Das Echo der Tornados

Kabul/Berlin (German Foreign Policy - Eigener Bericht) - Der tödliche Anschlag auf eine Patrouille deutscher Soldaten in Kunduz ist als Antwort auf die Entsendung von Bundeswehr-Tornados in das afghanische Kriegsgebiet zu verstehen. Daran sei »überhaupt kein Zweifel möglich«, urteilt ein afghanischer Exilpolitiker im Gespräch mit dieser Redaktion. Am gestrigen Samstag (19.5.07) waren drei deutsche Soldaten und mindestens sechs Zivilpersonen bei einem Attentat ums Leben gekommen. Zu der Tat haben sich inzwischen die sogenannten Taliban bekannt. Zeitgleich mit dem Anschlag starben bei Kampfhandlungen in mehreren Teilen des Landes mehr als 100 Afghanen - angeblich Aufständische. Wie Menschenrechtsorganisationen berichten, werden regelmäßig Zivilpersonen getötet, die in der NATO-Statistik ("body-count") als Kombattanten figurieren. Die fortgesetzten Kriegsverbrechen an der afghanischen Bevölkerung haben zu unbändigem Hass auf die Vereinigten Staaten und deren Bündnisarmeen geführt, erklärt der afghanische Exilpolitiker, der anonym bleiben möchte, gegenüber german-foreign-policy.com: »Der Hass auf die US-Politik ist wesentlich stärker, als er gegenüber den Russen je gewesen ist (...). In der Wahrnehmung vor Ort handelt es sich bei den Bundeswehreinheiten um Unterstützungskommandos für die USA.« Das deutsche Militär werde mit hohen Opfern zahlen, prophezeit der Afghanistan-Kenner

Stabilität und Frieden
Die Bundesregierung kommentiert den Anschlag, der drei deutsche Soldaten das Leben kostete, wie alle bisherigen Todesfälle im afghanischen Kriegsgebiet [1] mit stereotypen Durchhalteparolen. »Wir werden weiterhin unseren Auftrag erfüllen, um zu Stabilität und Frieden in Afghanistan beizutragen«, heißt es in einer Stellungnahme des deutschen Verteidigungsministers. Laut Bundeskanzleramt wolle Deutschland »den Menschen in Afghanistan beim Aufbau einer guten Zukunft ihres Landes weiter (….) helfen«. Berlin unterstreicht die Fortführung seiner Besatzungsstrategie mit Hinweisen auf zukünftige Opfer, deren Tod offensichtlich hingenommen werden soll. Ein ‚absoluter Schutz’ der deutschen ISAF-Soldaten sei »nicht möglich«, verlautbart der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Bislang kamen nach offiziellen Angaben 21 Bundeswehrangehörige in Afghanistan ums Leben. Man trauere mit den Angehörigen, heißt es in satzgleichen Standardstellungnahmen der verantwortlichen deutschen Politiker. Entsprechende Beileidsbriefe werden nach Formvorlagen angefertigt.
 
Unvermeidbar
Der Anschlag vom gestrigen Samstag sei - wie oben bereits dargelegt - eine Reaktion der Entsendung von Tornado-Maschinen der Bundeswehr. [2] Seit mehreren Wochen spähen die deutschen Flugzeuge Stellungen gegnerischer Verbände aus. Infrarotkameras erfassen aus großer Höhe auch unterirdische Wärmequellen und orten jedes Lebewesen, selbst wenn es sich in Bunkersystemen aufhält. Die Ortungsergebnisse landen bei den westlichen Kampftruppen und führen - unmittelbar oder zeitverzögert - zu zielgenauen Angriffen auf die Wärmequellen. Da nicht unterscheidbar ist, ob das Tornado-Suchsystem Zivilpersonen oder Kombattanten erfasst, sind NATO-Angriffe auf die nicht kämpfende Bevölkerung in Weilern oder im Grenzgebiet unvermeidbar. [3] Bei ähnlichen Angriffen seien bereits vor dem Tornado-Einsatz rund 200 Zivilisten umgebracht worden, beklagt Human Rights Watch.
  
