Ukraine-Beratung in Ramstein: Machtdemonstration einer Besatzungsmacht? - Von Wolfgang Effenberger 01.05.2022 16:26
Auf Einladung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin berieten einen Tag nach seinem Abflug aus Kiew, am Dienstag, dem 26. April 2022, Vertreter von 40 Ländern auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein/ Rheinland-Pfalz über den Ukraine-Krieg. Darunter waren auch Länder, die nicht Mitglied der NATO sind. Im Vorfeld hatte das US-Verteidigungsministerium betont, dass das Treffen nicht unter dem Dach des Bündnisses stattfinde. Warum fand das Treffen nicht in Washington, warum nicht in Brüssel, sondern auf der US-Base Ramstein statt?
Auf einem Militärflugplatz der ›United States Air Force‹, der sich zwar auf
deutschem Staatsgebiet befindet, aber ähnlich wie eine Botschaft Immunität
besitzt und somit von der deutschen Gerichtsbarkeit freigestellt ist. [1] ›Ramstein Air Base‹ beherbergt auch das Hauptquartier der ›United States Air Forces Europe‹, der ›Air Forces Africa‹ und des ›Allied Air Command Ramstein‹, einer NATO-Kommandobehörde zur Führung
von Luftstreitkräften. Weiter befindet sich auf der Basis das ›US-603d Air and Space Operations Center‹ [2], welches die
Steuerung der Kampfdrohneneinsätze mit gezielten
Tötungen von Terrorverdächtigen in Afrika durchführt [Irak,
Jemen, Pakistan und früher Afghanistan]. [3]
Auch über Ramstein laufende potentiell rechtswidrige US-Waffenlieferungen sowie Gefangenenverschiebungen
sind für deutsche
Strafverfolgungsbehörden tabu. Vor allem wird der US-Stützpunkt, der schon immer Drehscheibe
amerikanischer Militäraktionen war,
seit einigen Monaten verstärkt für Fracht-
und Truppentransporte ins südpolnische Rzeszów-Jasionka, nahe der ukrainischen Grenze, genutzt. Am 25.
3. 2022 ·besuchte US-Präsident Joe Biden die
dortige US-Garnison und wies auf die weit über die Ukraine hinausgehende
Bedeutung ihres Einsatzes hin. Sollten diese US-Soldaten verwundet werden, so würden
sie in das knapp 13 km von der Air Base Ramstein entfernte ›Landstuhl Regional Medical Center‹, das größte US-amerikanische
Lazarett außerhalb der Vereinigten Staaten, transportiert.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit entsteht nun fußläufig
zu Ramstein die nicht nur größte, sondern auch modernste amerikanische Militärklinik:
9 Operationssäle und insgesamt über 4.500 Räume [einen
Großteil der Kosten trägt die BRD]. [4] Hier
werden noch 2022 die besten US-Militär-Chirurgen und Trauma-Spezialisten
arbeiten. Die USA sind für einen großen Krieg in Europa also bestens gerüstet.
Bei seinem Abflug aus Kiew am 25. April betonte Austin, dass die
Ukrainer gewinnen könnten, «wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige
Unterstützung haben». [5] Als Kriegsziel
formulierte Austin: «Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es
zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist». [6] Russland noch unter den Status einer
Regionalmacht zu drücken, heißt im Klartext: Einen Atomkrieg
heraufzubeschwören.
Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach bei der Eröffnung der
Ukraine-Beratungen in Ramstein von einem ›historischen Treffen‹. Im Ukrainekonflikt gehe es
um eine Herausforderung für alle freien Menschen auf der ganzen Welt. «Wir
sind alle hier, weil wir den Mut der Ukraine bewundern und weil wir es nicht
ertragen können, wie ihr Volk leiden muß und wie Zivilisten getötet werden».
Und an die Vertreter der Ukraine gerichtet: «Ihr Land wurde überfallen, Ihre
Krankenhäuser wurden bombardiert, Ihre Bürger wurden exekutiert, Ihre Kinder
wurden traumatisiert‹. [7] Abschließend würdigte Austin die
herausragende Verteidigungsleistung und prophezeite, dass der Mut und die Fähigkeiten
der Ukrainer in die Militärgeschichte eingehen würden. Austin versprach der
Ukraine »unsere Hilfe», auch nach dem Ende des
Krieges. «Wir stehen hinter Ihnen». Dabei müßte ein Blick in die
US-Kriegsgeschichte die Ukrainer ernüchtern. Die USA haben sich den von ihnen
2013/14 orchestrierten Putsch 5 Milliarden US-Dollar kosten lassen – da wird
eine Dividende fällig. Mit dieser emotional aufgeladenen kriegsbefürwortenden
Begrüßung dürfte in den ›Beratungen‹ kaum Platz für friedensstiftenden Ansätze zu erwarten
sein. So dürfte das Leiden auf beiden Seiten weitergehen und die Ukraine wird unvorstellbare
Zerstörungen hinnehmen müssen. Je länger der Krieg dauert, umso schwieriger
wird später die notwendige Versöhnung.
