Vom Nutzen des Jihad 31.05.2015 23:01
Auch »German Foreign Policy« hat sich mit den von Brad Hoff aufgegriffenen deklassifizierten
Dokumenten des US-Militärgeheimdiensts ›Defense Intelligence Agency‹
[›DIA‹] befasst, wie dies aus dem nachfolgenden GFP-Artikel hervorgeht [1]:
Die Nutzung jihadistischer
Kräfte durch den Westen, die ein aktuelles US-Geheimdienstpapier mit der
Entstehung des Islamischen Staats (IS) in Verbindung bringt, hat eine
jahrzehntelange Tradition und dauert bis in die Gegenwart an. Dies zeigen ein Rückblick
auf den Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre sowie eine Analyse des westlichen
Machtkampfs gegen den Iran, vor allem seit 2003. Unterstützten die Staaten des
Westens in Kooperation mit Saudi-Arabien
in den 1980er Jahren die Jihadisten um Usama bin Ladin, um den sowjetischen
Streitkräften am Hindukusch eine Niederlage zu bereiten, so fördern sie seit
mindestens zehn Jahren punktuell erneut arabische ›Gotteskrieger‹, um wichtige Verbündete des Irans zu schwächen. Diese Maßnahmen, die
parallel zum offiziellen Anti-Terror-Krieg erfolgen, seien ein ›Unternehmen mit sehr hohem Risiko‹, warnen US-Geheimdienstler.
Eine zentrale Rolle in der Jihadisten-Unterstützung spielt mit Saudi-Arabien
einer der zentralen Verbündeten Deutschlands in der arabischen Welt.
Gegen die
Sowjetunion Den modernen Jihadismus haben
die Mächte des Westens erstmals im großen Stil in den 1980er Jahren in
Afghanistan genutzt. Damals setzten die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik
sowie weitere NATO-Mitglieder bei ihrem Bestreben, der pro-sowjetischen
Regierung Afghanistans und den dort stationierten sowjetischen Streitkräften
eine Niederlage zu bereiten, nicht nur auf afghanische Mujahedin,
sondern auch auf arabische Gotteskrieger. Zu diesen zählte der damals noch
weithin unbekannte Usama bin Ladin. Jihadisten wie er wurden mit finanzieller
sowie logistischer Hilfe Saudi-Arabiens aufgebaut. Eine wichtige Rolle spielte
dabei der damalige Chef des saudischen Auslandsgeheimdiensts und Kontaktmann Bin Ladins, Prinz Turki al Faisal bin Abdulaziz
al Saud, der heute im Advisory Council der Münchner Sicherheitskonferenz seine
politischen Erfahrungen zur Verfügung stellt. Gemeinsam mit der wachsenden Zahl
arabischer Jihadisten gelang es den afghanischen Mujahedin schließlich, die
sowjetischen Streitkräfte zum Abzug vom Hindukusch zu zwingen. Der Jihadismus
hatte damit aus westlicher Sicht seine Tauglichkeit als Instrument im Kampf
gegen säkular-sozialistische Kräfte bewiesen.
Gegen den Iran Einen irreparablen Bruch
zwischen dem Westen und den Jihadisten schienen zunächst die al-Qaida-Anschläge
auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam (7. August 1998) sowie die
US-Gegenangriffe auf al-Qaida-Basen in Afghanistan (20. August 1998), dann vor
allem aber die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der darauf folgende
Afghanistan-Krieg mit sich zu bringen. Tatsächlich aber hat selbst der
Anti-Terror-Krieg den Westen nicht davon abgehalten, schon nach wenigen Jahren
erneut punktuelle Kooperationen mit arabischen Gotteskriegern einzugehen. Anlaß war diesmal nicht der Kampf gegen
säkular-sozialistische Kräfte, sondern der Versuch, den Iran zu schwächen. Mit
der Zerstörung des Iraks in den Jahren ab 2003 hatte das US-geführte
Kriegsbündnis Irans traditionellen Rivalen ausgeschaltet und damit Teheran unbeabsichtigt die Chance eröffnet, zur
regionalen Vormacht am Persischen Golf zu werden. Um dies zu verhindern,
begannen die westlichen Mächte zunächst, die arabischen Golfdiktaturen, vor
allem Saudi-Arabien, zur Gegenmacht hochzurüsten. Bald gingen sie auch daran,
Irans Verbündete in der Region - etwa Syrien und die libanesische Hizbollah -
zu schwächen.
