Wie auf die Berichterstattung über Tibet Einfluss genommen wird

Dies geht aus einem Artikel von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann hervor [1]: Ein Grossteil der Medien hat die Situation so dargestellt, dass es die Sicherheitskräfte der Chinesen sind, die Tod und Verderben über die Tibeter bringen. »100 Tote und kein Ende« titelte die DuMont'sche Frankfurter Rundschau in ihrem Online Angebot am 15.3.08. Am 16.3.08 heisst es in dem DuMont-Blatt Express: »Das brutale Vorgehen chinesischer Truppen gegen Mönche und Demonstranten in Tibet forderte nach chinesischen Angaben zehn, nach tibetischen Angaben aber schon mehr als 100 Tote.« »Das ist Verrat an Olympia! - Weltweite Bestürzung nach blutigen Unruhen in Lhasa mit bis zu 100 Toten« liest man im Springer-Blatt Bild am Sonntag am gleichen Tag. »Umbarmherzig hat Peking die Unruhen in Tibet niedergeschlagen. Es gab Dutzende, wenn nicht Hunderte Tote, über tausend Menschen wurden inhaftiert« steht am 20.3.08 im Newsletter der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Und am 23.3.08 publiziert der Express auf seiner Titelseite: »Stoppt China! - Nach blutigen Militär-Einsätzen in Tibet fordert EU-Präsident den Olympia-Boykott. - Die Attacken werden immer heftiger: Schon 99 Tibeter kamen bei den Unruhen ums Leben.« »Ohne moralische Bedenken wird mit Opfern und Tätern jongliert. Todesopfer unter der chinesischen Bevölkerung werden China angelastet« heisst es in dem Artikel der beiden Autoren, der im weiteren folgendes ausführt: Material für eine Darstellung dieser Art liefert die tibetische Exilregierung und der von der US-Regierung finanzierte Sender »Radio Free Asia«. Darüber hinaus ist ein weitere Nachrichtenquelle involviert, die »Reporter ohne Grenzen«. Bereits am 18. 3. 08 hatten diese über den OTS-Service [Originaltextservice - Dienst der dpa-Tochter news aktuell GmbH] eine Meldung in die Agentursysteme eingespeist. Mit dem Titel »Berlin  - Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt das Vorgehen der chinesischen Behörden gegen eine freie Berichterstattung aus Tibet auf das Schärfste«, war diese bezahlte Pressemitteilung, die so Eingang in die Berichterstattung der Medien fand, eingeleitet.
 
Wie sich die Reporter ohne Grenzen finanzieren
Das Auftreten der Reporter ohne Grenzen [RoG]ist Anlass für einen kurzen Exkurs zu der Frage, um was für eine Organisation es sich dabei handelt. Elke Groß und Ekkehard Sieker sind dem im vergangenen Jahr nachgegangen: »Eine [der] Vorfeld-Organisationen US-amerikanischer Aussenpolitik, von denen auch die Reporter ohne Grenzen Gelder erhalten haben, ist das »National Endowment for Democracy« (NED). Diese unter Präsident Reagan im Jahr 1983 gegründete US-Einrichtung ist international tätig und wird zu über 90 % aus dem Staatshaushalt der USA finanziert. NED-Gründer Allen Weinstein erklärte 1991 zur Arbeitsweise des NED und ähnlicher Organisationen: Vieles von dem, was wir heute machen, wurde vor 25 Jahren von der CIA insgeheim erledigt.Laut aktuellem Rechenschaftsbericht der RoG zählt unter anderem auch das »Center for a Free Cuba« (CFC) zu den Geldgebern der Pariser Menschenrechtsverfechter. Das CFC gehört wiederum zu jenem Netz US-amerikanischer Organisationen, deren vordringliches Ziel darin besteht, die kubanische Regierung zu stürzen. Zu den finanziellen Gönnern der Reporter ohne Grenzen gehört ferner der US-Multimilliardär George Soros. Kaum jemand weiss, dass George Soros eine wichtige Rolle bei den politischen Prozessen in Osteuropa, die zum Zusammenbruch des Sozialismus führten, gespielt hat. Schon seit 1979 unterstützte er osteuropäische Dissidenten, darunter die Gewerkschaft Solidarnosc in Polen, die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in der Tschechoslowakei und den Dissidenten Andrej Sacharow in der Sowjetunion. Von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, engagierte sich Soros in den 1990er Jahren ebenso für die Destabilisierung der jugoslawischen Regierung, wie für die Unterstützung der gegen Serbien gerichteten politischen Interessen im Kosovo. Aus der PR-Branche steht kein Geringerer in den Diensten von Reporter ohne Grenzen als die bekannte New Yorker Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Diese Agentur gehört zum Werbeimperium der Publicis S.A. Group, einem multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Frankreich. Zur üblichen Kundschaft dieses Werberiesens zählen Weltkonzerne wie Coca Cola, Disney, McDonald's und Toyota. Für die RoG arbeitet Saatchi & Saatchi angeblich ohne Bezahlung. Dem letzten Rechenschaftsbericht der RoG lässt sich folgendes entnehmen: Das Team der Agentur Saatchi & Saatchi entwickelt und realisiert alle Kommunikationskampagnen der Reporter ohne Grenzen. Publicis S.A. Group, zu dem Saatchi & Saatchi gehört, [verzeichnet] Kunden, die eng mit den aussenpolitischen Interessen der USA verflochten sind, wie etwa der Bacardi-Konzern und nicht zuletzt die US-Armee.
 
