Die Schweiz und die EU 30.06.2015 22:17
Drei der Antworten, die der Innerschweizer Schriftsteller und Dramatiker Thomas Hürlimann
in seinem der »Schweiz am Sonntag« gewährten ausführlichen und höchst lesenswerten Interviewauf an ihn gestellte Fragen zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der
Europäischen Union gab, lassen aufhorchen. In diesem Interview bringt Hürlimann
seine tiefe Abneigung gegenüber der laufend auswuchernden Brüsseler Bürokratie
zum Ausdruck. Als Mitglied der Europäischen Union gleiche sich die Führungsmacht
Deutschland immer deutlicher der untergegangenen DDR an.
»Was mich an der EU am meisten stört, ist, dass sie uns ein neues
Menschenbild verpassen will. Das Abendland hat das Individuum hervorgebracht.
Individuum heisst ungeteilt. Der Einzelne empfindet sich als kleinste Einheit
im grossen Ganzen von Kosmos und Geschichte. Nun stehen wir vor dem Atomschlag.
Das Individuum soll gesprengt und aufgelöst werden. Deshalb der Hass auf alles
Elitäre, es ist der Hass auf das Ich. Das neue Europa setzt dazu an, das Ich zu
eliminieren, das heisst: Alles Spezielle, also das Geschlecht, der religiöse
Glaube, die Hautfarbe oder ein über dem statistischen Durchschnittswert
liegendes Körpergewicht hat zu verschwinden. Künftig ist nur noch eine graue
Schablone der Toleranz zugelassen. Doch Vorsicht! Eine Toleranz, die sich für
allgemeingültig erklärt, schlägt in ihr Gegenteil um. Wer auf diesen
Widerspruch hinweist, riskiert heute seinen Ruf, später wohl sein Leben. Die
Toleranz-Schablone wird die letzten Individuen gnadenlos jagen und ausmerzen.«
Deutschland – so lautet eine markante Interview-Aussage Thomas
Hürlimanns – gleiche sich immer augenfälliger der 1989 kollabierten,
sozialistisch geprägten DDR an. Die Schweiz setze dazu einen Kontrapunkt: Wenn
sie sich selber treu bleibt. Auf die Frage, woran diese Entwicklung zu erkennen
sei, antwortete Thomas Hürlimann:
»An der Verachtung des Talents und der Elite sowie am Hang
zum totalen Staat. Auch junge Deutsche fühlen sich am wohlsten, wenn
sie von staatlicher Gnade und Fürsorge leben. Sie beantragen Wohngeld,
Kindergeld, Bafög, Zuschüsse für die Klassenfahrt oder den Musikunterricht,
stehen stundenlang in Ämtern herum und sind bis zur Selbstverleugnung dankbar,
wenn eine griesgrämige Funktionärin ihre Anträge zu bearbeiten geruht. Davon
hat Lenin geträumt. Und vergessen wir nicht, dass an der Spitze der
Bundesrepublik Deutschland Personen stehen, die in der DDR sozialisiert wurden.
Frau Merkel war in der DDR Sekretärin bei den jungen Pionieren, zuständig für
Propaganda. Damals hat man die UdSSR als ›friedliebendes
Brudervolk‹ verehrt, heute spricht
die Kanzlerin tagtäglich vom ›friedensstiftenden
Europa‹. Das ist pure Ideologie.«
Zur Frage, ob er die Schweiz als Modell betrachte, antwortete Thomas
Hürlimann: »Ja, und den Modell-Charakter verlieren wir auch dann nicht, wenn
sämtliche deutschen Medien unsere Abstimmungsentscheide verurteilen – wie etwa
bei der Masseneinwanderungsinitiative. Hierzu muss man wissen, dass Deutschland
nicht nur von oben nach unten, sondern stets auch moralisch politisiert. Je
grösser das Thema, umso besser. Merkel kümmert sich am Nordpol höchstpersönlich
um das Weltklima, chic in roter Skijacke, doch auf einem Berliner Schulhof hat
man sie noch nie gesehen. Das hat natürlich Gründe. Wer in Deutschland das
Thema Immigration oder Ausländer berührt, wird von hysterischen Medien sofort
unter Faschismusverdacht gestellt.« [1]
Die EU, schreibt Roger Köppel in der ›Weltwoche‹ vom
30. Juni, schafft die Demokratie ab. Die Schweiz gerät unter verschärften
Druck; die langlebigste Demokratie der Welt wird zum Ärgernis für Europa und
zeigt auf, dass innerhalb der EU die Demokratie und die nationale
Eigenverantwortung ausser Kraft gesetzt werden und dass sich in Brüssel und Frankfurt
ein neues Machtzentrum herausbildet, das ohne klare Verfahren und Kontrollen
Entscheidungen von grosser Reichweite trifft. In Europa werden Kriege heute
nicht mehr auf dem Schlachtfeld ausgetragen. Es braucht weder Armeen noch
Kampfflugzeuge. Durch die EU und den Euro sind die Mitgliedstaaten derart
heillos verbandelt, dass die Grossen die Kleinen im Rahmen der europäischen
Institutionen mühelos in die Knie zwingen können. Die EU ist vor allem deshalb
gefährlich, weil sie rohe Machtpolitik mit dem Schein der Rechtmässigkeit umgibt.
