Ukraine - Kein Einlenken 10.05.2015 23:18
d.a. Letzten Berichten zufolge wird in der Gegend um Mariupol gekämpft, was die Brüchigkeit
des Minsker Abkommens
unterstreicht. Dort wird sich wahrscheinlich entscheiden, ob der
Waffenstillstand hält, oder ob der verheerende Krieg im Osten weitergeht. Der
in Minsk vereinbarte Abzug schwerer Waffen, so die Journalisten Ralph Rudolf
und Uwe Markus in der ›Jungen Welt‹, wurde von der ukrainischen Armee und dem an deren
Seite operierenden, extrem rechten Freikorpsbataillon ›Asow‹ nicht
umgesetzt. Denn in Mariupol und Umgebung, vor allem in dem Ort Schirokine,
sollte gelingen, was sich Anfang des Jahres bei Donezk und im Kessel von
Debalzewe als unmöglich erwiesen hatte: die Erringung einer zumindest
punktuellen militärischen Überlegenheit über die Verbände der international
nicht anerkannten ›DVR‹, die von Kiew abtrünnigen
Donezker und Lugansker ›Volksrepubliken‹ (DVR bzw. LVR) im Osten des Landes. »Für Experten ist
jedoch längst klar, dass die Region um Mariupol ein Gebiet ist, über das der
ukrainische Staat und seine Streitkräfte immer weniger Kontrolle haben.
Zugleich ist gerade deshalb die militärische Instabilität hier besonders hoch.
Beide Konfliktparteien richten sich offenbar auf eine Intensivierung der Kampfhandlungen
ein.« [1]
In
Berlin waren schon Anfang März Warnungen vor einem Totalkollaps der Ukraine und
Forderungen nach einer Aufnahme des Landes in die EU, eventuell auch in die
NATO, laut geworden. Wolle man verhindern, dass ›in der Nachbarschaft der EU auf Dauer ein schwacher oder
zerfallender Staat mit allen ... Konsequenzen‹ entstehe, dann komme man um ›eine
EU-Integration der Ukraine mit allen finanziellen und politischen‹ Folgen nicht herum, erklärte ein
Osteuropa-Experte von der ›Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik‹
(DGAP). Mit der Durchführung eines
solchen Schrittes kämen auf die EU-Mitgliedsländer weitere exorbitant hohe, die
Verschuldung weiter steigernde finanzielle Lasten zu. [2]
Darüber hinaus eskaliert in der Ukraine der Konflikt
zwischen der Kiewer Regierung und den faschistischen Milizen im Osten des
Landes. Waren die Milizen und ihre Vorläufer auf dem Majdan noch nützlich, um
zunächst Präsident Janukowitsch zu stürzen und danach die ostukrainischen Aufständischen
zu bekämpfen, so drohen sie nun den geforderten Waffenstillstand endgültig zu
brechen. Gegen den militanten Rechten Sektor hat die EU keine Massnahmen
erlassen. Dessen Chef Dimitri Jarosch hatte bereits am 14./15. 2. angekündigt,
dass die Minsker Vereinbarungen für seine Gruppe nicht gelten. Deshalb behalte
man sich das Recht vor, nach eigenen Plänen weiter zu kämpfen. [3]
In
diesem Zusammenhang sei nochmals kurz auf die Majdan-Proteste zurückgekommen: Während
diesen, hält ›German Foreign Policy‹ fest, hatten militante Aktivisten der
extremen Rechten, insbesondere des ›Rechten
Sektors‹, eine ganz entscheidende
Rolle gespielt: Ohne sie wäre die Realisierung der Eskalationsstrategie, die
letztlich zum Sturz von Präsident Janukowitsch führte, kaum möglich gewesen.