Und bei diesem Krieg scheint es nicht nur um einen
Stellvertreterkrieg zu gehen: Die USA setzen die in ihrer Langzeitstrategie ›TRADOC 525-3-1 2014‹
formulierten Ziele um: ›Win in a
Complex World 2020-2040‹. Die
US-Streitkräfte sollen in erster Linie die von Russland und China ausgehende
Bedrohung abbauen: Das geht nur über einen oder mehrere Kriege. Leider wird die
geopolitische Einbettung des Konflikts weitgehend ausgeblendet und die Schuld
allein Russland zugeschoben, dem eine einseitige Eroberungspolitik unterstellt
wird. Nach weiteren Motiven für Russlands ›spezielle Militäroperation‹ darf nicht gefragt werden.
Zweifelsfrei hat die russische Führung mit dem Einmarsch in die
Ukraine das völkerrechtliche Gewaltverbot mißachtet und mit dieser Operation
Linke und Rechte, Liberale und Konservative, Nationalisten und Globalisten in
einer Front vereinigt. Im März 1999 haben die USA bei
Beginn des Krieges gegen Jugoslawien/Kosovo die Kriseninterventionsrolle der
NATO mit der neuen NATO-Strategie MC 400/2 dauerhaft verankert. Seitdem behält sich das Bündnis das
Recht vor, auch ohne explizites Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen militärisch zu intervenieren. So wurde dann Serbien 78 Tage und Nächte
lang bei entsprechender Feindpropaganda bombardiert. 2001 folgten die
Bombardierung und der Einmarsch in Afghanistan. Das einzige Vergehen: Die
Taliban hatten den Asylanten Osama bin Laden nicht schnell genug ausgeliefert. Vor dem Krieg gegen den Irak hatte US-Präsident
G.W. Bush in einer Nationalen Sicherheitsdirektive
die ›Pre-Emptive-Doctrine‹ festgeschrieben, um einen
neuen Kriegstyp zu legitimieren. Da ein
bewaffneter Angriff auf die Vereinigten Staaten, oder einen Anrainerstaat des
Iraks, dem die USA dann zu Hilfe kommen können hätten, nicht unmittelbar bevorstand, wurde der ›Präemptivkrieg‹
aus dem Hut gezaubert. [8] Mit ihm sollen ›mögliche‹ Gefahren bereits im Keim ersticken werden, ähnlich
wie bei dem Mord an den Kindern von Bethlehem nach Christi Geburt. Zu
diesem Konzept gehört auch
der ›vorbeugende Militärschlag‹ [so z.B. am 7. Juni 1981 der Schlag gegen die irakische
Kernforschung]. 2003 erfolgte dann die Zerstörung des Iraks. Als
Vorwand reichten dürftige Hinweise auf [nicht vorhandene] Massenvernichtungswaffen.
2011 wurde die libysche Armee vernichtet und das Land in ein fortdauerndes
Chaos gestürzt. Und ein Jahr später kam Syrien dran [nach 9/11 wurden noch im
gleichen Monat 7 arabische Länder vom Pentagon auf eine Zerstörungsliste
gesetzt]. Noch heute stehen völkerrechtswidrig
Militärverbände der NATO-Länder USA und Türkei auf syrischem Boden, gegen den
erklärten Willen der international anerkannten Regierung. Seit dem 18. April
2022 führt das NATO-Mitglied Türkei eine völkerrechtswidrige Militäroperation
zu Luft und zu Lande jenseits seiner Grenzen im Norden des Iraks durch, ohne
jegliche Proteste seitens der ›westlichen Wertegemeinschaft‹. Ankara argumentiert, die
Türkei habe nach dem Prinzip der sogenannten Nachteile das Recht zu dieser
grenzüberschreitenden Militäraktion. [9] Diese Sichtweise wird von Washington
akzeptiert, und so köchelt dieser Krieg seit 1984 weiter vor sich hin. Die
Türkei ist militärisch überlegen, kann aber die kurdische Arbeiterpartei PKK im
Norden des Iraks nicht besiegen.
