Personenfreizügigkeit - Von Nutzen für die Schweiz? 06.03.2016 22:15
Eine interessante neue Broschüre: Als Beilage zu der März-Ausgabe des
›Schweizer Monats‹ erscheint dieser Tage eine Studie des
›Weltwoche‹-Wirtschaftsredaktors Florian Schwab, die mit einem einführenden
Essay von Tito Tettamanti ergänzt ist. Der Titel: »Was hat der Bürger von den
Bilateralen? Eine Kosten-Nutzen-Analyse aus ökonomischer Sicht«. Die Broschüre
umfasst 48 Seiten; wir vermitteln nachstehend Auszüge aus dem Kapitel ›Welche Zuwanderung aus der EU ist nach
Kosten-Nutzen-Erwägungen für die Schweiz optimal?‹; die Zwischentitel sind von der Redaktion ›EU-NO‹ eingesetzt.
Nutzen und Kosten
Der abnehmende Grenznutzen ist eigentlich eine
Standardannahme der Ökonomie, ebenso wie die steigenden (bestenfalls
konstanten) Grenzkosten. Bezogen auf die
Zuwanderung heisst dies: Der erste, respektive der produktivste Zuwanderer
bringt in ökonomischer Hinsicht am meisten und kostet am wenigsten. Jeder
zusätzliche Einwanderer schafft einen geringeren Nutzen als der vorhergehende
und bewirkt höhere Kosten, die bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum von
einem Prozent ins Gewicht fallen. Wie gesagt, bauen alle neuesten Arbeiten auf
dem schwer zu plausibilisierenden (Neben-)Ergebnis der KOF
[Konjunkturforschungsstelle - Schweizer Forschungsinstitut der ETH Zürich] auf,
das besagt, die durch das FZA [Personenfreizügigkeits-Abkommen] bedingte,
zusätzliche Einwanderung belaufe sich auf 12 500 Personen pro Jahr. Zudem wird
in den Untersuchungen angenommen, dass diese EU-Zuwanderer erstens im
Durchschnitt produktiver seien als die inländische Bevölkerung und dass sie
sich stärker am Arbeitsmarkt beteiligten, also im Durchschnitt häufiger
erwerbstätig seien als die inländische Bevölkerung.
Stimmen die Annahmen?
Dieses Vorgehen ist einmal deshalb nicht ohne Tücken, weil
es die Einwanderer in ihrem Beitrag zur schweizerischen Volkswirtschaft auf
eine homogene Masse reduziert. Es wäre vielmehr die Frage zu stellen: Welche
Zuwanderung aus der EU ist nach Kosten-Nutzen-Erwägungen für die Schweiz
optimal? Die Antwort auf diese Frage liegt nicht in erster Linie in einer
Maximalzahl, sondern vielmehr in der Qualität der Zuwanderung: Sind die
Zuwanderer willens und in der Lage, langfristig für sich selbst und ihre
Familien zu sorgen, und belasten sie die gemeinschaftlichen Infrastrukturen
nicht über Gebühr? Steigern sie das BIP pro Kopf oder sind sie in Sektoren mit
ausgetrocknetem Arbeitsmarkt tätig? Wie sähen die Ergebnisse aus, wenn es mit
einer klugen Migrationspolitik gelänge, die volkswirtschaftlich betrachtet am
wenigsten produktiven 12 500 Zuwanderer jährlich aus der EU fernzuhalten? Oder
wie sähen die Ergebnisse aus, wenn man die am wenigsten produktiven 25 000
EU-Zuwanderer durch 12 500 noch produktivere Einwanderer aus dem Rest der Welt
ersetzen könnte?
Indem man die gesamte Nettozuwanderung aus den EU-Staaten
von 55 529 Personen pro Jahr seit 2009 (ohne Grenzgänger) weitgehend arbiträr
in einen FZA-bedingten (12 500 Personen) und einen nicht-FZA-bedingten Teil (43
029 Personen) aufspaltet, verstellt man den Blick auf die Tatsache, dass für
die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse der Zuwanderung
selbstverständlich die gesamte (Netto-)Zuwanderung massgeblich ist.
