UNBEGREIFLICH: Die Zeichen stehen auf Eskalation 19.06.2022 16:59
Die NATO-Staaten, berichtet »German Foreign Policy« unter dem Titel »Kampfbrigaden
statt
Battlegroups«, werden die Streitkräfte der Ukraine auf NATO-Standards umrüsten
und sie langfristig zur gemeinsamen Kriegführung mit dem Westen befähigen. Dies
hat der Generalsekretär des Militärpaktes, Jens Stoltenberg, nach dem gestern
zu Ende gegangenen Treffen der NATO-Verteidigungsminister bestätigt. Darüber
hinaus haben sich die Minister auf ein Modell für die Hochrüstung an der
Ostflanke des Bündnisgebiets geeinigt. Demnach werden dort nun Kampfbrigaden
installiert; freilich sollen lediglich rund die Hälfte der Soldaten dort
stationiert sein, während die anderen an ihren Heimatstandorten verbleiben
sollen, allerdings in erhöhter Einsatzbereitschaft. Um in kürzester Zeit an die
Front vorrücken zu können, sollen erhebliche Bestände an schweren Waffen
bereits in Ost- und Südosteuropa deponiert werden. Beschlossen wurden außerdem
neue Schritte zur sofortigen Aufrüstung der Ukraine, die bereits Kriegsgerät
für 12 Artilleriebataillone erhalten hat.
12
Artilleriebataillone
Bereits
vor dem Treffen der Verteidigungsminister war im Brüsseler NATO-Hauptquartier
die Ukraine Defense Contact Group zusammengekommen, eine lose Gruppe, in dem
sich die NATO-Staaten mit engen Verbündeten zusammengetan haben. Ziel ist, die
Lieferung von Kriegsgerät an die Ukraine abzustimmen und zu forcieren;
das erste Treffen der Gruppe fand am 26. April auf der US-Luftwaffenbasis
Ramstein statt. [1] Wie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am 15.
6. berichtete, hat Kiew mittlerweile genug militärische Ausrüstung für 12
Artilleriebataillone erhalten. Geliefert wurden demnach etwa 237 Kampfpanzer,
300 Schützenpanzer sowie 1.600 Luftabwehrsysteme; mit 97.000 Panzerabwehrwaffen
habe man den ukrainischen Streitkräften mehr Abwehrwaffen zur Verfügung gestellt,
als es zur Zeit weltweit Panzer gebe. [2]
Austin wies auf zusätzlich vorgesehene
Waffenexporte hin; die Bundesrepublik etwa wird Kiew mehrere
Mehrfachraketenwerfer und zu diesen passende Lenkraketen übergeben. Weitere
Lieferungen werden vorbereitet. Koordiniert wird die Aufrüstung der Ukraine
über eine eigens eingerichtete Zelle in den Patch Barracks in
Stuttgart-Vaihingen, wo das Europa-Hauptquartier der US-Streitkräfte
angesiedelt ist. Beteiligt sind laut einem Bericht der BBC Militärs aus 26
Staaten. [3]
Nach
NATO-Standards
Von
Bedeutung ist, dass sich die Aufrüstung der Ukraine nicht auf kurzfristige
Unterstützung im aktuellen Krieg gegen Russland beschränkt. Dies bestätigte
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gestern nach dem Treffen der Verteidigungsminister.
Demnach ist die Unterstützung für die Streitkräfte des Landes ausdrücklich ›längerfristig‹
geplant; von einem ›umfassenden Hilfspaket‹ ist die Rede. [4] Stoltenberg
zufolge zielen die westlichen Staaten darauf ab, das ukrainische Militär beim ›Übergang
von Ausrüstung aus der Sowjetära zu moderner NATO-Ausrüstung‹ zu
fördern. Dabei soll insbesondere die ›Interoperabilität
mit der NATO verbessert‹ werden, also die Fähigkeit, gemeinsam
mit dem westlichen Militärpakt Krieg zu führen. Stoltenberg
kündigte darüber hinaus Maßnahmen zur Stärkung von Sicherheitseinrichtungen in
der Ukraine an. Die Anpassung der ukrainischen Streitkräfte an NATO-Standards
sowie ihre Ausrüstung mit entsprechendem Kriegsgerät kommen einer Absage an
eine mögliche Neutralität der Ukraine gleich; sie schränken so den Spielraum
bei Friedensverhandlungen empfindlich ein. Dazu paßt, dass der ukrainische
Verteidigungsminister Oleksij Resnikow am 15. 6. am Abendessen mit seinen NATO-Amtskollegen
in Brüssel teilnahm, und dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum
NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid eingeladen ist.