Tatsächlich machen die Grossen, was sie für richtig halten. Wenige entscheiden,
was alle betrifft. Die EU wird zur Bühne der Unterdrückung der Kleinen durch
die Grossen. Die Macht setzt das Recht. Es braut sich eine giftige Mischung
zusammen. Die Demokratie wird mit Füssen getreten. Der Geldbedarf wird immer
grösser. Das Friedensprojekt EU kehrt seine aggressive Seite gegen alle, die
widersprechen und anders sind. »Sie
haben eine gute Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten. [. . .] Ihre Kritik und
Ihre Ratschläge machen mich krank.« Mit diesen selbstherrlich-herrischen Worten hatte Präsident Sarkozy den britischen Premierminister David
Cameron im November 2011 am EU-Gipfel in Cannes attackiert. Gleichzeitig drohte
Sarkozy, die Schweiz als ›Steueroase‹ zu bekämpfen, obschon die Schweiz alle Forderungen der OECD im
Steuerbereich vorauseilend erfüllt hatte.
Eine neue Rüpelherrschaft bricht sich Bahn.
Die Schweiz wird in den nächsten Jahren unter verschärften Druck geraten. Die
letzte echte Demokratie Kontinentaleuropas sieht sich dem anschwellenden Zorn
der europäischen Demokratieabschaffer, der Technokraten und der Durchgreifer
ausgesetzt. Man wird die Schweiz als Trittbrettfahrer, Profiteur und
unsolidarisches Element moralisch brandmarken, um eine Beteiligung an den
Rettungsschirmen zu erzwingen. Das Verständnis für den Standpunkt der
Unabhängigkeit schwindet. Der Respekt vor unserer Rechtsordnung geht weiter
zurück. In einem Europa ohne Grenzen wachsen grenzenlose Machtansprüche. Gegen
die Schweiz wird man subtiler, aber nicht weniger fordernd vorgehen. Als
Wohlstandsinsel in einem Sumpf von Schulden bleibt die Schweiz verlockend.
Gleichzeitig ist die langlebigste Demokratie der Welt ein Stachel im Fleisch
der EU. Die Schweiz avanciert zum sichtbaren Gegenteil, ja zur Verneinung der
EU, die
auf Entmündigung der Bürger setzt. Der Druck von aussen wird nach innen
wirken. Bundesrat und Parlament geben vor, sich mit Zähnen und
Klauen gegen die europäische Vereinnahmung zu wehren. Wer genauer hinschaut,
sieht Verzagtheit, Mutlosigkeit und Anpassung. Zwei Gutachten spuren im Auftrag
des Bundesrats den Weg zur automatischen Angleichung der Schweiz an die EU vor.
Die Regierung hat die Berichte im Tresor eingeschlossen, um der SVP vor den Bundesratswahlen
keinen Rückenwind zu geben. Die grösste Angst unserer wichtigsten Diplomaten
sind Konflikte mit der EU, die man durch schweizerisches Entgegenkommen auf
möglichst breiter Front erst gar nicht entstehen lassen will. Ein Irrtum. Die
Politik des Einknickens hat zuletzt nur immer neue Begehrlichkeiten geweckt. Es
rächt sich die Sorglosigkeit, mit der die Bürgerlichen die Aussenpolitkik der ›Linken‹, die von den
antidemokratischen Strömungen in der EU fasziniert ist, überlassen.
