzten Bürger in Warschau, Berlin,
Lissabon oder Paris diese Frage überhaupt formuliert haben dürften«, so Wimmer, »wird die Welle der internationalen
Finanzspekulation schon über uns alle hinweggerollt sein. Sollten
die internationalen Pressemeldungen zutreffen, spricht seit geraumer Zeit der
eine oder andere aus dieser Riege vom ›Ende
des europäischen Experiments‹. Wohl
wahr. Das alles dürfte nicht ohne innenpolitische Auswirkungen sein, die sich
dann überaus schnell einstellen könnten.« Zu
der demnächst wiederum stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz schreibt
er: »Dieses Treffen hat seit Jahren den in den Augen vieler Menschen zweifelhaften
Ruf erworben, schlimme Dinge anzukündigen oder einzuläuten. Man möchte fast
ausrufen: ›Kriegstreiber aller
Länder, versammelt euch‹. Wie in
jedem Jahr, so dürfte dieser Ruf auch 2015 erhört werden. Sollte Senator McCain,
dem offenbar kein Krieg zuviel ist, in
München auftauchen, werden wir uns noch umsehen. Selbst US-Amerikanern graust
bei dem Gedanken daran, dass es in Washington bis zum Ende der Amtszeit Obamas
ein Hauen und Stechen der brutalsten Art geben wird. Die absehbare politische
Entwicklung in Washington ist für die Amerikaner lebensgefährlich und für uns
durchaus tödlich. Die Entwicklung vor und nach dem Putsch in Kiew und das
aggressive Vorpreschen des gesamten Westens gegenüber Russland seit dem
Winter 2014 machen deutlich, was auf uns zukommt. Die ›unverzichtbare Nation‹
[die USA, Anmerk. politonline] - von den
Deutschen über Jahrzehnte geradezu verehrt - zeigt ihre Krallen und fegt mit Feuer und
Schwert über den Globus.« Im
Rückblick auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hält er folgendes fest: »Führende amerikanische Repräsentanten, darunter Henry
Kissinger, haben vor gut zehn Jahren bei einem Treffen ehemaliger Staatschefs in
Peking in Anwesenheit des vormaligen Bundeskanzlers Kohl ihre Sicht dazu
freimütig artikuliert. Die Welt sei mit der dynamisch aufstrebenden Nation
Deutschland nicht fertig geworden und man habe den Weg in den Krieg gewählt
oder sei hineingeschliddert. Die Mannen
mit dem Briten Cecil Rhodes sahen es anders; sie wollten die britische
Globalgeltung und die ›Vorherrschaft
der angelsächsischen Rasse‹ unter
allen Umständen für die Zukunft sicherstellen. In einer Zeit, in der Kriege
noch als zulässige staatliche Instrumente angesehen worden sind, galt es,
Deutschland in den Griff zu bekommen. Das Teufelswerk von Versailles schuf die
Grundlage für den zweiten europäischen und globalen Krieg, an dessen Ende allerdings
nach ›Nürnberg‹ die Ächtung des Krieges und die Charta der Vereinten Nationen
standen. Krieg sollte nicht mehr das gängige staatliche Mittel zur Durchsetzung
von Interessen sein. Der Sicherheitsrat sollte der Garant der friedlichen
Konfliktbeilegung sein. Das war und blieb er in Europa auch, bis zum
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Betreiben der NATO und der
amerikanischen Führungsmacht gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Seither wird
