Unkontrollierte Kontrolle - Biometrie und Videotechnik können zur Totalüberwachung der Gesellschaft führen - von Ulla Jelpke *

Überwachung und Kontrolle haben ein Ausmaß erreicht, das sich kaum noch kontrollieren läßt. Einzelne Bürgerinnen und Bürger können nur wenig Einfluß darauf nehmen, welche Daten von wem gespeichert und verwertet werden. So hat man kaum eine Chance, der um sich greifenden Videoüberwachung zu entgehen. Diese Art der Kontrolle ist einer der größten Wachstumsmärkte im Überwachungsgewerbe. Die Industrie rechnet weltweit mit einer Verdoppelung der Umsätze auf 8,6 Milliarden US-Dollar bis 2010, für den deutschen Markt sind 455 Millionen Euro angepeilt. Die Totalkontrolle öffentlicher Räume dürfte in Großbritannien am weitesten fortgeschritten sein. In London werden die Verkehrsströme so genau erfaßt, daß sich einzelne Fahrzeuge fast lückenlos auf dem Bildschirm verfolgen lassen. Auch in Deutschland sind mittlerweile in nahezu jeder Stadt zentrale Plätze mit Kameras gespickt.

Feldversuch« in Mainz
Moderne Kameras können dabei erheblich mehr leisten, als die verwackelten Bilder von den mutmaßlichen »Kofferbombern« vor einigen Wochen hergaben. In einigen Ländern, so in Südafrika und in Nordirland, sind bereits Kameras im Einsatz, die noch auf drei Kilometer Entfernung gestochen scharfe Farbbilder liefern. In den Kinderschuhen steckt zur Zeit noch die Möglichkeit, einzelne Personen, deren (Fahndungs-)Fotos vorliegen, aus größeren Menschenmengen herauszuscannen. Der automatisierte Gesichtsabgleich klappt derzeit nur mit einer Obergrenze von 50 Personen, bei 500 liegt die Fehlerquote noch bei 50 %. Das Bundeskriminalamt (BKA Berlin) unternimmt zur Zeit einen Feldversuch auf dem Hauptbahnhof in Mainz. »Um die Produkte verschiedener Hersteller unter realistischen Bedingungen zu testen, werden Fotos von Testteilnehmern in den Systemen gespeichert. Die Gesichter sollen automatisch in der Menschenmenge am Bahnhof wiedererkannt werden«, so das BKA. Die Perspektive zielt auf ein großflächig vernetztes Überwachungssystem, das es verschiedenen Behörden erlaubt, die von ihnen Gesuchten zu orten. Denkbar wäre ein solcher Ansatz nicht nur bei flüchtigen Straftätern, sondern auch bei Demonstranten auf dem Weg zur Kundgebung und bei Asylbewerbern, die ihre Residenzpflicht verletzen.
 
Die EU fördert seit April 2006 mit zwölf Millionen Euro das Projekt 3D-Face, das die dreidimensionale Erfassung von Gesichtern ermöglichen soll. Bisherige Fehlerquellen wie Lichteinfall und Kamerawinkel entfallen dann. Die Projektleitung liegt bei der französischen Rüstungs- und Sicherheitsfirma Sagem Défence Sécurité. Die biometrische Erfassung der Gesamtbevölkerung wurde bereits mit dem neuen elektronischen Reisepaß eingeleitet. In den kommenden Jahren müssen alle, die einen Paß beantragen oder verlängern wollen, Fingerabdrücke abgeben und ihre Iris scannen lassen.
 
Ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich mit den RFID-Chips. Die auf ihnen gespeicherten Daten lassen sich auch heimlich auslesen. Ein direkter Kontakt mit einem Lesegerät ist dabei nicht nötig, und das Gerät selbst ist als solches nicht unbedingt erkennbar. Batteriebetriebene Chips können bis auf Entfernungen von 1000 Metern ausgelesen werden, bei kleineren reduziert sich der Abstand auf einige Meter. Die Wirtschaft wirbt damit, das Einkaufen in Supermärkten werde vereinfacht: Die Waren werden einfach im Wagen an der Kasse vorbeigeschoben und vom Lesegerät erfaßt, das den Preis errechnet. Allerdings läßt sich kaum nachprüfen, ob der Chip sich danach tatsächlich von selbst zersetzt. Die Chips können auch in Gewebe eingenäht werden, ohne erkennbar zu sein. Perspektivisch ließe sich so kontrollieren, wer welche Gegenstände mit sich führt und wohin er unterwegs ist. In den USA laufen Projekte, auch Menschen solche Chips unter die Haut zu implantieren.
 