›Höchst
riskant‹ Dabei kamen erneut arabische
Jihadisten zum Einsatz. Der US-Journalist Seymour Hersh hat 2007 exemplarisch
beschrieben, wie der Westen gemeinsam mit Saudi-Arabien gegen die libanesische
Hizbollah vorging. Während sich einerseits etwa die deutsche Kriegsmarine am
UN-Einsatz vor der Küste des Libanons beteiligte, um Waffenlieferungen an die
schiitische Miliz zu stoppen, machte Riad andererseits deren schärfste innere
Gegner stark: Salafisten und Jihadisten. Deren Haß auf schiitische Muslime ist nicht geringer
als ihr Haß auf
säkular-sozialistische Kräfte. Hersh ließ sich Anfang 2007 von
Regierungsvertretern mehrerer Staaten bestätigen, daß die USA und Saudi-Arabien Mittel an
salafistisch-jihadistische Organisationen im Libanon für den Kampf gegen die
Hizbollah verteilten. Ein libanesischer Regierungsvertreter erklärte gegenüber
Hersh: »Wir haben eine liberale
Haltung, die es al-Qaida-ähnlichen Gruppen erlaubt, hier eine Präsenz zu
unterhalten.« Ein Ex-US-Agent
räumte ausdrücklich ein: »Wir
finanzieren eine Menge übler Typen, und das mit möglicherweise ernsten
unbeabsichtigten Konsequenzen. Das ist ein Unternehmen mit sehr hohem Risiko.«
Ein
salafistisches Fürstentum Daß der Westen im Syrien-Krieg genau derselben
Strategie folgt, bestätigt nun das jetzt bekannt gewordene Papier der ›DIA‹ vom August 2012. Darin heißt es, man halte
die Gründung eines ›salafistischen Fürstentums‹ in Ostsyrien für günstig, um der schiitischen Expansion aus dem Iran die
strategische Tiefe in Syrien zu nehmen. Aus dem ›salafistischen Fürstentum‹ wurde in der Praxis letztlich der Islamische Staat (IS).
Der
Bandar-Plan Dabei haben die westlichen
Mächte sowie ihre regionalen Hauptverbündeten Türkei und Saudi-Arabien auch in
Syrien salafistische und sogar jihadistische Milizen aktiv gestärkt. Eine
maßgebliche Rolle spielte dabei Prinz Bandar bin Sultan bin Abdulaziz al Saud,
ein ehemaliger saudischer Botschafter in den USA (1983 bis 2005), der ab 2005
als Generalsekretär des saudischen Nationalen Sicherheitsrats unter anderem
libanesische Salafisten unterstützte und ab 2012 als saudischer
Geheimdienstchef mit dem Syrien-Krieg befaßt war. Der nach ihm benannte Bandar-Plan sah
vor, in Syrien aufständische Milizen zu gründen und aufzurüsten; faktisch
handelte es sich bei den von Saudi-Arabien finanzierten Einheiten vor allem um
salafistische Trupps. Daneben plante man, Gruppen, die mit al-Qaida
kooperierten, durch saudische Agenten zu infiltrieren und Jihadisten-Milizen,
die nicht infiltriert werden konnten, anderweitig zu beeinflussen. Selbst der
IS habe in diesem Rahmen Mittel aus Saudi-Arabien erhalten, wenngleich es sich
in diesem Fall wohl nicht um staatliche Gelder, sondern um Unterstützung
privater Jihad-Finanziers gehandelt habe, stellte eine israelische Analyse
Anfang 2014 fest. Erst als der IS Anfang 2014 in den Irak zu expandieren
begann, wodurch eintrat, wovor die ›DIA‹ im August 2012 gewarnt,
wurde Bandar bin Sultan abgesetzt und zur medizinischen Behandlung in die USA
ausgeflogen. Im Sommer 2014 sahen sich die westlichen Staaten dann genötigt,
militärisch gegen den immer mehr erstarkenden IS, dessen Entstehen sie im
gemeinsamen Kampf gegen die Regierung Assad noch wohlwollend beobachtet hatten,
vorzugehen.
