Taiwan im Blickpunkt 07.11.2021 19:35
Deutschland, schreibt »German Foreign Policy«, soll sich mit Nachdruck für die von den USA geforderte bessere Vertretung Taiwans
in internationalen Organisationen stark machen und langfristig auf eine UN-Mitgliedschaft der Insel dringen. Das fordern in wachsender Intensität Vertreter außenpolitischer Denkfabriken in Berlin und Kommentatoren deutscher Leitmedien. Die Führung auf Taiwan hat jahrzehntelang den Anspruch erhoben, ganz China zu vertreten, diese Position aber inzwischen aufgegeben. Beijing, darauf verweisend, dass Taiwan seit Ende des 17. Jahrhunderts Teil des chinesischen Territoriums ist, erhob den Anspruch ebenfalls und hält bis heute an ihm fest. Das
am 14. März 2005 vom Nationalen Volkskongreß verabschiedete Anti-Abspaltungsgesetz
schreibt das Ziel der Wiedervereinigung mit Taiwan fest, wobei jedoch ein hohes
Maß an Autonomie erhalten bleiben soll. Es bestimmt zudem, dass die
Wiedervereinigung friedlich erreicht werden soll, und hält militärische Mittel
lediglich für den Fall offen, dass sich Taiwan formell abspaltet oder die
Wiedervereinigung durch andere Schritte endgültig unmöglich wird. Auf Taiwan
sprechen sich zwar lediglich 1,5 % der Bevölkerung für die rasche Wiedervereinigung
aus, aber auch nur 5,7 % für die schnellstmögliche Unabhängigkeit. Mehr als 87 %
sind laut einer Umfrage der National Chengchi University in Taipeh dafür, den
Status Quo beizubehalten.
Hintergrund
ist eine US-Kampagne, die darauf abzielt, eine Resolution der Vereinten
Nationen auszuhebeln, in der die Volksrepublik als alleinige rechtmäßige
Repräsentantin Chinas in der UNO anerkannt wird. Die Kampagne wiederum ist Teil
der Bestrebungen Washingtons, Taiwan noch stärker als bisher für seinen
Machtkampf gegen Beijing zu nutzen. Washington genehmigte schon unter
US-Präsident Barack Obama Waffenlieferungen an Taipeh im Wert von etwa 14
Milliarden US-$. Unter Präsident Donald Trump kamen Genehmigungen für die
Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von 18 Milliarden $ hinzu. Zudem haben die
USA mittlerweile mehrere Dutzend Soldaten permanent auf Taiwan stationiert, die
dort taiwanische Bodentruppen und Marines ausbilden. Beides läuft
Vereinbarungen aus den 1970er und 1980er Jahren zuwider, in denen Washington Beijing
im Verlauf der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zusagte, seine Waffenverkäufe
an Taiwan allmählich zu verringern und seine Streitkräfte und militärischen
Einrichtungen auf Taiwan fortschreitend zu reduzieren.
Die
Biden-Administration schickt nicht nur Kriegsschiffe im Schnitt monatlich durch
die Taiwanstraße - Provokationen im Stil
der Kanonenbootpolitik - sondern drängt
auch verbündete Staaten immer energischer dazu, sich anzuschließen. Im Oktober
etwa begleitete eine kanadische Fregatte einen Zerstörer der U.S. Navy auf
dessen Fahrt zwischen Taiwan und der Volksrepublik.
Raketen
auf der ›ersten
Inselkette‹
Dabei
sind die Aufrüstung und die militärischen Maßnahmen auf und um Taiwan lediglich
Teil eines umfassenden militärischen Aufmarschs der USA und verbündeter Staaten
gegen China. Die US-Streitkräfte bauen nicht nur ihre Stützpunkte
auf dem Weg über den Pazifik nach Ostasien aus, etwa auf der US-Kolonie Guam,
die als militärische Drehscheibe sowie als Ausgangspunkt für etwaige
Luftangriffe auf die Volksrepublik gilt, sowie auf dem noch weiter westlich
gelegenen Palau. Sie planen darüber hinaus die Stationierung von
Mittelstreckenraketen auf der ›ersten Inselkette‹, einer dichten
Reihe an Inseln, die sich vor der chinesischen Küste von Nord nach Süd
erstreckt: Von Japan einschließlich Okinawa über Taiwan und die Philippinen bis
Borneo. Bislang liegt keine offizielle Einwilligung eines Staates vor. Sollte
den USA die Stationierung ihrer Angriffswaffen auf der Inselkette gelingen, würde
die ›erste Inselkette‹ faktisch zur Raketenabschußrampe für einen
Krieg gegen China.
