Steinmeier und seine Komplizen GFP FRANKFURT AM MAIN/MÜNCHEN/WASHINGTON/DAMASKUS 25.11.2006 19:43
(Eigener Bericht) - In Frankfurt am Main residiert die Leitzentrale weltweiter Akte von Menschenraub, Folter und Subversion. Die Kommandoeinheit besteht aus etwa 200 Agenten des US-Geheimdienstes CIA und war an der Entführung deutscher Staatsbürger beteiligt - mit Wissen der Berliner Behörden. Dies ist einer Buchveröffentlichung über die deutsche Auslandsspionage (BND) zu entnehmen, die jetzt auf den Markt gekommen ist. Autor ist der Geheimdienstspezialist Erich Schmidt-Eenboom. Wie dieser schreibt, gehe die Haft des Hamburger Bürgers Haydar Zammar, der seit fünf Jahren in einem Foltergefängnis in Damaskus festgehalten wird, auf den Verrat persönlicher Daten an die CIA zurück. Der Zugriff wurde offensichtlich vom BND, vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vorbereitet. Die Rechtfertigung für Operationen, die Zammar den Folterern zuführten, seien Teil eines "groß angelegten Täuschungsmanövers gegen die demokratische Öffentlichkeit und das Parlament", sagt der Buchautor im Gespräch mit dieser Redaktion. Verantwortlich ist das Bundeskanzleramt. Zum Zeitpunkt der illegalen Machenschaften war Frank-Walter Steinmeier, der heutige deutsche Außenminister, politischer Kopf der Behörde. Steinmeier sei in die geheimdienstlichen Operationen persönlich verwickelt und habe sie mit Notwendigkeiten der "Antiterrorstrategie" [1] begründet, schreibt Schmidt-Eenboom. Auch das Auswärtige Amt unter dem damaligen Außenminister Fischer habe voll kooperiert. Demnach kam es zu illegalen Zuträgerdiensten für eine ausländische Macht, zu Menschenraub, Strafunterdrückung und zahlreichen anderen Verbrechen.
Schutz Eine Rekonstruktion der Verschleppung des aus Syrien stammenden und in Hamburg eingebürgerten Haydar Zammar ergibt, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst versuchte, den Kraftfahrzeugschlosser 1997 anzuwerben. Diese Methode, einen deutschen Neubürger in Spitzelarbeiten zu involvieren, scheint bei Zammar nicht erfolgreich gewesen zu sein. Anschließend wurde der Deutsche observiert, womöglich um ihn mit Beweisen persönlicher Verfehlungen doch noch gefügig zu machen. Auch dieser Weg führte zu keinem Kooperationsergebnis. Zwar hielt sich Zammar in den 1990er Jahren kurze Zeit in Bosnien und in Afghanistan auf, wo er als Geldbote für Insurgenten tätig gewesen sein soll, doch schienen die observierenden Behörden keinen Anlass zur Strafverfolgung zu sehen. Bis zum Beweis schuldhafter Handlungen stand Haydar Zammar unter dem Schutz seiner grundgesetzlichen Freiheiten. Zelle 13 Ohne ihm die Verdachtsmomente zu eröffnen, die zu seiner Observierung führten und von denen er sich hätte entlasten können, lieferten deutsche Stellen Informationen über Zammar an die Hamburger CIA-Station. Damit wurde der Deutsche den Operationen einer fremden Macht ausgeliefert, die weltweit nach sogenannten Terrorverdächtigen suchte und dabei selbst zu Terrormaßnahmen griff - auch gegen Unschuldige. Weil der Hamburger Kraftfahrzeugschlosser zusätzlichen Erkenntnisgewinn für die CIA versprach, halfen nach den lokalen Verfassungsschützern auch die zentralen deutschen Geheimdienstbehörden: das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesnachrichtendienst (BND). Sie spionierten Reisedaten des Verdächtigen aus und gaben sie an FBI und CIA weiter. Auf dieser Grundlage lauerte der US-Geheimdienst dem Deutschen im Ausland auf und ließ ihn deportieren - ohne Haftbefehl, ohne Anklage. Der Bundesbürger ‚landete in Zelle 13 des berüchtigten Foltergefängnisses (...) Far-Filastin in Damaskus.’ [2] Dreiecksgeschäft Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten sich die deutschen Konsularbehörden um Zammar kümmern müssen, wären sie ihren grundgesetzlichen Pflichten nachgekommen. Aber Haydar Zammar wurde nicht geholfen. Im Gegenteil. Bereits bis zu seiner Deportation nach Syrien blieben die deutschen Stellen tatenlos, obwohl das BKA den in Marokko vollzogenen Menschenraub (‚Verhaftung’) im Dezember 2001 meldete und Gelegenheit war, bei den marokkanischen Behörden zu protestieren. [3] Nicht in Marokko, wohl aber in Syrien wurde die Bundesrepublik Deutschland wegen ihres verschleppten Staatsbürgers vorstellig - aber keineswegs, um ihn zu befreien, sondern um von der Folterhaft zu profitieren. In einem Dreiecksgeschäft mit den Folterern ließ sich Berlin die Vernehmungsprotokolle aus dem syrischen Kerker offerieren und zahlte dafür mit Gegenleistungen: Aussetzung der Strafverfolgung gegen syrische Agenten in der Bundesrepublik. Abgemagert Der mittelbare Erkenntnisgewinn aus den Folterprotokollen reichte den deutschen Behörden nicht aus, sie wollten Zammar persönlich verhören. Nach entsprechenden Vorbereitungen durch den Präsidenten des BKA, Kersten, der im Juli 2002 nach Damaskus reiste, folgte im November eine hochrangige Delegation aus Beamten des BND, des BKA und des deutschen Inlandsgeheimdienstes in die syrische Hauptstadt. Zammar wurde ihnen vorgeführt - jedenfalls das, was von ihm übrig war: Hatte der stämmige Kraftfahrzeugschlosser in Deutschland noch 145 Kilo gewogen, so war er nach einem Jahr in syrischer Kerkerhaft auf "etwa fünfzig Kilo" abgemagert. [4] Kein Zusammenhang Wie Schmidt-Eenboom darstellt, beklagte sich der Häftling im Verlauf der Befragung, dass er geschlagen worden und in einer lichtlosen Zelle eingepfercht gewesen war - für seine Landsleute aus dem deutschen Geheimdienstmilieu, die mit Auftrag der Berliner Staatsspitzen um Frank-Walter Steinmeier operierten, kein Grund zur Beunruhigung. Die Übergriffe seien ‚in keinerlei zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang mit der Befragung durch deutsche Stellen’ zu sehen, protokollierten sie in Damaskus. [5] Frank-Walter Steinmeier Ähnliche Schutzbehauptungen und Ausflüchte verbreiten die Verantwortlichen in sämtlichen anderen bekannt gewordenen Fällen, die zur Deportation deutscher oder in Deutschland lebender Staatsbürger führten - nachdem der Menschenraub mit CIA und FBI offenbar eingefädelt, zumindest billigend in Kauf genommen worden war. [6] Die Beobachtungen eines BKA-Beamten, der bei Einsätzen im Libanon Zeuge illegaler Zwangsmaßnahmen gegen Beschuldigte wurde, stellen die deutschen Verantwortlichen in Abrede. [7] Nicht nur sie sind bis heute straflos ausgegangen oder in ihren Staatsämtern befördert worden - Beispiel Frank-Walter Steinmeier. Auch ihre Komplizen einer fremden Macht erfreuen sich ungehemmter Operationsfähigkeit: In der CIA-Schaltstelle Frankfurt am Main und in den bundesweiten Geheimdienstagenturen der USA. Verkommen Derweil sitzt der Hamburger Bürger Haydar Zammar im fünften Jahr im syrischen Far-Filastin-Gefängnis, in dem (laut amnesty international) etwa 38 Foltermethoden ‚vom Schlagen mit Elektrokabeln bis zu Elektroschocks’ [8] angewendet werden. Die Bundesrepublik Deutschland, die sich der weltweiten Durchsetzung von Menschenrechten rühmt, lässt das Leben Zammars verkommen - ‚nackte Machtpolitik’ zugunsten ‚geopolitischer Ziele’, sagt Buchautor Erich Schmidt-Eenboom mit Blick auf die deutsche Außenpolitik und dessen verantwortlichen Minister: Frank-Walter Steinmeier. Hier das Interview von GFP mit Erich-Schmidt-Eenboom über den Verrat der Grundrechte deutscher Staatsbürger und die Systematik des staatlichen Verfassungsbruchs beim sogenannten Antiterrorkampf. Schmutzige Hände german-foreign-policy.com: In Ihrem neuen Buch erwähnen Sie eine CIA-Operationsbasis in Frankfurt am Main. Welche Aufgabe hat sie und wer weiß davon? Erich Schmidt-Eenboom: Die etwa 200 CIA-Mitarbeiter umfassende Station in der Mainmetropole ist seit Jahren der vorgeschobene Posten des US-Auslandsnachrichtendienstes für den