Zum Fall Nawalny 13.09.2020 21:26
d.a. Bevor man sich mit dem Vergiftungsfall Nawalny auseinandersetzt, dürfte es
durchaus
zweckmässig sein, sich zuvor den in der Presse unendlich ausgewalzten Fall
Skripal nochmals bewusst zu machen: Am 4. März 2018 waren in Salisbury der
ehemalige russische Militäroffizier und danach Doppelagent für den britischen
Geheimdienst Sergei Skripal und seine Tochter Julia angeblich durch eine
Chemiewaffe mit Namen »Nowitschok« vergiftet worden. Russland hatte die Anschuldigungen aufs schärfste bestritten
und seine Mithilfe bei der Aufklärung angeboten, die jedoch barsch
abgelehnt wurde. Dies vor allem deswegen, weil dieser Anschlag in der Folge praktisch
lautlos verebbte. Eine der letzten Meldungen hierzu lautete wie folgt: »Scotland
Yard findet keine Beweise für Putins Rolle im Fall Skripal«.
»Die Suche nach mutmaßlichen Hintermännern in den obersten Etagen der russischen
Führung«, heisst es unter anderem, »bleibt bislang allerdings ohne nennenswerte
Ergebnisse. Die britische Polizei muß den ausbleibenden Erfolg auf der Suche
nach Beweisen für Putins Verwicklung in die Skripal-Vergiftung eingestehen«. [1]
Nicht
uninteressant dürfte ferner der Umstand sein, dass auch noch ein Jahr nach dem
Attentat nichts über den Aufenthaltsort der Skripals bekannt geworden war, woran
sich bis heute nichts geändert hat, es sei denn, ich hätte eine Meldung übersehen. [2]
Der
zum Fall Skripal vorliegende Bericht der Organisation für das Verbot chemischer
Waffen ›OPCW‹ hält fest, dass die Ergebnisse der von den Laboren der ›OPCW‹ durchgeführten Analyse der Umweltproben das Vorhandensein dieser
giftigen Chemikalie in den Proben zeigen; es werden jedoch keinerlei Angaben
zur möglichen Herkunft des Giftes gemacht. Ferner bestätigen die Ergebnisse der
Analyse der vom ›OPCW‹ Team gesammelten Umweltproben und
biomedizinischen Proben die Ergebnisse des Vereinigten Königreichs in Bezug auf
die Identität der in Salisbury verwendeten toxischen Chemikalie. [3]
Alexej
Nawalny, der am 20. August auf einem Flug von Tomsk nach Moskau das Bewusstsein
verloren hatte, woraufhin das Flugzeug unverzüglich in Omsk landete, war dort
in ein Krankenhaus gebracht und in ein künstliches Koma versetzt worden.
Nachdem ihn die Omsker Ärzte für transportfähig erklärt hatten, wurde Nawalny
auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt, wo seine Behandlung
am 22. August einsetzte. Vorausgeschickt sei, dass nach wie vor kein Beweis für
den Vorwurf vorliegt, russische Staatsstellen hätten Nawalny, womöglich sogar
im Auftrag von Präsident Wladimir Putin, mit dem Nervengift Nowitschok, das als
Flüssigkeit, Gas oder feines Pulver zum Einsatz kommen kann, umzubringen versucht.