Abhören - ein alter Hut
In etlichen Großstädten sind wiederaufladbare Fahrkarten mit RFID-Chips ausgestattet. In London benutzen Millionen Menschen täglich die sogenannte Oyster-Card. »Die Karte speichert nicht nur die Bezahlung, sondern auch die Reise des Benutzers quer durch die Stadt«, berichtete BBC Ende Mai dieses Jahres. Eher ein alter Hut ist das Abhören von Telefonen und das Mitlesen von E-mails. Die Zahl der gerichtlich angeordneten Telefonüberwachungen in Deutschland steigt Jahr für Jahr, 2005 lag sie bei 42’508. Das US-System Echelon überprüft rund um den Globus Telefongespräche und E-mails auf verdächtige Schlüsselwörter. Sogenannte IMSI-Catcher sind bereits heute Standardmittel der Polizei, um den Aufenthaltsort eines Handys bzw. seines Nutzers zu ermitteln. Die Handygesellschaft kann zumindest bei angeschalteten Mobiltelefonen jederzeit erfassen, wo sich das Gerät befindet. Ab dem kommenden Jahr sollen gemäß einer EU-Richtlinie sämtliche Provider dazu verpflichtet werden, die Verbindungsdaten von Internet- und Telefonnutzern auf Vorrat zu speichern und staatlichen Behörden auf Verlangen Einsicht zu gewähren.
 
Wie die Junge Welt vom 28. 9. 2006 schreibt, bilden die deutschen ‚Antiterrorgesetze’ eine Art von Horrorkatalog. Seit 2002 wurden die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten mehrfach erweitert, so dass Geheimdienste ohne jeden Anfangsverdacht im Leben all jener herumschnüffeln können, die in angeblich sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten. Auch erhielten die Geheimdienste mehr Rechte, Bankkonten und Telefonverbindungen abzufragen. Das Bundeskriminalamt kann bundesweit von Behörden Daten zur Rasterfahndung erheben.
Im Juli 06 hat die Bundesregierung das »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz« beschlossen, das noch dem Bundestag vorgelegt werden muß. Es schränkt die Grundrechte weiter ein und enthält u.a. folgende Möglichkeiten: Die Befugnisse von Militärischem Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst werden an diejenigen des Verfassungsschutzes angeglichen; geplant ist der automatisierte Abruf von Konto-Stammdaten; Geheimdiensterkenntnisse aus Banken- und Telefonüberwachung können im Inland eingesetzt werden, wenn sie »zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen« dienen, die die »Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern«, so die dehnbare Formulierung.
Mit dem gleichen vagen Verdacht können IMSI-Catcher eingesetzt werden, mit denen sich feststellen läßt, welche Wege ein Handynutzer zurücklegt. Darüber hinaus will die Bundesregierung in einer Antiterrordatei den Datenaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten erleichtern. Gespeichert werden sollen auch Religionszugehörigkeit, Reisebewegungen und Kontaktpersonen. Die Voraussetzungen für die Speicherung sind auch hier äußerst dehnbar formuliert.
 
Kommentar von politonline: Die Passivität - wozu eine zu vermutende Gleichgültigkeit gehören dürfte - mit der die Parlamentarier und Regierungsmitglieder uns diesen Eingriffen in unsere Persönlichkeit aussetzen, ist erschütternd. Die EU-Bürger bezahlen ein hochdotiertes Parlament in Strassburg, das ganz offensichtlich nicht begreifen will, was hier im Gange ist oder aber von einer derartigen Ignoranz ist, dass es - zusammen mit unseren Volksvertretern - sofort abzuwählen wäre. Höchst bedenklich ist allerdings auch, wie ein grosser Teil der Bevölkerung auf Slogans, die dieser vor allem von Industrie und Wirtschaft geboten werden, hereinfällt. Dazu gehört, wie oben vermerkt, das angeblich erleichterte Einkaufen in den Supermärkten. So unterwirft sich der Staat Schritt um Schritt seine Bürger. Das Thema der totalen Überwachung der Menschen ist wiederholt aufgegriffen worden. Dennoch scheint es fast niemanden gross zu beschäftigen und oder gar dazu zu veranlassen, sich über diese Strategie und ihre Folgen Gedanken zu machen. Ganz im Gegenteil, man schreckt nicht einmal auf. Es wird immer noch zu wenig bedacht, dass von den Geheimdiensten inszenierte Terrorakte die Bevölkerung derart einschüchtern sollen, dass sie die oben geschilderten Massnahmen willig akzeptiert. Allerdings ist hier mit unseren ‚Volksvertretern’, die nichts gegen diese Massnahmen unternehmen, am härtesten ins Gericht zu gehen, denn ihre Aufgabe wäre es, zu verhindern, dass wir zu dem von höchster Warte vorprogrammierten total überwachten Bürger werden, da wir sie auch unter dem Aspekt gewählt haben, uns zu beschützen, ein Auftrag, den sie offensichtlich völlig vergessen haben, denn sie werden, wie zu erkennen ist, dieser Aufgabe immer weniger gerecht.
 
