Taiwan im Blickpunkt

Deutschland, schreibt »German Foreign Policy«, soll sich mit Nachdruck für die von den USA geforderte bessere Vertretung Taiwans

in internationalen Organisationen stark machen und langfristig auf eine UN-Mitgliedschaft der Insel dringen. Das fordern in wachsender Intensität Vertreter außenpolitischer Denkfabriken in Berlin und Kommentatoren deutscher Leitmedien. Die Führung auf Taiwan hat jahrzehntelang den Anspruch erhoben, ganz China zu vertreten, diese Position aber inzwischen aufgegeben. Beijing, darauf verweisend, dass Taiwan seit Ende des 17. Jahrhunderts Teil des chinesischen Territoriums ist, erhob den Anspruch ebenfalls und hält bis heute an ihm fest. Das am 14. März 2005 vom Nationalen Volkskongreß verabschiedete Anti-Abspaltungsgesetz schreibt das Ziel der Wiedervereinigung mit Taiwan fest, wobei jedoch ein hohes Maß an Autonomie erhalten bleiben soll. Es bestimmt zudem, dass die Wiedervereinigung friedlich erreicht werden soll, und hält militärische Mittel lediglich für den Fall offen, dass sich Taiwan formell abspaltet oder die Wiedervereinigung durch andere Schritte endgültig unmöglich wird. Auf Taiwan sprechen sich zwar lediglich 1,5 % der Bevölkerung für die rasche Wiedervereinigung aus, aber auch nur 5,7 % für die schnellstmögliche Unabhängigkeit. Mehr als 87 % sind laut einer Umfrage der National Chengchi University in Taipeh dafür, den Status Quo beizubehalten. 

Hintergrund ist eine US-Kampagne, die darauf abzielt, eine Resolution der Vereinten Nationen auszuhebeln, in der die Volksrepublik als alleinige rechtmäßige Repräsentantin Chinas in der UNO anerkannt wird. Die Kampagne wiederum ist Teil der Bestrebungen Washingtons, Taiwan noch stärker als bisher für seinen Machtkampf gegen Beijing zu nutzen. Washington genehmigte schon unter US-Präsident Barack Obama Waffenlieferungen an Taipeh im Wert von etwa 14 Milliarden US-$. Unter Präsident Donald Trump kamen Genehmigungen für die Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von 18 Milliarden $ hinzu. Zudem haben die USA mittlerweile mehrere Dutzend Soldaten permanent auf Taiwan stationiert, die dort taiwanische Bodentruppen und Marines ausbilden. Beides läuft Vereinbarungen aus den 1970er und 1980er Jahren zuwider, in denen Washington Beijing im Verlauf der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zusagte, seine Waffenverkäufe an Taiwan allmählich zu verringern und seine Streitkräfte und militärischen Einrichtungen auf Taiwan fortschreitend zu reduzieren.

Die Biden-Administration schickt nicht nur Kriegsschiffe im Schnitt monatlich durch die Taiwanstraße  - Provokationen im Stil der Kanonenbootpolitik -  sondern drängt auch verbündete Staaten immer energischer dazu, sich anzuschließen. Im Oktober etwa begleitete eine kanadische Fregatte einen Zerstörer der U.S. Navy auf dessen Fahrt zwischen Taiwan und der Volksrepublik.

Raketen auf der ersten Inselkette

Dabei sind die Aufrüstung und die militärischen Maßnahmen auf und um Taiwan lediglich Teil eines umfassenden militärischen Aufmarschs der USA und verbündeter Staaten gegen China. Die US-Streitkräfte bauen nicht nur ihre Stützpunkte auf dem Weg über den Pazifik nach Ostasien aus, etwa auf der US-Kolonie Guam, die als militärische Drehscheibe sowie als Ausgangspunkt für etwaige Luftangriffe auf die Volksrepublik gilt, sowie auf dem noch weiter westlich gelegenen Palau. Sie planen darüber hinaus die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf der ersten Inselkette, einer dichten Reihe an Inseln, die sich vor der chinesischen Küste von Nord nach Süd erstreckt: Von Japan einschließlich Okinawa über Taiwan und die Philippinen bis Borneo. Bislang liegt keine offizielle Einwilligung eines Staates vor. Sollte den USA die Stationierung ihrer Angriffswaffen auf der Inselkette gelingen, würde die erste Inselkette faktisch zur Raketenabschußrampe für einen Krieg gegen China.

