Brüssel im Machtrausch: Zensur heisst jetzt Faktenprüfung - Von Hannes Hofbauer 07.07.2019 20:06
Wer den am 14. Juni von der EU-Kommission vorgelegten »Bericht über
die Umsetzung des Aktionsplans gegen Desinformation« liest, wird erschreckt feststellen, dass der Aufbau einer EU-weit tätigen Zensurbehörde bereits weitgehend abgeschlossen ist. Demnächst soll, so die noch etwas versteckte Botschaft, die Verbreitung von Informationen, die Brüssel als falsch und gefährlich einschätzt, mit Sanktionen bis hin zu Kontosperren und Reiseverboten geahndet werden. Im Papier der EU-Kommission, für das nebstbei auch die aussenpolitische Speerspitze Federica Mogherini verantwortlich zeichnet, wird der
Terminus ›Desinformation‹ als ein
Vorgang definiert, der darauf abzielt, »abzulenken und zu spalten, durch die Verdrehung und
Verfälschung von Tatsachen Zweifel zu säen, und so die Menschen zu verwirren
und ihr Vertrauen in die Institutionen und die etablierten politischen Prozesse
auszuhöhlen«. Im Visier stehen dabei nicht
die grossen meinungsbildenden Medienkonzerne, die tagein, tagaus von Tatsachen
ablenken und Wahrheiten verdrehen, dies aber gerade in Hinblick auf die
Stabilisierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse tun.
Als zu
bekämpfender Desinformant gilt, wer solche in Zweifel zieht und ihre
Institutionen aushöhlt. Für diesen, die (Kapital-)Herrschaft stabilisierenden
Kampf werden Millionen in die Schlacht geworfen, um, wie es heisst, »ein
koordiniertes Vorgehen zu schaffen, das
voll und ganz mit unseren europäischen Werten und Grundrechten im Einklang
steht«.
Die als ›Task-Force für strategische Kommunikation‹
bezeichnete Behörde wacht mit Hilfe von sogenannten Faktenprüfern über die
Einhaltung der wahren, der europäischen Werte.
Im Vorfeld der
EU-Wahlen war es der Kommission gelungen, im Rahmen von
Kooperationsvereinbarungen den grossen Internetgiganten Google, Facebook,
Twitter und - etwas später - auch Microsoft einen ›freiwilligen
Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation‹ abzuringen, nicht
ohne im Fall, dass die Ergebnisse bis zum Jahresende 2019 nicht zufriedenstellend
sind, mit rechtlichen Schritten zu drohen. Ein EU-eigenes Frühwarnsystem zum
Erkennen falscher Informationen verstärkt zudem seine Zusammenarbeit mit den
Organisationen der globalen westlichen Wirtschafts-
und Militärstruktur, den ›internationalen Partnern wie G-7 und NATO‹.
Der Feind steht - wie gehabt - im Osten
Im Rahmen
der Task-Force für strategische Kommunikation agiert das ›Strategische Kommunikationsteam Ost‹ seit März
2015, als es darum ging, eine westliche Diskurshegemonie in der Ukrainekrise
herzustellen. Die verstörenden Bilder von rechtsradikalen Kämpfern am Kiewer
Maidan, die mit Brandbomben und (später) Schusswaffen gegen Ordnungskräfte vorgingen,
mussten als Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit dargestellt werden. Dies war
angesichts der Tatsache, dass Berichte russischer Medien in englischer,
deutscher, französischer und spanischer Sprache dieser Erzählung
entgegenstanden, keine leichte Aufgabe. Der Anfang der EU-europäischen
Zensurbehörde wurzelt also in der Ukraine-Krise des Jahres 2014.