Bekanntlich schlossen sich die gewalttätigen Faschisten vom Majdan nach
Janukowitschs Sturz in die als ›Bataillone‹ bezeichneten Milizen zusammen, um die
Aufstände im Osten der Ukraine niederzukämpfen. In deutschen Medienberichten
waren selbst Kämpfer des faschistischen ›Bataillons
Asow‹ als ›Freiheitskämpfer‹ gegen
den russischen Einfluss geehrt worden. Offensichtlich ist Kiew derzeit nicht in
der Lage, den Bürgerkrieg im Osten militärisch zu gewinnen. Bei einer
Weiterführung des Krieges, heisst es bei ›GFP‹, seien erneute Gebietsverluste
keineswegs unwahrscheinlich. Die »faschistischen Milizen lassen
keinen Zweifel daran, dass sie das zweite Minsker Abkommen samt dem
Waffenstillstand dezidiert ablehnen: Die Übereinkunft sei ›Unsinn‹, äusserte der
Gründer des ›Bataillons Donbass‹, Semen Sementschenko, am 3. Mai in
Mariupol exemplarisch; ebenso positioniert sich das Bataillon des ›Rechten Sektors‹, das Berichten zufolge den Waffenstillstand bereits mehrmals
gebrochen hat. Der fanatische Kampf gegen die Aufständischen hat für die Miliz
Vorrang vor taktischer Zurückhaltung.« In der
letzten Aprilwoche hatte die Regierung in Kiew veranlasst, dass Fallschirmjäger der
regulären ukrainischen Streitkräfte den Hauptstützpunkt des Bataillons des ›Rechten Sektors‹ umstellten, wobei sich beide eingegraben hatten und sich
bewaffnet gegenüber lagen, so dass der Konflikt zu eskalieren droht.
Das
Bataillon ist inzwischen in vielfacher Hinsicht fest verankert und übt einen
starken Einfluss aus. Es gilt als schlagkräftig und ist daher militärisch
unverzichtbar, denn eine Schwächung der Kiewer Truppen käme nicht gelegen.
Zudem sind Anführer und Aktivisten des ›Rechten
Sektors‹ in einflussreiche
Positionen von Polizei und Militär gelangt: Wadim Trojan, Kämpfer des ›Rechten Sektors‹ auf dem Majdan, ist seit November 2014 Polizeichef der Oblast
Kiew; Dmitro Jarosch, Führer der Organisation, ist kürzlich zum Berater des
ukrainischen Generalstabschefs ernannt worden. Zugleich verfügt der ›Rechte Sektor‹ über ein erhebliches Gewaltpotential. Am 29. April waren
Aktivisten der Organisation vor dem Präsidialamt in Kiew aufmarschiert und hatten
verlangt, dem Druck auf ihre Miliz ein Ende zu setzen; andernfalls werde man
den Sitz des Staatsoberhaupts niederbrennen. Die Verantwortlichen seien ›Verräter‹, sie müssten ›erbarmungslos bestraft
werden‹, forderte ein
Führungsmitglied. Auch mit Blick auf die Stärke des ›Rechten Sektors‹ ist die
Situation als höchst ›angespannt‹ beschrieben worden.