Verbraucht
Dieser Todeszoll wird jetzt noch höher werden. Denn faktisch operieren die Bundeswehr-Tornados als Leitzentralen einer Angriffsstrategie, die dem US-Vorbild in Vietnam entspricht: »Search and destroy« - suchen und vernichten. Dabei kommt es zu wahllosen Bombardements. In Reaktion auf den Tornado-Einsatz sei Berlin mit dem gestrigen Attentat mitgeteilt worden: »Wenn Eure Besatzungspolitik weiter eskaliert, werdet Ihr mit hohen Opfern zu rechnen haben«, urteilt der Gesprächspartner im Interview mit GFP. Demnach ist der ‚Vertrauensvorschuss’, den Deutschland in Afghanistan genoss, weil es dort nicht zu den früheren Kolonialmächten gehört, inzwischen ‚verbraucht. [4]
 
Politisch erledigt
Auch politisch verliert Berlin seine bisherigen Stellungsvorteile. Vor wenigen Tagen hat das Parlament in Kabul beschlossen, Außenminister Rangin Dadfar Spanta seines Amtes zu entheben. Spanta gilt als Vertrauensperson der deutschen Außenpolitik. Er hat mehrere Jahrzehnte im Exil in Aachen (Nordrhein-Westfalen) verbracht, besaß bis vor kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft und ist nach wie vor Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, der Partei des ehemaligen Außenministers Josef Fischer. [5] »Dieser sogenannte Außenminister mag für Berlin sehr nützlich gewesen sein; für Afghanistan ist er eine Katastrophe«, heißt es im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Anlass für den Antrag, Rangin Dadfar Spanta seines Amtes zu entheben, war eine Massenabschiebung zehntausender Flüchtlinge Mitte April aus Iran. Sie wurden in ihre afghanischen Herkunftsgebiete zurückgezwungen, obwohl das Kriegsgeschehen dort eskaliert und etliche eine iranische Aufenthaltserlaubnis besaßen. Spanta stimmte der Abschiebung zu. »Politisch ist er erledigt«, urteilt der afghanische Exilpolitiker über den Minister. Spanta genießt weiter das Vertrauen des Kabuler Verwaltungspräsidenten, Hamid Karzai, der ihn im Amt zu halten versucht. Auch Karzai lebte zeitweilig im Exil und wird nach seinen ausgedehnten USA-Aufenthalten von Washington geführt.
 
Von Regierungssoldaten erschossen
Der »Hass auf die US-Politik« sei inzwischen »wesentlich stärker, als er gegenüber den Russen je gewesen ist«, urteilt der Interviewpartner dieser Redaktion, der selbst dem gegen Moskau gerichteten Widerstand angehörte. Der Unmut über die Vereinigten Staaten erreiche inzwischen die afghanischen Regierungstruppen und führe dazu, dass auch Einheiten des Kabuler Regimes gegen die verbündeten US-Militärs vorgehen: »Vor wenigen Tagen wurden drei US-Soldaten vor dem Gefängnis in Pol-e Khomri erschossen - nicht von Taliban, sondern von afghanischen Regierungssoldaten.« [6]
 
Drogeneinkünfte
Der wachsende Hass breiter Teile der afghanischen Bevölkerung hat die westlichen Besatzungskräfte in eine aussichtslose Lage gebracht. Ihre Gewaltoperationen im Süden und Südosten des Landes fordern eine immer höhere Zahl von Todesopfern; auch in der deutsch kontrollierten Zone im afghanischen Norden, der bislang als relativ ruhig galt, nimmt die Gewalt zu. Zu den Feinden des Westens gehört inzwischen selbst die Nord-Allianz, die noch 2001 Bodentruppen für den US-geführten Krieg stellte. Die Konflikte entzünden sich an der Verteilung von Drogeneinkünften, die angeblich von den USA zugewiesen werden und die einzige Einnahmequelle der Clans und afghanischen Warlords sind. Wegen der Kartellkonflikte müssen auch die Bundeswehrtruppen mit Angriffen rechnen.
 
Verloren
Die Lage der Besatzungskräfte wird durch afghanisch-pakistanische Differenzen zusätzlich erschwert. In den vergangenen Tagen kam es zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen beider Seiten. Pakistan rüstet mit Finanzhilfe der EU die Grenze zum Nachbarland hoch, um afghanischen Aufständischen das Rückzugsgebiet abzuschneiden. [7] Die pakistanischen Aktivitäten werden in Kabul als nationale Bedrohung wahrgenommen und schwächen das US- und EU-Lager. Für die Besatzungspolitik gebe es keine Chance, sagt der afghanische Gesprächspartner im Interview mit dieser Redaktion. »Die deutsche Unschuld ist verloren. Es werden nicht die letzten Toten gewesen sein.«
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56854 vom 20.05.2007
[1] s. auch Fünfhundert Ziele
[2] s. dazu: Keine Chance
[3] s. dazu: Kriegsverbrechen
[4] s. dazu: Keine Chance
[5] s. dazu: Die Grünen, Ortsverband Kabul, Deutsche Vergangenheit und Option Rückzug
[6] s. dazu: Keine Chance
[7] s. dazu: Den Rückzug abschneiden