Hat der Iran wirklich eine Wahl?

Stefan Kornelius berichtet von einem Richtungswechsel in der amerikanischen Außenpolitik hinsichtlich der Haltung der USA gegenüber dem Iran. Die USA seien zur klassischen Diplomatie zurückgekehrt. Man darf bezweifeln, ob eine derartig naive Einschätzung der amerikanischen Politik angebracht ist. Noch nie in der amerikanischen Geschichte haben sich die USA von ihren auf einen langen Zeitraum hin geplanten Zielen abbringen lassen. Es ist doch dasselbe Procedere wie seinerzeit vor dem Irak-Krieg, nur vielleicht etwas geschickter. Man legt die Meßlatte für direkte Gespräche mit dem "Regime" in Teheran so hoch an, dass die iranische Regierung, will sie nicht ihr Gesicht verlieren, unmöglich zustimmen kann. Es ist schon erstaunlich, dass sich die deutschen Medien im Konflikt USA / Iran ausschließlich auf die sogenannte Bedrohung durch die (nicht existenten) Atomwaffen des Irans beschränken und die wirklichen Hintergründe, die Präsident Bush und seine Regierung bewegen, in keiner Weise angesprochen, ja überhaupt erwähnt werden. Wie es scheint, ist mit dem Regierungsantritt von Angela Merkel die Berichterstattung zum Thema USA in der Süddeutschen Zeitung merkwürdig unkritisch, lückenhaft und kaum noch investigativ geworden ist.

Beim Krieg gegen den Irak ging und geht es den USA in erster Linie nicht um so hehre altruistische Themen wie Frieden, Demokratie und Freiheit, das weiß mittlerweile jeder denkende und fühlende Mensch. Die jetzt bekannt gewordenen Massaker an der Zivilbevölkerung durch den viehischen Terror einer entmenschten US-amerikanischen Soldateska belegen dies auf traurigste Art.
 
Will man die wahren Hintergründe des gegenwärtigen Konflikts der USA mit dem Erdöl-Land Iran erkennen, muss man zwei wichtige und entscheidende wirtschaftliche Fakten berücksichtigen, muss man tiefer gehen, als Stefan Kornelius dies tut. So erwähnt der Autor mit keinem Wort das sogenannte „Peak Oil“, die schrumpfende Höchstfördemenge von Erdöl. Führenden unabhängigen Geologen zufolge ist das Zeitalter von billigem, reichlich zur Verfügung stehendem Öl wahrscheinlich vorbei. Zumindest haben die bekannten großen Ölfördergebiete ihre Spitzenkapazität überschritten. Trotz teurer technischer Maßnahmen (schon jetzt werden in Saudi-Arabien täglich Millionen Liter Meerwasser in den Wüstensand gepumpt, um den für die Ölförderung nötigen Druck zu erhalten) wird die Förderleistung rapide sinken. Diese Realität wird in der allgemeinen Diskussion verschwiegen, vor allem die US-Regierung versucht dies zu verbergen, denn sie hat ein strategisches Interesse daran, der Weltöffentlichkeit zu verschweigen, wie kritisch es um die Ölreserven steht. Auf Grund kompetenter Schätzungen international angesehener Geologen (z. B. des French Petroleum Institute, der Colorado School of Mines, der Uppsala University und von Petroconsultants in Genf) werden wir die Auswirkungen der rückläufigen Ölreserven bis zum Ende dieses Jahrzehnts oder sogar früher drastisch zu spüren bekommen. Dann wird die Weltwirtschaft am Abgrund stehen.
 
Das ist der eine sehr wichtige Punkt. Der zweite, ebenso wichtige, vielleicht sogar entscheidende, ist die Tatsache der geplanten iranischen Ölbörse. In den deutschen US-nahen Medien wurde verschwiegen, dass kurz nacheinander Rußland und der Iran angekündigt haben, ihre Energiereserven künftig über eigene Ölbörsen zu vermarkten. Damit soll die historische Abhängigkeit vom US-Dollar gelockert werden. Dies könnte zum Todesstoß für den US-Dollar werden, denn diese Ölbörsen würden den unausweichlichen Kollaps des Dollars auslösen. Nur eine Woche nachdem US-Vizepräsident Richard Dick Cheney die russische Staatsführung von Vilnius aus scharf kritisiert hatte, kündigte Präsident Wladimir Putin am 10. Mai überraschend an, den Rubel schon zum 1. Juli konvertibel zu handeln. Damit ist der erste Schritt hin zu einer russischen Ölbörse getan.
 