Die Schweiz hat verlernt, ihre Interessen
durchzusetzen. Die Opferbereitschaft ist gering. Man ist bereit, erprobte
Grundwerte unseres Staats für kurzfristige Vorteile preiszugeben. Immerhin
verändert sich die Stimmung an der Oberfläche. Klare Mehrheiten sind gegen die
EU und für eine Rückbesinnung auf die Stärken unseres Modells. In der Politik
schwenken die bürgerlichen Parteien nach Jahren der EU-Euphorie auf den
skeptischen Kurs der SVP ein. Wie tief und ehrlich die Wendungen sind, wird
sich zeigen. Bundesrat und Verwaltung sind am empfänglichsten und am
empfindlichsten für das europäische Pressing. Noch halten sich unsere Minister
aus Angst vor dem Volk zurück. Zwischen Bern und Brüssel steht die direkte
Demokratie. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, ob die Schweiz als
unabhängiges Land bestehen bleibt. Die Fronten verhärten sich und werden
zugleich undeutlicher. Es geht nicht mehr darum, ob die Schweiz der EU als
Vollmitglied mit Rechten und Pflichten beitritt. Es geht darum, die
schleichende, mit Fremdwörtern getarnte, von ihren Vorantreibern geleugnete
Eingemeindung der Schweiz in die Europäische Union zu erkennen und zu
verhindern. Calmy-Rey sprach von ›bilateraler Integrationspolitik‹. Was einst als Methode des Draussenbleibens
gepriesen wurde, ist längst zum Hebel eines Beitritts ohne Volksabstimmung
geworden. Die EU-Debatte in der Schweiz ist unehrlicher als vor fünfzehn
Jahren. Vom Bürger wird verschärfte Wachsamkeit verlangt. [2]
EU Diktatur ante portas - Von
Michael Mross Anstatt den Euro abzuwickeln und die EU neu
zu strukturieren, wollen die fünf Obermachthaber der EU das Gegenteil: Mehr
Kontrolle über die Haushalte und weniger Souveränität der Nationalstaaten. Am
Ende steht der EU-Superstaat ohne demokratische Legitimation - vom Brüssel-Politbüro
zentral regiert.
Der "Fünf-Präsidenten-Bericht", in dem die
EU-Machthaber ihren 10-Jahresplan für die Zukunft festlegen, hat es wirklich in
sich. Schon das Vorwort von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
verschlägt einem die Sprache: »Europa
ist im Begriff, die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit sieben
Jahrzehnten hinter sich zu lassen. Der Euro ist eine erfolgreiche und stabile
Währung für 19 EU-Mitgliedstaaten und mehr als 330 Millionen Bürgerinnen und
Bürger.« Besser hätte es Erich Honecker auch nicht
formulieren können. Angesichts dieser Aussage
kann dem EU-Boss nur noch ein vollkommener Realitätsverlust bescheinigt werden.
Genauso wie den Sozialismus hält die EU und die Eurozone offenbar weder Ochs
noch Esel auf. Damit zusammengepreßt werden kann, was nicht zusammen gehört,
legten die fünf EU-Bosse -
Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz,
EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EZB-Chef
Mario Draghi - ihren Plan vor, der vom
Mainstream weitgehend unkommentiert blieb. Der sogenannte ›Fünf-Präsidenten-Bericht‹ trägt
den verheißungsvollenTitel ›Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden‹. Was
das im Klartext bedeutet, ist erschreckend: Ohne die Untertanen zu befragen
soll ein EU-Superstaat gegründet werden, in dem alle wichtigen Befugnisse nach
Brüssel verlagert werden. Staaten wird die Kontrolle über die Haushalte
entzogen, die Souveränität auf ein Minimum reduziert. Was übrig bleibt, sind
nur noch Marionetten, die an den Fäden Brüssels gezogen werden. Vollendet werden
soll das Machtkonstrukt bis 2025. Dann herrscht laut ›Fünf-Präsidenten-Bericht‹ das
Paradies auf Erden in der EU und in der Eurozone. Ziel sei ein ›Hort
der Stabilität und des Wohlstands für alle Bürgerinnen und Bürger der
EU-Mitgliedsstaaten‹. Ob die Bürger dieses Paradies allerdings wollen, wird nicht gefragt.