die zentrale Errungenschaft der beiden Weltkriege, nämlich das Gewaltmonopol
der Vereinten Nationen - und dies bis zum
Vorgehen im Irak und in Syrien, wenn man in Zusammenhang mit den gewaltigen
Opfern diesen Begriff überhaupt verwenden kann - durch Washington gezielt beseitigt. Wir
alle werden uns festhalten müssen, wenn wir den Jahreswechsel in diesen Tagen
sehen. Es spricht alles dafür, dass Washington den Jahrestag des Sieges 1945
über das Deutsche Reich dazu nutzen wird, die Siegerkoalition mit Moskau
endgültig aufzukündigen. Einladungen werden mit gehörigem Affront
ausgeschlagen. Drohgebärden nehmen zu und eigentlich erwartet man den Ausbruch
von ›non-verbalen‹ Feindseligkeiten. Dieses Ringen, das
uns in völliger Abkehr von den berechtigten Erwartungen zum Ende des Kalten
Krieges im Jahr 2014 auf dem falschen Fuss erwischt hat, wird viele Facetten
haben. Während des Kalten Krieges gab es das geflügelte Wort, nach dem der
Schlüssel für die deutsche Wiedervereinigung in Moskau liege. Mal sehen, was
noch in Moskau liegt.« [3]
Das unverantwortliche, unheilvolle Gerede vom Krieg »Die NATO muss sich für eine mögliche
Kriegsführung im 21. Jahrhundert fit machen.« Dies die
Argumentation des deutschen NATO-Oberbefehlshabers für Nord- und Osteuropa, des
Viersterne-Generals Hans-Lothar Domröse, ganz im Gegensatz zu dem in Aussicht
gestellten hundertjährigen Frieden. Der Plan der NATO, Grossmanöver in
Grenznähe zu Russland durchzuführen, lag laut Domröse, bereits Anfang letzten
Oktober vor: »Wir haben
bisher Grossmanöver von 25.000 bis 40.000 Mann nur in den westlichen NATO-Ländern
durchgeführt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das in Zukunft auch in
Osteuropa und im Baltikum machen«, so
Domröse im Oktober 2014 im ›Hamburger
Abendblatt‹. Bereits Anfang 2015 wollen
die 28 Mitgliedsländer demnach über neue militärische Massnahmen entscheiden. »Wir werden eine Schnelle Eingreiftruppe der NATO
aufbauen, die aus etwa 5.000 bis 7.000 Mann besteht und die innerhalb von zwei
bis fünf Tagen im Einsatzgebiet sein kann. Nach unseren Planungen soll diese im
September 2015 am Grossmanöver ›Trident
Juncture‹ in Spanien, Italien und
Portugal teilnehmen.« Als ob die drei krisengeschüttelten
Länder genau das bräuchten!
Mit Blick auf die EU-Militäraktivitäten hatte
der Leiter der NATO-Sicherheitskonferenzen, Wolfgang Ischinger, kurz
vor Beginn der Konferenz 2014 von einem ›Befreiungsschlag‹ gesprochen. »Militärs«, sagte er, »dringen
darauf, endlich einmal eine der EU-Battle Groups einzusetzen; diese
Kampftruppen stehen schon seit 2007 bereit, sind bisher jedoch noch nie genutzt
worden.« Wie bedauerlich! Kein Kriegseinsatz, keine
Kriegstoten, für die man der Bevölkerung emotional geladene Reden präsentieren
könnte! Auf derselben Konferenz erklärte Aussenminister Steinmeier: Es werde »zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen«; militärische Mittel dürfe man dabei nicht »aus dem Denken verbannen.« Das sind die ›Friedensstifter‹! Schon im Jahr zuvor hatten sich bellizistische Positionen abgezeichnet.