Nowitschok
und Gifte aus dessen Familie gehören zu den wirkungsvollsten Nervengiften, die schon in kleinsten
Mengen zu Nervenlähmungen und zum Tod führen. Nun gibt es nicht wenige
Presseberichte, die darlegen, »dass dieses vom sowjetischen Militär in den 70er
Jahren entwickelt und Anfang der 90er Jahre vom russischen Militär übernommen
und weiter erforscht worden sei, und dass Experten glauben, der Zugang zu
Nowitschok sei in Russland im Wesentlichen auf militärische und staatliche
Stellen beschränkt«. [4]
Wie
sich dies in Wirklichkeit verhält, hat Igor Nikulin, ein vormaliges Mitglied
der UNO-Kommission für Bio- und Chemiewaffen, ausgeführt:
»Russland hat das Nervengift Nowitschok auf seinem
Territorium niemals produziert«. Ob überhaupt resp. unter welchen Umständen womöglich doch eine
Produktion des Nervengifts in Rußland erfolgte, wird sich vermutlich nie mehr konkret
nachweisen lassen. Um dieses Gift geht es auch in einem Artikel der ›New York
Times‹ vom 25. Mai 1999, in dem sich diese auf die Worte des sowjetischen
Erfinders und Überläufers Vil Mirzayanov beruft;
gemäss der ›NYT‹ wurde »das Gas
Ende der 1980er Jahre entwickelt. Es ist ein binärer Kampfstoff und besteht aus
zwei Komponenten, die, voneinander getrennt, ungefährlich sind.« Wie Nikulin seinerseits hierzu festhält, »verwandeln sich diese, sobald sie in Reaktion treten, in ein
tödliches Gas«; der Militärexperte spricht für
diese im Jahr 1991 gemachte Entdeckung von zwei
Erfindern, die dafür
eine Staatsauszeichnung erhielten. »Danach floh einer
derselben, nämlich Vil Mirzayanov, nach Amerika.«
»Das Gift«, so Nikulin ferner, »sei
in der Stadt Nukus in Usbekistan hergestellt worden. 1992 sei das
Unternehmen unter der Kontrolle der Amerikaner demontiert worden. Demnach würde die
USA über Proben dieses Stoffes verfügen. Im Fall der
Nutzung von Nowitschok würde ich nach keiner russischen Spur suchen, sondern
nach einer usbekischen, oder besser, nach einer US-amerikanischen. Das wird
näher an der Wahrheit sein.« Dabei
betonte er, dass dieses Nervengift niemals im Dienst der russischen
Armee verwendet worden sei. Was die Produktion
des Gases auf dem Territorium von Usbekistan betrifft, so zitiert die ›NYT‹ ihrerseits Aussagen
Mirzayanovs. Wie aus diesen hervorgeht, »hatten
sich die USA und die Regierung von Islam Karimow auf eine Dekontaminierung und den Abbau des sowjetischen
Forschungs- und Testgeländes in der Stadt Nukus geeinigt. Demnach sollen die
Amerikaner den Zugang zu den Anlagen, die in Usbekistan von 1986 an für alle
Wissenschaftler - außer für sowjetische - gesperrt gewesen seien, 1992 erhalten
haben. Alarmiert durch die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen der
sowjetischen Aktivitäten zur Produktion und großangelegter Erprobung illegaler
chemischer und keimtötender Waffen in Usbekistan, verzichtete Präsident Karimow
auf Massenvernichtungswaffen.« »Seitdem«,
so die ›NYT‹ ferner, »arbeitete seine Regierung eng
mit amerikanischen Verteidigungsbeamten zusammen und gewährte ihnen den Zugang
zu den Lokalitäten«. [5]
Befunde Nach
wie vor dominieren Unklarheiten die Vorwürfe deutscher Politiker gegen Russland. Das betrifft vor allem
die Analyse eines Bundeswehrlabors, Nawalny sei mit dem Nervengift Nowitschok
vergiftet worden; sie wird explizit oder implizit mit der Behauptung verbunden,
daraus lasse sich die Täterschaft russischer Staatsstellen, möglicherweise gar
ein Auftrag von Präsident Wladimir Putin persönlich, zwingend folgern. Mit
Blick auf die zahlreichen Drohungen wiegt umso schwerer, dass Berlin, wie eine
Sprecherin des russischen Aussenministeriums berichtet, Moskaus Bemühungen um
die Aufklärung der Vorwürfe torpediert. [6]
Im
Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt Nawalnys war von der Direktion für
Verkehrswesen des Innenministeriums der Russischen Föderation im Sibirischen
Föderalbezirk eine Voruntersuchung durchgeführt worden, bei der mehr als 100
Gegenstände, die einen Beweiswert haben könnten, beschlagnahmt wurden. Zudem waren
die Daten aus den Videoüberwachungssystemen analysiert sowie mehr als 20
verschiedene kriminaltechnische Untersuchungen [forensisch, biologisch, physikalisch und chemisch] durchgeführt worden. Dem Bericht zufolge
konnten keine stark wirksamen oder narkotischen Substanzen nachgewiesen werden. [7] Die Ergebisse der diagnostischen Tests sind den
deutschen Ärzten im übrigen vollständig übergeben worden.
