Vollgeld - Im Rat der Ahnungslosen 15.10.2017 22:47
Zu der inhaltlich schon fast peinlichen »Debatte« im Ständerat
über die Vollgeld-Initiative
hat der auf die Finanzwirtschaft spezialisierte Schweizer Publizist Christoph
Pfluger, Autor des Buches ›Das
nächste Geld‹, den nachfolgenden
Kommentar verfasst:
Die grosse Enttäuschung
der Vollgeld-Debatte im Ständerat war nicht die Ablehnung der Initiative. Das
war zu erwarten. Der grosse Schock war die flächendeckende Unkenntnis über die Materie, die entschieden wurde. Mit dem
Geld ist es wie mit Eisbergen. Entscheidend ist das Unsichtbare: Wer es
herstellt und mit welchen Folgen. Mit dieser grossen Frage, welche die Welt
umtreibt und steuert, seit es Geld gibt, hätte sich der Ständerat gestern in
der Debatte um die Vollgeld-Initiative befassen müssen. Dass die Chance
verpasst wurde, müssen sich die Initianten (denen ich nahe stehe) selber
zuschreiben.
›Echte Franken für alle!‹, ›Ja zu sicheren
Konten‹ – mit solchen und ähnlichen
Slogans wirbt die Vollgeld-Initiative für ihr Kernanliegen. Der schnelle
Betrachter denkt: Hier geht es um die Sicherheit unseres Geldes! So dachten
auch die Ständeräte, welche die Vollgeld-Initiative ausnahmslos als ›Antwort auf die grosse Finanzkrise‹ verstanden, wie sich Paul Rechsteiner
(SP, SG) ausdrückte. Aber selbstverständlich geht es um wesentlich mehr als nur
um die Sicherheit unseres Geldes. Es geht um die grosse Gerechtigkeitsfrage,
wer Geld, also Kaufkraft, schöpfen kann, und zu welchen Bedingungen. Wer Geld
herstellen kann, kann ohne Gegenleistung erwerben, weshalb das Recht der
Geldschöpfung historisch immer beim Souverän angesiedelt war. Nur der König
durfte es sich aneignen, aber auch das nicht ohne guten Grund. Erst mit der
Gründung der Bank of England im Jahr 1694 wurde privates Geld öffentlich
sanktioniert. Seither hat das Geld der privaten Banken förmlich die Welt
erobert.
Die Unsicherheit ist einer
der Geburtsfehler dieses privaten Systems, der auch durch die Zentralbanken
nicht beseitigt werden kann. Die Ursache ist leicht zu verstehen: Die Banken
schöpfen bekanntlich Geld, indem sie Kredite verleihen. Sie brauchen dazu nicht
das Geld der Sparer, sondern schreiben den gewünschten Betrag einfach ins Konto
des Kreditnehmers. Dabei, und das ist die grosse Krux dieses Verfahrens, entsteht
ein gleich bleibender Betrag neuen Geldes, der in Zirkulation geht und eine mit
dem Zins steigende Forderung auf Rückzahlung. Deshalb ist nie genug Geld im
System, um alle Forderungen zu bezahlen. Aktuell steht den globalen Schulden
von 217 Billionen $ [Institute of
International Finance] eine
Weltgeldmenge M1 - Bargeld und sofort
verfügbare Bankguthaben - von 28,5
Billionen $ gegenüber [The World Factbook, CIA]. Die Finanzindustrie ›löst‹ das Problem, in dem die Schulden stehen gelassen werden, solange
sie bestimmte, immer larger gehandhabte Grenzen nicht übersteigen, indem
ständiges Wachstum und kontinuierliche Kreditschöpfung gefördert werden und
indem die Zentralbanken private und öffentliche Schuldtitel aufkaufen und damit
Geld in Umlauf bringen. Ein Beispiel: Shell konnte trotz schlechten
Geschäftsgangs eine Dividende von 6.5 % ausrichten, weil die EZB die dafür
aufgelegte Obligation kaufte und mit Euros
aus dem Nichts bezahlte, für die nirgendwo ein realwirtschaftlicher Gegenwert
entstand.
Instabilität ist also nur ein Symptom unseres falsch konstruierten Geldsystems.
Über die Sicherheit unseres Geldes zu diskutieren, ist fruchtlos, wenn das
System nicht verstanden wird, und das war bei den Damen und Herren Ständeräten
in eklatanter Weise der Fall. Den Vogel
abgeschossen hat dabei ausgerechnet der Sprecher der vorberatenden Kommission,
Ruedi Noser (FDP, ZH). In einem Radio-Interview kurz vor der Debatte erklärte
Noser doch tatsächlich, wenn eine Bank einen Kredit vergeben wolle, müsse sie
zuerst die entsprechende Summe von der Nationalbank bekommen [Interview ›Politikum‹, Min. 6:55].