In einer Stellungnahme hatte Ischinger darauf gedrungen, »für den Westen bezüglich des Syrienkriegs keine Option
›von vornherein auszuschliessen‹
- auch nicht eine Kriegsbeteiligung«. Ischinger
zufolge, hielt ›GFP‹ fest, »sähen die
meistern Beobachter (...) den gegenwärtigen Konflikt in Syrien (...) durch eine
Brille, die vor allem durch die Interventionen in Afghanistan und im Irak
geprägt sei. Aus deren Scheitern resultiere Skepsis oder aber Ablehnung
gegenüber neuen Kriegen. Dies aber sei falsch. Ischinger verlangt, der Westen
müsse sich auch in Syrien auf das Prinzip der sogenannten Schutzverantwortung,
der ›Responsibility to Protect‹, beziehen und, sofern machbar, bewaffnet
intervenieren; es sei politisch unverantwortlich, bestimmte Optionen
von vornherein auszuschliessen. Verzichte man prinzipiell auf kriegerische Massnahmen,
komme dies moralisch wie politisch einer Bankrotterklärung gleich.« [4] Ischinger erklärte denn auch Anfang September
2014: »Was wir brauchen, ist eine Doppelstrategie,
mit der wir Putin einerseits machtpolitische Zugriffsmöglichkeiten in Europa
verwehren und andererseits mit ihm den Dialog über die Zusammenarbeit führen
und fortsetzen, so schwierig das unter den derzeitigen Umständen auch sein mag.«
Wie einer Stellungnahme des ›German
Marshall Fund of the United States‹
[›GMF‹] von Anfang Dezember 2014 zu entnehmen war, »warnen transatlantische Kreise vor einem globalen ›Rückzug‹ des Westens und dringen auf einen neuen Schulterschluss der
NATO-Staaten unter der Führung der USA.« Ein solcher lässt schwerlich Hoffnungen auf eine Beruhigung der Lage aufkommen, zumal daran Anstoss genommen wird, dass
Russland die Krim übernommen hat und China seine Position im Streit um mehrere
Inseln und Inselgruppen im Süd- und im Ostchinesischen Meer hartnäckig
behaupten kann; dies beliebt der ›GMF‹ als Folge einer westlichen
Führungsschwäche zu bezeichnen. Wie es ferner heisst, sei derzeit eine ›globale Unordnung‹ zu beklagen: Kein Wort davon, dass die USA diese im Verbund mit
dem Westen selbst geschaffen hat. Der Autor der Studie, Daniel Twining, ist
Senior Fellow beim ›GMF‹; er arbeitet auch für den ›National Intelligence Council‹ der USA, der langfristige Prognosen
für die US-Geheimdienste erstellt. Im weiteren wird einmal mehr die BRD
angeschwärzt: Denn, so Twining, »führt die
deutsche Kooperation mit Russland nur zu Spannungen mit den osteuropäischen
Mitgliedern der eigenen Bündnisse. Mehr Erfolg verspreche es, in ›Frontstaaten wie der Ukraine, Georgien
und Moldawien‹ auf Reformen
zu setzen und sie perspektivisch in die eigene Sicherheitsgemeinschaft
einzubinden.« So lautet denn auch seine Schlussfolgerung,
dass es bei alledem »keinen Ersatz für US-Führung gäbe. Wenn sie fehlt, füllen
Konkurrenten das Vakuum.« [5]
Nun ist ersichtlich, dass die in der Ukraine
nach wie vor herrschende Korruption den geforderten Reformen kaum eine Chance einräumt,
hat doch der eigene Wirtschaftsminister, Aivaras Abromavicius, das Land als das
›korrupteste Europas‹ bezeichnet. Wie den ›Deutschen Wirtschafts Nachrichten‹ am 1.
Januar zu entnehmen war, ist etwa ein Viertel des Budgets des
Verteidigungsministeriums gestohlen worden. »Niemand«, so der Berater des ukrainischen Präsidenten, Juri
Birjukow, »wisse, wohin die Gelder geflossen seien.