Wirtschaft Es
stellt sich ferner die Frage, wie ein totaler Zusammenbruch der ukrainischen
Wirtschaft bei einem fortdauerndem Bürgerkrieg verhindert werden kann. Während
der Westen auf eine Einhaltung des Waffenstillstands dringt, ergeht von deutsche
Ökonomen der Vorschlag, den Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft ohne die
abtrünnigen Gebiete um Donezk und Luhansk in Angriff zu nehmen. »Ein
Verzicht auf die beiden Regionen entlaste den Staatsetat, erklärt die ›Deutsche Beratergruppe Ukraine‹, die die Kiewer Regierung seit Jahren
in Wirtschaftsfragen instruiert.« Eine Loslösung der beiden
Regionen werde zwar die ›Grösse‹, aber ›nicht unbedingt die Stärke der ukrainischen Wirtschaft vermindern‹, heisst es in einem von der Beratergruppe
kürzlich erstellten Papier. Zwar würde eine Abtrennung der ostukrainischen
Metallindustrie Wirtschaftsleistung und Exporte deutlich senken, doch könne der
Staatshaushalt infolge des Wegfalls von Sozialleistungen und Subventionen für
den unrentablen Kohlebergbau auf umfangreiche Einsparungen hoffen. Zudem seien
in der Ostukraine beträchtliche Bürgerkriegsschäden zu beklagen; verzichte Kiew
auf Donezk und Luhansk, dann müsse es die Kosten für den teuren Wiederaufbau
nicht tragen. [4]
Dessen ungeachtet hatte Victoria Nuland, die den
Maidan-Putsch gesteuert hatte, die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine vor dem
Aussenpolitischen Ausschuss des US-Kongresses in den ersten Märztagen in
rosigen Farben gemalt und behauptet, das Parlament in Kiew habe »wichtige, aber
schwierige Wirtschaftsreformen« beschlossen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, und habe deshalb mehr Hilfen vom
IWF und anderen internationalen Geldgebern verdient. Indessen sind Überbrückungskredite des IWF stets
an harte Bedingungen geknüpft, zu denen auch die Erhöhung der Energiepreise
zählt; letztere waren Anfang Februar um annähernd 300 % gestiegen; der Monatsmindestlohn
liegt inzwischen unter 40.- Euro. [5]
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage des Landes vermerkte ›Strategic Alert‹ diesen
März, dass am 2. 3. 15 in Wien eine neue ›Agentur zur
Modernisierung der Ukraine‹ [›AMU‹]
vorgestellt worden ist, die angesichts
des heruntergekommenen Zustands der Wirtschaft die Finanz- und Wirtschaftspolitik
neu strukturieren soll. Die 500 Millonen € schwere Initiative wird von den drei berüchtigten ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch, Rinat Achmetow und
Viktor Pintschuk finanziert. Alle drei gehören zu den Oligarchen, die von der wirtschaftlichen
und sozialen Katastrophe des Landes in den letzten 20 Jahren am meisten profitiert
haben. Den Vorsitz führt der frühere österreichische Finanzminister Michael Spindelegger;
aus dem Westen beteiligen sich ferner drei frühere EU-Kommissare: Peter Mandelson, Günter Verheugen und Stefan
Füle; des weiteren Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Ex-BRD-Verteidigungsminister
Rupert Scholz, der frühere französische Aussenminister Bernard Kouchner, die
frühere Chefin des französischen Arbeitgeberverbands Laurence Parisot sowie der
frühere polnische Ministerpräsident Wlodzimierz Cimoszewicz. Die
Initiative diskreditiert sich schon deshalb selbst, weil zu den
Gründern der Agentur der französische ›Intellektuelle‹ Bernard Henri-Levy gehört, einer der wichtigsten
Förderer des Maidan-Putsches im letzten Jahr war. [6]
Um
den vollständigen ökonomischen Kollaps zu verhindern, hatte der US-Milliardär
George Soros zusätzlich zu den jüngsten Finanzhilfen des Westens - sie belaufen
sich auf 40 Milliarden US-$ - ein erneutes Stützungsprogramm im Wert von 50
Milliarden $ gefordert. Soros' Begründung ist bezeichnend: ›Der wirtschaftliche Zusammenbruch der Ukraine wäre für Putin der
maximale Erfolg‹; dies müsse
verhindert werden. [2]
Dabei
räumen selbst Kommentatoren, die gemeinhin proukrainisch berichten, offen ein,
dass der Grund für den Absturz der ukrainischen Wirtschaft ›zwar der Bürgerkrieg sei, aber nicht nur.‹ Vor allem die Korruption und die Machenschaften