Die Produktivität der Zuwanderer
Das BIP pro Kopf, das den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet,
ist ein vager Gradmesser für die Produktivität einer Volkswirtschaft. Eine
Zuwanderung von Personen, die produktiver sind als der Durchschnitt der
ansässigen Bevölkerung, hebt das BIP pro Kopf, eine Immigration von weniger
produktiven Arbeitskräften hingegen senkt dieses pro Kopf. Sofern die
Zuwanderer unter der Personenfreizügigkeit im Durchschnitt besser qualifiziert
sind als die ansässige Bevölkerung, müsste sich dies demnach in der
Stundenproduktivität zeigen.
Zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die
Produktivität schreiben die ETH-Forscher, eine erkennbare Verbesserung der
Wachstumsrate des BIP/Kopf würde durch die Personenfreizügigkeit »wohl nur dann
bewirkt, wenn diese die Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität
beschleunigt« (Graff & Sturm, 2015, S. 15). Die Bezifferung eines solchen
Effekts erscheine »beim jetzigen Kenntnisstand zumindest schwierig«. Mit
anderen Worten: Es wurde bislang statistisch nicht gezeigt, dass die Schweizer
Wirtschaft durch die Personenfreizügigkeit in dem Sinn effizienter geworden
wäre, dass sie mit gleichbleibendem Faktor-Input mehr produzieren könnte.
Einen Produktivitätsschub nach Einführung der Bilateralen
sieht auch jene Studie nicht, die im Auftrag des Seco die Entwicklung der
Arbeitsproduktivität pro Stunde untersuchte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass
die Arbeits-Produktivität in der Schweiz seit Jahrzehnten im Vergleich zu
anderen Ländern, auch der industrialisierten Vergleichsgruppe, nur wenig
wächst. Während sich die Stundenproduktivität selber aufgrund der Bilateralen
nicht nachweislich verändert hat, hat sich bei ihren Determinanten offenbar
durchaus etwas verschoben: »Im Zeitraum 2003-2013 waren die Schweizer Kapitalinvestitionen
für sich alleine betrachtet nicht besonders tief, sondern nur dann, wenn man
sie ins Verhältnis zum Arbeitseinsatz setzt. Das bedeutet, dass die
Investitionen mit der Beschäftigungszunahme nicht Schritt halten konnten«.
Dieser Befund wird bestätigt, wenn man die Investitionen in Kapital der
Ausweitung der Arbeitsstunden gegenüberstellt.
Personenfreizügigkeit bremst Produktivitätswachstum
Investitionen in physisches Kapital waren zwischen 1985 und
2002 der dominante Treiber des Produktivitätswachstums. Ihre relative Bedeutung
hat nach der Einführung der Personenfreizügigkeit abgenommen, was darauf
hindeutet, dass die Personenfreizügigkeit eine dämpfende Wirkung auf die
durchschnittliche Kapitalausstattung der Arbeitsplätze hatte. Im Gegensatz zu
einem Regime mit beschränkter Zuwanderung mussten die Unternehmer weniger in
den Faktor Kapital investieren.
Man steht vor einem Rätsel: Einerseits hat die
Personenfreizügigkeit gemäss Statistiken des Seco überdurchschnittlich viele
hochqualifizierte Zuwanderer angezogen, andererseits ist die
Stundenproduktivität weiterhin nur langsam gewachsen. Woher kommt diese
Diskrepanz? Ein möglicher Erklärungsansatz wäre das Auseinanderdriften zwischen
der formalen Ausbildung der EU-Zuwanderer und ihren tatsächlichen Fähigkeiten
zur Wertschöpfung (Stichwort: freizügige Vergabe akademischer Titel in manchen
europäischen Ländern). Ein zweiter Erklärungsansatz wäre, dass nur der
Ausbildungsstand der Zuwanderer erfasst wird, nicht aber jener der
Rückwanderer. Ein deutscher Doktor der Computerwissenschaften, der im Jahr 2008
bei Google in Zürich angestellt wird und im Jahr 2010 nach Kalifornien zieht,
wird im Jahr 2008 als gut qualifizierter Zuwanderer erfasst, nicht aber bei
seiner Abwanderung aus der Schweiz. Die Aufschlüsselung der Bildungsabschlüsse
findet nur in der Betrachtung der Bruttozuwanderung statt, nicht in der
Betrachtung der Nettozuwanderung. Unterstellt man, dass die besonders
Hochqualifizierten auch besonders mobil sind, dann ergibt sich daraus, dass das
Bildungsniveau der langfristig im Land verbleibenden Einwanderer aus der EU
tiefer ist, als es die Statistiken über die Bruttozuwanderung vermuten lassen.