Der verschwundene Betrag könnte bei etwa 400 Millionen $ liegen.« Keine Sorge: Dafür springt die BRD einmal mehr in
die Bresche und gewährt der Ukraine zwecks Wiederaufbau der in tödlich sinnentleerten
Weise angerichteten Zerstörungen im Osten der Ukraine einen Kredit in Höhe von einer
halben Milliarde €. Das geht alles ohne Widerstand über die Bühne, ungeachtet
des horrenden und untilgbaren Schuldenstands der BRD. Im
September 2014 war die Korruptionsbeauftragte der Ukraine, Tetjana Schornowil,
zurückgetreten. Ihre Arbeit in der Regierung sei nach eigenen Angaben nutzlos
gewesen. Schornowil erklärte, dass es in der Ukraine keinen politischen Willen
für einen kompromisslosen, breit angelegten Kampf gegen Korruption gibt und
dass Premier Jazenjuk nicht daran interessiert sei, die Geschäftsinteressen der
Oligarchen anzugreifen, um nicht in den von Oligarchen kontrollierten Medien
verunglimpft zu werden. Auch Investoren halten sich zurück, nicht nur aus
Gründen des anhaltenden Konflikts mit Moskau, sondern auch aus Skepsis, ob Kiew
es mit der Korruptionsbekämpfung ernst meint. Hinzu kommt, dass von der EU
überwiesene Gelder ohne jede Auflage resp. Kontrolle fliessen. Wie man
unausgesetzt verdummt wird, geht wieder einmal daraus hervor, dass Bundeskanzlerin
Merkel bei dem Besuch Jazenjuks in Berlin am 8. 1. die Reformanstrengungen des
Landes lobte und erklärte, die Vorhaben, welche die Regierung in Kiew in
Angriff genommen habe, seien ›ambitioniert
und entschlossen‹. »Zudem sei es ein ›Riesenerfolg‹ gewesen, vor Jahresende einen
Haushalt zu verabschieden.« Verabschiedet und vermutlich
sauber konzipiert wohl: Darüber hinaus nichts, denn die Ukraine ist, wie
öffentlich nachgewiesen, bankrott. Daher wird dem Steuerzahler auch vermittelt,
dass die EU-Kommission Kiew mit
zusätzlichen 1,8 Milliarden Euro helfen will. Und die braucht Jazenjuk auch:
Denn, wie er selbst sagte, benötigt sein Land pro Tag 95 Millionen
Gwirna, ca. 5 Millionen €, für die Armee und die Verteidigung des Landes.
Seltsamerweise wurden die Goldreserven der Ukraine, die laut jüngstem Bericht
des ›World Gold Council‹ mit 42,3 Tonnen beziffert werden,
Anfang März letzten Jahres in die USA ausgeflogen, dies auf Befehl der
Regierung in Kiew. Hier fragt man sich, ob sich die USA auf diese Weise eine
Garantie sichern will, falls die von der EU zur Verfügung gestellten Gelder für
die von der USA zu liefernden Waffen nicht ausreichend wären. Der vom US-Senat
am 11. 12. 14 verabschiedete ›Ukraine
Freedom Support Act‹ sieht effektiv
Waffenlieferungen an die Ukraine vor; geplant sind Waffen im Wert von 350
Millionen $.
Eine Monroe-Doktrin für Osteuropa »Die NATO«, schreibt
der US-Journalist James Kirchick in einem Beitrag in der Internet-Ausgabe der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ online, »soll ihren Hegemonialanspruch auf Osteuropa und den
Südkaukasus mit einer neuen Monroe-Doktrin reklamieren.« Es ist erstaunlich,
was uns mehr oder weniger ›hemdsärmelig‹ diktiert wird. Seit wann und wieso könnte die
NATO einen solchen Anspruch geltend machen? Als Monroe-Doktrin wird allgemein
der Anspruch der USA bezeichnet, dass Mittel- und Südamerika ihrer Hegemonie
unterstünden; der Autor dieser Forderung vertritt Ansichten der aussenpolitischen
Hardliner der USA. Wie ›GFP‹ vermerkt, hat Kirchick »in der Presse schon mehrfach Raum zur Darstellung
seiner Positionen erhalten. Seine Beiträge stärken die Position deutscher
Hardliner, die ihrerseits ein aggressives Vorgehen gegen Russland fordern.« Im Hinblick auf die Ergebenheit zahlreicher