der Oligarchen trügen Schuld daran. Gegen sie richteten sich bereits die
Majdan-Proteste; dennoch sind sie seit dem Machtwechsel in Kiew nicht geringer
geworden. Tatsächlich gehörte es zu den ersten Massnahmen des Kiewer
Umsturzregimes, Oligarchen in zentrale Machtpositionen zu bringen, etwa Ihor
Kolomojskij, der als Gouverneur von Dnipropetrowsk zunächst mit der
Niederschlagung von Protesten gegen das Umsturzregime betraut wurde und heute
als Finanzier teilweise faschistischer Milizen eine entscheidende Rolle im
ostukrainischen Bürgerkrieg spielt. Zu den in Amt und Würden gekommenen
Oligarchen gehört selbstverständlich Poroschenko, der sein Wirtschaftsimperium nach
seiner Wahl keineswegs veräussert hat, wie er dies angekündigt hatte, und so bis
heute nicht nur den Süsswarenkonzern Roshen, sondern auch den Fernsehsender ›Kanal 5‹ kontrolliert. Ganz wie vor dem Umsturz könnten Fachleute unter
den Abgeordneten des Parlaments in Kiew eine ›Poroschenko‹- von einer
›Kolomojskij‹-, einer ›Firtasch‹- und einer ›Achmetow‹-Gruppe recht
klar unterscheiden, berichtete kürzlich ein ukrainischer Experte. Es gebe grossen
Unmut in der Bevölkerung; allerdings seien die meisten ›nicht so resolut wie die Einwohner des Donbass, die eine
Nationalisierung der Industriebetriebe fordern, weil die Milliardäre sie
verarmen liessen.‹ [2]
Wie
den ›Deutschen Wirtschafts
Nachrichten‹ vom 6. Mai zu entnehmen
war, hat sich der Rubel im Osten der Ukraine inzwischen weitgehend als
Zahlungsmittel durchgesetzt. Ausschlaggebend hierbei ist, dass sich die
Rebellen durchgehend mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und weiteren Materialien
eindecken müssen und dafür den Rubel als Währung benutzen. Der
ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz hat diese herausgehobene Stellung des
Rubels im Osten der Ukraine bestätigt. Die Verdrängung der ukrainischen Hrywnja
durch den Rubel führt auch dazu, dass der Einfluss der Regierung in Kiew in den
Rebellen-Gebieten schwindet. »Die zunehmende Nutzung des Rubels ist ein weiteres Zeichen für Russlands
de facto-Souveränität in den Rebellen-Gebieten«, sagt Cliff Kupchan, Vorsitzender der ›Eurasia Group‹ in New York. Die
Ukraine ist das einzige Land der Welt, in dem der Rubel 2014 trotz eines
Wertverlusts gegenüber dem Dollar in Höhe von 46 % nicht an Attraktivität
verlor; die Hrywnja verlor im selben Zeitraum gegenüber dem $ 48 % an Wert.
Auch in Abchasien, Süd-Ossetien und Moldawien wird der Rubel bereits als
Zahlungsmittel eingesetzt. [7]
Warnungen vor einem Krieg Am
9. Januar hatte Michail Gorbatschow mit Blick auf die Geschehnisse in der
Ukraine vor einem Krieg in Europa gewarnt. »Ein
solcher Krieg würde heute wohl unweigerlich in einen Atomkrieg münden. Wenn
angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden
wir die nächsten Jahre nicht überleben«,
erklärte er. »Ich
sage so etwas nicht leichtfertig. Ich mache mir wirklich allergrösste Sorgen.« Bezüglich des, wie er sagte, ›katastrophalen
Vertrauensverlustes‹ zwischen
Russland und dem Westen sprach er die Forderung aus, die beiderseitigen
Beziehungen zu ›enteisen‹. Gorbatschow wandte sich gegen Versuche,
Russland zu isolieren, ebenso gegen die westlichen Wirtschaftssanktionen: »Es
war auch falsch, Russland aus der G-8 auszuschliessen. Das erinnert an
Blutrache und führt ins Nichts.« Darüber hinaus kritisierte er die deutsche Ukraine-Politik
mit scharfen Worten. »Das neue Deutschland will sich
überall einmischen. In Deutschland möchten anscheinend viele bei der neuen
Teilung Europas mitmachen«, sagte er. Als ›extrem
dumm und höchst gefährlich‹
bezeichnete er Gedankenspiele im Westen, Putin zu stürzen. Der USA und der NATO
warf er vor, die europäische Sichererheitsstruktur durch die Erweiterung des
westlichen Verteidigungsbündnisses zerstört zu haben: »Kein
Kremlchef kann so etwas ignorieren«, sagte er. Die USA hätte leider
angefangen, ein Mega-Imperium zu errichten.