Nahen und Mittleren Osten. In dieser Funktion ist sie auch die Leitstelle für die illegalen Verschleppungen von Terrorverdächtigen quer durch Europa und aus und in arabische Staaten. Der BND und damit das Kanzleramt wissen um diese völkerrechtswidrige Aufgabe, die von deutschem Boden aus wahrgenommen wird. Mit Rücksicht auf die USA und das ständig getrübte Partnerdienstverhältnis des Bundesnachrichtendienstes zur Agency wird der scheinheilig beklagte Rechtsbruch geduldet und der Öffentlichkeit und dem Parlament Unwissen vorgegaukelt. GFP: In den bisher bekannt gewordenen Entführungsfällen (Khaled el Masri, Murat Kurnaz und andere) ergibt sich immer wieder derselbe Ablauf: Observation der später Deportierten durch deutsche Geheimdienste, Meldung der Daten an eine fremde Macht und Zuführung an ausländische Folterstaaten. Kann man von einem Outsourcing von Folter sprechen? Sch.-E.: Unter grober Missachtung der Fürsorgepflicht der Bundesrepublik Deutschland für ihre Staatsangehörigen werden die Daten von Verdächtigen gegenüber ausländischen Geheimdiensten preisgegeben. Dabei nehmen Kanzleramt und alle deutschen Sicherheitsbehörden billigend in Kauf, dass Menschen, denen nach deutschem Recht keine Straftat nachzuweisen ist, von Unrechtsregimes einschließlich den USA ihrer Freiheit und körperlichen Unversehrtheit beraubt werden. Anschließend beklagen Politiker, dass ihnen wegen der Rigidität ihrer ausländischen Partner die Hände gebunden sind, die sie sich zuvor schmutzig gemacht haben. Der Zynismus der Verantwortlichen hat dabei zwei Motive. Erstens: Sich dem Erwartungsdruck der USA zu grenzenloser Effizienz beim Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Terroristen zu beugen und damit im Schattenreich der Nachrichtendienste wenigstens zweite Liga zu spielen. Zweitens: Informatorisch von den Früchten der Folter zu profitieren, ganz gleich, wie tragfähig erquälte Aussagen sind. GFP: Offensichtlich ist es zu schweren Verbrechen gekommen, in die die deutschen Staatsspitzen verwickelt sind. Wie beurteilen Sie das Ausmaß der Ungesetzlichkeiten? S.-E.: Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts erleben wir in Deutschland eine Renaissance der Forcierung sogenannter vitaler nationaler Interessen, deren erstes Opfer die politische Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist. Unter Deckmänteln wie der Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder des Drogenhandels verfolgt jede Bundesregierung seither verstärkt außenwirtschaftliche und geopolitische Ziele, die in deutlichem Gegensatz zum Friedensgebot und der Verpflichtung unserer Verfassung auf das humanitäre Völkerrecht stehen. Im Fall Syrien werden beispielsweise offensichtliche Rechtsbrüche im In- und Ausland mit der Terrorabwehr begründet. Aber gerade da ist nachweisbar, dass die 1986 eingeleitete Zusammenarbeit mit der Diktatur in Damaskus nackte machtpolitische Hintergründe hat. Die Regierungspropaganda ist hier - wie in anderen Fällen - Teil eines groß angelegten Täuschungsmanövers gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit und dem Parlament. GFP: Ist bei einem solch systematischen Verfassungsbruch überhaupt zu erwarten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden - die Spitzen des BKA, des BND und nicht zuletzt der heutige Außenminister? S.