Seitdem
sind in so gut wie allen EU-Ländern mediale Einsatzkommandos implementiert
worden, deren Aufgabe in der Beobachtung und Bekämpfung vornehmlich russischer
Medien besteht. Ende 2015 verschärfte die EU dann ihre Gangart, als das Europäische
Parlament mit Stimmenmehrheit eine Resolution verabschiedete, die der
Task-Force freie Hand und mehr Mittel gab. In der
Presseaussendung dazu hiess es: »Propagandistischer Druck auf die EU von
seiten Russlands und islamischer Terroristen wächst ständig. Dieser Druck zielt
darauf, die Wahrheit zu torpedieren, Angst zu verbreiten, Zweifel zu
provozieren und die EU
auseinanderzudividieren«. Dagegen müsse die bereits zuvor gegründete
Task-Force verstärkt eingesetzt werden, »um in Wachsamkeit und Erziehung zu investieren«. Frankreichs
Präsident Macron doppelte ein knappes Jahr später
noch mit der Idee nach, die Verbreitung von falschen Nachrichten unter Strafe
stellen zu lassen. Noch ist es nicht soweit, allerdings sind EU-weite
Beobachterstellen seit Oktober 2018 eingerichtet, und seit März 2019 ist ein ›Frühwarnsystem‹ installiert.
Die
Datensammler von der Task-Force nehmen, wie es auf Seite 3 des
Kommissionsberichts heisst, »anhaltende und ausgeprägte
Desinformationsaktivität aus russischen Quellen wahr«. Die Themenkreise, über
die ihrer Meinung nach Desinformation verbreitet wird, sind insbesondere die ›Infragestellung der demokratischen Legitimität der Union sowie Debatten
über Migration und Souveränität‹; mithin die grossen Brüsseler Schwachstellen.
Diese zu verdecken, haben sich die Faktenprüfer zur Aufgabe gemacht. Seit Anfang 2019 (bis Mitte Juni) haben sie, der
eigenen Statistik zufolge, 998 ›Desinformationsfälle‹ aufgespürt, was einer Verdoppelung zum
Vorjahreszeitraum entspricht. Neben der Wahrheitssuche haben es sich die
EU-Zensoren zur Aufgabe gemacht, Werbeplatzierungen auf Online-Plattformen zu
kontrollieren und gegebenenfalls zu entfernen. Das betrifft einerseits solche,
die mit fiesen Tricks ihre Klickzahlen erhöhen, andererseits aber auch
politisch missliebige Medien. Im Bericht der Kommission liest sich das dann
folgendermassen: »Alle drei Online-Plattformen (Facebook,
Google, Twitter) verstärkten ihre
Bemühungen um Erhöhung der Transparenz politischer Anzeigen«;
und dann weiter, »Facebook hat zwar, im Gegensatz zu Google
und Twitter, die Transparenz auf themenbezogene Werbung ausgeweitet, doch es
bestehen Zweifel an der Wirksamkeit«. Themen, die entsprechend gescannt
werden, sind Einwanderung, politische Werte, bürgerliche und soziale Rechte
sowie Aussen- und Sicherheitspolitik. Die grossen US-amerikanischen
Internetfirmen sind dazu übergegangen, Werbekunden, die ihnen (oder der
Europäischen Union) nicht passen, einfach zu verbannen und ihre Konten zu
schliessen. ›RT‹, ›Russia Today, und ›Sputnik‹ machten
diese Erfahrung mit Twitter bereits Ende Oktober 2017.