[8]
Am
5. Mai haben rund 100 Generäle der vor 25 Jahren aufgelösten Nationalen
Volksarmee (NVA) der DDR vor einem Krieg mit Russland gewarnt und sich mit
einem Friedensappell an die Öffentlichkeit gewendet. Anlass hierzu bilden die eierlichkeiten
zum 70. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus. Zu den Unterzeichnern
gehören zwei ehemalige Verteidigungsminister, drei Generaloberste, 19
Generalleutnant sowie 61 Generalmajore und Admiräle. Der ›Berliner Umschau‹
zufolge heisst es in dem Antikriegsappell u.a.: »Als
Militärs, die in der DDR in verantwortungsvollen Funktionen tätig waren, wenden
wir uns in großer Sorge um die Erhaltung des Friedens und den Fortbestand der
Zivilisation in Europa an die deutsche Öffentlichkeit. Wir erinnern daran: ›Die Nationale Volksarmee war keinen
einzigen Tag an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt, und sie hat bei
den Ereignissen 1989/90 maßgeblich dafür gesorgt, daß keine Waffen zum Einsatz
kamen. Frieden war immer die wichtigste Maxime unseres Handelns. Deshalb sind
wir entschieden dagegen, daß der militärische Faktor erneut zum bestimmenden
Instrument der Politik wird‹. Die
von Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und dem früheren DDR-Verteidigungsminister
Admiral a.D. Theodor Hoffmann angeführten Militärs kritisieren die gegen Rußland
gerichtete Politik des Westens: Die Strategie der USA ziele darauf ab, Rußland
als Konkurrenten auszuschalten und die EU zu schwächen: ›Mit dem Versuch, die Ukraine in die EU und in die NATO
aufzunehmen, sollte der Cordon sanitaire von den baltischen Staaten bis zum
Schwarzen Meer geschlossen werden, um Rußland vom restlichen Europa zu
isolieren. Nach amerikanischem Kalkül wäre dann auch eine deutsch-russische
Verbindung erschwert oder verhindert‹.
Die Bundesrepublik müsse ›eine den
Frieden fördernde Rolle spielen. Das gebieten sowohl ihre geopolitische Lage
als auch die geschichtlichen Erfahrungen Deutschlands und die objektiven
Interessen seiner Menschen. Dem widersprechen die Forderungen des
Bundespräsidenten nach mehr militärischer Verantwortung und die
in den Medien geschürte Kriegshysterie und Russenphobie. ….. Die
forcierte Militarisierung Osteuropas ist kein Spiel mit dem Feuer, es ist ein
Spiel mit dem Krieg!‹« [9]
Richard Sakwa, der an der Universität Kent eine Professur für Russische
und Europäische Studien inne hat und Fellow des ›Russia and Eurasia Programms‹ am Royal Institute of International Affairs ist, befasst sich in seinem
Buch ›Frontline
Ukraine - Crisis in the Borderlands‹ mit dem aktuellen Dilemma des Landes.