Die Ärzte in
Omsk hatten als vorläufige
Diagnose eine Stoffwechselstörung angegeben, die ein drastisches Absinken des Blutzuckerspiegels verursacht
haben soll. Dem stellvertretenden Leiter des Omsker Krankenhauses, Anatoli Kalinitschenko, zufolge, seien in Nawalnys
Blut und Urin kein Gift oder Spuren davon entdeckt worden. Nachdem Nawalny
zwei Tage später, am 22. 8. 20, in die Berliner Charité überführt worden war, hiess
es dort, dass es Anzeichen für eine Vergiftung mit einer Substanz aus der
Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer geben soll, ein genauer Befund lag jedoch
noch nicht vor. Wie mitgeteilt wurde, wurde Nawalny mit Atropin behandelt. Wie Alexander
Murachowski, der Chefarzt des Omsker Notfallkrankenhauses, hierzu feststellte, sei
die Diagnose ›Vergiftung‹ die Hauptdiagnose gewesen, als der Patient
aufgenommen wurde; die Labortests hätten dies jedoch nicht bestätigt. [8]
Wie der italienische Professor Igor Pellicciari
von der Universität Urbino in Rom in einem Artikel für das Nachrichtenportal ›Formiche‹ schreibt, haben russische Ärzte offenbar alles dafür getan, um Nawalny
zu retten. Seine Einschätzung teilen auch Experten aus anderen Ländern. Ihnen
zufolge widersprechen die schnelle Einlieferung Nawalnys ins Krankenhaus und
die Professionalität der Omsker Ärzte, die den Patienten 44 Stunden lang
behandelten, der Version von der ›durch
die Behörden organisierten Vergiftung‹.
Nawalny sei eine Figur, die in Russland für viel Zwist sorgt, die Liste seiner
Feinde ist so lang, dass es einfacher wäre zu fragen, wer als Drahtzieher des
Giftanschlags gelten könnte - als wer nicht. Dennoch sei es kaum glaubwürdig,
dass diese Aktion im Auftrag des Kremls und persönlich von Wladimir Putin oder
seinen engsten Vertrauten ausgedacht wurde. Der Westen betrachte Russland gerne
von oben herab und stellt sich vor, dass jede Anordnung auf den Präsidenten zurückgeht.
Doch es gebe Beweise, die die Hypothese der ›Vergiftung durch die Behörden‹ zusammenfallen lassen. Gegenstandslos ist
laut dem italienischen Historiker auch die Version, dass der Kreml versuchte,
den Oppositionsführer loszuwerden, weil die Opposition in Russland deutlich
vielfältiger sei, als sie im Westen dargestellt werde, und es sehr viele andere
Politiker gebe, für die es vorteilhafter wäre, wenn Nawalny von der politischen
Bühne verschwände. Der Präsident der ›Stiftung
für die Entwicklung der russisch-französischen historischen Initiativen‹, Pierre Malinowski, ist sich
ebenfalls sicher, dass Nawalny dank der Ärzte in Omsk, die um das Leben des
Patienten stundenlang kämpften, überlebte. [9]
Am
2. September erfolgte dann die Meldung in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹, »dass Alexej Nawalny mit einem ›chemischen Nervenkampfstoff
der Nowitschok-Gruppe‹ vergiftet wurde. Wie die
Bundesregierung mitteilte, sei der ›zweifelsfreie
Nachweis‹ in
einem Bundeswehr-Speziallabor erbracht worden. Die Möglichkeit, dass Nawalny
auf der letzten Station seiner Reise mit Nowitschok vergiftet worden sein
könnte, stand schon seit voriger Woche im Raum. Da hatte die Charité von einer
Intoxikation ›mit einer Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterasehemmer‹ gesprochen, denn zu den
Wirkstoffen zählt Nowitschok, das Nawalnys Mitstreiter sofort im Verdacht