Im Prinzip hat es der US-Kongressabgeordnete Ron Paul im August 2004 sehr gut formuliert: »Nur eine totalitäre Gesellschaft würde die absolute Sicherheit als erstrebenswertes Ideal einfordern, da durch eine solche die totale Kontrolle des Staates über das Leben seiner Bürger notwendig würde. Freiheit wird nicht durch Sicherheit definiert. Freiheit definiert sich durch die Fähigkeit der Bürger, ohne Einmischung des Staates zu existieren.« Dessen ungeachtet ist seine eigene Regierung längst im Begriff, das besagte Mass an Sicherheit durch ‚freiheitsraubende’ Gesetze zu erzielen, wobei man nicht umhin kann festzustellen, dass sich in der EU offensichtlich willige Nachahmer finden, die, wie gesagt, auch infolge der Gleichgültigkeit der Bürger ungehindert voranschreiten können.
    
Interessant hierzu lesen sich die Ausführungen von Topic vom Juli 2006: < Unter dem Deckmäntelchen der Terrorbekämpfung will die EU-Kommission das Rechtssystem zentralisieren. Wie deren  Präsident José Manuel Barroso sagte, riefen ‚die Bürger im Kampf gegen den Terror und das organisierte Verbrechen nach mehr Europa. Es ist unsere Pflicht, diesem Ruf nachzukommen - mit oder ohne Verfassung.’> Von Rufen dieser Art ist  nicht das Mindeste zu vernehmen, sie stellen eher eine reine Eigenfolgerung Herrn Barrosos dar und dürften daher als eine Art von Erfindung seine Phantasie bevölkern. Der EU-Bürger leidet ohnedies schon gewaltig unter der ausufernden Gesetzgebung Brüssels. Topic schreibt weiter: <Brüssel strebt ein umfassendes Rechtssytem an, das über den nationalen Gesetzen der EU-Länder steht und nach dem strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden kann. Dazu gibt es schon die EU-Strafverfolgungsbehörde Eurojust und die EU-Polizei Europol, die die EU-Gesetze durchsetzen sollen. Brüssels Marschroute ist klar: Es will Schritt für Schritt nationale Regierungen kaltstellen und auf eigene Faust für selbst ausgedachtes Recht und für selbst festgelegte Ordnung sorgen. Doch wer sind die Mächtigen in Brüsssel, die über 460 Millionen Europäer herrschen wollenDas eigentliche Entscheidungsgremium in der ‚EU-Regierung’ ist der Ministerrat, der sich aus den EU-Regierungschefs zusammensetzt. Nur er allein kann letztendlich beschliessen, was in Europa zum Gesetz wird.  Die EU-Kommission mit ihren 26 Kommissaren muss das Beschlossene umsetzen, hat aber ihrerseits auch das Recht, Gesetzesvorschläge zu machen. Mit diesem Aufgabenmix aus Exekutiv- und Legislativpflichten ist die Kommission aber de facto eine Regierung. […..] Doch dieses Regierungsmonstrum kann kein Bürger mit seiner demokratischen Stimme dirigieren. Die ‚EU-Regierung’ ist nicht direkt wählbar. Was die EU-Bürger wählen können, ist das EU-Parlament in Strassburg. Dieses hat die Aufgabe, die Kommission lediglich zu überwachen und zu begleiten Autorität, gegen die Kommission handfest einzuschreiten, hat es kaum. In Brüssel sitzt somit eine scheinbar allgewaltige Zentralregierung, die machen kann, was sie will.> Und die uns folglich auch ungehindert erzählen kann, was sich der Bürger angeblich wünscht. Es erwarte niemand, dass sich unter den Abgeordneten eine genügend grosse Anzahl von Verantwortlichen zusammenfände, um sich gegen diese Art von vorgegebenen Meinungen zur Wehr zu setzen.
 
Ob Weitergabe von persönlichen Daten der Fluggäste an die USA, ob Überwachung durch Echelon - das der USA den Zugang zum gesamten globalen Kommunikationsnetz ermöglicht und auch moderne Telekommunikationsbereiche, wie Internet, E-Mail, Mobilfunk, kontrolliert - wir sind praktisch auf allen Ebenen preisgegeben, ohne dass unsere ‚Volksvertreter’ daran Anstoss nehmen würden. Was uns sonst noch droht, sind implantierbare Mikrochips, die bei Hunden bereits ausprobiert werden, in der BRD auch schon bei Patienten, indem man diesen erklärt, wie positiv es doch sei, im Krankheitsfall resp. bei einem Unfall die Daten sofort zur Verfügung zu haben. In einem Artikel der Arizona Republic wurde sogar die Meinung veröffentlicht, man solle in Betracht ziehen, auch Kindern elektronische Chips einzupflanzen, damit die Eltern sie bei jeder Gelegenheit via Satellitensignal wiederfinden können. Von da bis zur Praxis, implantierte Chips auf alle Menschen auszudehnen, wird es - so steht bei anhaltender Gleichgültigkeit diesen Themen gegenüber zu befürchen - nur ein kleiner Schritt sein. Auch hier dürfte es vermutlich lediglich darauf ankommen, auf welche Weise man die Bevölkerung übertölpelt, d.h. gefügig macht, damit sie auch noch diesen letzten Schritt akzeptiert, der sie Tag und Nacht sichtbar und greifbar machen wird.
 
* Quelle: http://www.jungewelt.de/2006/09-28/041.php