Medien gegenüber der USA kaum verwunderlich. Wie der Autor weiter ausführt, »lägen Länder wie etwa die Ukraine, Moldawien und
Georgien ›in einer gefährlichen
Grauzone‹, einer Zone des Streits
zwischen West und Ost und nur ›durch
einen geografischen Nachteil ausserhalb der NATO-Allianz‹. Das westliche Kriegsbündnis könne ihnen gegenwärtig keine
Vollmitgliedschaft anbieten; deshalb solle man auf sie ›etwas anwenden, was der Monroe-Doktrin gleicht‹. Man müsse ihnen unabhängig von der Frage einer
NATO-Mitgliedschaft einen Status verleihen, der alle ›Versuche einer aussenstehenden Macht, ihre Souveränität zu
untergraben‹, zu einer Aggression ›gegen die westliche Allianz‹ erkläre und für diesen Fall Massnahmen
knapp unterhalb der NATO-Beistandsklausel vorsehen.« Und letztere verpflichtet bekanntlich sämtliche
NATO-Mitglieder zum Kriegseintritt auf der Seite des angegriffenen
Mitgliedstaates.« Allerdings,
vermerkt ›GFP‹ hierzu, ist diese Position im bundesdeutschen Polit-Establishment
genauso umstritten wie in der USA selbst. In einem früheren, im Juli 2014 in
der ›FAZ‹ online erschienenen Artikel äusserte sich Kirchick wie folgt: »Angesichts der intensiven wirtschaftlichen
und politischen Beziehungen [Deutschlands, Anm. politonline] zu Russland und dem Iran ..... wären die
amerikanischen Geheimdienste doch verrückt, wenn sie in Deutschland keine
intensiven Spionageoperationen durchführen würden. Die Amerikaner müssen sich
nicht dafür entschuldigen, in Deutschland spioniert zu haben.« »Das Problem sei nicht, dass
die NSA Angela Merkel ausspioniert hat«, sondern
nur, »dass dieser Vorfall öffentlich
wurde. Die Deutschen sollten tief in sich gehen und sich fragen, warum Washington
nicht das Bedürfnis hatte, dies viel früher zu tun.« [6]
DER NATO-GIPFEL IN WALES VOM SEPTEMBER 2014 Vor diesem Gipfel, schreibt ›GFP‹, hatten frühere
US-Geheimdienstmitarbeiter aktuelle Behauptungen über eine angebliche russische
Invasion in die Ukraine als ebenso zweifelhaft eingestuft wie die ›Belege‹ für irakische Massenvernichtungswaffen 2003. Demnach haben
NATO-Fotos, die russische Truppen in der Ostukraine zeigen sollen, ›starke Ähnlichkeit mit den Bildern,
die am 5. Februar 2003 von Colin Powell vor den Vereinten Nationen gezeigt
wurden‹ und die nichts bewiesen. »Trifft die Einschätzung zu, dann wird die aktuelle
Eskalation des Konflikts mit Russland zumindest von Teilen der NATO bewusst und
mutwillig herbeigeführt - mit Zustimmung der Bundesregierung. Gravierend ist in
diesem Zusammenhang, dass Kiew sowohl die Aufklärung der Todesschüsse auf dem
Majdan vom 20. Februar als auch des Abschusses der malaysischen Boeing MH17
verweigert; beides diente dem Westen zur Legitimation für eine Verschärfung des
Kurses gegen die damalige Regierung der Ukraine bzw. gegen Russland. Während
die NATO ihre Einkreisung Russlands vorantreiben will, illustrieren deutsche
Medien ihre Berichte über die angebliche russische Invasion mit gefälschten
Bildern. Während der letzten 20 Jahre hat die NATO Russland immer enger in den
Würgegriff genommen. Von allen Seiten. Seit Afghanistan hat Russland kein Land
angegriffen oder einen imperialen Anspruch gezeigt und der sowjetische
Einmarsch in Afghanistan ist immerhin 30 Jahre her. So erreicht der antirussische
Duktus neue Höhen und so ist von einem ›jahrhundertealten
Drang Moskaus, so weit wie möglich im Westen Fuss zu fassen‹, die Rede. In einem offenen Brief an Angela Merkel hatten mehrere
ehemalige Mitarbeiter verschiedener US-Geheimdienste die Behauptungen über eine
angebliche russische Invasion in die Ukraine als unglaubwürdig eingestuft.
