Bolivien - Umsturz 17.11.2019 21:14
Nach den Lichtblicken mit der Präsidentenwahl in Argentinien und der
zumindest vorläufigen Freilassung von Lula da Silva in
Brasilien ist nun mit dem Putsch gegen Evo Morales ein tragischer Rückschritt
im Unabhängigkeitskampf der Völker Lateinamerikas gegen den Hegemon USA zu
verzeichnen. Ein angeblicher Wahlbetrug nach einem 24stündigen Unterbruch bei
der Auszählung der Stimmen ›sei
höchstwahrscheinlich‹, hatte die NZZ
berichtet. Eher handelt es sich dabei jedoch um die Bestätigung der Stimmen aus
abgelegenen Gebieten mit einem hohen Anteil von Indigenen, die schlussendlich
die Wiederwahl von Evo Morales bewirkten. Im ›Blick‹ schrieb man
hingegen mit Genugtuung über Boliviens ›geschassten, tyrannischen‹
Präsidenten.
Nachdem zunächst die Polizei und danach das Militär
dem wiedergewählten Präsidenten die Unterstützung entzogen hatten, blieb dem
indigenen, nicht-gewaltgeübten Morales nur die Flucht vor dem gewalttätigen
CIA-instruierten Mob.
Was die Wahl selbst angeht, so hatten z.B. Spanien und
Argentinien das Agieren des Militärs kritisiert - im Gegensatz zu Deutschland.
Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am 11. November auf der
Bundespressekonferenz mehrere Behauptungen zu den Vorgängen in Bolivien
aufgestellt, die einer faktenbasierten Überprüfung nicht standhalten. So hatte
er auf dieser im Namen der Bundesregierung hochoffiziell erklärt: »Ich erinnere
daran, dass die Wahlüberprüfungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten
(OAS )auf Grund der von ihr nachgewiesenen schweren Unregelmässigkeiten die
Ausrichtung von Neuwahlen ebenso empfohlen hat. Wir haben zur Kenntnis zu
nehmen, dass die OAS von weit verbreiteten, schwerwiegenden Unregelmässigkeiten
spricht, dass sie davon spricht, dass es in beinahe jedem untersuchten
Wahlbezirk Unregelmässigkeiten bei der Stimmauszählung gegeben habe und dass
sie deswegen empfehle, dass es zu Neuwahlen kommt.«
Keine der beiden Aussagen ist haltbar und die OAS hat
mitnichten die von Seibert angeführten ›schwere Unregemässigkeiten
nachgewiesen‹.
Das OAS-Team bestand aus 18 Experten aus 13 Nationen,
die innerhalb von wenigen Tagen in 5 von 9 Departementen Boliviens (Cochabamba,
Pando, Beni, Tarija und La Paz) im Einsatz waren, um die Wahlergebnisse zu
verifizieren. Die US-dominierte Organisation räumt selbst ein, dass die Analyse
in sehr kurzer Zeit erarbeitet wurde und daher keine vollständige Überprüfung
möglich war. Von den untersuchten Wahlprotokollen wurden laut OAS bei 78 nicht
näher benannte ›Unregelmässigkeiten‹ festgestellt; bei einer Gesamtsumme von
34.555 Wahlprotokollen entspricht dies 0,22 %. Auf diesen geringen Prozentsatz
an Unregelmässigkeiten verweist auch der Direkter der bekannten Denkfabrik ›Strategisches
Zentrum für lateinamerikanische Geopolitik‹ (›CELAG‹),
der spanische Politikberater und
Wissenschaftler Alfredo Serrano Mancilla. Spaniens Aussenminister Josep Borrell warnte, dass die
›Intervention‹ von Militär und Polizei »in vergangene Zeiten der
Geschichte Lateinamerikas zurückführe«, eine direkte Referenz an die
1970er-Jahren mit ihren blutigen Putschen, die unter anderem zu
Militärdiktaturen in Chile und Argentinien führten. Selbst die rechtsliberalen
Präsidenten Argentiniens und Chiles, der nach seiner Wahlniederlage nur noch
für wenige Wochen amtierende Mauricio Macri, und Sebastián Pinera, die immer
ein sehr distanziertes Verhältnis zu Evo Morales hatten, äusserten sich
kritisch zum Agieren des Militärs in Bolivien. Argentiniens neu gewählter
Präsident Alberto Fernandez sprach sogar ganz offen von einem ›Staatstreich‹.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die OAS - die zu einem grossen Teil von US-Geldern
finanziert wird - bei Analysten
allgemein als ›Durchsetzungsinstrument
von US-Interessen‹ in der Region
gilt und daher auch in Lateinamerika nicht als neutral wahrgenommen wird. [1]
Der bolivianische Putsch ist Alan MacLeod zufolge kein Putsch, da ihn
die USA wollten. Armeegeneräle, die im Fernsehen auftauchen, um den Rücktritt
und die Verhaftung eines gewählten zivilen Staatsoberhauptes zu fordern,
erscheinen wie ein Lehrbuchbeispiel für einen Putsch. Und doch präsentieren die
Konzernmedien die Ereignisse am Wochenendes in Bolivien sicherlich nicht als
solchen. Kein Medienunternehmen des Establishments stufte die Aktion als Putsch
ein; stattdessen ›trat Präsident Evo
Morales zurück‹. So war von ›weit verbreiteten ›Protesten‹ einer ›wütenden Bevölkerung‹ die Rede, die über den ›Wahlbetrug der ›ausgewachsenen Diktatur‹
empört waren.