Auf
die zunehmenden militärischen Drohungen Washingtons und seiner Verbündeten reagiert
Beijing, indem es die eigenen Manöver ausweitet - nicht nur ganz allgemein,
sondern auch nahe Taiwan.
Im
Streit darum, ob Taipeh oder Beijing China in der UNO vertreten sollten, hatte die UN-Generalversammlung am 25. Oktober 1971
einen Kurswechsel vollzogen und mittels der Resolution 2758 entschieden, dass die
Vertreter der Volksrepublik ab sofort ›legitime
Repräsentanten Chinas‹ seien, während die ›Repräsentanten von
Chiang Kai-shek‹, dem damaligen Machthaber in Taipeh, den Sitz, den sie bisher bei den Vereinten
Nationen und in allen Organisationen, die mit ihnen verbunden sind,
widerrechtlich innegehabt hätten, räumen müßten. Seither ist Taiwan in UN-Gremien nicht präsent.
Als es vor Jahren noch Hoffnung auf ein halbwegs gedeihliches Auskommen
zwischen dem Westen und China zu geben schien, willigte Beijing ein, nicht auf
der Einhaltung der UN-Resolution 2758 zu bestehen und etwa keine Einwände gegen
einen Beobachterstatus Taiwans im Plenum der WHO zu erheben. Seit der Westen
den Machtkampf gegen China jedoch massiv eskaliert, macht Beijing keine
Zugeständnisse mehr.
In
dieser Situation nehmen nun die Appelle in Deutschland und in der EU zu, sich
der US-Kampagne, Taiwan im Machtkampf gegen China noch stärker als bisher zu
unterstützen, anzuschließen und Beijing zugleich mit gezielten Nadelstichen zu provozieren. So ist in deutschen Leitmedien
mittlerweile zu lesen, dass sich die Bundesregierung «entschieden für Taiwans
Inklusion auf multilateraler Ebene aussprechen» müsse, und zwar «mit dem
kurzfristigen Ziel des Beobachterstatus und dem langfristigen Ziel der
UN-Mitgliedschaft». Vor einer Woche publizierte die ›Frankfurter
Allgemeine Zeitung‹ einen Aufruf des Direktors des Berliner Global
Public Policy Institute [›GPPi‹],
Thorsten Benner, in dem es hieß, die Bundesrepublik solle «sich weiterhin mit
Nachdruck für die bessere Vertretung Taiwans in internationalen Organisationen
einsetzen«, «Deutschland sollte hier
vorangehen». Benners
›GPPi‹, das sich selbst als unabhängige Denkfabrik bezeichnet, wird laut
eigenen Angaben aktuell zu mehr als 40 % von nicht näher genannten
›Regierungen‹ finanziert. Benner fordert zudem, Regierung und Bundestag sollten «die politischen
Kontakte mit Taiwan intensivieren»; zugleich müsse man für den Fall einer
militärischen Eskalation des Konflikts ›Szenarien‹ durchspielen.