[1] In dem Interview, das die ›Deutschen Wirtschafts Nachrichten‹ Anfang März mit dem Autor führten, legte dieser unter anderem folgendes
dar: Der Wendepunkt war die Konferenz von Malta im Dezember 1989. Hier wurde
unmittelbar nach dem Fall der Mauer das neue Nachkriegssystem geformt. Präsident
George H. W. Bush hatte zwar verstanden, dass die Macht der Sowjetunion im
Schwinden war, aber er hat es versäumt zu verstehen, dass Michail Gorbatschow
plante, eine neue Art der Politik zu etablieren, in der es weder Sieger noch Verlierer
gab. Stattdessen hat die USA die Ereignisse als Sieg ihrer eigenen Politik
gedeutet. Heute, 25 Jahre später, verstehen wir die Tiefe der strategischen
Niederlage. Das Schlimme an der Konferenz von Malta war, dass es keinen
europäischen Politiker gab, der, wie Churchill in Jalta, die Interessen der
Westeuropäer vertreten hätte. Tatsächlich wurde über unser Schicksal auf
unserer Seite des Kontinents ohne unsere eigene Mitwirkung bestimmt. Man
hätte die NATO nach 1989 entweder auflösen können, oder aber Russland in eine
reformierte Organisation aufnehmen müssen. Stattdessen haben wir die Schlimmste
aller Möglichkeiten bekommen – eine erweiterte NATO, die nun damit beginnt, Russland
von allen Seiten einzukreisen. Man muss kein strategisches Genie sein, um
zu verstehen, dass Russland - eine Nuklearmacht
- früher oder später gegen diese
Entwicklung angehen würde. Die EU hat ihren schwachen Sinn für Strategie und
die Folgen ihrer eigenen Aktionen für die bestehenden Machtverhältnisse
bewiesen, als sie sich in die Ukraine bewegt hat. Das war Dummheit im grossen
Stil, angetrieben von Polen und den baltischen Staaten.
Ich spreche hier über den neuen Atlantik-Pakt, in welchem die NATO, die
USA und die EU faktisch miteinander verschmolzen sind. Das bedeutet nicht, dass
Länder wie Frankreich und Deutschland nicht einzelne, unabhängige Initiativen
ergreifen könnten. Aber alles, was sie tun, ist eng an die transatlantische
Partnerschaft angebunden. Deutschland hat unter Merkel viel von seiner früheren
globalen Unabhängigkeit verloren. Das
war der Preis dafür, dass Deutschland mit atlantischer Unterstützung in der
Europapolitik und der Wirtschaftspolitik führend tätig werden konnte. Ich glaube, dass die
EU-Aussenpolitik unter Federica Mogherini das Potential hat, aus dem Fehlern
der Geschichte zu lernen. Aber Mogerhini ist bereits unter enormen Druck der
Atlantiker gekommen, die wollen, dass sie deren Sichtweise annimmt. Die Folgen
sind desaströs, wie wir jetzt sehen.
Putin ist eine bekannte Grösse und hat seit der
Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 davor gewarnt, dass Russland mit
der aktuellen strategischen Situation nicht glücklich ist. Aber niemand hat ihm zugehört.
Sie müssen bedenken, dass jeder russische Führer nicht viel anders agieren
würde als Putin. Es ist nicht der Fall, dass Putin in einer anderen Realität
lebt, das Problem ist, dass niemand im Westen darauf geachtet hat, dass Putin
durch die aktuelle Situation in genau diese Lage geraten könnte. Putin braucht
diesen Krieg nicht. Er hat alles getan, um ihn zu vermeiden. Die
Verantwortung liegt komplett in Washington und Brüssel. Putin hat
bereits fantastische Zustimmungsraten. Er hat die Olympischen Spiele in Sotschi
erfolgreich veranstaltet. Was jetzt geschieht, ist das letzte, was er braucht.
Er ist kein revisionistischer Führer, und daher ist die westliche Einschätzung
seiner Handlungen meistens völlig falsch.
Ich glaube, dass der am meisten beunruhigende
Aspekt der ganzen Krise das Vorherrschen einer völlig einheitlichen westlichen
Sicht der Dinge ist. Es ist erschreckend zu sehen, wie die westliche
Öffentlichkeit und die Eliten sich dieser falschen Sichtweise angeschlossen
haben. Es ist immer leicht, Russland für alles die Schuld zu geben. Russland
ist sicher weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber es ist sicher nicht die böse
Macht, als die es der Westen jetzt darstellt. Es ist für mich auch schockierend
zu sehen, wie leicht die westlichen Wirtschaftsführer dieser falschen
Interpretation aufgesessen sind.