Die ›New York Times‹ vom 10. November z.B. verbarg ihre Zustimmung zu den Ereignissen
keineswegs und präsentierte Morales als machthungrigen Despoten, der
schliesslich ›den Zugriff auf die Macht verloren hatte‹; wie sie
behauptete, sei er ›von Protesten belagert‹ und ›von
Verbündeten und Sicherheitsdiensten verlassen‹ worden. Seine autoritären
Tendenzen, so der Artikel, ›bereiteten Kritikern und vielen Anhängern
jahrelang Sorgen‹ und erlaubten einer Quelle, zu versichern, dass sein
Sturz ›das Ende der Tyrannei‹ für Bolivien bedeute. Mit einem
scheinbaren Versuch einer ausgewogenen Berichterstattung hielt die ›New
York Times‹ ferner fest, dass Morales ›kein Fehlverhalten zugab‹
und beteuerte, er sei ›Opfer eines Putsches‹. Zu diesem Zeitpunkt
war der Brunnen jedoch schon gründlich vergiftet.
Die korporativen Medien ignorierten die Aussage des
unabhängigen Washingtoner Think Tanks ›Center for Economic and Policy
Research‹ (›CEPR‹), dass »weder die OAS-Mission noch eine
andere Partei nachgewiesen hat, dass es bei den Wahlen weit verbreitete oder
systematische Unregelmässigkeiten gab«. Der aktuelle detaillierte Bericht des ›CEPR‹,
der behauptete, dass die Wahlergebnisse
mit den angekündigten Stimmenzahlen ›konsistent‹ seien, wurde in
den US-Konzernmedien überhaupt nicht veröffentlicht. Auch die Entführung und
Folterung von Mandatsträgern, die Plünderung des Hauses von Morales, die
Verbrennung öffentlicher Gebäude und der indigenen Wiphala-Flagge, die in den
sozialen Medien weit verbreitet waren und eine ganz andere Interpretation der
Ereignisse nahegelegt hätten, wurden kaum erwähnt.
Morales war der erste indigene Präsident in einer
mehrheitlich indigenen Nation, einem Land, das seit den Tagen der
Konquistadoren von einer weissen europäischen Elite regiert wird. Während
seiner Amtszeit hat es seine Partei ›Bewegung
für Sozialismus‹ geschafft, die
Armut um 42 % und die extreme Armut um 60 % zu reduzieren, die Arbeitslosigkeit
zu halbieren und eine Reihe beeindruckender Programme für öffentliche Arbeiten
durchzuführen. Morales sah sich selbst als Teil einer dekolonisierenden Welle
in ganz Lateinamerika, lehnte den Neoliberalismus ab und verstaatlichte die
wichtigsten Ressourcen des Landes, wobei er die Einnahmen für Gesundheit,
Bildung und bezahlbare Lebensmittel für die Bevölkerung ausgab. Seine Politik
löste grossen Zorn bei der US-Regierung, westlichen Unternehmen und den
Konzernmedien aus, die als ideologische Schocktruppen gegen linke Regierungen
in Lateinamerika fungieren. Im Falle Venezuelas bezeichnen sich westliche
Journalisten unironisch als ›den Widerstand‹ gegen die Regierung
und beschreiben es als ihr Ziel Nr. 1, Nicolas Maduro
›loszuwerden‹, während sie sich gleichzeitig als neutrale und
unvoreingenommene Akteure präsentieren. [2]
Einem Bericht von Jason Ditz zufolge ist die Oppositionspolitikerin und selbsternannte Interimspräsidentin Jeanine
Anez im Begriff, ein neues Kabinett einzurichten; wie sie vorschlug, sollte das
Ziel darin bestehen, sobald wie möglich eine Neuwahl durchzuführen. Der sich im
Exil in Mexiko aufhaltende Morales hat angedeutet, dass er bereit sei,
zurückzukommen, wenn die Wähler es wünschten. Es ist nicht wahrscheinlich, so
Ditz ferner, dass Anez letzterer Idee viel abgewinnen kann; das bolivianische
Militär und die bolivianische Polizei ganz sicher nicht, da sie gewaltsam
verhinderten, dass pro-Morales Abgeordnete am 13. 11. das Parlamentsgebäude
betreten konnten. Die Rechtmässigkeit dieser Vorgangsweise wird ernsthaft in
Frage gestellt, da das bolivianische Recht es Senatoren erlaubt, in den Senat
zu gehen, um sich zu treffen, wann immer sie wollen. Für ihre Wahl zur
Interimspräsidentin konnte Anez kein Quorum erreichen und hat dieses Amt somit einseitig deklariert.