-E.: Ein Blick in die Kriminalgeschichte der (west-)deutschen Außenpolitik seit 1949 lehrt, dass die Akteure in Politik und Sicherheitsbehörden bei vorsätzlichen Verstößen gegen die Eckpfeiler unserer Demokratie bisher stets ungestraft davongekommen sind. Ob es sich um nachweislich illegalen Waffenhandel im Staatsauftrag oder um die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen durch üble Diktaturen handelte, in keinem Fall wurden Politiker oder Beamte für ihre Verbrechen bestraft. So steht auch nach Abschluss der Arbeiten des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags nichts anderes zu erwarten, als dass Oppositionsparteien harsche moralische Urteile fällen. Der weithin erschallende Ruf nach Reformen bei den Geheimdiensten ist zum einen der Versuch zu suggerieren, es gäbe Konsequenzen. Zum anderen dient er vor allem dem Ziel, Verantwortlichkeiten zu entpersonalisieren, und schafft damit die Voraussetzung, dass neue Strukturen weiterhin ungehemmt alte Wege beschreiten. politonline: Das dem Artikel vorangestellte, wie eine Studioaufnahme wirkende Foto Steinmeiers erschien am 10.12.05 auf der homepage FAZ.NET der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zu einem Zeitpunkt, als die geheimen CIA-Flüge resp. Gefängnisse hohe Wellen schlugen und Steinmeier deswegen starken Angriffen ausgesetzt war. Bezieht man sich auf Johannes Rothkranz und andere Autoren, so würde der Griff an die Brille bedeuten, dass Steinmeier damit seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei offen kundtut. Heute ist es nicht mehr länger zu verheimlichen, dass ‚die Regierung Schröder detailliert über die Praktiken der CIA informiert war und von den Entführungen und geheimen Gefängnissen der Amerikaner sehr früh wusste - und schwieg. US-Aussenministerin Condoleezza Rice wird von der neuen Kanzlerin die gleiche stille Komplizenschaft verlangt haben.’ (Der Spiegel am 5. 12. 05). Man muss sich einmal überlegen, mit welcher Unverfrorenheit die Öffentlichkeit getäuscht wird, hatte Rice doch am 9. 12. 05 beim Treffen der NATO-Aussenminister in Brüssel noch behauptet: «Wir haben weder Flughäfen noch den Luftraum (in Europa) dazu genutzt, um Personen an Orte zu bringen, wo sie gefoltert wurden.» Was Aussenminister Steinmeier selbst betrifft, so war er anlässlich einer Debatte um die CIA-Affäre im Bundestag am 14.12.05 mit den Worten ‚infam, masslos, verblendet’ zu vernehmen. Ihm werde ‚speiübel’ bei manchen Veröffentlichungen der letzten Tage, die unterstellten, dass die Deutschen verdächtige Islamisten zwar nicht foltern dürften, aber anderen die passenden Informationen gäben, dass sie den Mann ergreifen könnten und die erwünschte Wahrheit aus ihm herausprügelten.’ Zum Fall Al Masri: ‚Weder die Bundesregierung noch der Bundesnachrichtendienst oder der Verfassungsschutz hätten der CIA Ende 2003 Beihilfe zur Verschleppung Al Masris geleistet’, versicherte Steinmeier vor dem Bundestag. ‚Wie infam, wie masslos muss man sein, um solche Vorwürfe gegen diejenigen zu erheben, die dieses Land in schwierigen Tagen auf einem Kurs der Rechtsstaatlichkeit gehalten haben?« gab sich Steinmeier empört. Woraus hervorgeht, dass er offenbar eine recht seltsame Auffassung von Rechtsstaatlichkeit besitzt. Der Bundesbürger Khaled Al Masri aus Neu-Ulm war nach eigenen Angaben am Silvestertag 2003 in Mazedonien entführt, von der CIA nach Afghanistan verschleppt und vor seiner Freilassung fünf Monate lang in Kabul festgehalten und gefoltert worden.’ Jürgen Elsässer hingegen hatte schon am 10.12.05 - also vor den Aussagen Steinmeiers - in der Jungen Welt bekanntgemacht hatte, dass ein deutscher Verhörspezialist mit von der Partie war, als US-Geheimdienstler Al Masri 2004 in Afghanistan fünf Monate lang im berüchtigten Untergrundgefängnis Salt Pit folterten. Was den seit 4 Jahren ohne Anklage in Guantánamo festgehaltenen, in Bremen aufgewachsenen türkischen Staatsangehörigen Murat Kurnaz betrifft, so haben die deutschen Behörden nach Informationen des Spiegels die Freilassung von Kurnaz, des sogenannten Bremer Talibans, aus Guantánamo Ende 2002 verhindert. Im Oktober 2002 sei die Ausreise Kurnaz' nach Deutschland bis spätestens November 2002 in Aussicht gestellt worden, berichtete Der Spiegel Ende März dieses Jahres unter Berufung auf mehrere deutsche Geheimpapiere. Eine hochrangig besetzte Konferenz in Berlin soll sich aber gegen die Freilassung des Türken