Gleichzeitig weiten die EU sowie mehrere Mitgliedstaaten die Kooperation mit Taiwan und gezielte Provokationen
gegenüber China aus. [1]
Schon
im vergangenen Jahr waren Forderungen nach einer stärkeren Einmischung in
Taiwan laut geworden. Wenige Tage vor den Wahlen in Taiwan hatte Ex-NATO-Generalsekretär
Anders Fogh Rasmussen in einem aktuellen Beitrag in der deutschen Presse erklärt:
«Taiwan ist die nächste Frontlinie im Kampf
zwischen Demokratie und Autokratie und alle Liebhaber der Freiheit sollten sich
dem Kampf anschließen». Taiwan sei von einem ›Informationskrieg‹
der Volksrepublik bedroht, sagte Rasmussen; deshalb müsse nun «die gesamte
demokratische Welt zusammenarbeiten, um es bei der Verteidigung seiner politischen
Integrität zu unterstützen». Die EU und die Vereinigten Staaten sollten dazu »eine
Task Force zusammenstellen, um Taiwan bei der Aufdeckung von Desinformation zu
unterstützen und die Cybersicherheitsverfahren zu verschärfen». Indessen hatte
die Wahlsiegerin vom 11. Januar 2020, Tsai Ing-wen, ein sich gegen die
Volksrepublik richtendes Gesetz verabschieden lassen, das es untersagt, im
Auftrag einer «feindlichen ausländischen Kraft» politische Aktivitäten in
Taiwan zu entfalten. Wie es damals ferner hiess, wolle Washington die taiwanische Bevölkerung künftig gegen chinesische
Einmischung mobilisieren. [2]
Einem
Bericht von ›GFP‹ vom 5. November zufolge sind auf europäischer
Ebene Schritte zum systematischen Ausbau der Kooperation mit Taiwan sowie
gezielte Provokationen gegenüber China längst im Gang [3]. Parallel
zu einer US-Kampagne zur Stärkung Taiwans im gemeinsamen Machtkampf gegen
Beijing fordert das Europaparlament eine ›umfassende und verstärkte
Partnerschaft‹ mit Taipeh. So hatte das Europaparlament die EU am 21. Oktober
aufgefordert, sich im Sinne der US-Kampagne «nachdrücklich für die sinnvolle
Beteiligung Taiwans an internationalen Gremien», darunter ausdrücklich auch
UN-Organisationen, auszusprechen. [4] Insbesondere
solle Brüssel Vorarbeiten zu einem bilateralen Investitionsabkommen mit den
taiwanischen Behörden in die Wege leiten. Am 3. 11. ist erstmals eine
Delegation des EU-Parlaments auf Taiwan eingetroffen und führt dort Gespräche
mit Spitzenpolitikern, dies mit dem Ziel eines weiteren Ausbaus der
Beziehungen. Treffen sind unter anderem mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen
geplant.
Das
Europaparlament spricht sich zudem für zusätzliche Schritte aus, die die ›Ein-China-Politik‹
untergraben und damit die Axt an die Wurzel der diplomatischen Beziehungen zur
Volksrepublik legen. So soll etwa die Vertretung der EU in Taipeh in ›Büro
der Europäischen Union in Taiwan‹ umbenannt werden, ein sprachliches Detail, das allerdings in der
Welt der Diplomatie Gewicht besitzt und einen Schritt in Richtung auf die
förmliche Anerkennung Taiwans nahelegt. Letztere ist mit diplomatischen
Beziehungen zu Beijing unvereinbar.
Zusätzlich
zum Europaparlament macht sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nicht nur
dafür stark, die Handels- und Investitionsbeziehungen wie bisher zu Taiwan zu
stärken und bestehende Dialoge, so zur Industriepolitik oder zur
Digitalwirtschaft, auszubauen. Die EU werde sich bemühen, die weiter reichenden
Forderungen des Europaparlaments praktisch umzusetzen, kündigt Borrell an.
Auch
Thorsten Benner hat vor dem Hintergrund der US-Kampagne, die - im Widerspruch zur Beschlußlage der UN - Taiwan einen Platz in den Vereinten Nationen
verschaffen soll [5], an die Bundesregierung appelliert, sich umgehend für eine
bessere Vertretung Taiwans in internationalen Organisationen stark zu machen. Parallel
hierzu sollen die Kontakte zwischen deutschen und taiwanischen Ministern und
Abgeordneten, aber auch NGOs, Think Tanks, Studierenden und Schülern, intensiviert
werden. Wie bereits erwähnt, gelte es außerdem, für den Fall, dass der
Taiwan-Konflikt eskaliere, Szenarien durchzuspielen; dazu müsse man etwa einen
politischen Beitrag zu einer «glaubwürdigen Abschreckung Pekings»
leisten. Benner plädiert dafür, dass die Vereinigten Staaten und Europa wirtschaftliche
und technologische Hebel identifizieren sollten, um bei Bedarf gegen
China vorzugehen – «etwa einen möglichen Ausschluß Pekings von der
Halbleiter-Wertschöpfungskette».