hatten«. [10]
Wie der Leiter der Abteilung für die Behandlung akuter
Vergiftungen und somatisch-psychischer Störungen am Moskauer
Sklifossowski-Institut, Michail Pozchwerija, in der Folge in einem Interview
für den russischen Fernsehsender ›Rossija 24‹ am 3. September bekanntgab, hat eine Massenspektrometer-Analyse
von biologischen Flüssigkeitsproben, die dem Körper von Nawalny entnommen
worden waren, keine Cholinesterase-Inhibitoren ergeben, auch keine Giftstoffe. Bei
der Untersuchung habe man ein US-amerikanisches Massenspektrometer verwendet, das
einen Standardsatz von 240.000 Stoffen umfasst, die der digitalen Datenbank des
Nationalen Instituts für Standards der USA entsprechen. In den untersuchten
Flüssigkeiten wurden weder phosphororganische Verbindungen noch
Cholinesterasehemmer entdeckt. Dem Experten zufolge seien dabei auch keine
Spuren von anderen unbekannten Substanzen entdeckt worden. [11]
Im
Gegensatz hierzu hatte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert am 2. 9.
erklärt, das Bundeswehrlabor habe in Nawalnys Körper Giftspuren der Nowitschok-Gruppe
gefunden. Seibert zufolge werde die Bundesregierung ihre Partner in der EU und
der NATO über die Situation mit Nawalny informieren und in den kommenden Tagen
eine gemeinsame Reaktion erörtern. »Im Auftrag der Charité-Universitätsklinik
Berlin«, so Seibert, »hat ein Speziallabor der Bundeswehr eine toxikologische
Untersuchung der Proben von Nawalny durchgeführt. Es wurde ein klarer Hinweis
auf einen chemischen Nervenkampfstoff der Gruppe Nowitschok festgestellt«. Laut
Seibert ist die Tatsache, dass Nawalny ›Opfer
eines Angriffs mit chemischem Nervengas wurde, ein eklatanter Fall‹. »Die
Bundesregierung verurteilt diesen Angriff auf das Schärfste. Sie fordert die
russische Regierung auf, diesen Fall zu erklären«. Wie er ferner hinzufügte, würden
sich die deutschen Behörden mit der ›OPCW‹ in Verbindung setzen. [12] Beschuldigungen
ohne Beweise
Wie
die Bundeskanzlerin am Mittwoch, 2.
9., darlegte, stellten sich »sehr schwerwiegende Fragen, die nur die
russische Regierung beantworten kann und muß«.
[13] Sie zeigte sich bestürzt, dass Nawalny in Russland
Opfer eines ›versuchten Giftmordes‹ geworden sei. [14]
Man kann ruhig sagen, dass sich einige Politiker effektiv
nicht zu schade waren,
mit recht widerwärtigen und unvorstellbar überheblichen Anklagen gegen Putin,
mit denen sie sich jedenfalls selbst diskreditieren, an die Öffentlichkeit zu
treten......
So wies die
CDU/CSU-Fraktion im Bundestag in einem Statement darauf hin, dass ›dieses hochwirksame Gift nur in
speziellen Labors‹ entwickelt werden
kann: »Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion liegt es daher auf der Hand, dass
dieser Giftstoff nur mit Hilfe der russischen Regierung beschafft und
hergestellt werden konnte. Folglich ist richtig, dass der russische Botschafter
ins Auswärtige Amt einbestellt und mit diesem Analyseergebnis konfrontiert
wurde«. Der
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen,
äusserte am 2. 9. in einem Tweet, dass hinter dem Anschlag auf Nawalny nur Putin persönlich stehen kann: »Diesen Giftstoff kennen wir schon vom
Fall Skripal, nachweislich begangen vom Geheimdienst. Wer jetzt noch an Putins Unschuld glaubt, der will es
einfach nicht wahrhaben«.