Auf die Frage, welche Art der staatlichen Organisation die
beste für die Ukrainer wäre, antwortete Sakwa: Am besten wäre ein
föderaler und nicht zentralistischer Staat. Dies ist zwar kurzfristig nicht
sehr wahrscheinlich zu erreichen, aber auf lange Sicht ist es der einzige Weg
für die Ukraine. Der Donbass wird niemals wieder ein Teil eines
nationalistischen und zentralistischen ukrainischen Staates sein können. Wir
brauchen eine grosse neue Konferenz, so wie Jalta oder Helsinki, die sich mit
all diesen Themen beschäftigt. Im Moment werden diese Probleme immer
dringender. Das betrifft auch Transnistrien und andere Regionen, sogar den
Kosovo. Jazenjuk, so Sakwa ferner, ist heute der gefährliche Mann in Europa.
Ich verstehe nicht, wie ein solch entschlossener Nationalist überhaupt mit
Respekt behandelt werden kann. Im Grunde geschieht in der Ukraine dasselbe wie
in Libyen oder Syrien oder im Irak. Ein ›Reich des Chaos‹ hat einen neuen
Politik-Stil nach Europa gebracht, und wir haben nichts dagegen unternommen.
Welchen Sinn hat denn die EU, wenn sie nicht einmal einen Krieg auf ihrem
eigenen Kontinent verhindern kann?
Wir wandeln auf einem
schmalen Grat zwischen einem umfassenden Krieg und einer Art
Stillhalte-Abkommen. Die mutige Initiative von Merkel und Hollande für ›Minsk 2‹ könnte die
Situation stabilisieren. Aber wir müssen
verstehen, dass dies bloss der Anfang eines möglichen Friedensprozesses sein
kann. Die Regierung in Kiew muss unter Druck gesetzt werden, damit sie das Land
so gestaltet, dass es für die Bürger des Donbass eine akzeptable Form der
Rückkehr in die Ukraine gibt. Ich glaube jedoch, dass eine weitere Teilung der
Ukraine nun sehr wahrscheinlich geworden ist. Die aktuelle Regierung in Kiew
macht die Probleme lediglich schlimmer anstatt sie zu lösen. [5]
[1]
https://www.jungewelt.de/2015/05-08/010.php 8. 5. 15 Ralph Rudolf, Uwe
Markus -
Faschistentrainer [2] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59068 3. 3. 15 Mit
allen Konsequenzen [3] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/02/16/gegen-putin-eu-belegt-mitglieder-von-russischer-regierung-mit-einreise-verboten/ 16. 2. 15 [4] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59108 5. 5. 2015 Widerspenstige
Kollaborateure [5] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/03/09/britischer-forscher-eu-politik-in-der-ukraine-war-dummheit-im-grossen-stil/ 9. 3. 15 [6] Strategic Alert Jahrgang 28,
Nr. 11 vom 11. März 2015 [7]
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/05/06/abschied-von-kiew-der-rubel-erobert-als-neue-waehrung-die-ost-ukraine/ 6. 5. 15 [8] http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=45317&title=Ukraine-Krise%3A+Gorbatschow+warnt+vor+gro%DFem+Krieg+in+Europa&storyid=1420823159705 10.
5. 15 [9]
http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=51732&title=Gener%E4le+der+aufgel%F6sten+NVA+warnen+vor+Krieg+mit+Russland&storyid=1430835289775 5. 5. 15 [10] http://www.amazon.de/Frontline-Ukraine-Borderlands-Richard-Sakwa/dp/1784530646 resp. http://www.ibtauris.com/Books/Society%20%20social%20sciences/Politics%20%20government/Frontline%20Ukraine%20Crisis%20in%20the%20Borderlands.aspx Frontline Ukraine: Crisis in the Borderlands
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