Der Iran folgte dem Beispiel. Binnen zweier Monate will die Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad eine eigene Ölbörse auf der Insel Kish am Golf eröffnen. Die 91 qkm große Sonderwirtschaftszone tritt dann in direkte Konkurrenz zu Dubai, dem Finanzzentrum der mit Washington verbündeten Arabischen Emirate. Zugleich erklärte Ahmadinedschad, den Ölhandel vom US-Dollar auf den Euro umzustellen. Die Entwicklung wird international - und besonders in den Ölstaaten - mit Interesse verfolgt. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez sagte kürzlich im britischen Fernsehen, dass sein Land einen ähnlichen Schritt erwäge. Venezuela ist der fünftgrößte Erdölexporteur der Welt. Was würde die Abwendung vom Petrodollar bedeuten, welche Folgen für die amerikanische Wirtschaft hätte es, wenn vielleicht sogar die Mehrzahl der ölfördernden Staaten den Verkauf ihres Erdöls nicht mehr in Dollar sondern in Euro abwickelten? Um den ganzen Konflikt in seiner Bedeutung zu erkennen, muss man einen Blick in die Geschichte werfen.
 
Im frühen 20. Jahrhundert begann die amerikanische Wirtschaft, die Weltwirtschaft zu dominieren. Der US-Dollar war an Gold gebunden, d. h. weder erhöhte noch reduzierte sich der Wert eines Dollars, sondern er entsprach fortwährend derselben Menge an Gold. Die Weltwirtschaftskrise, mit der in den Jahren 1921 bis 1929 vorausgehenden Inflation - d. h. Ausweitung der Geldmenge – und den nachfolgenden explodierenden Budgetdefiziten, erhöhte die im Umlauf befindlichen Banknoten ganz erheblich, was die Deckung des Dollars mit Gold unmöglich machte. Folglich entkoppelte US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1932 den Dollar vom Gold. Bis zu diesem Punkt mögen die USA wohl die Weltwirtschaft dominiert haben, aus einer ökonomischen Perspektive waren die USA jedoch weit von der angestrebten Weltherrschaft entfernt. Die Bindung an das Gold erlaubte es den Amerikanern nicht, sich auf Kosten anderer Länder zu bereichern.
 
Die ökonomische Geburtsstunde der amerikanischen Weltherrschaft begann mit dem Bretton-Woods Abkommen im Jahre 1945. Der US-Dollar war nicht mehr voll in Gold konvertierbar, sondern nurmehr für ausländische Regierungen in Gold konvertierbar. Das begründete den Status des Dollars als Weltwährungsreserve. Dies war möglich, weil die Vereinigten Staaten während des 2. Weltkrieges gegenüber ihren Verbündeten darauf bestanden, dass Güterlieferungen mit Gold bezahlt werden mussten, wodurch die USA einen Großteil des weltweit verfügbaren Goldes akkumulieren konnten. Der Griff nach der (ökonomischen) Weltherrschaft wäre niemals möglich gewesen, wenn, wie im Bretton Woods Abkommen festgeschrieben, die Geldmenge des Dollars derart begrenzt geblieben wäre, dass eine Rückwechslung des Dollars in Gold möglich geblieben wäre. Allerdings entsprach die „Butter und Kanonen“-Politik der 1960er Jahre bereits einer imperialen Politik: die Geldmenge des Dollars wurde schonungslos erweitert, um den Vietnamkrieg und Lyndon B. Johnsons „Great Society“ zu finanzieren. Der Großteil der Dollars floss im Austausch für Güter ins Ausland, ohne dass die USA jemals ein ehrliches Interesse daran gehabt hätten, die US-Dollars zum selben Wert zurückzukaufen. Die ständigen Handelsbilanzdefizite führten zu einem Anstieg der Beteiligungen in US-Dollar von Ausländern. Das ist gleichbedeutend mit einer Steuer - die klassische Inflationssteuer, die ein Land seinen eigenen Bürgern auferlegt. Und dieses Mal belegten die Vereinigten Staaten den Rest der Welt damit.
 