Hermann
Gröhe zeigte sich ebenso von der Schuld des russischen Präsidenten überzeugt
und forderte am 2. 9. ›eine starke
gemeinsame Reaktion‹ von Seiten der
EU und der NATO: »Nervenkampfstoff bei Navalny nachgewiesen! Empörend! Ohne
Wissen, ja Weisung von Putin undenkbar! Starke, gemeinsame Reaktion von EU und
NATO zwingend erforderlich!« [15]
Und die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer meinte ihrerseits
am 3. 9.: »Das System Putin ist ein aggressives Regime«. [16] Auch für den Grünen-Politiker Cem Özdemir
steht fest: »Der Kreml läßt Opposition vergiften«. Bereits am 22. August hatte er
einen Kommentar für die ›Bild‹-Zeitung mit
dem reißerischen Titel: ›Das
Putin-Regime geht über Leichen‹ verfasst. Auch wenn Özdemir im ersten Satz
seines Kommentars zugibt, die ungeheuren Anschuldigungen womöglich niemals belegen
zu können, fordert er dennoch »so wenig Zusammenarbeit mit dem Kreml wie möglich«.
Am Freitag, 4. 9., sagte er in einem Tweet, man könne »keinen Unterschied
machen zwischen Putin, dem Gashändler, und Putin, der die Opposition vergiftet«. [17]
Ebenfalls
am 4. September liess sich Bundespräsident Steinmeier wie folgt vernehmen; gegenüber
dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte er, »dass der Fall Nawalny die
deutsch-russischen Beziehungen schwer belastet und die Kooperation zwischen den
zwei Ländern erschwert«. Ferner: »Dass Oppositionelle und kritische Stimmen in
Russland in Serie um ihre Gesundheit oder ihr Leben fürchten müssen,
ist ohne Zweifel eine schwere Belastung für die Glaubwürdigkeit der russischen Führung und
erschwert die Zusammenarbeit«. Unrecht
müsse klar benannt werden. »Und hier ist ein Verbrechen verübt worden, dessen
Verantwortliche nur in Russland zu finden sein werden«. Die Ergebnisse der
sorgfältigen Untersuchung hätten Steinmeier zufolge die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: »Nawalny ist schwer vergiftet worden, mit dem Ziel,
ihn zum Schweigen zu bringen«. »Die drängendsten Fragen richten sich nun an die
Regierung in Moskau«, so der Bundespräsident. Diese sei zur Aufklärung aufgefordert. [18] Aussenminister Heiko Maas
kündigte am 6. 9. an, »wenn
es in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung«
gebe, »werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen; das
ist ein schwerer Verstoß gegen internationales Recht«. [19]
Auch
der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geht mit Putin
nicht schlecht ins Gericht. Nach der mutmaßlichen Vergiftung des russischen
Oppositionellen Nawalny »sieht er das Ende der strategischen Partnerschaft
zwischen Deutschland und Russland gekommen und fordert eine härtere Gangart
gegen Moskau. Ischinger ist nicht mehr ganz von der Strahlkraft der
transatlantischen Allianz überzeugt. Deshalb müsse die Europäische Union endlich
selbst zu einem geostrategischen Machtfaktor werden, den man global ernst
nimmt. Und das könne nur durch ›glaubhafte
Abschreckung‹ mit militärischer Hard
Power geschehen«. Wie er des Weiteren darlegt, »haben
wir sowohl im Fall Skripal als auch bei dem Mord im Tiergarten erlebt, dass
Moskau rein gar nichts unternimmt, um diese Verbrechen aufzuklären. So wird es
wohl leider auch bei Nawalny sein. Insofern macht es fast keinen Unterschied,
ob der Kreml direkt für den Giftangriff verantwortlich ist oder irgendwelche
anderen Akteure auf eigene Faust gehandelt haben. Die russische Regierung muß
das auf ihre Kappe nehmen«. [20]
Die
EU hatte schon zuvor Sanktionen
in Erwägung gezogen; NATO-Generalsekretär
Jens Stoltenberg äusserte, das westliche Kriegsbündnis betrachte »jeden
Einsatz chemischer Waffen als Bedrohung des internationalen Friedens und der
Sicherheit«. Berichterstatter weisen darauf hin, dass diese Formulierung, sofern
sie ›in Resolutionen des UN-Sicherheitsrats‹ verwendet wird, ›friedenserzwingende Maßnahmen‹
erlaubt. [6] Unter
diese fallen eben auch Kriege.