Er irrt dabei in demselben
geldtheoretischen Nebel herum wie die keineswegs ungebildeten Bekannten von
Ständerätin Anita Fetz (SP, BS), die alle der Ansicht sind, alles Geld komme
von der Nationalbank. »Allzu oft hat man das Gefühl - besser gesagt, ist es auch
so«, sagte Anita Fetz in der Debatte, »dass grosse Teile in der
Finanzindustrie sehr gut damit fahren, dass die Mehrheit der Leute wenig Kenntnisse über diese
Zusammenhänge haben.« Besonders gut fahren die Banken natürlich, wenn sogar die
Politiker die Materie nicht verstehen.
Kein einziges Mal wurde in
der Ständeratsdebatte die Rechtmässigkeit der privaten Geldschöpfung
thematisiert und schon gar nicht die Frage, ob ein solches System überhaupt
durchzuhalten ist und welche Schäden auf dem Weg zum Zusammenbruch, den
prominente Ökonomen wie Ludwig von Mises (1881-1973) als unausweichliche Folge
eines Kreditgeldsystems sehen, noch entstehen.
Mit der Sicherheitsfrage im Fokus konnte der Ständerat ohne Probleme den
Argumenten der Banken folgen, die das bestehende System als funktionierende
Ordnung darstellen, dies mit einem Verbesserungsbedarf, an dem auch gearbeitet
würde. Und vor allem konnte er sich auf die offene Flanke der Initiative
konzentrieren, die von den Initianten nur ungenügend geschützt wurde, die
Tatsache nämlich, dass noch kein Land das Vollgeld eingeführt hat. Denn in
Volksabstimmungen gewinnen nie die umwälzenden Ideen, und seien sie noch so gut.
Dass es keine wissenschaftlichen Fakten gäbe, wie Finanzminister Ueli Maurer
behauptete, stimmt natürlich nicht. Das hat man ihm vermutlich eingeflüstert.
In den 1930er Jahren wurde eine Variante des Vollgeldes, das ›100-percent-money‹ von rund drei Viertel der US-Ökonomieprofessoren befürwortet,
aber von den Banken verhindert. Seither
sind halbe Bibliotheken zur Stabilität des Geldsystems veröffentlicht worden,
seit den 1990er Jahren auch einiges über Vollgeld.
Es trifft aber zu, dass die Mainstream-Ökonomie noch immer eine seriöse
Diskussion des Geldbegriffs verweigert, wie eine aufschlussreiche Debatte auf
dem Portal Ökonomenstimme zeigt [1],
über die das deutsche Handelsblatt unter dem Titel ›Die Erfindung des Geldes‹
berichtete. Indem die deutsche Bundesbank die Geldschöpfung aus dem Nichts
durch die privaten Banken beschreibe, stelle sie sich auf eine Stufe mit ›Verschwörungstheoretikern‹
schreibt zum Beispiel Holger Zschäpitz, Autor des Bestsellers ›Schulden ohne Sühne?‹. Wer Geldaufklärung betreibt, wird
mit dem verbalen Zweihänder bekämpft.
Am Ende der Debatte über die wichtigste Volksinitiative seit Jahrzehnten steht
man als engagierter Autor in dieser Sache ziemlich ratlos da. Über die
entscheidenden Fragen wurde gar nicht diskutiert und einige der Exponenten
legten ein eklatantes Unwissen an den Tag, allen voran der Kommissionssprecher
Ruedi Noser.
Was braucht es, den Nebel um das Geld zu lüften? Mehr als gute Bücher,
prominente Unterstützung und offenbar auch mehr als eine Volksinitiative. Wenn
sie schon nicht zu gewinnen ist, dann müsste man von einer solchen Initiative
eine breite aufklärende Wirkung erwarten, mit der Erkenntnis, dass die Banken
den Unsinn selber herstellen, für den sie dann gerettet werden müssen. Denn ›die nächste Finanzkrise ist so sicher
wie das Amen in der Kirche‹, wie
Ständerat Thomas Minder in der Debatte meinte.
Dann möchten wir doch lieber nicht von Politikern mit groben Verständnislücken
zu falschen Lösungen geführt werden, sondern von Menschen, die erkannt haben,
dass die Geldschöpfung nicht privaten Interessen überlassen werden darf,
sondern unter demokratische Kontrolle gehört. Etwas anderes ist einer direkten
Demokratie nicht würdig.
Quelle:
https://www.infosperber.ch/Wirtschaft/Vollgeld-Initiative-Standerat-Kommentar-Christoph-Pfluger 15. Oktober 2017
[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/geldschoepfung-nur-durch-snb-staenderat-gegen-die-vollgeld-initiative 28. 9. 17
Geldschöpfung nur durch SNB? Ständerat gegen die Vollgeld-Initiative
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