ausgesprochen haben. ‚Ein Guantánamo-Heimkehrer könnte als Märtyrer ein Sicherheitsproblem, vielleicht auch ein Propaganda-Desaster werden’, war laut Spiegel die Begründung. Dabei sei seinerzeit sowohl von US-Seite als auch seitens deutscher Behörden zweifelsfrei festgestellt worden, dass Kurnaz ‚nichts mit Terrorismus, geschweige denn mit Al Kaida zu tun hat’. Der junge Mann sei ‚lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort’ gewesen und somit versehentlich in Guantánamo inhaftiert. Ex-BND-Präsident August Hanning, der inzwischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium ist, habe bei der fraglichen Konferenz im Bundeskanzleramt für ein Einreiseverbot Kurnaz' nach Deutschland und für eine Abschiebung in die Türkei plädiert, heisst es in dem Artikel. Jetzt will die Bundesregierung in einer gemeinsamen Initiative mit der Türkei seine Freilassung erreichen. Nach Deutschland werde er vorerst aber nicht zurückkehren können. Das Innenministerium der BRD habe eine Einreisesperre bis Mai 2007 verhängt. Die Behörden befürchten, dass Kurnaz nach dem jahrelangen Aufenthalt in Guantanamo radikalisiert sei. Was den von Schmidt-Eenboom erwähnten Fall Haydar Zammar betrifft - dieser besitzt sowohl die deutsche als auch die syrische Staatsangehörigkeit und ist seit vier Jahren in Damaskus inhaftiert ist - so war der Presse am 15. 12. 05 zu entnehmen, dass die Bundesregierung nichts dabei fand, unter solchen Umständen deutsche Beamte nach Damaskus zu schicken, erstmals angeblich im November 2002, um Zammar ihrerseits zu vernehmen. Dazu erklärte Schäuble, nach seinen Unterlagen seien die deutschen Beamten »ausserordentlich korrekt« vorgegangen. Ein wahrhaft einmalige Aussage angesichts von Umständen, die von einer abgrundtiefen Abartigkeit gezeichnet sind. Insgesamt verstossen die diversen Vorfälle klar gegen die Menschenrechte. German Foreign Policy berichtete am 27. 1. 06 folgendes: »Trotz der Verhinderung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur deutschen Beteiligung am Irak-Krieg und an Foltermassnahmen im Libanon geraten die deutschen Sicherheitsorgane in neue Erklärungsnöte. Man werde ‚den Präsidenten des Bundeskriminalamtes ein zweites Mal (...) befragen’, da wegen der BKA-Beteiligung an Folterverhören in Beirut ‚noch weiterer Aufklärungsbedarf’ bestehe. Damit geraten nicht nur die BKA-Praktiken und das Verhalten des Präsidenten des Bundeskriminalamts Ziercke ins Zentrum der gegenwärtigen Nachforschungen; es seien auch Fragen an die Justizministerin oder den Generalbundesanwalt zu richten’. Die Justizbehörden vermeiden trotz der Meldung eines BKA-Beamten förmliche Ermittlungen. Wenn Informationen ‚aus einem Folterkeller’ stammen, müsste man diese auch zur ‚Gefahrenabwehr’ nutzen, rechtfertigt die verantwortliche deutsche Ministerin die in Frage stehenden Praktiken. [….] Nach Dokumenten, die GFP vorliegen, verfügen mindestens drei der im Libanon eingesetzten BKA-Beamten über genaue Folterinformationen - zwischen Oktober und Dezember 2002 dienstlich erlangt und auch dienstlich weitergegeben. Demnach wurden Zielpersonen einer nach Beirut verlegten BKA-Operation von dem libanesischen Partnerdienst zu Aussagen erpresst und nach Erkenntnissen von amnesty international (ai) auch gefoltert. Die entsprechenden Informationen meldete der BKA-Beamte G. aus Beirut an die Bundesanwaltschaft, zuerst telefonisch und anschliessend per Fax. Ebenfalls an die Bundesanwaltschaft ging im Dezember 2002 ein nachgeliefertes Schriftstück, das G. als ‚internes Vernehmungsprotokoll’ bezeichnete - wiederum mit Foltereinzelheiten. Zeuge der Vorfälle ist der BKA-Beamte K. Die Dokumente widerlegen die Schutzbehauptungen der BKA-Spitze, man habe von Foltermassnahmen nichts gewusst. Tatsache ist, dass BKA und Bundesanwaltschaft über mindestens drei Monate mit den ausführenden Tätern aufs engste