Kambodscha - Zum Lebenswerk von Beat Richner - Von Erika Vögeli 28.09.2018 20:34
In Beat Richner verlieren wir alle einen grossartigen Menschen,
einen wunderbaren Botschafter der
humanitären Schweiz, einen unabhängigen Denker und unbeugsamen Kämpfer für die
Anerkennung des Rechts eines jeden Menschen auf die für ihn notwendige,
korrekte medizinische Behandlung ohne jeden Abstrich. «Ich bin ein Gefangener
meines Gewissens», schrieb er einmal, weil die Not der Kinder in einem von
Krieg und Gewaltherrschaft zerstörten armen Land ihn anrührten, ihn
aufforderten, zu handeln und etwas zu tun.
Er hat das getan: Hingebungsvoll,
ausdauernd, mit zäher Hartnäckigkeit, denn «das Leben eines Kindes ist ein
Universum», und in armen Ländern ist das Sterben eines Kindes nicht einfacher,
denn «der Bezug der Mutter zum Kind ist überall auf der Welt der kostbarste
menschliche Kontakt überhaupt. Und ein Bruch dieses engsten Kontaktes, eine
Verletzung des engsten Vertrauens, den Menschen miteinander haben können, fügt
überall den gleichen unsäglichen Schmerz zu». Und: «Es gibt nichts mehr als
Leben im Leben.» Man ahnt in diesen Sätzen ein wenig von dem, was Beat Richner
die Kraft gab, den Kampf mit den täglichen Anforderungen, mit sich und den
Widrigkeiten der Situation und all den Hindernissen, die man ihm in den Weg
stellte, jeden Tag erneut aufzunehmen: Als Arzt, als Fundraiser, als
Ausbildner, als Leiter der Spitäler, als ›Hüttenwart,
der für Disziplin und Hygiene sorgt‹
und als ›Polizist,
der gegen die Korruption kämpft‹.
Das Lebenswerk
Beat Richner wurde am 13. März 1947
geboren und schloss seine Ausbildung zum Kinderarzt 1973 ab. Und er war es
gerne: «Ich liebe meinen Beruf als Kinderarzt und würde im nächsten Leben
wieder denselben wählen.» Daneben pflegte er sein geliebtes Cellospiel: Sein
Debut als ›Beatocello‹, als Cello spielender Musiker und
Musikclown, gab er schon 1967 am Polyball, dem jährlichen Ball an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Zürich; weitere Auftritte folgten
und ab 1972 engagierte ihn der Schweizer Kabarettist und Schauspieler Roland
Rasser regelmässig in seinem Theater am Spalenberg in Basel. Dass es ihm
dereinst auch helfen würde, seine Botschaft zu verbreiten und sein Anliegen zu
unterstützen, wusste er damals noch nicht.
1974/75 arbeitete Beat Richner als Arzt
und Leiter einer Mission des Schweizerischen Roten Kreuzes im Kinderspital
Kantha Bopha in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. Die Invasion der
Roten Khmer setzte diesem Engagement ein jähes Ende und zwang Richner zur Rückkehr
in die Schweiz, wo er zunächst seine Stellung am Kinderspital Zürich wieder aufnahm.
1980 eröffnete er gemeinsam mit einem Kollegen eine eigene Praxis in Zürich.
Nach Krieg, tödlicher Herrschaft durch die
Roten Khmer und Bürgerkrieg kam es im Juni 1991 endlich zum Waffenstillstand
und dann zum Pariser Friedensvertrag vom 23. Oktober 1991. Der König und die
Übergangsregierung von Kambodscha wandten sich an Beat Richner und baten ihn,
das Kinderkrankenhaus in Phnom Penh mit der damaligen Kapazität von 68 Betten
wieder aufzubauen und dessen Führung zu übernehmen. Schweren Herzens verliess
er seine Kinderarztpraxis in Zürich und reiste nach Kambodscha. Dass es so
viele Jahre werden würden, ahnte er wohl kaum.
Das wiederaufgebaute Spital Kantha Bopha I
wurde 1992 von Prinz Norodom Sihanouk und dem Leiter der UNO-Übergangsverwaltung
für Kambodscha eingeweiht. 1993 folgen Umbau und Inbetriebnahme eines weiteren
Gebäudes mit Chirurgie, zwei Operationssälen und drei Abteilungen. 1994 wird
ein weiteres benachbartes Gebäude zu einer grossen Intensivstation mit zwei
weiteren Abteilungen umgebaut. Dann folgt 1995 die Grundsteinlegung für Kantha
Bopha II – das erste Spital war mit täglich über 1000 ambulanten Patienten und
350 Spitalaufenthalten schon völlig überbelegt. König Norodom Sihanouk stellte
dazu Land des königlichen Palastes in Phnom Penh zur Verfügung. Eingeweiht
wurde Kantha Bopha II am 12. Oktober 1996, wiederum mit König Sihanouk und
Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz.