Die vollständige Studie ist auf http://schweizermonat.ch/uploads/assets/bilaterale.pdf einsehbar; insgesamt besticht die Abhandlung durch
aufschlussreiche Untersuchungen, Tabellen und Grafiken und vermittelt
interessante und überzeugende Schlussfolgerungen. Wir empfehlen daher, die
ganze Studie herunterzuladen. [1]
Die SVP kauft keine Katze im Sack - Zuwanderung endlich eigenständig
steuern und begrenzen Mit der heute präsentierten Botschaft ans Parlament lässt
der Bundesrat weiterhin offen, ob und wie er die Verfassungsbestimmung zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung konkret umsetzen will, obwohl der
Handlungsbedarf dringend ist. Klare Vorstellungen, wie die Zuwanderung mit
einer Schutzklausel markant gesenkt werden soll, fehlen und werden auf die später
zu erlassende Verordnung verschoben. Der Bundesrat lässt damit offen, ob er
trotz Verfassungsauftrag überhaupt eine wirkungsvolle Lösung verwirklichen
will. Für die SVP ist zentral, dass die Zuwanderung rasch und deutlich gesenkt
wird. Die Instrumente dazu, insbesondere Kontingente und ein Inländervorrang,
sind von Volk und Ständen in der Verfassung vorgegeben. Die SVP wird die
Einhaltung unserer Bundesverfassung auch auf parlamentarischem Weg konsequent
einfordern.
Für die SVP ist es unverständlich und nicht akzeptabel, dass
der Bundesrat die von ihm vorgeschlagene Idee einer Schutzklausel in seinem
Vorschlag für die Umsetzungsgesetzgebung nicht weiter vertieft und
konkretisiert. Damit nährt er unweigerlich den Verdacht, den Schwellenwert für
die Schutzklausel dereinst so hoch ansetzen zu wollen, dass die Zuwanderung
nicht gebremst wird. Dies verunmöglicht eine seriöse Beurteilung der Wirkung
und eine entsprechende Diskussion im Parlament. Der Bundesrat verschiebt den
Entscheid über zentrale Elemente der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung
damit auf die Verordnung. Das Parlament soll also einen Entscheid fällen, ohne
von der Begrenzungswirkung überhaupt nur ein vage Vorstellung zu haben. Soll
eine Diskussion über ein solches Modell möglich sein, muss der Bundesrat nun
umgehend einen Entwurf für die Verordnung mit den Grundlagen für die künftige
Begrenzung vorlegen, damit das Parlament in Kenntnis davon über die
gesetzlichen Vorgaben entscheiden kann. Ansonsten ist anzunehmen, dass der
Bundesrat weiterhin nicht daran denkt, die Zuwanderung signifikant zu senken
und den Verfassungsauftrag umzusetzen. Für die SVP ist klar, dass sich die
Umsetzung am Konzept mit Kontingenten und Inländervorrang orientieren muss, wie
es sich bis zur Einführung der Freizügigkeit bewährt hat und wie es die
Verfassung vorgibt. Das Konzept der SVP, das sie im Mai 2014 präsentiert hat,
baut ebenfalls darauf auf. Die SVP wird diesen Weg auch im Parlament konsequent
verfolgen. Keine neuen flankierenden Massnahmen
Zudem lehnt die SVP neue ›flankierende Massnahmen‹
entschieden ab. Flankierende Massnahmen schränken den freien Arbeitsmarkt
massiv ein. Damit werden wichtige Standortvorteile der Schweiz preisgegeben.
Das Parlament darf deshalb keinesfalls auf zusätzliche flankierende Massnahmen
eintreten. Sollten Bundesrat und Parlament eine Umsetzung des Volksentscheids
zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung verhindern oder von einem Veto der
EU abhängig machen, wird die SVP nicht zögern, eine Volksinitiative zur
Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens zu lancieren. [2]
Die SVP ist niederzustrecken!
Der ›Tages-Anzeiger‹ präsentiert das Rezept: Der Leiter
der Bundeshaus-Redaktion des ›Tages-Anzeigers‹, Fabian Renz, wartet mit dem finalen
Rezept auf, wie aus der der SVP am 28. Februar beigebrachten Niederlage der
Todesstoss gegen diese missliebige Partei geführt werden kann.