Als die Ausländer 1970-1971 ihre Dollarbestände in Gold wechseln wollten, bezahlte die amerikanische Regierung per 15. August 1971 ihre Schulden nicht mehr. Während die vox populi die Geschichte von der „Trennung der Verbindung von Dollar und Gold“ erzählt, ist die Weigerung der amerikanischen Regierung, Dollars in Gold einzulösen, in der Realität eine Form des Bankrotts. Damit hatte Amerika im Wesentlichen die Weltherrschaft erreicht. Die USA konsumierten eine Unmenge an ausländischen Gütern, ohne jemals die Absicht oder die Fähigkeit zu haben, diese Güter eines Tages zurückzusenden und die Welt hatte nicht die Macht, ihre Ansprüche durchzusetzen - die Welt wurde besteuert und konnte nichts dagegen tun. Um das amerikanische Imperium aufrechtzuerhalten und um den Rest der Welt weiter zu besteuern, mussten die Vereinigten Staaten seither die Welt dazu zwingen, den beständig an Wert verlierenden Dollar im Austausch für Güter zu akzeptieren und immer größere Menge des beständig an Wert verlierenden Dollars zu halten. Die USA mussten eine ökonomische Begründung finden, warum die Welt Dollars halten sollte und diese Begründung war das Rohöl.
 
1971 wurde es immer offensichtlicher, dass die amerikanische Regierung nicht mehr imstande war, ihre Dollars mit Gold zurückzukaufen, und so traf sie 1972/73 mit Saudiarabien die unumstößliche Vereinbarung, dass die USA das Königshaus Saud fortan unterstützen würden, wenn dieses als Gegenleistung nurmehr US-Dollars für ihr Rohöl akzeptierte. Die restlichen OPEC-Mitglieder taten es Saudiarabien gleich und akzeptierten ebenfalls nurmehr Dollars. Weil die Welt Öl von den Arabischen Ländern kaufen musste, bestand ein Grund, Dollars für die Bezahlung des Öls zu halten. Weil die Welt immer größere Mengen an Öl benötigte, konnte die Nachfrage nach Dollars nur steigen. Auch wenn der Dollar nicht mehr länger in Gold gewechselt werden konnte, waren er nun gegen Öl wechselbar.
 
Die ökonomische Quintessenz dieser Vereinbarung war, dass der Dollar nun von Öl gedeckt wurde. Solange dies der Fall war, musste die Welt Unmengen an Dollars akkumulieren, weil sie diese Dollars für den Einkauf von Öl benötigte. Solange der Dollar die einzig akzeptierte Währung im Ölgeschäft war, war die Dominanz des Dollars in der Welt gesichert. Falls, aus welchem Grund auch immer, der Dollar seine Öldeckung verlöre, würde das amerikanische Weltreich untergehen. Der Überlebensdrang des Imperiums diktiert daher, dass Öl nur für Dollar verkauft werden darf. Er diktiert auch, dass die verschiedenen Länder mit Ölvorkommen weder politisch noch militärisch stark genug sein dürfen, um für die Bezahlung des Öls etwas anderes als Dollars zu verlangen. Falls jemand ein anderes Zahlungsmittel verlangte, musste er entweder durch politischen Druck oder militärische Mittel dahingehend überzeugt werden, dass er seine Meinung änderte.
 