Indessen hat das bolivianische Militär inzwischen einen Führungswechsel
angekündigt und Anez Loyalität geschworen.
Damit bleibt Morales vorläufig in Mexiko und seine Abgeordneten können nicht am
Senat teilnehmen. Die Trump-Administration scheint mit dieser Wendung der
Ereignisse völlig zufrieden zu sein, hat die militärische Übernahme zu Anfang
dieser Woche unterstützt und Anez dafür gelobt, dass sie ›aufgestanden‹ ist und sich selbst zur neuen Herrscherin
erklärt hat. Es ist nicht klar, wer zwischen Anez und dem Militär wirklich das
Sagen hat, aber die Vereinigten Staaten scheinen sich mit beiden zufrieden zu
geben, da sie alles, was nach Morales kommt, als notwendigerweise einen Schritt
in Richtung Demokratie sehen, egal wie sehr es den Eindruck eines
Militärputsches erweckt. [3]
Für Morales’ raschen Rücktritt wird Militärchef Williams Kaliman als
massgeblich verantwortlich bezeichnet. Kurz nachdem Kaliman Morales am 10. 11.
zum Rücktritt aufforderte, um »Frieden und die Stabilität in Bolivien
aufrechterhalten zu können«, gab dieser auf.
Das Joint Venture mit der
deutschen ›ACISA‹ zur Lithium-Gewinnung [4] ist infolge der massiven Proteste von
Boliviens Regierung inzwischen annulliert worden. Wie der Gouverneur des
Departements Potosí erklärte, wurde das Projekt von Morales per Dekret
gestoppt. Die Demonstranten hatten argumentiert, Bolivien liefere seine
Bodenschätze internationalen Firmen aus.
[5]
Morales, legt Hartmut
Barth-Engelbart, dar, ist in vielem mit Gaddafi zu vergleichen, mit dessen Land
und seiner Entwicklung. Ziele Gaddafis waren die Schaffung einer afrikanischen
Entwicklungsbank, einer afrikanischen Einheitswährung auf Goldbasis für ganz
Afrika und die Loslösung von Dollar, Weltbank und IWF, was eigenständige
Perspektiven eröffnet hätte. Solche Vorbilder müssen unbedingt zerstört werden.
Die Kriege um Uran, Öl und
Erdgas werden durch Kriege um Lithium, Coltan, seltene Erden und Wasser auf
Platz 2 verdrängt. Es geht um die Wasserwerke Afrikas und Asiens, um Libyen und
Tibet, um Tantal/Koltan in Zentralafrika, die seltenen Erden der Mongolei und
die Lithium-Lagerstätten in Südamerika. Die Entwicklungskooperation
lateinamerikanischer Staaten mit China und der russischen Föderation muss
zurückgedrängt, wenn nicht ganz gekappt werden. Insofern kann man bezüglich
Bolivien von einem Kapp-Putsch sprechen, wie der in Venezuela gescheiterte auch
ein solcher war.
Und weil die ›Green-Economy‹ das
Lithium braucht, kriegt der Putsch auch seinen ›grünen‹
Segen. [6]
[1] https://deutsch.rt.com/meinung/94547-wen-interessieren-schon-fakten-regierungssprecher-seibert-ueber-bolivien-und-oas-wahlbericht/
12. 11. 19 Wen interessieren schon
Fakten: Regierungssprecher Seibert über Bolivien und den OAS-Wahlbericht – Von
Florian Warweg
[2] http://antikrieg.com/aktuell/2019_11_13_derbolivianische.htm 13. 11. 19 Der bolivianische Putsch ist kein Putsch - weil die
USA ihn wollten – Von Alan MacLeod
[3]
http://antikrieg.com/aktuell/2019_11_14_boliviens.htm 14. 11. 19
Boliviens Polizei blockiert Pro-Morales-Abgeordnete von der Legislative – Von
Jason Ditz
[4]
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2975
27. 10. 19 Blick auf Bolivien
[5] https://www.dw.com/de/bolivien-stoppt-lithium-projekt-mit-deutscher-firma/a-51100927 4. 11 19
[6] http://www.barth-engelbart.de/?p=217922http://www.barth-engelbart.de/?p=217922 15. 11. 19 Green
Economy, der Lithiumputsch in Bolivien & die Baerbock’sche ›Wucht der Märkte‹
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