Direkte Demokratie statt Waffen und Ausbeutung Von Doris Auerbach

Das neue «Zentrum gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit» in Wien ist eingeweiht. Vorzüglich. Ich schlage vor, als Auftakt zwei Sonderkurse durchzuführen: den ersten gemeinsam für die Regierungsspitzen und die Rüstungsindustrie.

Wer sonst als sie selbst bereiten den Boden für die Fremdenfeindlichkeit immer wieder neu vor? Sie sind es doch, die durch ihre Rüstungsexporte der Auslöser für die auf dem europäischen Kontinent fast nicht mehr verkraftbare Anzahl von Flüchtlingen sind. Ehrengäste: Tony Blair, der trotz der explosiven Lage in Zimbabwe Anfang Januar britische Waffenlieferungen für dieses Land genehmigte. Ferner Mrs Albright. Sie verhandelte noch vor der offiziellen Nato-Aufnahme von Polen, Ungarn und Tschechien mit den US-Rüstungsspitzen. Resultat: Fast gänzlich von Europa zu finanzierende US-Waffenlieferungen in Höhe von 35 Mrd. US-$.
 
Auch Clinton, der von der Presse in beispielloser Einfalt als «Höhepunkt» des diesjährigen Davoser Gipfels (im Jahr 2000) bezeichnet wurde, wäre einzuladen. Sein Land ist der grösste Rüstungsexporteur. Folglich hatte er im Zuge des Afrika-Gipfels dem ausgebluteten Nigeria nichts anderes als Militärhilfe anzubieten. Auch in Vietnam, dem Hungerleider Asiens, hatte William Cohen ausser militärischer Zusammenarbeit nichts im Gepäck. Chirac dürfte ebenfalls nicht fehlen. Er tat sich bei der Kritik gegen Haider besonders hervor. Es sei jedoch daran erinnert, dass Frankreich im August 1998 einen Mittäter am Mord von Bakthiar, dem in Paris exilierten früheren iranischen Ministerpräsidenten, vorzeitig aus der Haft entliess. Damit war dem Abkommen zwischen der iranischen Ölgesellschaft Nioc und der Compagnie Total der Weg gebahnt. Der bei der Einweihung des Zentrums als Gastgeber fungierende Klestil war vor nicht allzu langer Zeit im Iran, um dort die Möglichkeiten für Österreichs Wirtschaft auszuloten. Die Menschenrechtsverletzungen im Iran spielten in beiden Fällen nicht die geringste Rolle. Auch Prodi freut sich über die EU-Institution. Seine Freude scheint durch die erfolgte Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen das immer noch unruhige Indonesien in keiner Form getrübt. Der Kreislauf Waffen - Migration bedroht jede positive Entwicklungszusammenarbeit. Die bis zum Überdruss wiederholte inhaltslose Floskel der Subsidiarität gewährt dem EU-Bürger keinerlei direkten Einfluss auf die Waffenausfuhr, obwohl er sich das wünschte. Der Waffenexport «nährte» 1999 weltweit 35 Kriege, davon allein 14 in Afrika, wo 27 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Somit stellt dieses Institut in meinen Augen nur eine weitere EU-Farce dar.
 
Auch der Internationale Währungsfonds IWF
Der zweite Kurs wäre von den Spitzen des IWF zu besuchen. Dem an der University of North London lehrenden Peter Gowan kommt das Verdienst zu, in seinem Buch «The Global Gamble» (Verso, London 1999), das den aufschlussreichen Untertitel «Washingtons  faustischer Versuch zur Erlangung der Weltherrschaft» trägt, offengelegt zu haben, wie Larry Summers und Robert Rubin im Verbund mit Alan Greenspan und dem IWF die Südkoreakrise 1997 nicht nur nicht verhindern, sondern bewusst entstehen liessen. Die sich daraus entwickelnde, ungeheures Leid über Asien bringende Krise ist bekannt. Nach der Lektüre des Buches betrachte ich die IWF-Presseberichte als Makulatur. Solange die uneingeschränkte Selbstbedienung des IWF in den Kassen der Nationalbanken der Mitgliedländer möglich bleibt, ist niemand im IWF an Reformen interessiert. Der IWF sichert gerade der EU den Zugang zu den Billiglohnländern. Ferner gewährleisten die im Zuge der IWF-Kredite erfolgenden Privatisierungen, die man häufig als erzwungen bezeichnen kann, Zugang zu den Bodenschätzen. Auch im IWF läuft der Waffenverkauf wie ein roter Faden mit. Ohne die vom IWF unter Suharto für Indonesien bereitgestellten Kredite und das Militärbündnis der USA wären weder dessen für die USA überaus profitable Diktatur noch das Blutbad in Osttimor möglich gewesen. Es sei auch erwähnt, dass die IWF-Kreditnehmer Russland und Bulgarien sowie der Weltbank bester Kunde, China, die Waffenlieferanten Äthiopiens sind.
 