Pogrom gegen Chinesen ignorieren?
Eine treffende Einschätzung in Sachen Tibet liefert der israelische Autor, langjährige Knesset-Abgeordnete und Friedensaktivist bei Gush Shalom, Uri Avnery. Er schreibt am 5.4.08, es sei kein Zufall, »dass die Unruhen in Tibet am Vorabend der Olympischen Spiele stattfinden. Das ist in Ordnung. Ein für seine Freiheit kämpfendes Volk hat das Recht, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich ergibt, um seinen Kampf zu fördern. Ich unterstütze die Tibeter, obwohl mir bewusst ist, dass die Amerikaner diesen Kampf für ihre eigenen Zwecke ausnützen. Klar, die CIA hat den Aufstand geplant und organisiert, und die amerikanischen Medien führen die weltweite Kampagne. Sie ist ein Teil des verborgenen Kampfes zwischen den USA, der herrschenden Supermacht, und China, der aufstrebenden Supermacht - eine neue Version des Grossen Spiels, das im 19. Jahrhundert in Zentralasien zwischen Grossbritannien und Russland gespielt wurde. Tibet ist nur eine Karte in diesem Spiel. Ich bin sogar bereit, die Tatsache zu ignorieren, dass die sanften Tibeter ein mörderisches Pogrom gegen unschuldige Chinesen ausführten, Frauen und Männer töteten und Häuser und Läden anzündeten. Solche abscheulichen Exzesse geschehen während eines Befreiungskampfes. Nein, was mich wirklich stört, ist die Heuchelei der Weltmedien [Anm.: der wir über die Tagespresse praktisch uneingeschränkt ausgeliefert sind]. Sie stürmen und brausen über Tibet. In Tausenden von Kommentaren und Talkshows häufen sie Verfluchungen und Beschimpfungen über das bösartige China. Es sieht so aus, als seien die Tibeter das einzige Volk auf Erden, dem das Recht auf  Unabhängigkeit mit brutaler Gewalt verweigert wird; wenn nur Peking seine schmutzigen Hände von den safrangelben Gewändern der Mönche wegnähme, dann wäre in dieser Welt alles in Ordnung.« Uri Avnery ferner: »Die Weltmedien weinen wohl Tränen um das tibetische Volk, dessen Land von den chinesischen Siedlern weggenommen wurde. Aber wer kümmert sich schon um die Palästinenser, deren Land von unseren Siedlern weggenommen wird?« Zum Abschluss erinnern die Autoren an das Planspiel des US-Sicherheitsstrategen Zbigniew Brzezinski, The Grand Chessboard - Das grosse Schachbrett, zu dem dieser ausführte: »Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird. [...] Amerika ist heute die einzige Supermacht auf der Welt, und Eurasien ist der zentrale Schauplatz. Von daher wird die Frage, wie die Macht auf dem eurasischen Kontinent verteilt wird, für die globale Vormachtstellung und das historische Vermächtnis Amerikas von entscheidender Bedeutung sein.« Das Aktionsfeld Tibet ist - daran dürfte kein Zweifel bestehen - ein Feld des grossen Schachbretts. Und es ist die Rolle der PR-Kampagnen und der Medien, das nicht deutlich werden zu lassen.
 
Anmerkung von politonline: Inzwischen hat der chinesischen Botschafter in Kanada, Lu Shumin, schwere Vorwürfe gegen den Dalai Lama erhoben: Er bezeichnete diesen am 26. 3. 8 vor Journalisten in Ottawa als Lügner, der die ganze Welt betrüge. Der Dalai Lama versuche sich selbst als friedlichen Engel darzustellen, in Wirklichkeit sei er jedoch für die gewaltsamen Ausschreitungen in Tibet mitverantwortlich.

[1] http://www.arbeiterfotografie.com/tibet Die Rolle der Medien bei den März-Unruhen in Tibet - Aktionsfeld Tibet Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann; der Artikel ist von uns auszugsweise wiedergegeben. Mehrere Artikel von Uri Averny finden sich auf politonline; alle Hervorhebungen durch politonline