Auf die zunehmenden militärischen Drohungen Washingtons und seiner Verbündeten reagiert Beijing, indem es die eigenen Manöver ausweitet - nicht nur ganz allgemein, sondern auch nahe Taiwan.

Im Streit darum, ob Taipeh oder Beijing China in der UNO vertreten sollten, hatte   die UN-Generalversammlung am 25. Oktober 1971 einen Kurswechsel vollzogen und mittels der Resolution 2758 entschieden, dass die Vertreter der  Volksrepublik ab sofort legitime Repräsentanten Chinasseien, während die Repräsentanten von Chiang Kai-shek, dem damaligen Machthaber in Taipeh,  den Sitz, den sie bisher bei den Vereinten Nationen und in allen Organisationen, die mit ihnen verbunden sind, widerrechtlich innegehabt hätten, räumen müßten.  Seither ist Taiwan in UN-Gremien nicht präsent. Als es vor Jahren noch Hoffnung auf ein halbwegs gedeihliches Auskommen zwischen dem Westen und China zu geben schien, willigte Beijing ein, nicht auf der Einhaltung der UN-Resolution 2758 zu bestehen und etwa keine Einwände gegen einen Beobachterstatus Taiwans im Plenum der WHO zu erheben. Seit der Westen den Machtkampf gegen China jedoch massiv eskaliert, macht Beijing keine Zugeständnisse mehr.

In dieser Situation nehmen nun die Appelle in Deutschland und in der EU zu, sich der US-Kampagne, Taiwan im Machtkampf gegen China noch stärker als bisher zu unterstützen, anzuschließen und Beijing zugleich mit gezielten Nadelstichen   zu provozieren. So ist in deutschen Leitmedien mittlerweile zu lesen, dass sich die Bundesregierung «entschieden für Taiwans Inklusion auf multilateraler Ebene aussprechen» müsse, und zwar «mit dem kurzfristigen Ziel des Beobachterstatus und dem langfristigen Ziel der UN-Mitgliedschaft». Vor einer Woche publizierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Aufruf des Direktors des Berliner Global Public Policy Institute [GPPi], Thorsten Benner, in dem es hieß, die Bundesrepublik solle «sich weiterhin mit Nachdruck für die bessere Vertretung Taiwans in internationalen Organisationen einsetzen«, «Deutschland sollte hier vorangehen». Benners ›GPPi‹, das sich selbst als unabhängige Denkfabrik bezeichnet, wird laut eigenen Angaben aktuell zu mehr als 40 % von nicht näher genannten ›Regierungen‹ finanziert. Benner fordert zudem, Regierung und Bundestag sollten «die politischen Kontakte mit Taiwan intensivieren»; zugleich müsse man für den Fall einer militärischen Eskalation des Konflikts Szenarien durchspielen. Gleichzeitig weiten die EU sowie mehrere Mitgliedstaaten die Kooperation mit Taiwan und gezielte Provokationen gegenüber China aus.  [1]    

