China - Jede weitere Eskalation zu unser aller Schaden

Acht deutsche Topmanager, die Kanzler Scholz auf seiner China-Reise begleiteten, veröffentlichten am 10. November

gemeinsam einen Gastbeitrag, in dem sie vor einem Rückzug aus China warnen und für eine Fortsetzung des Dialogs als Grundlage einer neuen China-Strategie plädieren. Die Unterzeichner sind: Martin Brudermüller von der BASF, Roland Busch von Siemens, Belen Garijo von Merck, Stefan Hartung von Bosch, Nicola Leibinger-Kammüller von Trumpf, Jan Rinnert von Heraeus, Klaus Rosenfeld von Schaeffler und Angela Titzrath von Hamburg Port and Logistics.             

«Die Intensität der öffentlichen Diskussion rund um die China-Reise von Bundeskanzler Scholz», heißt es in einem Gastbeitrag aus dem faz.net, «hat gezeigt, welche Bedeutung die Gestaltung der deutsch-chinesischen Beziehungen für Deutschland hat».   Dieser Austausch sei gut, denn dadurch könne «ein breites Spektrum an Sichtweisen in die Erstellung der neuen China-Strategie der Bundesregierung» einfliessen. Wie des weiteren vermerkt, «jährt sich in diesem Jahr die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China zum 50. Mal. Während dieser Zeit waren die bilateralen Beziehungen zum beiderseitigen Nutzen von einer immer engeren Kooperation beider Länder geprägt. China hat enormes Wachstum erzielt, 800 Millionen Menschen aus der Armut in eine moderne Mittelschicht gebracht und ist heute die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft. Deutschland konnte durch Technologiestärke, Exporte und mit Investitionen zu dieser Entwicklung beitragen». Dies habe wesentlich dazu beigetragen, daß Deutschland wachsen und sich zu einem zentralen Akteur der Weltwirtschaft entwickeln konnte.    

Laut der Associated Press AP betonen die Unternehmer, wie wichtig die deutsche Präsenz in China im Interesse der deutschen Wirtschaftskraft geworden sei. Das Potential des chinesischen Marktes biete die Chance, «auf anderen Märkten erfolgreicher zu sein und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern», auch wenn man bestimmte Risiken [bei Chips, Batterien und Rohstoffen] diversifizieren müsse. Die Unternehmer wandten sich gegen die «fast ausschließliche Betonung der Systemrivalität» in der Öffentlichkeit».  [1] 

Besieht man allerdings den jetzt vorgelegten Strategieentwurf des Auswärtige Amts der BRD, so zeigt sich, dass dessen Stipulationen mit den Erwartungen der Wirtschaft nicht konform gehen, vor allem auch deswegen, da er enge Einbindung Taiwans und ökonomische Zwangsmaßnahmen, etwa den Boykott ganzer Regionen, einplant. Dem hierzu von German Foreign Policy verfaßte Bericht ist zu entnehmen, dass das Auswärtige Amt unter Ministerin Annalena Baerbock im Gegenteil mitten im erbitterten Machtkampf gegen Russland eine weitere Eskalation im Machtkampf gegen China vorbereitet. Das belegen Auszüge aus dem Entwurf für eine neue deutsche Chinastrategie, die in aktuellen Medienberichten kursieren. Demnach dringt das Außenministerium auf Schritte, die offiziell lediglich eine Abhängigkeit von der Volksrepublik verhindern sollen, faktisch jedoch darauf ausgerichtet sind, das Chinageschäft der deutschen Industrie zu reduzieren. Vorgesehen ist auch die Option, auf Wunsch Importstopps gegen ganze Regionen zu verhängen, etwa gegen Xinjiang oder gegen Hongkong. Zugleich fordert das Entwurfspapier Schritte gegenüber Taiwan, die geeignet sind, Beijings rote Linien zu tangieren. Nicht zuletzt macht das Auswärtige Amt eine Zusammenarbeit mit China davon abhängig, dass Beijing sich der deutschen Außenpolitik unterwirft und jede Kooperation mit Russland einstellt, ein Hinweis etwa auch an Indien oder Südafrika, was diesen bei einer Zusammenarbeit mit Berlin bevorsteht. Die Folgen einer Eskalation des Konflikts mit China würden die Folgen des Wirtschaftskriegs gegen Russland erheblich übertreffen.