Für die selbsternannte ›westliche Wertegemeinschaft‹ scheint nicht erst seit 1999 das Faustrecht zu gelten.
Am 25. Oktober 1983 fiel die Supermacht USA im Rahmen ihrer Operation ›Urgent
Fury‹ über die Mini-Karibikinsel Grenada her. US-Präsident Reagan
begründete die Invasion mit einem vorausgegangen gewalttätigen Staatsstreich ›linker
Mörder‹ auf der Insel. Es sei geboten gewesen, «unsere eigenen
Staatsbürger (auf der Insel) zu schützen ... und beim Wiederaufbau
demokratischer Institutionen auf Grenada mitzuhelfen‹. [10] Nach vier Tagen endete der
ungleiche Kampf mit dem absoluten Sieg der USA.
[11] Die meisten Menschen auf der Welt wollen sicherlich nicht,
dass das Recht des Stärkeren herrscht.
Vielmehr sollte die Stärke des Rechts gelten. Das ist immer konsensfähig, wenn
der Wertewesten seine Interessen durchsetzen will. So pochte zum Beispiel
Angela Merkel anläßlich der Krimkrise gegenüber Russland auf das Primat der
Stärke des Rechts, genauso wie 2016 auf einer Reise nach China gegenüber ihren
Gastgebern. Und im Januar 2022 mahnte Bundeskanzler Olaf Scholz Russland mit
ähnlichen Worten.
Dass die USA das Völkerrecht nun wieder entdeckt haben, ist mehr
als erfreulich, wenn auch
nicht unbedingt glaubwürdig. Im Vorfeld der Ukraine-Beratung in Ramstein sprach sich die größte
Oppositionsfraktion im Bundestag, CDU/CSU, klar für die Lieferung
schwerer Waffen an die Ukraine aus, ebenso wie die
FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. [12] Die Bereitschaft der Grünen dafür ist ohnehin
ungebrochen. Und von Ramstein aus wird ein klares Signal für umfangreiche
Lieferungen von kriegsentscheidendem Material erfolgen. Die USA möchten
der Ukraine zum Sieg über Russland verhelfen, sie mit Rüstungsgütern versorgen
und mit Beratern unterstützen, aber verhindern, dass die USA oder
die NATO offiziell Kriegspartei werden. Das klingt nach wasch mich, aber mach
mich nicht naß. Bei derartigen Entscheidungen sollte auch die Beurteilung des
Sachverhalts durch die gegnerische Kriegspartei Eingang finden. Vor dem hitzig
diskutierten Thema Waffenlieferungen kamen ernstzunehmende Töne aus Moskau. Am
25. April 2022 sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow laut
Nachrichtenagentur Interfax, dass der Ukraine-Krieg in einen Weltkrieg ausarten
könnte: «Die Gefahr ist ernst, sie ist real, sie ist nicht zu unterschätzen. [13] Russland
betrachtet die NATO-Waffenlieferungen dabei als legitime Angriffsziele für die
russischen Streitkräfte: «Wenn die NATO über einen Stellvertreter de facto
in einen Krieg mit Russland tritt und diesen Stellvertreter bewaffnet», so
Lawrow, «dann tut man im Krieg, was man im Krieg tun muß». [14] Die sich anbahnende Katastrophe hätte
vermieden werden können. Einmal durch die konsequente Anwendung des
Völkerrechts, auch ein von außen organisierter Regime Change ist ein Verbrechen,
und durch die Anerkennung von Rechten anderer. In der September/Oktober-Ausgabe
von ›Foreign Affairs‹ schrieb der US-amerikanische
Politikwissenschaftler an der University
of Chicago, John J. Mearsheimer, den wegweisenden Artikel ›Warum der Westen an der Ukraine-Krise schuld
ist‹. Mearsheimer, der sich hauptsächlich mit internationalen Beziehungen beschäftigt, hält
es für den Gipfel der Torheit, neue Mitglieder in die NATO aufzunehmen, die
andere nicht zu verteidigen bereit sind. Die bisherigen NATO-Erweiterungen
seien in der Annahme erfolgt, dass die Allianz nach liberaler Weltsicht ihre
neuen Sicherheitsgarantien nie einlösen müssen würde. Doch das jüngste
russische Machtspiel belege, dass Russland und der Westen auf Kollisionskurs
geraten würden, sollte die Ukraine NATO-Mitglied werden. Eine Fortführung der
derzeitigen Politik würde die Beziehungen des Westens zu Moskau belasten und
Moskau und Peking noch näher zusammenführen. «Die USA und ihre europäischen
Verbündeten stehen in der Ukraine-Frage vor einer Entscheidung. Sie können ihre
aktuelle Politik fortführen und so die Feindseligkeiten mit Russland verschärfen
und die Ukraine zugrunde richten - ein Szenario, aus dem alle Beteiligten als
Verlierer hervorgehen würden. Oder sie können umsteuern und eine wohlhabende,
aber neutrale Ukraine anstreben, die keine Bedrohung für Russland darstellt
und es dem Westen erlaubt, seine Beziehungen zu Moskau zu kitten. Mit einem
solchen Ansatz würden alle Seiten gewinnen».