Schon im vergangenen Jahr waren Forderungen nach einer stärkeren Einmischung in Taiwan laut geworden. Wenige Tage vor den Wahlen in Taiwan hatte Ex-NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in einem aktuellen Beitrag in der deutschen Presse erklärt: «Taiwan ist die nächste Frontlinie im  Kampf zwischen Demokratie und Autokratie und alle Liebhaber der Freiheit sollten sich dem Kampf anschließen». Taiwan sei von einem Informationskrieg der Volksrepublik bedroht, sagte Rasmussen; deshalb müsse nun «die gesamte demokratische Welt zusammenarbeiten, um es bei der Verteidigung seiner politischen Integrität zu unterstützen». Die EU und die Vereinigten Staaten sollten dazu »eine Task Force zusammenstellen, um Taiwan bei der Aufdeckung von Desinformation zu unterstützen und die Cybersicherheitsverfahren zu verschärfen». Indessen hatte die Wahlsiegerin vom 11. Januar 2020, Tsai Ing-wen, ein sich gegen die Volksrepublik richtendes Gesetz verabschieden lassen, das es untersagt, im Auftrag einer «feindlichen ausländischen Kraft» politische Aktivitäten in Taiwan zu entfalten. Wie es damals ferner hiess, wolle Washington  die taiwanische Bevölkerung künftig gegen chinesische Einmischung mobilisieren.   [2]  

Einem Bericht von GFP vom 5. November zufolge sind auf europäischer Ebene Schritte zum systematischen Ausbau der Kooperation mit Taiwan sowie gezielte Provokationen gegenüber China längst im Gang  [3]. Parallel zu einer US-Kampagne zur Stärkung Taiwans im gemeinsamen Machtkampf gegen Beijing fordert das Europaparlament eine umfassende und verstärkte Partnerschaft mit Taipeh. So hatte das Europaparlament die EU am 21. Oktober aufgefordert, sich im Sinne der US-Kampagne «nachdrücklich für die sinnvolle Beteiligung Taiwans an internationalen Gremien», darunter ausdrücklich auch UN-Organisationen, auszusprechen.  [4]  Insbesondere solle Brüssel Vorarbeiten zu einem bilateralen Investitionsabkommen mit den taiwanischen Behörden in die Wege leiten. Am 3. 11. ist erstmals eine Delegation des EU-Parlaments auf Taiwan eingetroffen und führt dort Gespräche mit Spitzenpolitikern, dies mit dem Ziel eines weiteren Ausbaus der Beziehungen. Treffen sind unter anderem mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen geplant.

Das Europaparlament spricht sich zudem für zusätzliche Schritte aus, die die Ein-China-Politik untergraben und damit die Axt an die Wurzel der diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik legen. So soll etwa die Vertretung der EU in Taipeh in Büro der Europäischen Union in Taiwan umbenannt werden,  ein sprachliches Detail, das allerdings in der Welt der Diplomatie Gewicht besitzt und einen Schritt in Richtung auf die förmliche Anerkennung Taiwans nahelegt. Letztere ist mit diplomatischen Beziehungen zu Beijing unvereinbar.  

Zusätzlich zum Europaparlament macht sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nicht nur dafür stark, die Handels- und Investitionsbeziehungen wie bisher zu Taiwan zu stärken und bestehende Dialoge, so zur Industriepolitik oder zur Digitalwirtschaft, auszubauen. Die EU werde sich bemühen, die weiter reichenden Forderungen des Europaparlaments praktisch umzusetzen, kündigt Borrell an.  

Auch Thorsten Benner hat vor dem Hintergrund der US-Kampagne, die  - im Widerspruch zur Beschlußlage der UN -  Taiwan einen Platz in den Vereinten Nationen verschaffen soll [5], an die Bundesregierung appelliert, sich umgehend für eine bessere Vertretung Taiwans in internationalen Organisationen stark zu machen. Parallel hierzu sollen die Kontakte zwischen deutschen und taiwanischen Ministern und Abgeordneten, aber auch NGOs, Think Tanks, Studierenden und Schülern, intensiviert werden. Wie bereits erwähnt, gelte es außerdem, für den Fall, dass der Taiwan-Konflikt eskaliere, Szenarien durchzuspielen; dazu müsse man etwa einen politischen Beitrag zu einer «glaubwürdigen Abschreckung Pekings» leisten. Benner plädiert dafür, dass die Vereinigten Staaten und Europa wirtschaftliche und technologische Hebel identifizieren sollten, um bei Bedarf gegen China vorzugehen – «etwa einen möglichen Ausschluß Pekings von der Halbleiter-Wertschöpfungskette».