Beziehungen
vergiften
Tatsache
ist, dass die EU - rechnet man die
Aktivitäten von Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten zusammen - zuletzt größter ausländischer Investor auf Taiwan
war. Taiwan befand sich im vergangenen Jahr auf Platz 26 der Rangliste der Handelspartner der Bundesrepublik, noch vor
Ländern wie Norwegen, Südafrika oder Brasilien. Allerdings ist es aufgrund der ›Ein-China-Politik‹
international üblich, keine Beziehungen auf der Ebene von Spitzenpolitikern zu
unterhalten; der Besuch von Außenminister Wu aus Taipeh in Tschechien, in der
Slowakei und in Brüssel rief daher heftigen Unmut in Beijing hervor. In Brüssel
traf Wu nicht zuletzt mit Europaabgeordneten zusammen, darunter Charlie Weimers
von den extrem rechten Schwedendemokraten. Weimers ist Berichterstatter des
Europaparlaments für Taiwan; auf seine Tätigkeit in dieser Funktion geht unter
anderem die vom Parlament beschlossene Forderung zurück, die Vertretung der EU
in Taipeh in ›Büro der Europäischen Union in Taiwan" umzubenennen‹,
ein Akt, der zwar keine alltagspraktische Bedeutung hat, aber geeignet ist, die
Beziehungen zur Volksrepublik weiter zu vergiften.
Verbotene
Schriftzeichen
Der
Ausbau der Beziehungen zu Taiwan und die gezielten Provokationen gegen Beijing
gehen mit einer neuen Kampagne gegen die auswärtige Kulturpolitik der
Volksrepublik einher, speziell gegen die Konfuzius-Institute. Nach
Streitigkeiten um eine Buchvorstellung bei zwei Konfuzius-Instituten, die
zunächst abgesagt worden war, sind jüngst zum wiederholten Male Forderungen
laut geworden, die Institute zu schließen. Als Alternative werden dabei ›Chinesisch-Sprachzentren‹
beworben, die Taiwan mit Unterstützung der US-Regierung aufzubauen begonnen
hat: zunächst an 15 US-Standorten, dann in London, in Paris und in Hamburg. In
den Zentren soll ein positives Taiwan-Bild vermittelt werden, also genau das,
was bezüglich der Volksrepublik zu praktizieren den Konfuzius-Instituten
vorgeworfen wird. Zudem dürfen an den taiwanischen Sprachzentren, die für sich
mit der Aussage werben, frei und demokratisch zu sein, Berichten zufolge keine Lehrer
mit chinesischem Paß oder mit Ausweisdokumenten aus Hongkong unterrichten.
Darüber hinaus heißt es, dass sich die zuständige taiwanische Behörde eine
Genehmigung der Lehrbücher vorbehält; strikt verboten sind unter anderem ›Materialien
mit vereinfachten chinesischen Schriftzeichen‹, wie sie in der
Volksrepublik eingeführt worden sind; sie umfassen im Durchschnitt halb so
viele Einzelstriche wie die traditionellen Langzeichen und sind deshalb
deutlich leichter zu erlernen. Die erheblich komplizierteren Langzeichen
wiederum, die man an den taiwanischen Sprachzentren lernen muß, sind außerhalb
Taiwans, Hongkongs, Macaus sowie der Chinatowns in westlichen Metropolen kaum
in Gebrauch.
Anmerkung
politonline
Es
ist offensichtlich, dass der Westen ohne einen Zankapfel, der je nach
Entwicklung der Dinge in kriegerische Aktionen münden kann, nicht auskommt.....
[1] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8753/ 4. 11. 21
Der Konflikt um Taiwan (I)
[2] https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8153/
14. 1. 20 Die nächste Frontlinie
[3] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8755/ 5. 11. 21 Der
Konflikt um Taiwan (II) [4] Empfehlung des Europäischen Parlaments vom
21. Oktober 2021 an den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der
Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu den politischen Beziehungen und der Zusammenarbeit
zwischen der EU und Taiwan. Strasbourg, 21.10.2021 [5] Thorsten Benner: Deutschland muss Peking in
Taiwan die Stirn bieten. faz.net 28. 10. 2021
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