[15]
Da
kann Mearsheimer nur zugestimmt werden. Dieser ehrenvolle Ansatz kollidiert
aber mit der angelsächsischen Wettbewerbsideologie ›The Winner takes it
all‹. Mearsheimer konnte zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Artikels noch nichts von dem ebenfalls im
September 2014 publizierten Strategiepapier ›TRADOC 525-3-1‹ ›Win in a Complex World
2020-2040‹ erfahren haben.
Fatalerweise
riskieren die USA mit ihrer aggressiven Politik lediglich die Zerstörung ihrer
Verbündeten in Europa, da darf man sich schon fragen, inwiefern amerikanische
und europäische Interessen noch im Einklang stehen. Laut Klaus von Dohnany,
ehemaliger Bundesminister
für Bildung und Wissenschaft und von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister der
Freien und Hansestadt Hamburg, sind
Deutschland und Europa heute in Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik alles
andere als souverän. «Es sind die USA, die hier in Europa die Richtung vorgeben». [16] Vor
diesem Hintergrund hat die Wahl der US-Airbase Ramstein als ›Beratungsort‹
im Ukrainekonflikt mehr als Symbolcharakter. Es dürfte sich da wohl eher um
eine Befehlsausgabe an die abhängig Verbündeten gehandelt haben.
[1] Wissenschaftliche
Dienste ›Der Bundestag‹ https://www.bundestag.de/resource/blob/531932/f011954610186c3edadc3cf94c6f1e86/wd-2-086-17-pdf-data.pdf [2] https://web.archive.org/web/20101227075807/http://www.3af.usafe.af.mil/units/index.asp [3] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2013/US-Drohnenkrieg-laeuft-ueber-Deutschland,ramstein109.html
[4]
https://www.deutschlandfunkkultur.de/nahe-ramstein-im-bau-groesstes-amerikanisches-krankenhaus-100.html [5] https://www.gmx.at/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/ukraine-krieg-news-ticker-us-verteidigungsminister-austin-richtigen-militaerausruestung-ukraine-krieg-gewinnen-36757878 [6] Ebd. [7] https://www.merkur.de/politik/ukraine-krise-us-verteidigungsminister-40-staaten-gipfel-deutschland-ramstein-news-91501345.html [8] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2717104 [9] https://www.srf.ch/news/international/fruehjahrsoffensive-gegen-pkk-wenn-der-schnee-schmilzt-schlaegt-die-tuerkei-im-nordirak-zu [10] Grenada-Invasion: »Ronald Reagans größte Stunde« https://www.spiegel.de/politik/grenada-invasion-ronald-reagans-groesste-stunde-a-0563f4c3-0002-0001-0000-000014024311 [11] 19 Tote auf
amerikanischer Seite und 70 tote Soldaten und 24 Zivilisten auf der anderen Seite [12] Bundestag
diskutiert über Waffenlieferung https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/schwere-waffen-fuer-die-ukraine-ein-streitgespraech-im-br24live,T42pojD [13] Lawrow sieht ›reale Gefahr‹ eines Weltkriegs und nennt NATO-Waffenlieferungen
legitime Angriffsziele https://www.merkur.de/politik/ukraine-news-lawrow-russland-dritte-weltkrieg-nato-waffen-angriffsziele-usa-verhandlungen-zr-91501592.html [14] Ebd. [15] John
J. Mearsheimer ›Why
the Ukraine Crisis Is the West’s Fault The Liberal Delusions That Provoked
Putin‹ unter http://www.foreignaffairs.com/articles/141769/john-j-mearsheimer/why-the-ukraine-cri-
sis-is-the-wests-faul [16] Klaus von
Dohnany: ›Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und
europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche‹ Siedlerverlag 2022
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