Beziehungen vergiften

Tatsache ist, dass die EU  - rechnet man die Aktivitäten von Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten zusammen -  zuletzt größter ausländischer Investor auf   Taiwan war. Taiwan befand sich im vergangenen Jahr auf Platz 26 der Rangliste  der Handelspartner der Bundesrepublik, noch vor Ländern wie Norwegen, Südafrika oder Brasilien. Allerdings ist es aufgrund der Ein-China-Politik international üblich, keine Beziehungen auf der Ebene von Spitzenpolitikern zu unterhalten; der Besuch von Außenminister Wu aus Taipeh in Tschechien, in der Slowakei und in Brüssel rief daher heftigen Unmut in Beijing hervor. In Brüssel traf Wu nicht zuletzt mit Europaabgeordneten zusammen, darunter Charlie Weimers von den extrem rechten Schwedendemokraten. Weimers ist Berichterstatter des Europaparlaments für Taiwan; auf seine Tätigkeit in dieser Funktion geht unter anderem die vom Parlament beschlossene Forderung zurück, die Vertretung der EU in Taipeh in Büro der Europäischen Union in Taiwan" umzubenennen, ein Akt, der zwar keine alltagspraktische Bedeutung hat, aber geeignet ist, die Beziehungen zur Volksrepublik weiter zu vergiften.

Verbotene Schriftzeichen

Der Ausbau der Beziehungen zu Taiwan und die gezielten Provokationen gegen Beijing gehen mit einer neuen Kampagne gegen die auswärtige Kulturpolitik der Volksrepublik einher, speziell gegen die Konfuzius-Institute. Nach Streitigkeiten um eine Buchvorstellung bei zwei Konfuzius-Instituten, die zunächst abgesagt worden war, sind jüngst zum wiederholten Male Forderungen laut geworden, die Institute zu schließen. Als Alternative werden dabei Chinesisch-Sprachzentren beworben, die Taiwan mit Unterstützung der US-Regierung aufzubauen begonnen hat: zunächst an 15 US-Standorten, dann in London, in Paris und in Hamburg. In den Zentren soll ein positives Taiwan-Bild vermittelt werden, also genau das, was bezüglich der Volksrepublik zu praktizieren den Konfuzius-Instituten vorgeworfen wird. Zudem dürfen an den taiwanischen Sprachzentren, die für sich mit der Aussage werben, frei und demokratisch zu sein, Berichten zufolge keine Lehrer mit chinesischem Paß oder mit Ausweisdokumenten aus Hongkong unterrichten. Darüber hinaus heißt es, dass sich die zuständige taiwanische Behörde eine Genehmigung der Lehrbücher vorbehält; strikt verboten sind unter anderem Materialien mit vereinfachten chinesischen Schriftzeichen, wie sie in der Volksrepublik eingeführt worden sind; sie umfassen im Durchschnitt halb so viele Einzelstriche wie die traditionellen Langzeichen und sind deshalb deutlich leichter zu erlernen. Die erheblich komplizierteren Langzeichen wiederum, die man an den taiwanischen Sprachzentren lernen muß, sind außerhalb Taiwans, Hongkongs, Macaus sowie der Chinatowns in westlichen Metropolen kaum in Gebrauch.

Anmerkung politonline
Es ist offensichtlich, dass der Westen ohne einen Zankapfel, der je nach Entwicklung der Dinge in kriegerische Aktionen münden kann, nicht auskommt.....

[1]   https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8753/    4. 11. 21
Der Konflikt um Taiwan (I)
[2]  https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8153/
14. 1. 20 Die nächste Frontlinie
[3]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8755/  5. 11. 21
Der Konflikt um Taiwan (II)
[4]  Empfehlung des Europäischen Parlaments vom 21. Oktober 2021 an den Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu den politischen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan. Strasbourg, 21.10.2021
[5]  Thorsten Benner: Deutschland muss Peking in Taiwan die Stirn bieten. faz.net 28. 10. 2021