Von
der Ostsee bis zum Schwarzen Meer
Im
Kern geeinigt haben sich die Verteidigungsminister gestern auf ein Modell, mit
dem die Hochrüstung der NATO-Ostflanke bewerkstelligt werden soll. Es betrifft
zunächst die in Ost- und Südosteuropa stationierten NATO-Battlegroups, deren
Anzahl zuletzt von 4 auf 8 erhöht wurde; sie sind nun in Estland, Lettland,
Litauen und Polen, in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien installiert.
Hatten sie bislang die Größe eines Bataillons, so sollen sie künftig als
Kampfbrigaden etabliert werden; das entspricht einem Umfang von nicht mehr rund
1.000, sondern gut 3.000 bis 5.000 Militärs. Allerdings werden nicht alle
Soldaten der jeweiligen Kampfbrigaden dauerhaft an den Standorten in Ost- und
Südosteuropa stationiert, sondern nur jeweils die Hälfte von ihnen. Die andere
Hälfte soll an ihren Heimatstandorten untergebracht werden, allerdings in
erhöhter Einsatzbereitschaft verbleiben. Damit ihre Einsatzfähigkeit gesichert
ist, sollen Waffen und Munition in erheblichem Umfang an den Standorten in Ost-
und Südosteuropa eingelagert werden, um im Fall eines Krieges den blitzschnell
einfliegenden Truppen sofort zur Verfügung zu stehen. Wie berichtet wird, ist
das auch das Modell, nach dem die Bundeswehr in Litauen vorgehen will. [5]
Eine
Drittelmillion Soldaten
Darüber
hinaus ist einem Bericht zufolge ein umfassender neuer Verteidigungsplan für
das gesamte NATO-Bündnisgebiet geplant. In diesem Zusammenhang soll die Zahl
der Truppen, die potentiell verfügbar gemacht und dazu dem
NATO-Oberbefehlshaber (SACEUR) angezeigt werden sollen, von bislang rund 40.000
– das ist der Umfang der NATO Response Force (NRF) – auf rund 240.000 versechsfacht
werden; dies bezieht sich, wie es heißt, nur auf die Landstreitkräfte, und zwar
ausschließlich auf diejenigen aus den NATO-Staaten Europas sowie aus Kanada. [6] Hinzu
kommen noch US-Einheiten; die Zahl der US-Militärs, die gegenwärtig in Europa
stationiert sind, wird mit über 100.000 angegeben. Auch die Bereitschaftszeit
wird deutlich verkürzt: Auf 10 Tage für die ersten Einheiten, 30 Tage für
Verstärkungskräfte, 50 Tage für Folgekräfte.
[7] Endgültig abgeschlossen sein
werden die Maßnahmen dem Bericht zufolge in rund einem Jahr.
Global
NATO Die
NATO-Verteidigungsminister befaßten sich gestern schließlich auch noch mit dem
neuen Strategischen Konzept, das der Militärpakt auf seinem Gipfeltreffen Ende
des Monats in Madrid beschließen wird. Es wird, wie Generalsekretär Stoltenberg
gestern bestätigte, nicht nur einen neuen Kurs der NATO gegenüber Russland
abstecken. Es wird sich zudem – ›zum
ersten Mal‹, wie Stoltenberg festhielt – ausdrücklich mit dem gemeinsamen Vorgehen
gegen China befassen. Details sind noch nicht bekannt. Bekannt ist
allerdings mittlerweile, dass Japans Ministerpräsident Fumio Kishida, Südkoreas
Präsident Yoon Suk-yeol, Australiens Premierminister Anthony Albanese und
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern an dem Gipfel teilnehmen werden.
Es handelt sich um diejenigen vier Staaten, die, zuzüglich Singapur und Taiwan,
sich auch an den transatlantischen Russlandsanktionen beteiligen. Damit
formiert sich die NATO nun auch am Pazifik für den großen Machtkampf gegen die
Volksrepublik China: In einer Variante der bereits seit Jahren immer wieder
diskutierten Global NATO.
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8950 17. 6. 22 Kampfbrigaden
statt Battlegroups
[1]
Siehe dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8900
25. 4. 22 Waffenstellerkonferenz in Ramstein
USA erhöhen den Druck auf Berlin, der Ukraine schwere Waffen zu liefern
[2]
More Than 50 Nations Pledge to Help
Build Ukraine’s Defense. defense.gov
15. 6. 2022
[3]
Jonathan Beale: Inside the room where
Ukraine orders arms from the West. bbc.co.uk 16. 6. 2022
[4]
Press Conference by NATO Secretary
General Jens Stoltenberg following the meetings of NATO Defence Ministers.
nato.int 16. 6. 2022
[5]
Scholz sagt Litauen Kampfbrigade für NATO-Ostflanke
zu. faz.net 07.06.2022
[6], [7] Thomas Gutschker: Verteidigung mit fest
zugewiesenen Truppenteilen. Fra
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