Wie es verwirklicht wird, steht aber schon fest: Alle Staaten sollen auf die Solidarität der Euro-Partner
zählen können. Schöne neue Euro-Welt also.
Was das bedeutet, erzählt die 5-köpfige Junta
natürlich nicht:
1.
Deutschland gibt sein Vermögen nach Brüssel ab.
2.
Brüssel bestimmt, was mit dem Geld gemacht wird. Wenn in Deutschland
dann z.B. eine Brücke gebaut werden soll, dürfen wir erst mal einen Antrag in
Brüssel stellen. Von dort kommt dann die Antwort, daß
es leider nicht geht, weil eine Autobahn auf Sizilien Vorrang hat.
3. Mit
›Solidarität der Euro-Partner‹ ist nichts anderes gemeint als eine Transferunion. Wer hier der
Zahlmeister sein wird, ist offensichtlich.
4.
Bankenunion mit gemeinsamer Einlagensicherung. Mit anderen Worten: Die
EU will sich der Sicherungssysteme in Deutschland bedienen, um marode
Süd-Banken zu stützen.
5.
Eurobonds - Einführung eines euroraumweiten ›Treasury‹-Schatzamtes
Mit anderen Worten: Das Vermögen der
Nordstaaten wird von Brüssel konfisziert, um es nach Gutdünken und politischen
Vorgaben umverteilen zu können.
EU-Wettbewerbsbehörde: Das perfekte Oxymoron Aber die EU wäre nicht die EU, wenn sie nicht
auch an die ›Wettbewerbsfähigkeit‹ denken würde. Diese bleibt natürlich nicht dem freien Markt überlassen,
sondern dafür gibt es eine Behörde, die das regelt. Konkret betrachtet möchten
die 5 Präsidenten die Wettbewerbsfähigkeit in den Euro-Ländern durch die
Einrichtung unabhängiger Behörden für Wettbewerbsfähigkeit stärken sowie eine
effizientere Aufsicht über die Haushalts- und Wirtschaftspolitik einführen. Wie
viele zigtausende Beamte dafür nötig sind und wie das effizient sein soll,
bleibt das Geheimnis der EU-Bürokraten.
Derweil muß sich EU-Boss Juncker
offenbar vorkommen wie Gott. Anläßlich der Vorstellung des ›Fünf-Präsidenten-Berichts‹
stellte er fest: »Heute präsentieren wir, die
fünf Präsidenten, unsere gemeinsame Vision. Die Welt schaut auf uns und will
wissen, welche Richtung wir einschlagen. Wir geben heute Route und Ziel für die
Währungsintegration vor.« Wer gibt hier was vor?
Leben wir noch in einer Demokratie oder schon in der Diktatur? Aber die 330
Millionen Euro-Zonen-Sklaven haben schon seit langem nichts mehr zu sagen. ESM
und EFSF waren der Anfang. Auf das Ende dürfen wir gespannt sein. [3]
Warnungen vor einer Entdemokratisierung der EU hat jetzt auch die frühere EU-Abgeordnete der
irischen ›Green
Party‹ und
derzeitige Präsidentin der ›Europeans
United for Democracy‹,
Patricia McKenna, ausgesprochen. In einem mit den ›Deutschen
Wirtschafts Nachrichten‹
geführten Interview warnt sie vor einer schleichenden Militarisierung der EU.
Die Bürgerrechte würden systematisch ausgehöhlt und es entstünden militärische
Strukturen. Es sei Zeit für einen massiven Widerstand. Sie ermuntert linke
Euro-Skeptiker, sich für die Menschen- und Bürgerrechte mit äußerster
Entschlossenheit einzusetzen. In diesem Gespräch kommt sie auf politische
Aussagen zurück, die gewissermaßen eine Vorleistung zu den mit dem ›Fünf-Präsidenten-Bericht‹ verfolgten Zielen
darstellen:
DWN:
Wolfgang Schäuble hat vor einigen Jahren in einem Interview mit der ›New York Times‹ gesagt, die politische Union
in Europa könne nur durch eine Krise erzwungen werden. Glauben Sie, daß das
immer noch der Plan ist?