Der Entwurf des Auswärtigen Amts

Die Verabschiedung einer deutschen Chinastrategie, der ersten spezifischen Chinastrategie einer Bundesregierung überhaupt, ist bereits im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP festgelegt worden. Den hierfür vorliegenden Entwurf hat das Auswärtige Amt federführend erstellt; er ist, wie berichtet, vor einigen Tagen an die anderen mit außenpolitischen Aspekten befaßten Bundesministerien weitergereicht worden. Nun soll er diskutiert und von der Bundesregierung verabschiedet werden. Die Publikation des Papiers ist rasch nach der Publikation der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie geplant; ein genauer Zeitpunkt steht allerdings noch nicht fest. Manche hoffen offenbar, das Papier könne bereits zur nächsten Münchner Sicherheitskonferenz vom 17. bis 19. Februar 2023 öffentlich präsentiert werden; andere gehen von einem späteren Zeitpunkt aus, aber immer noch im ersten Halbjahr 2023.

Stresstests und Importstopps

Für die deutsche Wirtschaft wird das Strategiepapier, falls es in seiner jetzigen Form verabschiedet wird, weitreichende Folgen haben. Zwar heißt es in dem Entwurf, «eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Deutschland und China», wie sie tatsächlich längst existiert, sei «auch weiterhin unser Ziel», es werden jedoch dennoch eine ganze Reihe von Maßnahmen festgelegt, die eine deutliche Reduzierung des Chinageschäfts zum Ziel haben – offiziell, um jegliche Abhängigkeit von der Volksrepublik zu verhindern. So sollen Firmen mit einem größeren Chinageschäft regelmäßige Stresstests durchführen. Auch sollen «Auslandsinvestitionen deutscher und europäischer [!] Unternehmen in sicherheitskritischen Bereichen» überprüft, also auf Wunsch auch untersagt werden können. Vorgesehen sind vertiefte Prüfungen sowie klare Einschränkungen bei bisher üblichen Staatsgarantien für Investitionen und Exporte. 

Zudem sollen, wie bereits festgehalten, komplette Importstopps aus bestimmten Regionen Chinas möglich sein, nämlich dann, «wenn von Menschenrechtsverletzungen freie Lieferketten mit anderen Mitteln nicht sichergestellt werden können». Chinesische Regionen, in denen Berlin regelmäßig Menschenrechtsverletzungen diagnostiziert, sind etwa Xinjiang, Tibet und Hongkong.

Kooperation nur bei Unterwerfung

Der Baerbock-Entwurf für die neue deutsche Chinastrategie sieht zudem eine massive Einmischung in innere und äußere Angelegenheiten der Volksrepublik vor. So kündigt das Papier eine Vertiefung der Beziehungen zu Taiwan an, das völkerrechtlich Teil Chinas ist. Taiwan solle stärker in internationale Organisationen eingebunden werden, heißt es in offenem Widerspruch zu geltenden UN-Resolutionen. Außerdem strebt das Auswärtige Amt ein Investitionsabkommen zwischen der EU und Taiwan an. Damit wird Taiwans   Zugehörigkeit zu China faktisch in Frage gestellt. Chinas Präsident Xi Jinping hat erst am 14. 11. anläßlich seines Treffens mit US-Präsident Joe Biden auf Bali klargestellt, dass Machenschaften am Status von Taiwan für Beijing eine rote Linie darstellen. Davon abgesehen macht das Entwurfspapier aus dem Auswärtigen Amt die künftige Kooperation mit der Volksrepublik davon abhängig, dass sich Beijing den Berliner Vorstellungen von einer adäquaten Außenpolitik unterwirft. So heißt es: «China und Russland nähern sich immer stärker an»; das sei mit einer Zusammenarbeit mit Deutschland nicht vereinbar. Dies kann auch als Warnung etwa an Indien, Südafrika oder Saudi-Arabien verstanden werden, die ebenfalls trotz des Ukraine-Kriegs eng mit Russland kooperieren. 

Im Systemwettbewerb

Zwar behauptet das Auswärtige Amt in seinem Strategieentwurf: »Unser Ziel ist nicht eine neue Blockkonfrontation», was allerdings  lediglich als inhaltsleere Schutzbehauptung verstanden werden kann; schließlich zielen nicht nur die wirtschaftlichen und politischen Schritte, die das Papier vorsieht, sondern auch mehrere wörtliche Festlegungen klar auf einen neuen Kalten Krieg. So heißt es etwa, man wolle an der bisherigen Einstufung Chinas als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale zugleich festhalten: «Die beiden letzteren Aspekte gewinnen jedoch zunehmend an Gewicht». Der Systemrivalität ausgesetzt sehen sich das Auswärtige Amt in Berlin sowie die EU offenkundig in Südosteuropa. Dort habe China «seine Einflußmöglichkeiten teils deutlich ausgeweitet«, heißt es ferner in dem Papier; dem gelte es, jetzt eigene Aktivitäten entgegenzusetzen. Dasselbe treffe auch auf Lateinamerika, Afrika oder Südostasien zu. «Im Systemwettbewerb dürfen wir keine strategischen Lücken lassen», fordert das Auswärtige Amt.  