Wenigstens hat der FDP-Politiker
Wolfgang Kubicki darauf hingewiesen, es gebe »auch
Kräfte in der russischen Administration, die teilweise ein Eigenleben führen«. Er
warnte deshalb bereits am 4. 9. vor voreiligen Schlüssen. [6] So
hat auch Bernd Riexinger von den Linken vor vorschnellen Schlüssen im Fall Nawalny
gewarnt. Es müsse jetzt eine konsequente Aufklärung erfolgen. Sanktionen gegen
Russland lehne er aber ab. [21]
Die
Frage einer Zusammenarbeit Der
Pressesprecher des Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Peskow,
bestätigte bereits am 2. 9. die Bereitschaft der russischen Seite, mit
Deutschland umfassend zusammenzuarbeiten, um die Situation um den Oppositionsführer
Nawalny zu klären. Er stellte jedoch fest, dass Berlin auf die zuvor zugesandten
offiziellen Anfragen keine Antwort gegeben hat. Dem Kreml fiele es im Moment
schwer zu sagen, wie die Russische Föderation auf die Aussagen Deutschlands
reagieren wird, dass in Navalnys Körper Spuren von Gift der Nowitschok-Gruppe
gefunden wurden. »Im Allgemeinen«, so Peskowr, »bestätigen wir, dass wir bereit
und interessiert sind, mit Deutschland zu diesem Thema vollständig zu
interagieren und Daten auszutauschen«. [22]
Am 4. 9. wies dann der russische Aussenminister Sergei Lawrow darauf
hin, dass Russland von deutscher Seite noch immer keine Beweise für die
Vergiftungsanschuldigungen im Fall Nawalny erhalten habe, obwohl versprochen
worden war, in naher Zukunft konkrete Fakten über die Situation Nawalnys zu
liefern. Die Ankündigung Lawrows erfolgte auf einer Videokonferenz mit der
Presse nach einem Treffen der Aussenminister der BRICS-Länder. [23]
Jedenfalls
hat Russland Deutschland am 6. 9. erneut vorgeworfen, die Bemühungen zur Aufklärung
des Giftanschlags auf Kreml-Kritiker Nawalny zu blockieren, da die
Bundesregierung nicht auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen
Staatsanwaltschaft vom 27. August reagiert habe. Man sei sich nicht sicher, ob
Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spiele. [24] Was Letzteres betrifft, so hatte es am
Donnerstag, 10. 9., geheissen, die Bundesregierung habe die Laborergebnisse im
Fall Nawalny, die eine Vergiftung ›zweifelsfrei‹ belegen sollen, an die ›OPCW‹ in Den Haag übergeben. Dies allerdings ist von einem russischen ›OPCW‹ Vertreter dementiert worden. Bis Donnerstagmorgen sei noch nichts
abgegeben worden, sagt Alexander Schulgin. Am 9. September beschuldigte das russische
Aussenministerium Deutschland, eine ›Desinformationskampagne‹ in der Causa Nawalny gegen Moskau zu
führen. Man beklage auch die ›nicht
konstruktive Herangehensweise‹ der
Behörden in Berlin. [25]
Zu Nawalny hatte der italienische Geograph
und Geopolitiker Manlio Dinucci bereits 2017 folgendes festgehalten: »Die westliche
Presse inszeniert den russischen Oppositionellen Alexei Navalny, einen Blogger,
der durch die NED/CIA finanziert wird. Abgesehen davon, dass er nur bei der
Bourgeois-Bohème von Moskau und St. Petersburg Gehör findet, verdeckt seine
Sichtbarkeit die wahre russische innenpolitische Opposition: Im Kreml bereuen
viele hohe Beamte die Zeit, als sie ihre Wochenenden im Westen verbringen
konnten. Wie man in seinem offiziellen Profil lesen kann, wurde er als Fellow
an der amerikanischen Yale Universität im ›Greenberg World Fellows