P.McK.:
Winston Churchill hat einmal gesagt: »Lassen Sie niemals eine gute
Krise ungenutzt verstreichen.« Es besteht kein Zweifel, daß
Churchills Rat durch unsere EU-Politiker buchstabengetreu befolgt wurde, und
dies ebenso von der bürokratischen Elite im Zuge der Schuldenkrise von 2008.
Die Krise hat den Plänen der EU eindeutig genutzt. Im Mai 2010, nach dem Platzen
der Finanzblase, sagte Bundeskanzlerin Merkel: »Wir
haben eine gemeinsame Währung, aber keine echte wirtschaftliche oder politische
Union. Das muß
sich ändern. Würden wir dies erreichen, liegt darin die Chance der Krise..… Und
jenseits der Ökonomie, mit der gemeinsamen Währung, werden wir vielleicht
weitere Schritte wagen, zum Beispiel den einer europäischen Armee.«
[Karlspreis Rede vom Mai 2010] Ein Jahr
später sagte Präsident Sarkozy: »Bis Ende des Sommers werden Angela Merkel
und ich gemeinsame Vorschläge hinsichtlich einer Wirtschaftsregierung im
Euroraum machen. Wir werden Ihnen eine klarere Vision des Weges vorlegen, wie
sich die Eurozone entwickeln wird. Unser Ziel ist es, die griechische Krise
einzubeziehen, um einen Quantensprung für eine Eurozone-Regierung zu erreichen.
Dieses Wort war einmal Tabu. Jetzt gehört es zum europäischen Wortschatz.« [22. 7.
2011]. Und Merkel hat gesagt: »Die Schuldenkrise ist ein entscheidender
Moment, eine Chance, einen neuen Weg zu gehen. Es gibt nun Zeit und Gelegenheit
für einen Durchbruch zu einem neuen Europa… Das wird mehr Europa bedeuten,
nicht weniger Europa.« [11. 9. 2011]. Es gibt keinen Zweifel, daß jene,
die die Macht innehaben, die Krise nutzen, um mit dem voranzugehen, was sie
wollen, unabhängig davon, was die Völker Europas wollen.
DWN:
Aktuell werden die wichtigsten Entscheidungen in der Euro-Zone von der
Euro-Gruppe getroffen. Diese Gruppe ist keinem einzigen Parlament
gegenüber verantwortlich. Sie ist kein Organ im Sinne der
EU-Verfassung. Zeigt diese Entwicklung nicht, daß wir uns
bereits mitten in einer Transformation hin zu weniger Demokratie in der EU
bewegen?
P.McK.:
Ja, dem würde ich zustimmen. Im Anschluß an das, was ich gerade gesagt
habe, gibt es keinen Zweifel, daß die Eurogruppe eine Schlüssel-Einrichtung
ist, an der man die Veränderungen erkennt. Die jüngsten Vertragsvereinbarungen
sind ein Beleg für diese Tatsache. Das Finanz-Stabilitäts-Gesetz wird von
vielen Mitgliedern der Eurozone als ein ›permanenter
Sparmaßnahmen-Vertrag‹ für jene
angesehen, die sich das am wenigsten leisten können. Dieses Gesetz untersagt
den Regierungen jede Art von Anti-Rezessions-Konjunkturprogrammen im
keynesianischen Sinne. Dies beeinträchtigt die demokratisch gewählten
Regierungen in Bezug auf ihre eigenen nationalen Haushalte ganz entscheidend. Dann
haben wir den ›Europäischen
Stabilitätsmechanismus Vertrag‹, den
ESM. Dieser Vertrag legt einen permanenten Rettungsaktionfonds für die Länder
der Eurozone auf, zu welchem all ihre Mitglieder im Verhältnis zu ihrem
Bruttoinlandprodukt ›unwiderruflich und
bedingungslos‹ beitragen
müssen. Zugang zu diesem Fonds erhält man nur, wenn man sich vorher zu dem
finanzpolitischen Stabilitätsvertrag bekennt, den ich gerade erwähnt habe. Der
ESM sieht einen Fonds vor, aus dem Gelder direkt an die Regierungen der
Eurozone verliehen werden können. Der Vertrag von Maastricht hatte Bail-outs