Zerstörungspotential Selbst das hat der Nutzung von
Jihadisten durch den Westen kein Ende gesetzt. Zuletzt hat die US-geführte ›Koalition gegen den IS‹ zugesehen, wie der IS die syrischen
Regierungstruppen aus der strategisch wichtigen Stadt Palmyra vertrieb - ein
willkommener Hilfsdienst im Kampf gegen die Regierung Assad. Zudem zögen
Saudi-Arabien und die Türkei im Syrien-Krieg seit März »wieder an einem Strang«, wie es in Berichten heißt; dabei hätten sie
freilich nicht in erster Linie den IS im Visier, sondern Assad - eine höfliche
Umschreibung für die anhaltende Förderung von salafistischen und jihadistischen
Umstürzlern durch Riad und Ankara. [2] Westliche Strategen schlagen inzwischen
sogar vor, auch für den Kampf gegen den allzu mächtig werdenden IS Jihadisten
zu nutzen. So hieß es kürzlich auf der Website der US-Zeitschrift ›Foreign Affairs‹, man dürfe eine weitere Schwächung von al-Qaida
nicht zulassen: al-Qaida müsse fortbestehen, um zu verhindern, daß ihre Anhänger zum IS überliefen. Es gelte
also, die Terrororganisation und ihren Anführer Ayman al Zawahiri am Leben zu
halten. [3]
Bekämpft werden Jihadisten nur,
wenn sie allzu mächtig werden - wie etwa der IS - oder wenn sie sich mit
Anschlägen gegen die westlichen Staaten selbst wenden. Ansonsten qualifiziert
sie ihr Zerstörungspotential als klammheimliche Verbündete des Westens im Kampf
gegen jeden gemeinsamen Feind.
Unterstützung für al-Qaida Selbst der Krieg gegen den IS, in dem der Westen jetzt Dschihadisten,
die ihre Gewalt nicht mehr auf die islamische Welt beschränken, niederzuschlagen
sucht, hat die Förderung von Dschihadisten zu geostrategischen Zwecken nicht
beendet. [4] Das gilt selbst für al-Qaida-Strukturen, die mutmaßlich bis heute
von der Türkei begünstigt werden - und nicht nur von ihr. Bereits Anfang
Dezember hatten die Vereinten Nationen berichtet, die israelischen Streitkräfte
›interagierten‹ auf den Golan-Höhen mit der Miliz Jabhat al-Nusra, die im August
45 UN-Blauhelme zu Geiseln genommen hatte. Aktuellen Berichten zufolge wird Jabhat
al-Nusra von Israel durch »medizinische wie logistische Hilfe« unterstützt. [5] Ursache
sei, daß die Miliz in Syrien gegen die Regierung von Bashar al-Assad und gegen
die mit dieser verbündeten pro-iranische Hizbullah kämpft. Jabhat al-Nusra,
Kooperationspartner gegen Assad und pro-iranische Kräfte, gehört dem Netzwerk al-Qaida
an, dem sich zwei der Attentäter von Paris zugerechnet haben.
[1] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59124 28. 5. 15 Vom Nutzen des Jihad (II) [2] Markus Bickel: Fortschritte und Rückschritte
in Syrien. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. 5. 2015 [3] Barak Mendelsohn: Accepting Al Qaeda. www.foreignaffairs.com 9. 3. 2015 [4] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59043 29. 1. 15
Feind und Partner [5] Markus Bickel: Israel stärkt Al Qaida.
blogs.faz.net/bagdadbriefing vom 19. 1. 2015
Aufgearbeitet ist die
Kooperation mit den Jihadisten am Hindukusch unter anderem in: Steve Coll:
Ghost Wars. The Secret History of the CIA, Afghanistan, and bin Laden, from the
Soviet Invasion to September 10, 2001. New York 2004
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