Program‹
ausgebildet, ein im Jahr 2002 gegründetes Programm, für das jedes Jahr weltweit
nur 16 Leute zugelassen werden, um mit ihren besonderen Fähigkeiten ›globale Leader‹ zu werden. Sie sind Teil eines derzeit aus 291 Fellows aus 87
Ländern bestehendes Netzwerk von ›verpflichteten
globalen Führern, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen‹. Diese stehen untereinander in Verbindung, ebenso in Kontakt mit dem ›American Yale Center‹. Navwalny ist zur gleichen Zeit
Mitbegründer der Bewegung ›Demokratische Alternative‹, eine der Nutznießer des ›National Endowment
for Democracy‹ (NED), eine leistungsstarke
US-amerikanische ›private gemeinnützige Stiftung‹,
die mit den offen oder heimlich auch durch den Kongreß zur Verfügung gestellten Mitteln,
Tausende von NGOs in mehr als 90 Ländern
finanziert, um die Demokratie zu fördern. In Russland, wo unerwünschte
nicht-Regierungs-Organisations-Aktivitäten verboten wurden, hat das NED dennoch
nicht aufgehört, seine Kampagne gegen die russische Regierung zu führen; ihm wird
vorgeworfen, eine aggressive Außenpolitik zu betreiben, um alle früheren
Staaten der ehemaligen Sowjetunion seiner Einflußsphäre
einzuverleiben. Das ist die Grundlage der Strategie für die USA/NATO gegen
Russland. Die jetzt schon konsolidierte Technik, ist die der Orangenen
Revolution: Sich auf reale oder erfundene Korruptionsfälle und auf andere
Ursachen der Unzufriedenheit zu stützen, um eine Rebellion gegen die Regierung
zu schüren, und um den Staat von innen her zu schwächen, während von außen der
militärische, politische und wirtschaftliche Druck auf ihn wächst. Das ist der
Rahmen der Aktivität des in Yale ausgebildeten Alexei Nawalny, der als
Verteidiger der Schwachen gegen den Mißbrauch der Mächtigen operiert«. [26]
Der
CDU-Politiker Friedrich Merz hat nach dem Giftanschlag einen zweijährigen
Baustopp für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 verlangt. In einer Mitteilung
an die ›Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung‹ schrieb
er am 4. 9., dass er den Weiterbau der
Pipeline, die kurz vor der Fertigstellung steht, trotz ›mancher Bedenken‹ bisher
für richtig gehalten habe. »Aber nach dem erneuten Einsatz des Nervengifts
Nowitschok, dessen Herstellung völkerrechtlich auch Russland verboten ist, und
dem erneuten offensichtlichen Mordversuch an einem Oppositionspolitiker in Russland
mit diesem Gift, ist jetzt eine klare und unmißverständliche Antwort notwendig«. Die EU solle »mit sofortiger Wirkung einen Baustopp über die nächsten zwei Jahre
verfügen«. Europa müsse in dieser Zeit
daran arbeiten, »seine Abhängigkeit von russischem Öl und Gas schrittweise zu
reduzieren«. [27]
Die
inmitten der gegen Putin gerichteten Anklagen von zahlreichen Stimmen
vorgetragene Forderung, die Fertigstellung von Nord Stream 2 zu verhindern,
wird jeder, der sich in diesen wirren Corona-Zeiten noch ein Quentchen an
Verstand bewahren konnte, als absolut absurd betrachten, allein schon deswegen,
weil die erforderlichen Beweise dafür, dass es sich tatsächlich um einen
Giftanschlag handelt, bislang noch immer nicht erbracht worden sind, und der wirtschaftliche
Schaden zu Lasten der sich in einer Dauerfinanzierungs-Fron befindlichen
Steuerzahler zu einem ›Milliardengrab‹ würde ......