zusammenarbeiteten: Mehrere hundert Fragenkomplexe wurden von der deutschen BKA-Zentrale verschlüsselt nach Beirut übermittelt, dort von den entsandten BKA-Beamten entgegengenommen, in einem Dienstzimmer der deutschen Botschaft übersetzt und anschliessend an die Verhörspezialisten des Militärischen Geheimdienstes in Beirut weitergereicht. Teilweise in Stundenabständen kamen die Verhörergebnisse zurück - unter eindeutigen Begleitumständen: Eines der Verhöropfer musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Das BKA - so die Schlussfolgerung eines beteiligten BKA-Beamten - kopierte die gefürchteten Rechtsbrüche der CIA: ‚Outsourcing’ gewalttätiger Ermittlungen durch Indienststellung ausländischer Folterbehörden.« Heute sitzen viele alte Bekannte aus der Schröder-Zeit bei Angela Merkel an wichtigen Positionen: Frank-Walter Steinmeier, einst Schröders mächtiger Mann im Kanzleramt und intimer Kenner aller Vorgänge, ist nun Aussenminister. August Hanning, unter Rot-Grün Chef des gut informierten Auslandsgeheimdienstes BND, ist nun Staatssekretär im Innenministerium. Keiner dieser Beteiligten kann ernsthaft Überraschung oder gar Empörung über die Massnahmen der CIA vorgaukeln. Sie kennen die Details seit Jahren zu gut. Es ist im übrigen nicht nachvollziehbar, dass die New Transatlantic Agenda, die auf eine am 22. 1. 03 von der Abteilung Justiz und innere Angelegenheiten des europäischen Ministerrats und Vertretern des US-Justizministeriums gemeinsam in Athen abgehaltene Sitzung zurückgeht, von niemand aufgegriffen wurde; sie blieb unerwähnt, unangetastet, obwohl die für dieses Ressort Zuständigen sie mit Sicherheit kennen müssen. Das Geheimdokument umfasst verschiedene Verpflichtungen, die darauf abzielen, die europäischen Gesetzgebungen auf den US-Patriot Act auszurichten, was allein schon eine Ungeheuerlichkeit darstellt. Man kann hier lesen, dass die Europäer ihre Emächtigung zu einer <erhöhten Benutzung europäischer Transporteinrichtungen> erteilen, um bei der Rückkehr von Kriminellen resp. unerwünschten Fremden Hilfe zu leisten. Knapp formuliert: Die ‚Folterflüge’ sowie die geheimen Gefängnisse der CIA in Europa sind in voller Kenntnis des Sachverhalts und schriftlich genehmigt worden. Es ist ferner völlig ausgeschlossen, dass BRD-Justizministerin Zypries, die noch am 15.12.05 erklärt hatte, der Bundesregierung lägen keine »hinreichenden Erkenntnisse« vor, dass die CIA den deutschen Luftraum für Geheimflüge genutzt habe, die New Transatlantic Agenda nicht bekannt ist. Trotz dieser die schreienden Misstände in der EU-Wertegemeinschaft aufdeckenden Fakten schreckte Karsten Voigt von der SPD, der Koordinator der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit der Bundesregierung, nicht davor zurück, Anfang Dezember 2005 vor einer aufgeregten Debatte und verallgemeinernden Urteilen über die Vereinigten Staaten und den Antiterrorkampf zu warnen; er forderte sogar mehr Verständnis für die Haltung Amerikas. Man kann hier nur noch mit den Worten Harold Pinters schliessen: Wahrheit interessiert Politiker nicht (oder höchst selten). Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56611?PHPSESSID=1m1moi38or83c5s2b0iko3qeh6 14.11.06 Auszüge aus dem am 14. 11. erschienenen Buch "BND - Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten" veröffentlichen wir in unserer Rubrik Dokumente. [1], [2], [3], [4], [5] Erich Schmidt-Eenboom: BND. Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten, München 2007, S. 219-226 [6] s. dazu Wer ist "Sam", der deutsche Foltergesandte?, Nach Recht und Gesetz, Sofern sie noch leben und Transatlantische Verbrechensausbeute [7] s. dazu Täuschen und lügen, Die Folterer und Und warten noch immer [8] Erich Schmidt-Eenboom: BND. Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten, München 2007, S. 223 siehe auch Gefangennahme und Folter auf politonline
|