Darin hiess es, dass sich für eine russische Invasion bislang ›keine glaubwürdigen Beweise‹ finden liessen. Zu den Autoren gehört
William Binney, ein ehemaliger Technischer Direktor der NSA. Von der NATO
veröffentlichte Bilder aus der Ostukraine seien ›eine sehr fadenscheinige Grundlage dafür ..., Russland eine
Invasion ... vorzuwerfen‹. Die
Autoren gehen zwar davon aus, ›dass
russische Unterstützung über die Grenze geflossen ist, einschliesslich ausgezeichneter Gefechtsfeld-Aufklärung‹.
Für Lieferungen von Artillerie oder von gar Panzern gebe es jedoch
bislang keinerlei Beweis. [7] Trotz dieser Feststellungen ist in der Presse
unkorrigierbar und nicht nachlassend von der russischen Aggression die Rede.
Vorzugsweise
ehemalige Militärs haben in Wales beklagt, dass man Russland in die Ecke
getrieben habe. Wie es hiess, hätte man ein kooperatives Russland bevorzugt.
Denn die NATO und der Westen seien in vielen Fragen auf die Zusammenarbeit mit
Russland als einem grossen und wichtigen Land angewiesen. Das Vorgehen in Bezug
auf Syrien oder den Iran müsse mit Russland als permanentes Mitglied im
Weltsicherheitsrat abgestimmt werden. Sollten zum Beispiel in der Arktis zwei
Tankschiffe kollidieren, könne nur Russland helfen, denn nur Russland hat die
entsprechenden Eisbrecher. Es ist kaum vorstellbar, dennoch Fakt, dass ein
CDU-Politker angesichts des Chaos und der absolut desolaten Lage in der
Ostukraine sowie angesichts der weiterhin angestrebten Niederwerfung Russlands erklären
kann, dass ›das Krisenjahr 2014 die
Bereitschaft der Deutschen zum internationalen Engagement erhöht
hat‹. »Die
Deutschen«, so Norbert Röttgen, Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, am 3. Januar, »denken am Ende des Jahre 2014 anders über das
Verhältnis ihres Landes zur Welt als am Jahresanfang.« Wo gedenkt Röttgen noch Krieg zu führen? Reichen die Infernos
in Syrien, im Irak, das anhaltende Chaos in Afghanistan und die ethnischen
Kämpfe in Afrika noch nicht? Was stellt sich dieser Mann eigentlich vor? Kaum ein
normal denkender Bürger dürfte noch imstande sein, Verständnis für die
Fortsetzung kriegerischer Aggressionen, die uns demnächst ins Armenhaus verfrachten
werden, aufzubringen. Hinzu kommt, dass die Antikriegsstimmung gerade in der
BRD in zahlreichen Umfragen einwandfrei ermittelt worden ist.
Viktor Juschtschenko, der in der ersten Phase der Orangenen Revolution
an die Macht gehievt worden war, hat, wie die ›Bürgerrechtsbewegung Solidarität‹ berichtet, Anfang Januar
eindringlich gewarnt, dass 60 % der Ukrainer gegen das Vorhaben der
Regierung in Kiew, der NATO beizutreten, seien und zu einem nationalen Dialog
aufgerufen. Selbst der Direktor der ›Arbeitsgruppe
Ukraine in Europa‹ des Atlantikrats,
Adrian Karatnycky, warnte, der ›Rechte
Sektor‹ und fanatisch russlandfeindliche
ukrainische Oligarchen, welche die Extremisten finanzieren, gefährdeten die
Sicherheit der Ukraine und müssten sofort unter Kontrolle gebracht werden. Unmittelbar
nach der Parlamentswahl in der Ukraine am 26. 10. 14 hatten radikale
Neonazi-Fraktionen in der Ukraine Präsident Poroschenko offen gedroht, er dürfe
den Prozess der Einbindung der Ukraine in die EU - und damit auch in die NATO -
nicht verlangsamen. Der Chef des ›Bataillons
Dnipro-1‹, einer vom ukrainischen
Oligarchen Igor Kolomoisky unterhaltenen Neonazi-Miliz, hatte erklärt,
Poroschenko habe 6 Monate Zeit, um ihre Forderungen zu erfüllen, sonst werde es
einen Militärputsch geben. Am 1.1. marschierten in Kiew Tausende zum 106.