d.auerbach@gmx.ch
[1] https://deutsch.rt.com/europa/91041-bislang-nur-spekulationen-scotland-yard-keine-beweise-fall-skripal/ 8. 8. 19 [2] https://deutsch.rt.com/europa/85231-jahr-nach-skripal-attentat-noch/ 4. 3. 19
[3] https://deutsch.rt.com/europa/69456-dokumentiert-opcw-bericht-zum-fall-skripal-deutsch/ 5. 5. 2018
- Der OPCW-Bericht zum Fall
Skripal in deutscher Übersetzung
[4] https://www.bazonline.ch/merkel-nawalny-mit-nowitschok-vergiftet-956927038082 2. 9. 20 [5] http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2773 18. 3. 18 Der
Doppelmordversuch von Salisbury sowie http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2815 2.
7. 18 Der Fall Skripal – Vom Winde
verweht
[6]
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8372/ 7. 9. 20
Der Fall Nawalny
[7] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/putins-sichert-belarus-waffenhilfe-im-extremfall-zu-16925456.html 27. 8. 20
[8] https://de.sputniknews.com/politik/20200830327843754-fall-nawalny-rechtshilfeersuchen-russland/ 30. 8. 20
[9] https://de.sputniknews.com/interviews/20200831327850804-nawalnys-vergiftung-erklaert/ 31. 8. 20
[10] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/giftangriff-auf-nawalnyj-der-drahtzieher-war-maechtig-16935433.html
2. 9. 20
[11] https://deutsch.rt.com/russland/106278-neue-analyse-von-nawalny-proben-keine-gifte-nachgewiesen/ 3. 9. 20
[12] http://www.russland.news/bundeswehrlabor-findet-nowitschok-in-nawalnis-koerper-eu-und-usa-besorgt/ 3. 9. 20
[13]
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 9. 20 - Merkel: Nawalnyj wurde
Opfer eines Verbrechens
[14]
https://www.bazonline.ch/merkel-nawalny-mit-nowitschok-vergiftet-956927038082 2. 9. 20 [15] https://deutsch.rt.com/europa/106252-wer-jetzt-noch-an-putins-erste-reaktionen-nowitschok-vergiftung-nawalnys/ 2. 9. 20 [16] https://rp-online.de/politik/deutschland/verteidigungsministerin-annegret-kramp-karrenbauer-das-system-putin-ist-ein-aggressives-regime_aid-53135353 3.
9. 20
[17] https://deutsch.rt.com/inland/106294-fall-nawalny-grunen-als-vorreiter/
4. 9. 20
[18] https://de.sputniknews.com/deutschland/20200904327880545-steinmeier-nawalny-zusammenarbeit-russland/ 4. 9. 20
[19] www.auswaertiges-amt.de 6. 9. 2020
[20] https://deutsch.rt.com/europa/106124-ischinger-hard-power-gegen-russischen/ 31. 8. 20
[21] https://www.swr.de/swraktuell/radio/linken-chef-riexinger-leider-gottes-kann-man-nicht-alles-gleichzeitig-machen-100.html 4. 9. 20
[22] http://www.russland.news/kreml-und-russisches-aussenministerium-bisher-keine-fakten-ueber-nowitschok-vergiftung-und-daher-kompetente-reaktion-unmoeglich/ 3. 9. 20
[23] https://deutsch.rt.com/russland/106342-lawrow-haben-noch-keine-beweise/ 4. 9. 20
[24] https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3 6. 9. 20
[25] https://deutsch.rt.com/europa/106553-russischer-opcw-vertreter-dementiert-deutschland/ 10. 9. 20
[26] https://www.voltairenet.org/article195844.html
4. 7. 2017
Nawalny - Demokrat Made in USA - Von Manlio Dinucci [27] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nawalnyj-merz-verlangt-baustopp-fuer-nord-stream-2-16938345.html 4. 9. 20
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