für Euro-Länder verboten. Eine Anfechtungsklage zu diesem Vertrag wurde
2012 vom EuGH im Fall Pringle abgelehnt; die Entscheidung des Gerichts ist in
diesem Fall eine widersprüchliche Entscheidung. Sie zeigt zum einen:
Vertragsänderungen werden dann durch das Gericht sanktioniert, wenn sie zu der
dem Gericht aufgetragenen integrativen Agenda passen, denn das Gericht hat eine
politische Agenda. Diese ist in den Verträgen selbst begründet. Die Präambel
und der erste Artikel der Verträge, die ›den
Prozeß
der Schaffung einer immer engeren Union‹
begründen, sind ein Mandat für das Gericht, eine immer weitergehende
Integration zu fördern. Das Ergebnis im Fall Pringle weist auf eines der
grundlegendsten demokratischen Probleme innerhalb der EU hin: Sollte ein nicht
gewähltes und gegenüber niemandem verantwortliches Gericht ein politisches
Programm umsetzen, oder sollte das Gericht nicht viel eher ein unparteiischer
und unbefangener Deuter und Interpret der Gesetze nach Lage der Dinge sein? Ich
vertrete die Auffassung: Wenn die Richter die Integration
vorantreiben, brechen sie ihren Eid. Das Urteil des EuGH könnte als
Sprungbrett für eine erweiterte Wirtschafts- und Finanzunion dienen und
möglicherweise zu politischen Verflechtungen zwischen den Mitgliedstaaten
führen. Doch hat das Pringle-Urteil noch einen anderen Effekt: Es eröffnet den
Euroländern die Möglichkeit der Zusammenarbeit außerhalb der Rechtsordnung der
EU. Pringle öffnet den Weg für eine Arbeitsteilung zwischen den Euro- und den
nicht Euro-Ländern und zur weiteren Integration mittels Vereinbarungen
außerhalb der Rechtsordnung der Union.
DWN:
Wir haben den Eindruck, daß die NATO immer stärker zum treibenden
Faktor der Weiterentwicklung der EU wird. Halten Sie das auch für denkbar?
P.McK.:
Ich glaube, daß
die NATO seit jeher ein wichtiger Akteur im EU-Integrationsprozeß war. Am
Anfang war sie weniger sichtbar, aber das hat sich in den vergangenen Jahren
geändert. Nicht nur sind die aufstrebenden militärischen Strukturen in der EU
durch die NATO ›beeinflußt‹, sie sind auch ›gesetzlich verpflichtet, mit
dem nuklearen NATO-Bündnis in Einklang‹
zu sein. Die ›NATO-Partnerschaft
für den Frieden‹, Partnership
for Peace, PfP, wurde speziell konzipiert, um jene Nationen an Bord zu bringen,
die zurückhaltend waren, der NATO beizutreten. W. Perry und A. Carter, die
Köpfe hinter der PfP, legen in ihrem Buch ›Preventive
Peace‹ folgendes
dar: »Das
Ziel einer erneuerten Partnerschaft für den Frieden sollte die Erfahrung sein,
der Partnerschaft so nah wie möglich zu kommen: In der militärischen Praxis und
in der Erfahrung der NATO-Mitgliedschaft. Die PfP kombiniert Übungen und andere
militärische Aktivitäten und sollte vom früheren Fokus auf Friedenssicherung
und humanitäre Operation zu wahren Kampfhandlungen fortschreiten.« Die PfP
ist ein wesentlicher Baustein in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität
geworden, was die ›schnelle
Eingreiftruppe‹ der EU
aktuell zeigt. Die Verträge enthalten eine gegenseitige Verteidigungsklausel,
die für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist. Darüber hinaus heißt es, »die
Mitgliedsstaaten sollen zivile und militärische Fähigkeiten zur Umsetzung der
gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stellen. Die
Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise
