Strategiebericht und Stärkung der direkten Demokratie - Parlamentarische Vorstösse

Auf das Ende der Juni-Session der Eidgenössischen Räte hat Nationalrat Ulrich Schlüer drei Parlamentarische Initiativen eingereicht. Jene, die vom Bundesrat für jede Legislaturperiode einen dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreitenden Strategiebericht fordert, wurde von der SVP-Fraktion zur Fraktions-Initiative erklärt. Zwei weitere, persönlich eingereichte Initiativen verlangen Massnahmen im Sinne einer Stärkung der direkten Demokratie.

Die drei Vorstösse lauten zusammen mit ihren Begründungen wörtlich wie folgt:
 
Parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion
Strategiebericht als Grundlage der Sicherheitspolitik der Schweiz
Gestützt auf Art. 160, Abs. 1 der Bundesverfassung und auf Art. 107 des Parlamentsgesetzes reicht die SVP-Fraktion folgende Parlamentarische Initiative ein:
 
Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung in jeder Legislaturperiode einen sicherheitspolitischen Strategiebericht. Dieser Strategiebericht geht von einer umfassenden Lagebeurteilung aus, die danach als Grundlage für eine Bedrohungsanalyse für die Schweiz insgesamt sowie für eine Gefährdungsanalyse von Installationen, Einrichtungen, exponierten Positionen usw. in der Schweiz dient. Der Strategiebericht hat sodann die Bedürfnisse festzuhalten, die für die Bewahrung von Unabhängigkeit, Freiheit und Neutralität des Landes erforderlich sind. Auf diesen Grundlagen ist als nächstes die Einsatzdoktrin für die Schweizer Armee zu formulieren, woraus die Erfordernisse bezüglich Ausbildung, Ausrüstung und Übungen der Armee abzuleiten sind. Der Bericht ist dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten.
 
Begründung
Nach dem Fall der Berliner Mauer setzte sich an der Spitze der Schweizer Armee angesichts grosser Unsicherheit über die damals zu erwartende weltpolitische Entwicklung zunächst die Meinung durch, die Schweizer Armee bedürfe nach Überwindung des Kalten Kriegs keiner Einsatzdoktrin mehr. Dieser Verzicht auf eine Einsatzdoktrin bewirkte weitherum Verunsicherung bezüglich der künftigen Aufgaben der Armee. Eine Tatsache, die auch dafür verantwortlich sein dürfte, dass das Verteidigungsbudget überdurchschnittliche Kürzungen zugunsten anderer Bundesaufgaben, auch solche eher sekundärer Bedeutung, erfahren musste.
 
Die Suche nach neuen Verwendungszwecken für die Armee, z.B. in Form subsidiärer Einsätze im Rahmen von überregionalen und nationalen Sport- und anderen Veranstaltungen konnte diese Entwicklung ebensowenig stoppen wie die Propagierung des Slogans «Sicherheit durch Kooperation», der die künftige Aufgabe der Armee im Rahmen derart pauschal deklarierter Kooperation für viele als allzu diffus erscheinen liess. Die Ausklammerung einer auf die Sicherheitsbedürfnisse der Schweiz ausgerichteten Strategie-Diskussion sowie der Verzicht auf die Formulierung einer Armeedoktrin beeinflusst die Wehrbereitschaft in der Bevölkerung zunehmend negativ. Deutlich sichtbar wurde der Mangel an einer kohärenten schweizerischen Sicherheitsstrategie im Rahmen der vom geplanten «Entwicklungsschritt 08/11» ausgehenden «Aufwuchs-Diskussion». Ein Reformpapier, das zwar ein reichhaltiges Nebeneinander sicherheitspolitischer Möglichkeiten auflistet und zu jeder dieser Möglichkeiten im Sinne von gegebenenfalls zu realisierendem Aufwuchs den Bedarf an Mannschaft, Material und Ausbildung nennt, das aber zwischen den skizzierten Szenarien kaum zu gewichten in der Lage ist, kann für eine Armee der Zukunft, die von der Bevölkerung breit mitgetragen werden kann, keine tragbare Grundlage abgeben.
 
Diese Situation kann vor dem Hintergrund von weltpolitischen Entwicklungen, welche die internationale Sicherheitslage keineswegs als stabil erscheinen lassen, nicht länger hingenommen werden. Damit die Schweizer Bevölkerung das Vertrauen in die schweizerische Sicherheitspolitik zurückgewinnt, ist eine breit geführte Strategie-Diskussion dringend. Diese wird in Gang gesetzt, wenn der Bundesrat dem Parlament einmal pro Legislaturperiode einen Strategie-Bericht zu unterbreiten hat.
 
Parlamentarische Initiative Schlüer
Demokratisch getroffene Entscheide sind gerichtlich unanfechtbar
Gestützt auf Art. 160, Abs. 1 der Bundesverfassung und Art. 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein:
 
Es ist in der Bundesverfassung der Grundsatz zu verankern, wonach demokratisch - je nach Zuständigkeit von Parlamenten oder vom Souverän - getroffene Beschlüsse auf gerichtlichem Weg nicht angefochten werden können. Die gegenwärtig gewährleisteten Rechtsmittel gegen Verfahrensmängel bleiben unangetastet.
 