Ausländerkriminalität
- dies der Ausgangspunkt von Renzens Strategie - gebe es als solche real eigentlich nicht.
Denn in den Städten, wo die [nach Renz eigentlich gar nicht existierende] Ausländerkriminalität
bezüglich registrierbarer Taten am meisten Spuren hinterlasse, habe die SVP am
schlechtesten abgeschnitten. Das beweise, dass Forderungen nach konsequenteren
Massnahmen gegen die überhand nehmende Ausländerkriminalität eigentlich im
luftleeren Raum stünden. Sie glichen, meint Renz, der Forderung irgend eines
kleinen Gebirgsnests nach einem Leuchtturm, der am Bergbach aufzustellen sei,
auf dass niemals ein die Weltmeere kreuzender Supertanker mit einem Haus des
Bergdorfes kollidiere (›Tages-Anzeiger‹ vom 3. 3. 2016). Die Forderungen der
SVP zur Ausländerkriminalität seien ebenso irrational, wie eine solche
Forderung aus einem Gebirgsdorf irrational wäre.
Nur irrationale Aufbauschung
Der hohe Anteil ausländischer Insassen in Gefängnissen sei, behauptet Renz, so
irrational, als würde man behaupten, alle Männer seien kriminell, weil die meisten
der Inhaftierten Männer seien. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Genau so sagt es
Renz zwar nicht, aber dass er ›die
Männer‹ zum Vergleich mit ›den Ausländern‹ im Rahmen seiner kruden Beweisführung herangezogen hat, lässt
beim Konsumenten seiner wirren Gedankengänge vermuten, dass er den Vergleich so
wie hier dargestellt gemeint haben könnte. Interessant auch: Die gleiche
Zeitung hat im Chor mit fast allen anderen Medien des Landes im Vorfeld der
Abstimmung unablässig behauptet, die von der Statistik präsentierten, von der
SVP wiederholt zitierten Zahlen zur Ausländerkriminalität seien schon deshalb
lückenhaft, weil ein Grossteil der ausländischen Kriminellen, die
Kriminaltouristen nämlich, gar nicht erwischt werden könnten. Wenn das, woran
wir keinesfalls zweifeln, stimmt, dann ist daraus allerdings abzuleiten, dass
der Anteil von Ausländern an den Gefängnisinsassen, heute rund drei Viertel,
noch viel grösser wäre als er heute ohne Kriminaltouristen bereits ist, wenn
man letztere dingfest könnte. Eine Tatsache, die höchstens zum Ausdruck bringt,
wie wandelbar Beweisführungen von Medienschaffenden sind, wenn ihnen die Manipulation
der Öffentlichkeit wichtiger ist als eine an Tatsachen orientierte
Berichterstattung. Doch zurück zu Renzens Strategie: Sein Rezept zur Ausmerzung
der SVP beruht darauf, dass Medien über Verbrechen zwar noch berichten sollen, aber
nur so, dass ein Täter nie als von ausländischer Herkunft erkannt werden könne.
Dann könne man um so leichter behaupten, dass Ausländerkriminalität etwas rein
Irrationales sei.
Interessant an dem hier nur auszugsweise wiedergegebenen
Artikel von Renz ist der Einblick, den der Leser a in die Gedankenwelt eines
Journalisten erhält, der sich auf dem Kriegszug gegen die SVP wähnt. Eine an
Tatsachen orientierte Berichterstattung hat in einem solchen Zusammenhang dem
ideologisch motiviertem Kalkül zu weichen, auf dass Fakten ins Reich
irrationaler Aufklärung abgedrängt werden können.
Ob der seine Leser so masslos unterschätzende Herr Renz noch
nie auf die Idee gekommen ist, dass seine Strategie tatsächlich einen Aderlass
auslösen könnte, dies weit weniger bei den Mitgliedern der SVP, sondern viel
einschneidender im Abonnentenstamm des ›Tages-Anzeigers‹ .
[1] Quelle: EU-NO
Newsletter vom 4. März 2016 http://eu-no.ch/news/personenfreizuegigkeit-fuer-die-schweiz-von-nutzen_115 4. 3. 16
[2] Medienmitteilung der SVP Schweiz vom
4. März 2016
[3] Quelle: Der
Freitags-Kommentar vom 4. März 2016 von Ulrich Schlüer; «Schweizerzeit» http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/die_svp_ist_niederzustrecken-2590
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