Zum Thema Heiligendamm, G-8-Gipfel, Stasi und Überwachung: Die Sorgen des Herrn Schäuble - Von Prof. Hans-Joachim Selenz

Minister Schäuble ist in großer Sorge. Der Mann kann einem leid tun. Seine Mitarbeiter von den Sicherheitsdiensten halten ihn stets auf dem Laufenden. Von morgens bis tief in die Nacht. Er blickt von einem Abgrund in den nächsten. Das hinterlässt Spuren. Kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm sehen seine Dienste und er die Republik in ihren Grundfesten erschüttert. Der Minister schreitet besorgt zur Tat. Bereits bei Vorgänger Schily hatten die Dienste ganze Arbeit geleistet. Aus einem RAF-Anwalt machten sie binnen kurzem einen veritablen Polit-Rambo. Schily wollte sogar vollbesetzte zivile Flugzeuge zum Abschuss freigeben. Zur Abwehr von Terrorangriffen - versteht sich. Dem Bundesverfassungsgericht ging das eindeutig zu weit. Eine wehrhafte Demokratie darf sich in der Tat nicht von ihren Feinden überrumpeln lassen. Sie sollte ihre Bürger jedoch schützen und nicht schikanieren und schon gar nicht vorsätzlich töten.

Insbesondere die deutsche Geschichte liefert besorgten Politikern Anschauungsmaterial und Vorbilder aller Art. Und zwar in Hülle und Fülle. Dies zeigen aktuell einige kühne Griffe des Innenministers in die historische Gruselkiste. Ein eigens für den Gipfel errichteter anti-demonstrativer Schutzwall schirmt nicht nur das Tagungshotel ab. Die gesamte Gegend um den Tagungsort wird gleichzeitig weiträumig befriedet. Zur Zeit allerdings noch ohne Wachtürme und Selbstschussanlagen. Kein Demonstrationslärm soll das milde Rauschen der Ostseewellen übertönen. Die Proteste gegen diesen Schutzwall seien durchsichtig, meint der Minister. Herr Schäuble bezeichnet sie gar als »hysterisch«. Während er das sagt, greift der Minister tiefer und tiefer in die Stasi-Kiste. Er bereichert das gesamtdeutsche Polizei-Instrumentarium um so wunderbare Errungenschaften wie die Schnüffel-Probe. Damit soll es fürderhin möglich sein, Täter nach einer Demo an Hand ihrer Rückstellprobe zu überführen. Schnüffelnd! Wenn das kein Fortschritt ist? Von der Stasi lernen, heißt eben auch für Minister Schäuble siegen lernen. Neuerdings sollen geschredderte Stasi-Akten per Computer wieder lesbar gemacht werden. Da lässt sich sicher noch mehr in Erfahrung bringen. Aus der Praxis einer exzellent organisierten Bürgerüberwachung. Und wenn man schon mal so richtig in Schwung ist, kann man es auch mit dem Briefgeheimnis halten, wie es einst die Stasi tat. Deren Motto: Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser. Die Globalisierung ist eh nicht aufzuhalten. Herr Schäuble nutzt sie auf seine Weise.
 
In Sachsen sind derweil die Erfolge der Globalisierung unübersehbar. Darin verwickelt heimische Prominenz und die italienische Mafia. Deren vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Größen aus Politik und Justiz soll bis Anfang der 90er Jahre zurückreichen. Es geht um Organisierte Kriminalität und mafiöse Strukturen in Chemnitz, Dresden, Leipzig und Plauen. Die Themen: Mord, Erpressung, Bestechung und mehr. »Wenn man sich mit diesem Komplex beschäftigen muss, ist man angewidert von dem, was man liest«, so Sachsens Innenminister Buttolo. Der Verfassungsschutz kennt die kriminellen Politiker und Beamten seit Jahren. Sammelte Tausende Dokumente mit belastendem Material. Enthüllungsautor Jürgen Roth machte das Thema öffentlich. Die Frage derzeit: Durfte der Verfassungsschutz das Material sammeln? Darf man kriminelle Politiker, Staatsanwälte und Richter ausforschen, ohne sie vorab darüber zu informieren? Mit der Aufklärung hat man es mithin nicht sonderlich eilig. Man stelle sich vor, der Bürger erführe, Staatsanwalt X und Richter X hätten kriminelle Taten begangen. Taten, die zudem lange bekannt sind. Beim Bürger könnte glatt der Verdacht aufkommen, die Feinde des Rechtsstaates stünden bereits innen. Der Staat wäre demnach stärker bedroht von denen, die ihn schützen sollen, als von den »üblichen Verdächtigen«? Dies könnte das Vertrauen der Bürger in Justiz und Verwaltung nachhaltig erschüttern. Doch wo kämen wir hin, wenn nun auch deutsche Richter und Beamte sich der gesetzlichen Verfolgung kriminellen Tuns zu stellen hätten. Auch da hat man von der Stasi gelernt. Die Stasi schredderte bekanntlich belastende Akten - soweit man sie nicht verbrannte. Derartige Schutzmaßnahmen sind jetzt auch in Sachsen geplant. So kann der Bürger weiter ruhig schlafen. Für Herrn Schäuble eine Sorge weniger. Hat der Minister nicht Recht, wenn er trotzig behauptet: »Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke unterwegs sind!«?
 
Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz, Peine, den 29. Mai 2007
www.hans-joachim-selenz.de