Vor vollendete Tatsachen gestellt

Bemerkenswert ist schließlich die Rolle, die das Auswärtige Amt der EU in Zukunft in Sachen Chinapolitik zuschreibt. Erst kürzlich hatte der Europäische Auswärtige Dienst in einem Strategiepapier gefordert, die Mitgliedstaaten der Union, Deutschland zählt bekanntlich dazu, «sollten isolierte und unkoordinierte Initiativen gegenüber China, die unsere vereinte Haltung schwächen könnten, unterlassen«. Mit seiner neuen Chinastrategie prescht Berlin nun erneut in einem nicht abgestimmten Alleingang vor. Das Auswärtige Amt sagt in seinem Entwurfspapier lediglich zu, vor umfangreicheren Absprachen mit Beijing mit den EU-Institutionen in Kontakt zu treten. Zudem heißt es: «Über die Ergebnisse unserer bilateralen Treffen mit China werden wir die EU-Partner weiterhin regelmäßig informieren». Hingegen ist von einem gemeinsamen Vorgehen nicht die Rede. Damit werden die EU und ihre 26 anderen Mitgliedstaaten von Deutschland einmal mehr vor vollendete Tatsachen gestellt.   

Dramatische Folgen

Die Orientierung auf eine Eskalation im Machtkampf gegen China erfolgt, obwohl deren Konsequenzen einer verbreiteter Meinung nach diejenigen des Wirtschaftskriegs gegen Russland erheblich übertreffen. So war Deutschland von Russland vor allem bei Energierohstoffen abhängig. China ist heute Lieferant unverzichtbarer Rohstoffe wie seltener Erden und verarbeiteten Lithiums, kaum ersetzbarer High-Tech-Produkte und billiger Vorprodukte für die deutsche Industrie. Die Kfz-Branche erzielt rund ein Drittel ihres Absatzes in China; sollte es zu einem Decoupling zwischen dem Westen und der Volksrepublik kommen, dann steht vermutlich eine Abspaltung der chinesischen Ableger mancher deutscher Konzerne bevor. Aktuell wird etwa der ehemalige australische Premierminister Kevin Rudd mit der Warnung zitiert, es sei durchaus denkbar, dass bei einer ungebremsten Eskalation des Konflikts mit Beijing westliche Unternehmen ihre Investitionen in China ebenso abschreiben müßten wie aktuell ihre Investitionen in Russland. Die Investitionen deutscher Unternehmen in der Volksrepublik nähern sich mittlerweile dem Wert von 100 Milliarden Euro.   [2]

Anmerkung politonline  

«In den letzten 100 Jahren», schreibt auch Norbert van Handel, «ist es gelungen, China von einem Land, in dem die Bevölkerung Hunger litt und das teilweise ein Spielball der Westmächte war, zu einem prosperierenden Großreich zu entwickeln, das mit großer Wahrscheinlichkeit die USA als dominierende Supermacht ablösen wird. Wenn wir, als Vertreter von freien Menschen in einer freien Gesellschaft, die Chinesen kritisieren, dann müssen wir gleichzeitig feststellen, dass wir selbst unter einer Fülle von Maßnahmen und Regeln einer Überbürokratisierung leiden, die nicht nur von der EU, sondern auch von den einzelnen demokratischen Staaten ausgehen; und die der Wirtschaft die Luft zum Atmen nehmen».  [3]

Angesichts dieser Entwicklung ist es vollkommen unverständlich, wie die BRD, deren Aggressionspotential offensichtlich keine Grenzen gesetzt sind, und die vielfach als nicht mehr als ein mit massiven Beschränkungen behafteter US-Vasall bezeichnet wird, sich in eine für meine Begriffe einem Größenwahn gleichzusetzende Einschätzung steigern kann, dass sich Beijing den Berliner Vorstellungen von einer adäquaten Außenpolitik unterwerfen würde». Dasselbe gilt für die Forderung, dass China jegliche Kooperation mit Russland einstellt.