Die NATO ist eine Friedensmission - Punkt Wenn schon, dann gründlich. Die EU-Kommission dokumentiert jeden
einzelnen›Desinformationsfall‹. Penibel wird dort die angebliche Unwahrheit, das
diese verbreitende Medium und das Ergebnis der ›Faktenprüfung‹ genannt. Eine Durchsicht der unter ›EU vs Desinfo‹ abrufbaren Liste zeigt sehr deutlich, worum es dem
›EU-Aktionsplan gegen Desinformation‹ geht: Um die Durchsetzung der Brüsseler Sicht auf Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft. Im Fokus der Faktenprüfer steht unter anderem die
russische Nation. Wenn beispielsweise
auf ›Sputnik Deutschland‹ am 7. Juni folgendes berichtet wird: »Der russische Präsident Wladimir
Putin hat die Spekulationen über eine mögliche Vereinigung von Russland und
Weissrussland zurückgewiesen. Dies kann laut Putin nicht passieren. Von einer
Vereinigung der beiden Länder könne keine Rede sein. ›Ich sage
Ihnen, warum. Weil die Geschichte sich so entwickelt hat, dass es mit unserem
einigen Volk - und ich glaube, dass die
Weissrussen, Russen und Ukrainer ein und dasselbe Volk sind, das habe ich
mehrmals gesagt - so gekommen ist, dass
wir in unterschiedlichen Ländern leben, es haben sich unterschiedliche Staaten
gebildet‹, sagte Putin beim internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg«. Aus diesem Putin-Zitat nehmen die Faktenprüfer der EU den Halbsatz ›ich glaube, dass die Weissrussen, Russen und
Ukrainer ein und dasselbe Volk sind‹ heraus und schreiben: Desinformation! Sie nennen die
Sichtweise des russischen Präsidenten ein ›Pro-Kreml-Narrativ‹, das eine ›imperiale und irredentistische Ideologie‹ widerspiegelt. Damit delegitimieren sie die
russische Sicht auf die kulturellen und geopolitischen Verhältnisse und betonen
ihren Standpunkt als den einzig legitimen. Er entspricht dem wirtschaftlichen
Vormarsch der EU und der militärischen Erweiterung der NATO in Richtung Osten,
mithin westlichen Integrationsvorstellungen, die parallel zur Desintegration im
Osten ablaufen sollen.
Als tags
zuvor, am 6. Juni, der Sender ›RT DEUTSCH‹ Berlin
vorwarf, russische Medien kampagnenmässig zu diskreditieren, riefen die
Zensoren der Task-Force: Desinformation! Zum Beweis dafür lieferten sie ein
Zitat von Regierungssprecher Steffen Seibert, der auf den russischen Vorwurf echt
geantwortet hatte: »Jeder, der solch absurde Unterstellungen
erhebt, weiss wenig über Deutschland und seine Vorstellungen von Pressefreiheit«. So
sieht Information aus, die sich im Kampf gegen Desinformation bewähren muss.
Auch zwei
weitere harte Brüsseler Faktenchecks, die eine angebliche russische
Desinformationen aufgedeckt haben, zeigen, wohin die Reise mit der
Meinungsfreiheit geht. In beiden geht es um die NATO. Am 5. Juni schrieb ›sputniknews.org‹ vom »völkerrechtswidrigen Krieg der NATO
gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ab März 1999«. Die EU-Wahrheitsabteilung
reagierte mit Desinformation! …… und führte wortreich aus, dass der »Hauptgrund
für die NATO-Kampagne war, die Gewalt und Repression zu stoppen und Milosevic
zum Abzug seiner Polizei und paramilitärischen Truppen zu zwingen«.
Und als die italienische Ausgabe von ›Sputnik‹ eine Woche später, am 10. Juni, meinte, die NATO gefährde mit ihrer
militärischen Aufstockung das System globaler Sicherheit, waren wiederum die
Wahrheitssucher zur Stelle und riefen: Desinformation! [1] Anmerkung politonline: Die von Merkel im
November letzten Jahres ausgesprochenen Worte scheinen der Zensur
anheimgefallen zu sein:
Sie rief zur Einhaltung der
Rechtsstaatsprinzipien in der gesamten EU auf: »Wer rechtsstaatliche Prinzipien in seinem Land aushöhlt, wer die Rechte
der Opposition und der Zivilgesellschaft beschneidet, wer die Pressefreiheit einschränkt, der gefährdet nicht nur die Rechtsstaatlichkeit in seinem
eigenen Land, sondern er gefährdet die Rechtsstaatlichkeit von uns allen in
ganz Europa«. [2]
[1] https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2019/nr-15-2-juli-2019/bruessel-im-machtrausch-zensur-heisst-jetzt-faktenpruefung.html Zeit-Fragen Nr.
15 vom 2. Juli 2019
Der Autor studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte und arbeitet als
Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm zuletzt erschienen: ›Balkankrieg: Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens‹ (2001), ›EU-Osterweiterung. Historische Basis –
ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen‹ (2008), ›Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen
Zeitalter‹ (2014) sowie ›Feindbild
Russland. Geschichte einer Dämonisierung‹ (2016)
[2] https://www.spiegel.de/politik/ausland/angela-merkel-wirbt-fuer-europaeische-armee-a-1238222.html 13. 11. 18
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