Begründung
Die schweizerische Bundesverfassung hat die direkte Demokratie zur Staatsordnung der schweizerischen Eidgenossenschaft erklärt. Die direkte Demokratie beruht auf dem Grundsatz, wonach der von der Mehrheit im Rahmen der Verfassungsordnung getroffene Entscheid gilt, was auch von der unterlegenen Minderheit respektiert wird. Dieses Grundprinzip demokratischen Staatsverständnisses ist in der Schweiz zweifellos tief verankert. Die historische Erfahrung hat gezeigt, dass diese Form der Demokratie dank dem maximal ausgebauten Mitgestaltungsrecht der Bürgerinnen und Bürger der Schweiz zu ausserordentlicher Stabilität verholfen hat.
 
Für den Entscheidungsprozess in der direkten Demokratie sind die folgenden Grundsätze massgebend:
 

  1. Er erfolgt im Rahmen einer seit Jahrzehnten eingespielten, von niemandem ernsthaft angezweifelten Gewaltentrennung, womit Machtballung verhindert, dem Mitbestimmungsrecht jedes einzelnen Bürgers dagegen höchstmögliche Achtung gesichert wird. Im Rahmen der Gewaltentrennung werden Gesetze von der Legislative beschlossen. Die Judikative wacht über die korrekte Anwendung der Gesetze, schafft selbst aber keine Gesetze.

 
  1. Kein demokratisch getroffener Entscheid hat den Charakter des Unkorrigierbaren, Unabänderlichen. Sowohl der Exekutive als auch dem Parlament stehen - auf eidgenössischer wie auf kantonaler Ebene - jederzeit Möglichkeiten offen, aufgrund neuer Entwicklungen oder neuer Erkenntnisse auf parlamentarischem Weg eine Änderung geltenden Rechts demokratisch herbeizuführen. Auch der Stimmbürger, auch der in einer Abstimmung gegebenenfalls unterlegene Stimmbürger, kann mit dem Mittel der Volksinitiative die geltende Ordnung auf demokratischem Weg wieder zur Diskussion stellen, Änderungen beantragen und zur Abstimmung bringen. Dieser Flexibilität ist es zu verdanken, dass in der Schweiz aus einer in einer Volksabstimmung unterlegenen Partei nie eine unterdrückte Partei geworden ist. Eine Tatsache, die ganz wesentlich zur Stabilität der Eidgenossenschaft und zur breiten Anerkennung ihrer direkten Demokratie beigetragen hat.

 
Auf der Grundlage dieser politischen Erfahrung und in Anerkennung des demokratischen Prinzips ist es nicht bloss unnötig, sondern recht eigentlich stossend, wenn demokratisch einwandfrei nach Verfassung getroffene Entscheide auf gerichtlichem Weg bestritten oder die Umsetzung des demokratischen Willens gar hintertrieben werden kann. Wer die Demokratie achtet, findet keinen stichhaltigen Grund, demokratisch getroffene Entscheide in Frage zu stellen und damit das unserem Land Stabilität, Freiheit und Rechtsordnung sichernde demokratische Prinzip zu schwächen. Im Interesse der direkten Demokratie ist deshalb in der Bundesverfassung zu verankern, dass ein nach den geltenden demokratischen Regeln getroffener Entscheid auf gerichtlichem Weg nicht angefochten werden kann.
 
Parlamentarische Initiative Schlüer
Verfassungsgrundlage für die Konferenz der Kantonsregierungen
Gestützt auf Art. 160, Abs. 1 der Bundesverfassung und Art. 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende Parlamentarische Initiative ein:
 
Für Stellung, Funktion und Kompetenzen der Konferenz der Kantonsregierungen ist eine Verfassungsgrundlage zu schaffen.
 
Begründung
Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und die ihr zugehörigen Fachkonferenzen (Konferenz der Erziehungsdirektoren, der Justizdirektoren usw.) waren ursprünglich wohl als Konsultativ- und Orientierungsorgan gedacht, in dem sich die Regierungen der Kantone durch ihre Präsidenten oder Fachdirektoren zu gemeinsam interessierenden Fragen aussprachen und orientierten. Dies hat sich - sofern es in reiner Form je bestanden hat - längst grundlegend geändert. Sowohl im Gesetzgebungsprozess, längst nicht mehr nur auf kantonaler Ebene, zunehmend aber auch zur direkten Beeinflussung der eidgenössischen Politik, hat die KdK an Bedeutung markant gewonnen. Auf der Ebene der eidgenössischen Politik wächst die KdK allmählich in Kompetenzbereiche hinein, die von der Bundesverfassung her eigentlich dem Ständerat zugedacht sind. Rein verfassungsrechtlich steht die KdK dem Bund indessen noch immer wie eine NGO gegenüber. Das ist auf die Länge nicht haltbar. Dies um so weniger, als die KdK «im Namen der Kantone» zunehmend auf die eidgenössische Politik einwirkt, ohne  dass im geringsten geklärt ist, wodurch sie zu derart etikettiertem Positionsbezug legitimiert ist. Nicht selten stehen hinter Stellungnahmen, die von der KdK «im Namen der Kantone» abgegeben worden sind, weder Beschlüsse von kantonalen Parlamenten noch von kantonalen Stimmbürgern. Dieses Fehlen eindeutiger Legitimität sollte korrigiert werden. Dabei ist festzuhalten, dass die Existenz der KdK eine Tatsache ist, an der weder gerüttelt werden kann noch gerüttelt werden soll. Nötig aber ist, Stellung, Funktion und Kompetenzen der KdK in einem Artikel der Bundesverfassung festzulegen und durch die Stimmbürger genehmigen zu lassen.
 
Ulrich Schlüer, Nationalrat
Schweizerzeit vom 30. 6. 06
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