Was nun Maßnahmen betrifft, die offiziell in den Deckmantel gekleidet sind, dass sie lediglich eine Abhängigkeit von der Volksrepublik verhindern sollen, in Wirklichkeit jedoch darauf ausgerichtet sind, das Chinageschäft der deutschen Industrie zu reduzieren, so sind die oben genannten Vertreter der Wirtschaft jetzt gefordert, eine derart abwegige, man kann schon fast sagen kranke Zukunftsvision im Keim zu ersticken. Zwar vermerkt der Entwurf, dass eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Deutschland und China, wie sie, so GFP, tatsächlich längst existiert, auch weiterhin unser Ziel sei, die jedoch, davon ist auszugehen, bei den stipulierten Konditionen ein unredliches Ende finden muß.

Nun zählt ja Annalena Bearbock, der das Außenministerium untersteht, zu den von Klaus Schwab herangebildeten Young Global Leaders, was, zieht man vor allem auch ihre haltlos überheblichen Drohungen gegenüber Russland in Betracht, in keiner Weise für Schwabs Lehrgang spricht, was bei den abstrusen Vorstellungen, die dieser uns und der Konzernwelt am WEF zu präsentieren pflegt, allerdings nicht weiter überraschen sollte.

Auch weitere Grüne, so der Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, gibt sich in meinen Augen absolut der Lächerlichkeit preis, wenn er von der Bundesregierung eine härtere Haltung gegenüber China fordert. «Wir müssen die Naivität der Jahre unter der CDU-Regierung hinter uns lassen», erklärte er im Handelsblatt vom 4. November. Das sei im Koalitionsvertrag vereinbart worden; Vereinbarung hin oder her, er begreift nicht, dass das schlichtweg nicht machbar ist und allerhöchstens zu den jetzigen Verwerfungen führen würde, wie wir sie als Folge der Sanktionen gegen Russland auf die harte Art erfahren. Wie er auf die Idee kommt, der CDU, die doch an der Zusammenarbeit mit China positiv mitgearbeitet hat, eine Naivität anzulasten, bleibt sein Geheimnis. Darin kann ihm niemand folgen. Diese härtere Haltung wußte er auch Olaf Scholz als Grundlage für seine Chinareise zu empfehlen, was die Chinesen nicht weiter beeindruckt haben dürfte. Das sonstige Resümee von Audretsch gipfelt in der Aussage: Die Zeit der Anbiederung ist vorbei. «China», so seine Sicht, »ist nicht nur Handelspartner, sondern systemischer Rivale, eine Diktatur, die längst Einfluß tief in unsere Wirtschaft und Gesellschaft ausübt». «Der Versuch Chinas, Schritt für Schritt Kontrolle über die kritische Infrastruktur in Deutschland und Europa zu erlangen, muß beendet werden», sagt er.  [4]

Bereits Mitte August lösten die schädlichen Folgen des Sanktionskriegs gegen Russland für Deutschland Warnungen vor weiteren Verlusten bei einer Eskalation des Machtkampfs gegen China aus. Aktuelle Quartalsbilanzen zeigen, dass deutsche Konzerne wegen ihres Rückzugs aus Russland Milliardensummen verlieren; sollte es zu einem Wirtschaftskrieg auch gegen China kommen, dann müsse mit tiefen Einbrüchen in der deutschen Wirtschaftsleistung gerechnet werden, heißt es in einer aktuellen Studie des Münchener ifo-Instituts. Experten warnen zusätzlich vor Risiken, die sich daraus ergeben, dass Deutschland bei unverzichtbaren Rohstoffen wie Lithium oder auch bei Batterien noch stärker von China abhängig wird als bei Erdgas von Russland.  [5]  Berichte dieser Art scheinen nicht bis Audretsch vorzudringen…….. 

Es bleibt zu hoffen, dass hier genügend Leute mit Verstand in Aktion treten, die ein weiteres Sanktionsdebakel zu verhindern wissen.

Doris Auerbach   d.auerbach@gmx.ch

 

[1]  https://www.bueso.de/deutsche-unternehmer-zusammenarbeit-china-entscheidend-fuer-deutsche-wirtschaftskraft   11. 11. 22
Deutsche Unternehmer: Zusammenarbeit mit China entscheidend für deutsche Wirtschaftskraft  

[2]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9087   18. 11. 22
Die Strategie für das entscheidende Jahrzehnt (II)

[3]  https://unser-mitteleuropa.com/dr-norbert-van-handel-china-und-neue-entwicklungen-in-der-eu/  5. 7. 21
Dr. Norbert van Handel: China und neue Entwicklungen in der EU

[4]  https://www.mmnews.de/aktuelle-presse/189652-gruene-fordern-haertere-gangart-gegenueber-china   3. 11. 22

[5]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8996     18. 8. 22
Schäden im Wirtschaftskrieg