zu verbessern.«
Die ›Europäische
Verteidigung-Agency‹ EDA,
eine Agentur, die nach zwei Jahrzehnten Lobbyarbeit von Europas militärischer
Industrie etabliert worden ist, ist Bestandteil der Verträge. Diese Agentur, die
ohne öffentliche Debatte etabliert wurde und die die Waffenhersteller
begünstigt, hat eine signifikante Vertragsmacht. Sie ›soll einsatzbereite Anforderungen
ermitteln; darüber hinaus erfüllt sie diese Anforderungen, fördert Maßnahmen und
beteiligt sich an der Festlegung der europäischen Fähigkeiten und der
Rüstungspolitik.‹ Sie
macht Gewinne aus Kriegen und Kriegsvorbereitungen, und zu ihr gehören die
einflußreichsten
industriellen Interessen in Europa, das Ziel der länderübergreifenden
wirtschaftlichen Integration und der gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik. Der Vertrag anerkennt das NATO-Bündnis, zu dem 28
EU-Staaten gehören, und zwar als das wichtigste Forum zur kollektiven
Verteidigung der Mitglieder und sieht die EU-Militärpolitik als Ergänzung,
jedoch von der NATO getrennt. Einige der 18 EU-Kampfeinheiten wurden bereits
eingerichtet. Jede ist in der Lage, 1.500 Mann aus verschiedenen
Mitgliedsstaaten nach dem Rotationsprinzip rasch bereitzustellen. Es gab
bereits EU- Militärinterventionen mit dem Titel ›friedensschaffend‹ oder ›friedenssichernd‹ in Afrika, auf dem Balkan und
im Nahen Osten. In diesen Missionen tragen diese Truppen Uniformen der EU. Ihre
Durchführung wird von der EDA, dem Satellitenzentrum der EU sowie vom ›EU Military Committee‹ EUMC unterstützt. Letzteres
wird von einem 4-Sterne-General befehligt, oder ein Chef-Admiral überwacht
den EUMC-Militärstab in Brüssel. Insgesamt betrugen die Militärausgaben der
EU-Länder im Jahr 2010 194 Milliarden €, das ist mehr als im Jahr 2001. Seit
Jahrzehnten gibt Griechenland in der EU im Verhältnis zu seiner Größe und
Einwohnerzahl das Meiste für das Militär aus. Frankreich, Deutschland und
Großbritannien sind die größten Waffenhersteller der EU. Während Deutschland
und Frankreich auf die schärfsten Einschnitte im Sozialbudget Griechenlands
bestehen, Portugal und Spanien dabei sind, ihre Schulden zurückzuzahlen, haben
sie keinen Druck, die Militärausgaben zu senken. Die Rüstungsindustrie in
diesen mediterranen Ländern würde das Nachsehen haben.
DWN:
Die EU versteht sich immer stärker als geopolitischer Faktor. Dazu benötigt sie
immer mehr Zentralisierung und eindeutige schnelle Kommandostrukturen. Wie
können wir den Bürgern die Macht wieder zurückgeben?
P.McK.:
Die EU und unsere Politiker haben sich zusammengeschlossen, um
sicherzustellen, daß die Macht den Bürgern
vorenthalten wird. Ein Beispiel hierfür ist die
Tatsache, daß fast
alle Vertragsänderungen ohne irgendeine öffentliche Konsultation durchgesetzt wurden;
sie werden kaum mit Volksabstimmungen in den Mitgliedsstaaten durchgeführt. Es
ist wichtig darauf hinzuweisen, daß dies mit Absicht geschieht. Denn es gab
einige Mitgliedsstaaten mit der Gelegenheit, abzustimmen, in denen
Vertragsänderungen abgelehnt wurden, wie z. B. Maastricht, Nizza, die
EU-Verfassung und Lissabon. Die Menschen sind entweder gezwungen worden, wie es
in Irland und Dänemark geschah, noch einmal abzustimmen, oder der Vertrag wurde
zurückgezogen und ohne Änderung neu verpackt und von der politischen Elite durchgestimmt.