Der Mann, der tatsächlich Euro für sein Öl verlangte, war Saddam Hussein im Jahr 2000. Als es klar wurde, dass er es ernst meinte, wurde politischer Druck ausgeübt, damit er seine Meinung änderte. Als andere Länder, wie der Iran, die Bezahlung in anderen Währungen, insbesondere in Euro und Yen, verlangten, war die Gefahr für den Dollar offensichtlich und gegenwärtig und eine Strafaktion stand an. George W. Bushs Operation „shock and awe“ im Irak drehte sich also nicht um Saddams nukleares Potential, noch um die Verteidigung der Menschenrechte oder die Verbreitung der Demokratie und auch nicht darum, die Ölfelder zu erobern; es ging allein darum, den Dollar, also die amerikanische Weltherrschaft, zu verteidigen. Es sollte ein mahnendes Exempel statuiert werden, dass jeder, der andere Währungen als den US-Dollar akzeptieren wollte, auf dieselbe Art bestraft würde. Bush mußte den Irak angreifen, um sein Imperium zu verteidigen. Und so geschah es: zwei Monate nachdem die Vereinigten Staaten in den Irak einmarschiert waren, wurde das „Oil for Food“ Programm beendet, die auf Euro lautenden irakischen Konten in Dollar-Konten rückgewandelt und das Öl wurde wieder nur für US-Dollars verkauft. Die Welt konnte nun nicht mehr irakisches Öl mit Euro erwerben. Die globale Vormachtstellung des Dollars war wiederhergestellt. Siegreich stieg Bush aus einem Kampflugzeug aus und erklärte die Mission für vollendet - er hatte den US-Dollar und damit das amerikanische Imperium erfolgreich verteidigt.
 
Die iranische Regierung nun hat schlussendlich die ultimative „nukleare” Waffe entwickelt, die über Nacht das Finanzsystem zerstören kann, auf dem das amerikanische Imperium aufgebaut ist. Diese Waffe ist die iranische Ölbörse. Die Börse wird auf einem Euro-Öl-Handelssystem basieren, was natürlich die Bezahlung in Euro impliziert. Dies stellt eine viel größere Bedrohung für die Hegemonie des Dollars dar als seinerzeit Saddam, gegen den man ja Sanktionen und ein Embargo erwirkt hatte. Der Iran ist (noch) ein freies Land, das es jedermann ermöglicht, Öl für Euro zu kaufen und zu verkaufen und damit den US-Dollar völlig zu umgehen. Es ist wahrscheinlich, dass viele erdölfördernde Staaten das Euro-Öl-System übernehmen werden und dadurch das Schicksal des Dollars besiegeln könnten. Die Amerikaner können es daher niemals erlauben, dass das passiert und, falls notwendig, werden sie alles unternehmen, um die Inbetriebnahme der Börse zu stoppen oder zu behindern.
 
Der Iran hat die Wahl, meint Stefan Kornelius. Nein, ich denke, der Iran hat überhaupt keine Wahl. Sein Präsident weiß, dass der Krieg kommen wird und es könnte ein Atomkrieg werden, geht es nach den Falken im Pentagon. Denn die USA können es sich gar nicht leisten, den Iran nicht anzugreifen. Bush hat aber aus dem dilettantisch vorbereiteten Irak-Krieg gelernt, zumal die USA von zwei Golfkriegen finanziell ausgeblutet sind. Dieses Mal wird die ganze pro-amerikanische Welt eingebunden werden - notfalls durch einen weiteren inszenierten „Terroranschlag“ à la 9.11. „motiviert“ - für den dann der Iran als Drahtzieher ausgemacht werden wird. Schon jetzt wird deshalb der Iran systematisch dämonisiert und als eine Bedrohung für die gesamte Welt denunziert; man hatte ja schon lesen können, dass iranische Atomraketen sogar die Bundesrepublik Deutschland erreichen würden. Diese Mal wird (vielleicht unter der schlagkräftigen Führung Israels) eine neue „Koalition der Willigen“ (und dank unserer glorreichen Kanzlerin mit Beteiligung der Deutschen) für die massiven geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der USA die Kartoffeln aus dem Feuer holen und damit einen Weltenbrand hervorrufen.
 
Johannes Klier,  D-84332 Hebertsfelden
 
Der obige Brief ist eine Stellungnahme zu dem Artikel von Stefan Kornelius: „Iran hat die Wahl“ in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung Nr. 126 / Freitag, 2. Juni 2006 / Seite 4