Das dritte Spital eröffnete am 31. März
1999 in Siemreap, in der Nähe des Tempels von Angkor, einer
Touristenattraktion, bei der Beat Richner gerne Cello spielte und nebenbei
Spendengelder sammelte …… So wie schon in den ersten Spitälern ist auch hier die Behandlung für
jedes Kind kostenlos. Es umfasst eine grosse Station für
ambulante Patienten und umfangreiche Einrichtungen für die Pflege
hospitalisierter Kinder sowie für die korrekte Behandlung lebensbedrohlich
erkrankter Kinder. Bauweise und Gestaltung des neuen Spitals Jayavarman IV, Kantha
Bopha III, widerspiegeln die sieben Jahre laufender Erfahrung mit den Spitälern
in Phnom Penh. Wie die Stiftung Kinderspital Kantha Bopha Dr. Beat Richner
schreibt, könnte es weltweit als Modell für den Bau und die Organisation eines
Krankenhauses dienen, das unter ähnlichen Bedingungen geführt werden muss.
In Jayavarman IV wurden im Jahr 2000 eine
Kinderchirurgie und ein Computertomograph
eingeweiht, 2001 folgte die Einweihung einer Maternité, die helfen soll,
künftig die Übertragung einer mütterlichen HIV-Infektion auf das Kind zu
verhindern; danach 2002 die Einrichtung eines Konferenz- und Ausbildungszentrums.
Seit 2002 gab Beat Richner dort wöchentlich, also jeden Samstag, ein Konzert,
bis 2009 waren es schon über 500 Konzerte, die jährlich 5 bis 8 Millionen $ an
Spenden einbrachten. 2005 wurde Jayavarman IV nochmals erweitert, so dass dort heute
weitere 350 Betten zur Verfügung stehen.
Als Kantha Bopha I 2004 nicht nur zu
klein, sondern auch dringend renovationsbedürftig geworden war, begann man mit
der Errichtung von Kantha Bopha IV, das im Dezember 2005 eingeweiht werden
konnte. Während ein Gebäude von Kantha Bopha?I weiterhin genutzt werden konnte,
wurden die beiden anderen erneuert. Das neue Spital hat 555 Betten, 4
Operationsräume, 2 Intensivstationen, ein umfassend ausgerüstetes Labor mit
Blutbank, eine Abteilung mit einem Röntgenapparat, 4 Ultraschallgeräten und
einem Computertomographen, dazu eine grosse Apotheke, eine Station für
ambulante Patienten und ein Präventionszentrum. Gedeckt werden konnten die
Kosten für all das nicht zuletzt dank der Aktion ›Zwänzgernötli‹, die von zahlreichen Schulkindern
und Menschen aus der ganzen Schweiz unterstützt wurde. Schon bald war aber auch
dieses Krankenhaus dem Ansturm an kranken Kindern nicht mehr gewachsen – 2006
hatte die Zahl der kleinen Patienten, die hospitalisiert werden mussten, um 50 %
zugenommen. So beschloss die Stiftung den Bau von Kantha Bopha V, das Ende 2007
seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Die Kosten für die neun Einheiten
mit je 34 Betten, das Präventionszentrum, die Station für Prävention,
Röntgengeräte, Ultraschall, das Durchleuchtungsgerät, die Labors, der
Konferenzraum und die medizinische Bibliothek beliefen sich auf 9 Millionen
US-Dollar. 2008, 2011, 2012 und 2014
folgten vier Erweiterungen von Jayavarman VII.
Nicht wegzudenken ist auch die
ausgezeichnete ärztliche Ausbildung, die an den Spitälern geleistet wird, an
denen der grösste Teil der kambodschanischen Ärzte ausgebildet wird. Beat
Richner legte Wert darauf, dass die Mitarbeiter der Kliniken in allen Bereichen
in erster Linie aus Kambodscha stammen: Ende 2017 beschäftigte die Stiftung in
den 5 Spitälern rund 2500 einheimische Mitarbeiter. Nebst Dr. med. Peter Studer
als Leiter der Kantha Bopha Spitäler ist der französisch-kambodschanische
Doppelbürger Dr. Denis Laurent als einziger ausländischer Angestellter für die
Stiftung tätig. Und dies alles beim weltweit besten Verhältnis von Kosten und
Heilungsrate. «Kantha Bopha ist korruptionsfrei, eine Insel von Gerechtigkeit
und sozialem Frieden in Kambodscha.»