So ist es in Frankreich und in den Niederlanden geschehen. Alle
Vertragsänderungen haben die Rolle der Menschen und ihrer demokratisch
gewählten und rechenschaftspflichtigen Regierungen reduziert. Wir
haben einen stetigen Rückgang der Bürgerrechte in der EU, während
Lobbyisten die Ausarbeitung der Gesetze bestimmen. Wer sind die Alliierten für
die Zivilgesellschaft, um diese Entwicklung umzukehren? Es besteht kein
Zweifel, daß
die Bürgerrechte in der EU ernsthaft bedroht sind. Zum Beispiel haben die
Vertragsbestimmungen ›Inneres‹ zur Massensammlung von
E-mail-Nutzung, Handy-Anrufen (einschließlich Ortung) und Internet-Nutzung bei
500 Millionen EU-Einwohnern geführt. Die EU-Vorratsdatenspeicherung verlangt
vom Internet Service Provider, die Daten zu sammeln, damit sie für alle
staatlichen Stellen in den 28 Mitgliedsstaaten verfügbar sind. Zugriff auf
E-Mail- und Internet-Inhalte sollte von nationalen Justizbehörden erlaubt
werden, obwohl die staatlichen Behörden das technologische Potential besitzen,
die Inhalte jahrelang zu speichern. Die Informationen in diesen riesigen
Daten-Banken werden regelmäßig gemeinsam mit der USA geteilt. Ich
glaube, daß
die Zivilgesellschaft eine kritischere Position zur EU einnehmen muß und vor
den Begriffen wie ›euroskeptisch‹ nicht erschrecken darf. Die
EU-Propaganda-Maschine ist bis jetzt äußerst effektiv, um die wachsende Kritik
aus der Mitte und von Mitte-links zu unterdrücken.
DWN:
In vielen Ländern sehen wir als Reaktion auf die Zentralisierung der EU das
Entstehen von radikalen Parteien. Bewegen wir uns insgesamt auf eine
radikalisierte Gesellschaft zu?
P.McK.:
Die Entstehung neuer radikaler Parteien ist ein direktes Resultat der
Bemühungen der EU in den vergangenen Jahrzehnten, zu vereiteln, daß die Menschen
kritisch sind und sich Gehör verschaffen wollen. Die EU-Institutionen haben
Unsummen an Geld der EU-Steuerzahler dafür verwendet, Propaganda-Kampagnen zu
finanzieren, um jede Kritik zu untergraben. Wie ich bereits betonte, haben die Menschen
Angst, als Euroskeptiker benannt und den extremen Rechten zugeordnet zu werden;
und sie müssen damit rechnen, einen mangelhaften Charakter angehängt zu
bekommen. Diese Taktik war bis jetzt erfolgreich, weshalb Menschen, die sich
politisch als links oder Mitte-Links definieren, schwiegen, aus Angst vor
Spott. Die Demokratie wurde in allen Mitgliedstaaten der EU untergraben und nun
ist es an der Zeit, unsere Rechte und Freiheiten wieder zurückzuerhalten. [4]
Anmerkung politonline: Die Grundausrichtung, wie sie aus den obigen
Berichten zutage tritt, ist längst Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen
gewesen, also nicht wirklich neu. Was allerdings im wahrsten Sinne des Wortes
zugleich unheimlich und erschreckend ist, ist der Umstand, dass sich in den
Parlamenten der EU - von vereinzelten
Stimmen abgesehen - kein Widerstand
aufbaut; insofern muss man sich fragen, was dort überhaupt begriffen wird. Bleibt
dies so, dann sind wir der Schuldenknechtschaft problemlos überliefert, darüber
sollte sich niemand hinwegtäuschen.
[1] Quelle: Schweiz am Sonntag,
Nr. 23 vom 7. 6. 2015 S:13ff http://eu-no.ch/news/eindrueckliches-interview-von-thomas-huerlimann_69 12. 6. 15 Eindrückliches Interview von Thomas Hürlimann
[2] http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2011-47/editorial-europa-die-weltwoche-ausgabe-472011.html Die Weltwoche, Ausgabe 47/2011 vom
Dienstag, 30. Juni 2015
[3] http://www.mmnews.de/index.php/politik/48037-eu-diktatur-ante-portas 24. 6. 15 EU Diktatur ante portas - von
Michael Mross
[4] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/06/26/eu-will-militaerische-strukturen-gegen-die-buerger-aufbauen/ 30. 6. 15 EU will militärische Strukturen gegen die
Bürger aufbauen; leicht gekürzte Fassung
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