Geburtstag des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera und liefen dabei dieselbe
Strecke wie die ersten Majdan-Demonstranten. Was den ukrainischen
Faschistenführer Oleh Tiahnybok, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei ›Swoboda‹, angeht, so war Steinmeier mit diesem am 20. 2. 14 in den Räumen
der deutschen Botschaft in Kiew
zusammengetroffen. Tiahnybok hatte an den mehrstündigen gemeinsamen
Verhandlungen über den bewaffneten Umsturz in der Ukraine mit zwei weiteren
Oppositionsführern gleichberechtigt teilgenommen. Heute hat die rechtsextreme ›Swoboda›-Partei, die sich bis 2004 noch Sozial-Nationale Partei nannte,
acht wichtige Posten im Kabinett unter Premierminister Jazenjuk inne. Der tschechische
Präsident Milos Zeman erklärte am 3. 1. in einem Interview mit der Tageszeitung
›Pravo‹: »Der Majdan
war alles andere als eine demokratische
Revolution. In der Ukraine läuft jetzt ein Bürgerkrieg.« Regierungschef Jazenjuk sei »höchstwahrscheinlich der Kriegsministerpräsident, denn
er will keine friedliche Lösung.« Am
Jahresende hatten die Aussenminister Russlands, der Ukraine, Deutschlands und
Frankreichs telefonisch über eine schnelle Fortführung des Minsker Abkommens
vom September zur Beilegung der Krise verhandelt und sich darauf geeinigt, dass
die Kontaktgruppe wieder
zusammentreten solle. Alles, so die ›Bürgerrechtsbewegung
Solidarität‹, hängt jetzt davon ab,
ob der dominierende Einfluss von Obama und seiner Neocons-›Frau fürs Grobe‹ in der
Ukraine, Victoria Nuland, effektiv gekappt werden kann, um zu verhindern, dass
die Ukraine als Zünder zu einer thermonuklearen Eskalation mit Russland benutzt
wird. [8]
Abschliessend eine Feststellung von Michail Gorbatschow, der die USA für den
neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Russland verantwortlich macht: »Ich habe gelernt, dass du den Amerikanern zuhören
kannst, aber du kannst ihnen nicht trauen.«
[1] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57684 1. 12. 09 ›De-facto-Staat‹ Ostukraine [2] http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1957 Zeit-Fragen
> 2014 > Nr.
28, 18.11.2014 Nato sehnt händeringend russischen Einmarsch in die Ost-Ukraine
herbei -
Von Willy Wimmer [3] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/willy-wimmer/das-ende-des-europaeischen-experiments-fliegt-2-15-alles-in-die-luft-html;jsessionid=C582B2D7CCA7B99C4216FBEC95E0C9B6 31. 12. 14
Das Ende des europäischen Experiments: Fliegt 2015 alles in die Luft?
Von Willy Wimmer [4] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58677 2. 9. 13
Die Allianzen der Rivalen Wolfgang Ischinger: Die syrische Hölle. Warum wir die Lehren aus Bosnien
nicht vergessen dürfen; Internationale Politik September/Oktober 2013 [5] Daniel
Twining: Periphery as the New King: Lessons from the Current Global Disorder
for the Transatlantic Allies. GMF Policy Brief, October 2014 [6] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58983 4. 11. 14 Eine Monroe-Doktrin für Osteuropa
James Kirchick: Eine Monroe-Doktrin für die Nato. www.faz.net 03.11.2014 James Kirchick: Warum wir die Deutschen ausspionieren müssen.
www.faz.net 11.07.2014 [7] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58941 4. 9. 14 Moskaus Drang nach Westen [8] http://www.bueso.de/node/7835 5. 1. 15
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