Davoser Geist?
In diesem Kontext wäre auch kurz auf die Zusammenarbeit der Vertreter des «Davoser Wirtschaftsforums» mit oppressiven Regimes einzugehen. Diese trägt für meine Begriffe nicht dazu bei, die Migrationen abklingen zu lassen. Der «Davoser Geist» spiegelt sich im übrigen auf perfekte Weise in den soeben von Daimler-Chrysler-Konzernchef Jürgen Schrempp geäusserten, an Zynismus kaum zu überbietenden Worten wider, mit denen er die Wirtschaft und die Politik zu einem «neuen Gerangel» - wörtlich! - um das südliche Afrika aufruft. Offenbar erwartet er, dass die dortigen Arbeitskräfte für ihn zu Niedrigstlöhnen feilgeboten werden. Auch gibt es bereits genügend Sonderabkommen, die Firmen riesige Steuereinsparungen bringen, die der Infrastruktur eines Landes in keiner Weise förderlich sind. So hat sich zum Beispiel General Motors in Polen und Thailand eine totale Steuerfreiheit ausgehandelt, welche, von 1996 an gerechnet, über zehn Jahre läuft. Auf diese Weise lassen sich die Investitionen in Gesundheit und Bildung nicht zugunsten des Arbeitnehmers verbessern. Das kümmert die Herren von Davos wenig.
 
Druck der wachsenden illegalen Einwanderung
Es lässt sich somit folgern, dass der Migration bei anhaltender Waffenausfuhr und einer von IWF und Wirtschaft fortgesetzten Zusammenarbeit mit korrupten Regimes kein Ende bereitet werden kann. Zurzeit beschäftigt sich der Europarat mit dem Druck der wachsenden illegalen Einwanderung. Wozu, solange die jetzigen Verhältnisse so bestehen bleiben? Ich sehe meinen Kontinent nicht als Auffangbecken aller durch den Krieg Entrechteten. Mir wäre es lieber, sie könnten mit friedlichen Mitteln in ihrem Land bleiben, was sicherlich auch sie vorziehen würden. Die Regierungschefs werden alles daran setzen, um uns davon zu überzeugen, dass wir jede Abwehr gegen allzu Fremdländisches abzubauen haben. In der Neuen Zürcher Zeitung und der Basler Zeitung Nr. 74 finde ich die Bezeichnung «Einwanderungsland» für die Schweiz. Damit kann ich mich keinesfalls einverstanden erklären. Ein Einwanderungsland ist eines, das offiziell eine Quote für Zuwanderer hält, was auf die Schweiz nicht zutrifft. Eine derartige Bezeichnung fällt für mich in die Kategorie der Konditionierung. Die Flüchtlinge gelangen uneingeladen zu uns. Sie kommen also allenfalls in ein Gastland. Die Eidgenössische Kommission für Ausländerfragen EKA hält uns ferner vor, wir verschlössen die Augen vor der Tatsache, dass die grosse Mehrheit der ehemaligen Gäste «für immer bei uns bleiben wird». Das dürfte bei unveränderten Vorzeichen die Wahrheit sein.
 
Direkte Demokratie für ganz Europa!
Professor Kreis hat gefordert, dass sich auch die Schweizer mehr über die «Werte» als über die Nationalität definieren müssen. Genau diesen Prozess gilt es zu verhindern. Man sollte sich auch weiterhin über die eigene Nation und ihre spezifische Kultur definieren und keineswegs über eine «Wertegemeinschaft», als die sich die EU vermehrt verstehen soll. Wer soll derartige Werte festlegen? Etwa, wie das Nationalrat Rendegger bereits im Mai 1999 («Forum», «Basler Zeitung» Nr.122/99) vorschlug, eine übernationale Organisation, eine Art Weltregierung, wobei er die UNO als für diese Aufgabe am besten geeignet betrachtet? Oder soll man mit Bundesrat Deiss einig gehen, der Souveränitätsverzicht gar als Zeichen der Stärke sieht («Neue Zürcher Zeitung» Nr. 272/99)? Wie denkt sich Herr Deiss die Mitgestaltung der Geschicke Europas, wenn der Bürger dort weitgehend entmachtet ist? Harry Zweifel hat in seinem 1999 im Biograph-Verlag Lantsch erschienenen, überaus lesenswerten Buch «Wir sind ein auserwähltes Volk» sehr richtig aufgezeigt, dass die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie die einzige wirklich freiheitliche Regierungsform hat. Dieser Auffassung schliesse ich mich an, da die direkte Demokratie, wenn sie von der EU übernommen würde, nur positive Impulse für Europas Zukunft beinhalten kann.
 
Erschienen in der Basler Zeitung vom 15. 5. 2000 sowie in Zeit-Fragen Nr. 68 vom 05.06.2000