Ein Modell
– nicht nur für arme Länder
Wie die Stiftung festhält, ist Kantha
Bopha zu einem «hochgeachteten Modell für ganz Südostasien geworden. Es zeigt,
wie leistungsfähig direkte medizinische und humanitäre Hilfe – das heisst,
korrekte und nicht durch Korruption behinderte Medizin, verbunden mit gezielter
Langzeit-Ausbildung - sein kann, sowohl
bei der behandelnden wie auch bei der präventiven Medizin und in der
Forschung.» Bis 2017 wurden in den Spitälern 16,3 Millionen Patienten ambulant
und über 1,9 Millionen schwerkranke und schwer verunfallte Kinder in
Spitalpflege behandelt. Unzählige Kinder erblickten dort das Licht der Welt,
und noch vielen mehr schenkte er ein ›morgen‹, wie es in einem Lied in dem auf
der Homepage der Stiftung aufgeschalteten Trauervideo heisst.
Das sind nur die äusseren Fakten einer
immensen menschlichen Leistung. Man kann sich davor verneigen und zur Kenntnis
nehmen, was mitmenschliches Gefühl,
Gerechtigkeitssinn und eine unbeugsame menschliche Entschlusskraft vermögen.
Manchmal hat man Beat Richner Kompromisslosigkeit und mangelnde Diplomatie
vorgehalten. Aber seine Überzeugung, dass ärztliche Hilfe nicht an arm und
reich gebunden werden darf und dass daher die richtige Medizin für alle ohne
Ausnahme ein Gebot der Achtung vor der Menschenwürde ist, duldete keinen Kompromiss.
Und das ist gut so. Ohne sie wäre er nicht Beat Richner gewesen, und ohne sie
gäbe es Kantha Bopha wohl auch nicht. Denn ohne diese innere Unbeugsamkeit
hätte er kaum die Kraft gehabt, nicht nur allen internationalen Organisationen
und zahlreichen offiziellen Stellen, die das alles als ›Luxus‹
ablehnten, der Indolenz auch der Reichen in Kambodscha und dem permanenten
Kampf um das finanzielle Überleben dieses Werkes zum Trotz weiterzuarbeiten.
Natürlich gab es auch Weggefährten und Unterstützer von Anfang an: Ärzte und
andere Fachleute, die mitzogen und auch bei seiner Erkrankung wieder
einsprangen, die ›Schweizer
Illustrierte‹,
die das Projekt von Anfang an begleitete
und immer wieder zu Spenden aufrief, die jährliche Galaaufführung des Zirkus
Knie und die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft, die Beat Richner über all
die Jahre mit ihren Spenden die Treue hielt und ihn zum ersten Schweizer des
Jahres wählte.
Mittlerweile hat auch die kambodschanische
Regierung 2016 ihren Beitrag auf 6 Millionen verdoppelt und seit 2017
generieren 2 $ pro Eintritt in die berühmten Tempelanlagen von Angkor Wat
zusätzliche 5 bis 6 Millionen $. Private Spenden nehmen auch in Kambodscha zu,
und die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) steuert weiterhin
jährlich 4 Millionen Franken bei. Aber leicht war es nicht. Auch 2017 wurde
über die Hälfte des Budgets aus Spenden aus der Schweiz gedeckt. ›Betteln‹
war hart; Richner fragt sich in seinem 2009 erschienenen Buch ›Ambassador‹: «Ein Traum, der sich gelohnt
hat? Ja, ganz sicher, es war und ist es wert; ein Traum aber auch, der bei mehr
Menschlichkeit der Reichen und Mächtigen leichter geträumt werden können hätte.
Es war hart. Und es ist heute noch hart.»
Wir dürfen es aber nicht bei guten
Wünschen und Bewunderung für Beat Richner belassen: Ehren kann man dieses Werk
zum einen, indem man ihm die verdiente internationale Achtung und Unterstützung
gewährt, sowie dadurch, dass die Schweizer Bevölkerung, viele Einzelne mit
grösserem oder kleinerem Geldbeutel, ihre stille aber bisher deutliche und
stetige Unterstützung weiterhin leisten und bei den nachkommenden Generationen
das Mitgefühl und die Achtung für diese Leistung wecken und pflegen. Es ist das
Mindeste, was wir tun können.
Gerade junge Menschen kann sein Beispiel
ermutigen: «Es ist möglich!» wie er einmal formulierte: Menschliches Mitgefühl,
gepaart mit innerer Festigkeit und Tatkraft, kann Berge versetzen. Beat Richner
hat es vorgemacht – es gibt viele Orte und Gelegenheiten, um sein Vorbild
nachzuahmen.
Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-22-25-september-2018/es-ist-moeglich.html Nr. 22 vom 25. 9. 18
«Es ist möglich!» - Zum Lebenswerk von
Beat Richner
Jahresbericht 2017 der Stiftung auf http://www.beat-richner.ch/pdf/Jahresberichte/Jahresbericht2017/Jahresbericht2017D.pdf#page=8&zoom=auto,741,672
http://www.beat-richner.ch
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